01. Kapitel

Aurora wurde wach, als warme Sonnenstrahlen ihr Gesicht kitzelten. Vollkommen verwirrt schlug sie die Augen auf. Sie befand sich in einem Himmelbett mit weißen Bezügen und trug andere Kleidung. Erst gähnte sie leicht mit vorgehaltener Hand und wollte weiter schlafen, bis sie jäh aufrecht im Bett saß. Sie war weder zu Hause noch bei Roger, und das war sehr suspekt. Ihr Blick wanderte suchend durch das Zimmer und fokussierte die hölzerne Tür mit eingearbeiteten Mustern, die an ein Dorf erinnerten. Das einzige große Fenster hatte halb geöffnete Jalousien und auf diesem Weg waren wohl die Sonnenstrahlen in das Zimmer gelangt. Die restliche Ausstattung war hell gehalten und farblich aufeinander abgestimmt. Sie rieb sich kurz über die Augen, bevor sie die Bettdecke beiseite schlug und feststellte, dass sie umgezogen worden war. Ein langes weißes T-Shirt trug sie, das ihr definitiv nicht gehörte.

Aurora schlich an die Tür und lauschte. Laute Schritte ertönten, die ihr kurzzeitig einen Schrecken einjagten, sodass sie wie zu Salzsäure erstarrte und die Tür anstarrte. Jene öffnete sich kurz darauf. Ein junger Mann mit kinnlangem braunen Haar, dessen Enden sich leicht lockten, trat ein. Auf seinen Armen trug er ein Tablett mit jeglichem Essen. Seine Erscheinung war großgewachsen; breite Schultern, durchtrainierte Arme mit Tattoos (die sie aufgrund seines kurzen Oberteils sehen konnte), eine schmale Hüfte und große Füße. Sie hatte noch nie einen schöneren Menschen gesehen.

,,Ah, du bist wach, Honey." Die äußerst tiefe und langsame Stimme ließ Aurora in seine leuchtend grünen Augen blicken. Sie lief rot an, als er ihren Blick mit einer solchen Intensivität anblickte, dass ihr unwohl wurde.

,,Hatten wir...? Sie wissen schon...", murmelte Aurora schamerfüllt und beobachtete ihre Füße. Sie wurde noch roter, wenn das überhaupt ging. Vor allem da er definitiv älter und somit erwachsen war, war es ihr noch peinlicher.

,,Ich weiß nicht, wovon du sprichst", kam es von ihm.

Aurora stöhnte auf. ,,Sie wissen schon...", wisperte sie.

,,Was weiß ich?"

,,Uhm... naja... Geschlechtsverkehr..."

,,Nein, keine Sorge, Honey. Ich hab dir Frühstück mitgebracht." Das Tablett, welches er zuvor noch in seinen Händen gehalten hatte, balancierte er nun auf einer Hand, griff mit der anderen nach Auroras Hand und führte sie zurück zum Bett, wo er sie auf den Rand drückte, sich neben ihr hinsetzte und das Tablett auf seinen Oberschenkeln abstellte. Sie erkannte auf den ersten Blick, dass das Tablett aus echtem Gold war. Tante Reign war Juwelierin und hatte ihrer Nichte beigebracht, wie man Gold und unechtes voneinander unterscheiden konnte. ,,Ich bin übrigens Harry."

Sie nahm sich eine Banane von dem Tablett, schälte sie und biss ab. Während des Kauens spürte sie durchgehend Harrys Blick auf sich, und als sie ihn erwiderte, erötete sie erneut. Ein anzügliches Grinsen zierte seine Lippen und sein Blick sagte aus, wie falsch er dachte. Schnell aß sie auf, stand auf und sputete zur Tür. ,,Danke, aber ich muss los. Mein Bruder wartet."

Um möglichst wenig Zeit zu verlieren, rannte sie den Gang entlang. Den teuren, aufeinander abgestimmten Designermöbeln zufolge besaß Harry nicht wenig Geld. Nachdem sie die Treppen in das Untergeschoss heruntergepoltert war, erblickte sie die Haustür. Als sie jene öffnen wollte, klappte es nicht - sie war verschlossen.

,,Was wird das?" Harrys Gestalt erschien auf der Treppe.

,,Ich will nach Hause."

,,Das hier ist jetzt dein zu Hause." Seine Stimme klang gleichgültig, was Aurora wütend machte.

,,Das ist Freiheitsberaubung", zeigte sie auf. Er näherte sich ihr und stellte sich direkt vor ihr hin, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um den Augenkontakt zu erhalten. ,,Mein Bruder ist stumm und auf Hilfe angewiesen. Und außerdem muss ich zur Schule."

,,Das hier ist jetzt dein zu Hause, Aurora Aungish."

Aurora hatte ihm den Rücken zugedreht, doch bei dem Satz drehte sie sich wieder um. Woher zum Teufel kannte er ihren Namen? ,,Hör mir mal zu, Harry", zischte sie. ,,Ich wiederhole mich nur einmal. Ich muss jetzt nach Hause. Entweder du bringst mich sofort zu mir nach Hause - und ich bin mir sicher, du weißt, wo das ist, denn du kennst sicherlich nicht grundlos meinen Namen - und lässt mich dann in Ruhe. Haben wir uns verstanden? Falls nicht, muss ich andere Seiten aufziehen."

Aurora hätte mit vielen verschiedenen Reaktionen gerechnet, aber nicht mit dieser. Er lachte. Er lachte wie ein Irrer, ein Verrückter, der gerade frisch aus der Klapse kam. Er nahm sie nicht ernst, das war ihr sofort klar.

,,Denkst du, ich hätte Angst vor dir, wo du doch so zerbrechlich wie Glas bist?" Er kam ihr näher und seine Hände legten sich um ihren Hals. ,,Ich könnte dir dein Genick brechen und innerhalb weniger Minuten wärst du tot... oder ich erwürge dich..." Er drückte zu und sofort verspürte sie den Sauerstoffmangel.

Auroras Arme schlugen nach seinen, allerdings wurde sie von Sekunde zu Sekunde schwächer. Schwarze Punkte tanzten wieder vor ihren Augen und sie hoffte, dass es bloß die Ohnmacht war, jedoch ließ Harry sie kurz davor los. Von dem plötzlichen Sauerstoff, der ihre Lungen befüllte, fiel sie auf die Knie und fasste sich an den Hals. Hasserfüllt starrte sie hoch zu ihm. In seinen Augen spiegelte sich keine einzige Emotion dessen wider, was er in dem Moment empfand. Dort war nur gähnende Leere.

,,Ich hoffe, du bist jetzt nicht mehr so frech, Aurora, und beugst dich meinen Befehlen, du weißt nun, was sonst geschieht."

Aurora nickte lediglich, zu viel Angst hatte sie davor, dass er es in die Tat umsetzen würde, was er ihr gedroht hatte. Und sie wusste, dass er nicht zögern würde, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

,,Ich muss gleich los, einige Sachen erledigen. Du kannst das Wohnzimmer ein bisschen aufräumen." Mit den Worten ließ er sie stehen; mit Leichtigkeit öffnete er die Tür mithilfe eines Schlüssels und schloss hinter sich ab.

Nachdem er das Haus verlassen hatte, dachte Aurora nicht eine Sekunde lang daran, aufzuräumen. Sie musste schleunigst weg von hier. Sie suchte lange das pompöse Haus nach Fluchtmöglichkeit ab, allerdings schien Harry schon daran gedacht zu haben, denn die meisten Fenster waren verschlossen. Bis auf eines, das im Schlafzimmer, wo sie aufgewacht war. Der Haken an der Sache war bloß, dass sie kein Seil hatte, mit dem sie hinausklettern konnte. Müde ließ sie sich unten auf die Couch plumsen und schaltete den Flachbildfernseher an. Dort lief leider nicht spannendes, weswegen sie ihn wieder ausschaltete und das Wohnzimmer aufräumte, da sie sonst nichts besseres zu tun hatte. Sie sortierte lose Blätter, die auf dem Couchtisch lagen, zusammen, und staubte die Regale ab. Als sie fertig war, blickte sie in den Garten durch das Fenster der Schiebetüren. Es bestand keine Möglichkeit für Flucht, aber sie könnte sich umgucken. Mit einem leichten Handgriff öffnete sie die Türen und trat auf den mit Kies ausgelegten Weg. Ihre nackten Füße schmerzten nicht, sondern sie fror leicht. Es war Februar, kein Wunder.

Die Sonne strahlte Aurora direkt ins Gesicht und sie genoss die leichte Wärme. Der Garten hatte keinen Zaun, sondern eine mindestens drei Meter hohe Hecke. Ohne Hilfsmittel würde sie niemals darüber kommen und zudem entdeckte sie Überwachungskameras. Im Kopf legte sie sich einen Plan zurecht. Sie würde Harrys Vertrauen gewinnen müssen, um hier irgendwie herauskommen zu können, das stand fest. Oder sie könnte sich verstecken und ihn direkt austrixen. Beide Ideen könnten funktionieren und die Zweite erschien ihr besser. So würde sie schneller zu Saul kommen und Tante Reign würde sich auch so schon Sorgen machen. Ihr Blick landete auf einem kahlen Apfelbaum. Es fiel ihr wie ein Schuppen vor die Augen. Und es war ihr egal, dass sie es nur im T-Shirt und Unterhose machen müsste.

Gedanklich dankte sie Roger dafür, dass er ihr das Klettern beigebracht hatte, während sie ihren Fuß auf einer unregelmäßigen Stelle des Baumes absetzte und mit ihren Händen nach einem dicken Ast griff. Sie umklammerte den Ast, nachdem sie ihn zu fassen bekommen hatte und brauchte mehrere Versuche, bis sie es schaffte, sich hochzuziehen. Um nicht wieder herunterzufallen, ließ sie nicht eine Sekunde los, auch wenn ihre Handflächen von den Unebenheiten schon brannten.

Aurora schätzte, wie weit es von dem Ast bis zur Hecke war. Von ihrem jetzigen Standort aus käme sie dort niemals hin. Sie müsste näher an die Hecke ran, sonst würde sie Bekanntschaft mit dem Boden machen. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Du schaffst das, Rora. Mit neuem Mut öffnete sie ihre Augen wieder und tastete sich vorsichtig in Richtung des Endes des Astes, im Hinterkopf den Gedanken, dass er jede Sekunde abbrechen könnte.

Ein Unheil verkündendes Knacken ertönte hinter ihr und der Ast erschütterte für eine Sekunde. Jeden Moment könnte er abbrechen. Sie dachte fest an Saul, und dass er ohne sie nicht konnte, und sprang. Die Hecke war gefährlicher als gedacht. Als sie oben auf ihr landete, bohrten sich die spitzen Äste in ihre zarte Haut und ließen sie vor Schmerzen leise aufschreien. Damit sie nicht mehr Schäden davon trug, rollte sie sich von der Hecke und landete hart auf ihrem Rücken. Auch wenn es Gras war, auf welches sie fiel, federte es den Fall minimal, eigentlich gar nicht. Jegliche Luft schien aus ihren Lungen gepresst zu werden und Tränen der Frustration traten ihr in die Augen.

Aurora blieb lange so liegen, bis die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hatte. Die Flucht war gescheitert. Sie war der Freiheit so nah gewesen und jetzt stand sie wieder am Anfang. Wie ein Embryo rollte sie sich zusammen und weinte stumm.

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Kritik?

All the love as always.

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