≋ 29 ≋
≋ Jimin ≋
Ich schaffe es einfach nicht, dass Yoongi sich beruhigt. Erst nach endlosen Minuten werden seine Tränen weniger und das Schluchzen immer leiser.
Ich habe mit vielen gerechnet, aber nicht damit, dass er weinend in meinen Armen zusammen bricht. Die ganze Situation überfordert mich noch mehr, als die zuvor, wo er mir gedroht hat.
Vielleicht haben Jungkook und Taehyung doch recht. Denn die ganze Zeit über muss ich an ihre Worte denken, dass er selbst am meisten darunter zu leiden hat. Ich bin immer noch skeptisch, aber zumindest kann ich mir jetzt ziemlich sicher sein, dass Yoongi sich nicht das gefühllose Arschloch ist, für das ich ihn immer gehalten habe.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, als er sich endgültig beruhigt hat und kraftlos in meinen Armen liegt.
Scheiße...
Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich ihn nach einem Heulkrampf in den Armen halten würde, hätte ich ihn mit Sicherheit für verrückt erklärt.
"G-geht's wieder...?", frage ich leise aus Überforderung nach, denn noch immer fehlen mir die Worte für das, was da gerade passiert ist. Yoongi nickt zaghaft, aber an seinen immer wieder zufallenden Augen kann ich erkennen, wie viel Kraft ihn das gekostet hat.
"Was...?", beginne ich zu fragen, doch ich verstumme sofort wieder, weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich wirklich wissen will, weshalb er diesen Nervenzusammenbruch hatte.
"Halt die Klappe, Jimin", brummt er entkräftet, doch er macht keine Anstalten, sich aus meinen Armen zu befreien.
Soll ich ihn loslassen? Oder weiter festhalten? Wie soll ich bitte reagieren?
Ich entscheide mich notgedrungen für die zweite Option, als ich merke, wie er immer mehr in sich zusammen sackt. Dadurch, dass ich ihm im Arm halte, kann ich sein Gesicht nicht sehen, doch seine ruhige Atmung plötzlich lässt mich vermuten, dass er eingeschlafen ist.
"Yoongi?", flüstere ich leise, doch ich erhalte keine Antwort von ihm.
Ist er jetzt ernsthaft einfach eingeschlafen!? In meinen Armen!?
Und jetzt?
Ich bleibe einige Zeit so sitzen, doch ich merke, dass die Position langsam unbequem wird. Ich rutsche daher etwas nach hinten, halte Yoongi dabei an den Schultern, damit er nicht nach vorne kippt und lege ihn auf meinem Schoß ab, nachdem ich eine neue, bequemere Sitzposition gefunden habe.
Ich kann sein Gesicht immer noch nur halb sehen, doch es reicht, um meine Gedanken wieder los zu treten.
Ich frage mich, was passiert ist, dass dieser Mensch so dermaßen kaputt ist. Was musste er bitte erleben, dass er so unfähig ist, eine normale Freundschaft zu führen? Denn mal ehrlich, selbst wenn ich meine Meinung über ihn mittlerweile geändert habe, so finde ich ihn immer noch ein riesiges Mysterium.
"Wenn du mir einfach sagen würdest, was passiert ist... dann könnte ich dich vielleicht endlich verstehen. Dann könnte ich vielleicht endlich aufhören, Angst vor dir zu haben...", murmel ich leise und eher zu mir selbst, als zu Yoongi, weil dieser tief und fest schläft.
≋
Es dauert bestimmt eine gute Stunde, bis sich der Junge auf meinem Schoß wieder regt. Ich selbst drifte immer mehr in Gedanken ab und das stille Sitzen macht mich selbst ganz müde. Doch als Yoongi sich endlich etwas aufrichtet, bin ich mit einem Male wieder hellwach.
Er verzieht das Gesicht schmerzvoll und hält sich den Kopf, wahrscheinlich, weil er von Kopfschmerzen heimgesucht wird. Es würde mich nicht wundern, nachdem er sich so ausgeheult hat.
"Alles okay?", frage ich vorsichtig nach, doch er wendet sich nur von mir ab. Es scheint ihm unangenehm zu sein, doch auch das wundert mich nicht.
"Jimin...? Was...?", fragt er verwirrt, als er sich fragend umschaut.
"Du bist eingeschlafen, nachdem du dir die Augen ausgeheult hast", kläre ich ihn auf und versuche ihn mit einem Lächeln etwas aufzumuntern.
"Warum bist du noch hier?", fragt er einige Minuten später, nachdem er sich eine Kopfschmerztablette aus dem Rucksack geholt hat, der etwas abseits von uns liegt.
"Naja, was hätte ich denn machen sollen? Ich konnte dich schlecht einfach hier liegen lassen", erkläre ich mich und betrachte Yoongi dabei, wie er die Schmerztablette mit etwas Wasser aus der Flasche zu sich nimmt. "Hättest du schon."
"Wollte ich aber nicht", entgegne ich ihm und merke jetzt schon, dass wir uns jetzt wieder ewig lange im Kreis drehen werden, wenn wir diese Art der Kommunikation beibehalten. "Okay, Pass auf. Ich hab keine Ahnung, was da vorhin passiert ist, aber ich wollte dich nicht dazu bringen, so zu heulen. Ich weiß noch nicht mal, ob es an etwas lag, was ich gemacht habe, aber ich wollte wirklich einfach nur endlich verstehen, was in die vorgeht, wenn du... die Kontrolle verlierst."
Yoongi schließt, mit noch immer schmerzverzerrtem Gesicht, die Augen und lässt sich zurück auf die Matzratze sinken. Er streckt alle Viere von sich, während ich ihm zugewandt im Schneidersitz vor ihm sitze und ihn mustere. Jetzt gerade sieht er selbst einfach nur elendig zerbrochen aus.
"Das weiß ich selbst nicht so genau", antwortet er nur leise und wirklich viel Information steckt in der Aussage auch nicht, aber immerhin klingt er schon mal nicht mehr so abweisend.
"Ich versteh's nicht."
"Hör zu. Es tut mir wirklich Leid, was da im Park passiert ist. Ich habe es nicht mit Absicht gemacht, aber ich kann dir nicht erklären, wieso das immer wieder passiert. Ich mache das nicht bewusst. Mein Körper handelt da ohne mich und ich kann nichts dagegen tun. Ich weiß ja, dass das alles schwer ist für dich, aber mehr kann ich dir nicht dazu sagen."
Ich schweige, als ich seine Worte höre und nicke stattdessen nur stumm, auch wenn er es durch die geschlossenen Augen nicht sehen kann.
"M- melde dich bitte bei Taehyung oder Jungkook, ja? Es war ein Fehler, dir zu drohen. Und es tut mir Leid, aber ich hatte einfach so wahnsinnig Angst, dass du Tae auch so etwas antust. Aber die beiden leiden und machen sich Sorgen", schaffe ich endlich auszusprechen, was ich schon die ganze Zeit sagen will, doch Yoongi schüttelt nur den Kopf.
"Trotzdem werde ich mich nicht mehr bei ihnen melden und ich will auch nicht, dass du nochmal hier hin kommst, kapiert?" Seine Stimme wird wieder etwas schärfer, als er langsam wieder aufsteht und mir den Rücken zudreht.
"Und ich werde dir auch nicht mehr sagen können, also geh jetzt bitte einfach wieder."
"Aber Yoongi...", sage ich etwas überrumpelt, weil er auf einmal doch wieder so abweisend ist, aber ich habe auch keine Kraft mehr, mich damit noch weiter auseinander zu setzen.
Zumindest nicht heute.
Daher mache ich mich, ohne noch etwas zu sagen, auf den Rückweg und muss feststellen, dass es bereits langsam zu dämmern anfängt. Na klasse. Wenn ich Pech habe, ist Taehyung schon wieder vor mir zu Hause und ich darf mir eine verdammt gute Ausrede einfallen lassen, wenn ich nicht will, dass er von meinem Treffen mit Yoongi erfährt.
Ich bin schon an der Grenze zum Wald, als ich mich noch mal umdrehe und zu Yoongi sehe. Er liegt wieder auf der Matratze und hat die Augen geschlossen. Will er hier etwas schlafen? Was ist mit seiner Wohnung? Wieso ist er öfter hier, als dort?
Aber auf diese Fragen werde heute sicherlich keine Antwort mehr finden, wenn ich sie denn überhaupt jemals erhalte.
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Lesenacht Teil 5
1175 W
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