Kapitel 5
Pierre
„Ich möchte mich entschuldigen", spricht er, als er sich neben mich setzt.
„Wofür? Du hast nichts gemacht", frage ich verwundert. „Doch", meint er und dreht den Kopf in meine Richtung, „Ich habe für Alex mit dir Schluss gemacht. Das hätte er eigentlich selber tun sollen. Das tut mir leid".
Überrascht aber keineswegs zufrieden blicke ich in seine Richtung. „Was machst du hier in Russland?", frage ich die eine Frage, welche mir schon seit gestern auf der Zunge brennt.
„Wie gesagt, ich wollte mich bei dir entschuldigen", gibt er erneut zurück. „Warum bist du wirklich hier?", frage ich erneut. Max seufzt und blickt wieder auf die Eisfläche.
„Hast du schon mal nachgedacht, einfach alles wegzuschmeißen und neu anzufangen?", lässt er meine Frage unbeantwortet und stellt eine neue Frage in den Raum.
„Ja. Jeden Tag aufs Neue. Jeden Tag bringe ich meinen Körper dazu, die Schwerkraft zu überwinden, doch werde ich sie nie überwinden können", philosophiere ich.
„Und genau deswegen bin ich hier. Ich musste weg. Weg von allem. Und hier kennt mich halt keiner. Du hast mich auf die Idee gebracht", spricht er und beobachtet die glitzernde Eisfläche.
„Wie habe ich dich auf die Idee gebracht? Und woher wusstest du, dass ich nach Moskau gezogen bin?", frage ich verwundert und blicke dann doch auf Max, welcher Stur nach vorne blickt.
„Du stehst immer noch in der Öffentlichkeit. Jeder hat es mitbekommen, dass du aus Frankreich weggezogen bist", erinnert er mich und schwenkt seinen Kopf in meine Richtung.
„Wie geht es Alex?", muss ich die Frage stellen, welche mir keine Ruhe lässt.
„Naja. Wie man es sehen will. Red Bull hat ihn aussortiert und er ist jetzt in einer anderen Rennserie. Keine Ahnung wie es ihm geht. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Nachdem er mich dazu gebracht hat, mit dir Schluss zu machen, habe ich mich dann von ihm abgewandt", erzählt er mir ohne Emotion.
„Warum fragst du?", fragt er nach einer kurzen Zeit von Stille. Diese kehrt wieder ein. Meiner Kehle entkommt kein Ton. Nichts.
„Du vermisst ihn", stellt Max fest.
„Ach was du nicht sagst!", fahre ich ihn aufgebracht an, „Glaubst du es ist toll, wenn dein Freund nicht selbst mit dir Schluss macht? Ich weiß ja nicht einmal, was ich falsch gemacht habe. Jedes Mal, wenn ich Menschen sehe, die sich Lieben zieht sich alles in mir zusammen! Manchmal wäre es besser, wenn ich mich einfach in meinem Apartment verkrieche und nie wieder dort rausgehe!".
„Pierre... Es tut mir echt leid. Ich weiß auch nicht, was in Alex gefahren ist. Nur dass er sich selbst die Karriere damit zerstört hat", gibt Max zurück und blickt mich besorgt an.
„Was?", perlt er mir von den Lippen.
„Nachdem es zwischen euch aus war, sind seine Leistungen nur noch bergab gegangen. Er hat fast keine Punkte mehr erzielt und war generell nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich habe keinen Plan gehabt, warum er Schluss machen wollte, wenn er danach so im Arsch ist", erzählt mir Max weiter und zuckt am Schluss mit seinen Schultern.
Danach war es leise. Komplett leise. Nur das Surren der Eisanlage ist zu hören.
„Naja. Ich gehe dann mal. War echt nett mal mit dir in besseren Bedingungen zu reden", möchte Max sich schon aus dem Staub machen, doch ich halte ihn am Handgelenk fest.
„Falls du mal wieder reden willst, komm vorbei", meine ich und drücke ihm einen kleinen Zettel mit meiner Adresse in die Hand. Den hatte ich immer mit, weil ich am Anfang Probleme hatte, mir die richtige U-Bahn-Station zu merken.
„Werde ich in Betracht ziehen. Man sieht sich", verabschiedet er sich erneut und dieses Mal lasse ich ihn gehen. Ich blicke ihm nach, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist.
Was auch immer nun zwischen uns liegt, ich würde mich freuen, wieder mit Max zu reden. Ich hatte selber nie etwas gegen den Niederländer. Nur das mit Alex hat, mich etwas abgeschreckt, einen engeren Kontakt mit Max zu pflegen.
Das Gespräch mit Max hat etwas in mir berührt. Was auch immer passiert ist, es war etwas gutes. Die Erkenntnis, dass es Alex nach unserer Trennung genauso scheiße gegangen ist wie mir, beruhigt mich ungemein und lässt mich die Trauer an unsere zerbrochene Liebe etwas vergessen.
Lange sitze ich noch alleine da. Wie lange weiß ich nicht. Mein Blick schweift über die Eisfläche.
Warum kann nicht alles so leicht sein wie Eislaufen?
Irgendwann entscheide ich mich dazu, doch einmal aufzustehen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon fast zwölf in der Nacht ist.
So lange habe ich hier doch nicht gesessen, oder? Aber um diese Zeit will ich auch nicht mehr heimfahren.
Ich nehme mir meinen Mantel und lege ihn mir zurecht. Früher habe ich oft in der Eishalle übernachtet. Oft war ich nach dem Training einfach zu müde um noch heim zufahren.
Ich mache es mir auf der Bank bequem und schließe die Augen. Einfach schlafen und alles vergessen.
Es wäre doch zu schön, den erlösenden Schlaf für immer zu bekommen. Ich liebe es zu schlafen. Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen einmal zum Entkommen der realen Welt benutze.
„Pierre? Guten Morgen?", werde ich von einer fragenden Stimme geweckt. Sofort schrecke ich auf und blicke mich um. Ich habe total vergessen, dass ich nicht in meinem Bett geschlafen habe.
„Oh, guten Morgen, Clément", begrüße ich meinen Landsmann, nachdem ich etwas aufgewacht bin. „Hast du hier geschlafen?", fragt mich dieser und blickt mich etwas komisch an.
„Jaah... Training ist gestern etwas lang geworden. Ich wollte dann auch nicht mehr heimfahren, also hab ich es mir hier bequem gemacht", erkläre ich Clément und deute hinter ihn.
„Dein Freund ist auch mit", stelle ich fest. „Ja klar. Den lass ich nicht alleine hier. Er scheint zwar der verantwortungsvollere von uns zwei zu sein, aber eigentlich ist er ziemlich orientierungslos hier", erklärt mir der junge Franzose und lacht etwas zum Ende hin.
„Wie geht es dir, Pierre? Ich habe dich schon lange nicht mehr um normale Zeiten trainieren gesehen", wird seine Miene etwas ernster. „Ich lebe noch und es wird besser. Aber mach dir um mich keine Sorgen", versuche ich ihn zu beruhigen und deute erneut über seine Schulter.
„Mach dir lieber Sorgen um Felipe. Der scheint sich nicht mehr lange auf dem Eis halten zu können", stelle ich fest und Clément dreht sich sofort um und fängt etwas zu lachen an.
„Keine Sorge, Chéri, ich komme ja schon", trällert er und schlittert zu seinem Freund. Dieser greift etwas panisch nach den Händen des anderen und hält sich ganz fest an ihnen an.
„Pierre! Guten Morgen!", werde ich von einer anderen Stimme begrüßt. Ich drehe meinen Kopf in die andere Richtung und erblicke Charles, welcher mit Charlotte auf mich zu spaziert. Sofort zieht er mich in eine freundschaftliche Umarmung und blickt mich glücklich an.
„Ist heute ein guter Tag?", werde ich dann von ihm gefragt.
Ist heute ein guter Tag? Ich weiß es nicht. Mein Kopf schwenkt auf die Eisfläche und ich blicke wieder auf meinen jüngeren Landsmann und seinen Freund. Aber es macht sich keinerlei Trauer bemerkt. Nichts.
„Ja, heute ist ein guter Tag", meine ich und lächle in Charles Richtung. Dessen Strahlen wird noch heller und er fällt mir nochmals um den Hals.
„Ich bin so stolz auf dich, Pierre!", flüstert er mir zu um schubst mich dann von der Sitzfläche. „Und jetzt Arsch hoch! Trainieren!", befiehlt er mir mit dem breitesten Lächeln auf den Lippen, dass ich seit langen gesehen habe.
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Das nächste Kapitel ist da!
Ich hoffe es gefällt euch und ich freue mich auf all eure Rückmeldungen :)
Eure AniUndSoWeiter <3
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