🌊 Kapitel 2 🌊
Yoongi.
Die Autofahrt verlief still. Ich sah hauptsächlich auf die Rose in meinen zitternden Händen und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen.
Mein Vater hatte demonstrativ das Radio extrem laut gestellt, damit er meiner Oma nicht zuhören musste. Diese hatte sich nämlich auf dem Beifahrersitz platziert, sodass meine zwei Brüder und ich uns auf die Rückbank quetschen durften.
Am Friedhof angekommen, bildete meine Familie eine kleine Gasse, damit der Sarg in die Kirche gebracht werde konnte, wo wir einen letzten Gottesdienst in ihrer Anwesenheit ausführen konnten. Im Anschluss daran gingen wir zusammen zu ihrem Grab und durften uns mit einer persönlich Rede verabschieden.
Der Gottesdienst verlief soweit ganz gut, nur mit der Ausnahme, dass meine Oma mich beinahe in Weihwasser ertränkt hatte. Um den Dämonen in dir Einhalt zu gebieten, hatte sie gemurmelt. Entgegen ihrer Hoffnung entwich kein grausamer Dämon aus meinem Körper, sondern es endete nur damit, dass mein Anzug nass war. Zum Glück trocknete das schnell wieder.
Der Gang zu ihrem Grab war dagegen die reinste Hölle. Ich fühlte mich, als würde ich zu meiner eigenen Hinrichtung laufen. Wie ironisch.
Das Grab meiner Mutter war symbolisch auch mein Grab.
Ich war schon immer ein Muttersöhnchen. Nicht mal mit Absicht oder ausnutzend. Meine Ma war mir eben schon immer ganz besonders wichtig. Wichtiger, als alles andere auf dieser gottverdammten Welt.
Am Grab verabschiedeten sich zuallererst meine Großeltern beider Seiten, danach meine Tanten und Onkel, sowie meine Cousinen. Danach war mein Vater an der Reihe und zum Schluss waren wir Söhne dran. Mein jüngerer Bruder hielt seine Rede zuerst. Danach sollte ich dran sein, doch nachdem ich meinem ältesten Bruder einen flehenden Blick zuwarf, nickte er und ließ mich als letztes meine Rede halten. Dadurch konnte ich die allerletzte Abschiedsrede halten, die sie je hören sollte.
Als mein Vater seine rote Rose in die ausgehobene Grube warf, schnürte sich meine Kehle zu.
Ich spürte einen inneren Drang, einfach abzuhauen, weg zu rennen und das Weite zu suchen, um diesen Ort und diesen schmerzhaften Abschied von dem wichtigsten Menschen in meinem Leben verdrängen zu können. Um nicht verarbeiten zu müssen, dass sie wirklich weg war.
Nicht mehr hier.
Nicht mehr bei mir...
„Ich weiß, ich war ein grauenhafter Sohn. Bitte verzeih mir.", mit diesen Worten warf mein großer Bruder seine Rose auf die letzte Ruhestätte unserer Mutter, und lief mit Tränen in den Augen zu meinem Vater.
Schneller, als mir lieb war, war ich nun also an der Reihe. Zurückgehaltenes Weinen und Schluchzen meiner Familie begleitete mich auf meinem Weg an den Sarg. Überall lagen Rosen, meistens Rote. Nur vereinzelt schauten gelbe Blütenköpfe aus dem Meer aus Rot hervor. Meine Gedanken überschlugen sich und dennoch konnte ich keinen einzigen, klaren Satz formulieren. Ein letztes Mal schluckte ich leer den Klos in meinem Hals herunter, ehe ich leise zu reden begann.
„Hallo, Eomma." Meine Stimme brach und ich atmete nochmal tief durch. Ich überlegte nicht mehr, was ich sagen wollte, sondern sprach einfach das aus, was mein Herz sagen wollte.
„Ich hoffe, du kannst mich hören, denn du weißt, ich mag es nicht, mit mir selbst zu reden." ein trauriges Lächeln huschte über meine Lippen. „Ich weiß nicht wirklich wie ich das hier machen soll. Du kennst mich... Ich renne gerne vor Pflichten weg, genau wie vor meinem Abschluss. Es tut mir leid, das ich dich deswegen enttäuscht habe. Und wenn ich ehrlich bin, am liebsten würde ich jetzt gerade einfach wegrennen und nie mehr wieder kommen. Damit ich verdrängen kann, dass du weg bist und..."
Meine Stimme zitterte immer stärker, sodass ich kurz innehalten musste.
Ganz langsam Yoongs, versuchte ich mich irgendwie selbst zu beruhigen. „...und du nicht mehr wieder kommst."
Ich musste mich wegdrehen, senkte den Kopf und versuchte, die aufkommenden Tränen herunterzuschlucken, was leider auch einfacher gesagt, als getan war. „Ich hoffe, ich habe dir dein Leben nicht zu schwer gemacht. Ich weiß, ich bin anstrengend und es ist wirklich nicht einfach mit mir.
Mit all meinen Ängsten und den ständigen Arztbesuchen, die, dank dir, endlich ein Ende hatten.
Aber trotzdem waren da immer noch die ständigen schlaflosen Nächte. Die Depressionen, die mich lange heimgesucht haben. Ich weiß auch, dass ich dir viel zu oft nicht geholfen habe, dass ich so häufig einfach nein gesagt habe, wenn du mich hoffnungsvoll gefragt hast, ob ich nicht mithelfen könne. Ich weiß das und bereue es zutiefst.", ein Schluchzen entkam mir, als ich meine Trauer nicht länger zurückhalten konnte.
„Oder, dass ich nicht mit auf Touren gefahren bin und du deshalb oft alleine losfahren musstest. Das tut mir so leid.", schnell presste ich meine Augen zusammen. „Aber ich hoffe du weißt, dass ich dich immer lieben werde. Wie könnte ich nicht? Du bist meine Ma und ich liebe dich. Ruhe in Frieden, wo auch immer du bist. Ich hoffe so sehr, dass du glücklich bist."
Ich ließ meine Rose auf das dunkle Holz des Sarges fallen, bevor ich hemmungslos zu weinen begann.
Ohne noch einen weiteren Blick auf die letzte Ruhestätte meiner Mutter zu werfen, wandte ich mich von dem offenen Loch in der Erde ab und lief auf meinen Pa zu, der mich sofort in seine Arme schloss, wo ich endgültig zusammenbrach und meinen Tränen freien Lauf ließ. Er war der einzige Mensch, der mir in diesem Moment etwas Halt geben konnte.
Wieso sie? Wieso?
Ich löste mich, immernoch komplett aufgelöst, von meinem Pa und wischte mir hektisch über meine Augen. „Ich muss hier weg", stammelte ich, wobei meine Stimme nicht mehr als ein leises Flüstern war.
„Warte kurz, dann fahr ich dich", bot mein Pa an, aber ich lehnte dankend ab. „Nicht nötig, ein Spaziergang tut mir jetzt glaub ich ganz gut.", versuchte ich zu erklären, während ich mir immer wieder die Tränen wegwischen musste. Ich wollte eigentlich nicht schwach wirken, doch genau das war ich im Bezug auf meine Ma.
Schwach.
Als ich gerade außer Sichtweite war, hörte ich meine Oma noch über mich meckern. „War klar. Das zeigt doch nur wieder, das der Bengel sie garnicht geliebt hat!"
Wie konnte sie selbst jetzt noch rummeckern?! Selbst jetzt, wo wir gerade gemeinsam ihre Tochter, meine Ma, beerdigt hatten?
Konnte sie nicht wenigstens einmal ihren Hass auf mich zügeln, wenn auch nur für diesen einen Tag?
Ich rannte einfach los. All diese Gefühle waren zu viel für mich. Ich hielt viel aus, machte mir aus den Worten anderer Menschen nichts und zeigte ihnen nie meine wahren Gefühle. Aber das alles hier nahm mich mehr mit, als ich in meinen schlimmsten Vorstellungen zu erahnen vermocht hatte.
All diese Worte, die die anderen über mich verloren, während sie dachten, dass ich sie nicht mitbekam. Wirkte ich auf sie taub oder blöd? Ich bekam doch wohl mit, wie man über mich redete, sobald ich einen Raum betrat. Ich weiß, das nicht ausnahmslos alles davon schlecht war, doch es war genug, um mich in meiner Verzweiflung noch schlechter zu fühlen.
Schnell rannte ich vom Friedhof runter, getrieben von meiner gigantischen Trauer, weswegen ich das Schlagloch auf dem Bürgersteig natürlich übersah. Vielleicht lag es auch daran, dass meine Sicht von dem Tränenschleier schon viel zu stark eingeschränkt war.
Ich merkte nur noch, wie mein Fuß hängen blieb und ich umknickte. Panisch riss ich meine Augen auf, ruderte mit den Armen und stieß einen erstickten Schrei aus. Ängstlich, weil ich längst die Kontrolle verloren hatte, schloss ich meine Augen, doch kurz bevor ich auf dem Boden aufkam, spürte ich plötzlich zwei Arme, die sich um mich legten.
„Vorsicht!" rief die Person noch und hielt mich in der nächsten Sekunde auch schon davon ab, auf den Boden aufzuschlagen.
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