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Ich setze mich auf mein Bett und Jisung stellt sich vor mich. Beim Sitzen lasse ich meinen Kopf hängen, da ich mich sehr unvorbereitet fühle. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich heute schon in der Lage sein werde, eine Entscheidung zu treffen. Ich will beobachten, wie es sich mit Jisung heute entwickelt.
,,Du warst jetzt die ganze Woche nicht da und das hat mir große Sorgen bereitet. Ich habe auf jeden Fall alle Mitschriften vorbereitet und die kann ich dir später schicken, damit du nicht im Studium hinterherhängst." erzählt mir Jisung. Und auch, wenn ich seine Mühe wertschätze, ist mein Studium nicht das, was mich gerade am meisten beschäftigt. Das vermittele ich ihm möglichst freundlich und neutral:
,,Danke, Jisung. Das schätze ich sehr, allerdings ist Informatik gerade das, was mich am wenigsten beschäftigt und interessiert. Ich habe meine Gründe, wieso ich hier zu Hause und da ist das Studium selbst nicht der Grund." ,,Ah okay.. verstehe.." murmelt er vor sich, ehe er sich vor mich hinkniet und nach meinen Händen greift. Anschließend fragt er mich höfflich und vorsichtig: ,,Willst du mir vielleicht von deinen Sorgen erzählen? Dafür bin ich ja hier.. ich will dir helfen.. oder zumindest zuhören und für dich da sein. Denn du klingst jetzt nicht wirklich so, als wärst du krank."
Ich schüttele meinen Kopf, ehe ich bestätige: ,,Bin ich auch nicht. Physisch bin ich eigentlich kerngesund. Ich habe mich beurlaubt, aus anderen Gründen. Ich kann dir von denen erzählen, allerdings weiß ich nicht, wie stabil du bei sensibleren Themen bist." ,,Was meinst du mit sensiblem Themen?" will Jisung wissen. Dabei streicht er mit seinen Händen sanft über meine Handrücken. Ich schlucke einmal laut, ehe ich die Schlüsselwörter nenne: ,,Depressionen, Selbstverletzung und so weiter."
Seine Augen weiten sich abrupt, als hätte ich etwas gesagt, womit er nicht gerechnet hat. Doch es kann ebenso der Schein sein, dass er sich mit solchen Themen auskennt und dann gibt er mir die Antwort: ,,Ja, ich bin relativ stabil, nachdem ich meinem ehemaligen besten Freund versucht habe, zu helfen. Er hatte diese Probleme.." Seinen Kopf lässt er hängen. Ehemaliger bester Freund? Was ist denn passiert, dass sie keine besten Freunde mehr sind? Ich frage später danach, denn es scheint so, als würde er noch etwas sagen wollen, was wieder zurück zu mir lenkt: ,,Nun denn... es geht um dich und nicht um ihn. Also.. kannst mir ruhig erzählen, was deine Sorgen sind. Also hast du Depressionen?"
,,Ja habe ich. Und diese sind in letzter Zeit stärker als sonst. Und die führen zu selbstverletzenden Verhalten und Suizidgedanken. Doch das ist für mich das Schlimmste, denn es gibt eine Sache, die all diese drei genannte Aspekte um ein vielfaches verschlimmern kann und das innerhalb von Sekunden..." erwähne ich und dann fragt Jisung, als könnte er in meinen Kopf reinschauen: ,,Und ich rate mal, es sind diese Dissoziationen?" Meine Augen reißen sich automatisch richtig auf. Wieso finde ich es unheimlich? Woher weiß er was? Ich muss dem auf dem Grund gehen. ,,Uhm.. w-woher.. w-weißt d-" will ich fragen und stottere dabei wirklich stark, da es mich wirklich schockiert hat, doch plötzlich unterbricht mich Jisung, indem er mir diese Erkenntnis erklärt:
,,Ich habe das beobachtet die Wochen.. in denen es immer mehr aufgetreten ist. Ich habe mir schon vielleicht gedacht, dass du Depressionen hast, da du dich an einigen Stellen dein Verhalten dem vom Changbin – also meinem Besten Freund – widergespiegelt hat, verstehst du? Doch du bist immer so schnell in Gedanken verfallen und dieses Symptom konnte ich mir noch nicht erklären, weswegen ich im Internet Recherche betrieben habe. Und dann habe ich einen Artikel gefunden, der dich ganz gut beschrieben hat. Der Begriff lautet ‚Dissoziationen'."
,,Du bist wirklich ein kluges Kerlchen. Ja, das stimmt." bestätige ich und seufze erleichtert, da er es mir erspart, erklären zu müssen, was diese Dissoziationen überhaupt sind. Ich setze fort: ,,In letzter Zeit sind sie wieder schlimmer, was daran liegen mag, dass ich wieder richtig in Stress bin. Die Beziehung zwischen mir und Boram läuft nicht mehr gut und ich spiele mit dem Gedanken, mit ihr nach zwei Jahren Beziehung zu trennen. Ich vermisse meine Familie und fühle mich dadurch auf mich allein gestellt. Und.. ich habe manchmal Angst, dich zu verlieren, weil ich in der Vergangenheit viel verloren habe und du bist der erste gute Freund in meinem Leben bist. Ich habe nie Freunde gehabt und... die Menschen, die um mich herum gewesen bin, wollten mich sterben sehen und haben mir sogar Instrumente dafür empfohlen. Wenn sich die ganzen Puzzleteile zusammenfüge, dann entsteht ein Bild, welches alle Gründe für meine Suizidgedanken darstellt. Manchmal kann ich einfach nicht mehr, Jisung... verstehst du?"
Und schon wieder fange ich an zu weinen, aber das ist okay. Ich weine weiter und weiter, bis Jisung sich plötzlich zu mir auf mein Bett setzt und mich zu ihm in eine Umarmung zieht, sodass sich mein Kopf automatisch auf seiner Brust platziert. Ich schließe meine Augen und ich versuche langsam, mich zu beruhigen, da es trotzdem nichts nützt, zu weinen. Meine Probleme wird es ganz bestimmt nicht lösen. Deswegen höre ich besser zu, was Jisung mir jetzt sagen will.
,,Minho... Hyung... es tut mir so unfassbar Leid, was du durchmachen musstest all die Jahre. Das klingt mir wirklich so, als hättest du es nie leicht gehabt. Und jetzt macht alles Sinn für mich. Diese Dissoziationen lassen dich Szenarien vorstellen, die du dir nicht vorstellen willst... und es hat den Schein, als würdest du von dieser Realität verschwinden, aber auch nicht ganz weg sein. Als würdest du zwischen Leben und Tod stehen. Das muss ein wirklich schlimmes Gefühl für dich sein.
Jetzt will ich nicht egoistisch klingen, aber ich will nicht noch jemanden wegen Depressionen und Suizidgedanken verlieren, also werde ich diesmal alles dafür versuchen, um dich am Leben zu halten. Wenn du jetzt schon Ideen und Vorschläge hast, wie ich es machen kann, lass es mich wissen. Sonst gib mir etwas Zeit, um über Ideen nachzudenken." redet Jisung vor sich hin, ehe er mir einen Kuss auf die Stirn drückt, was mich schon ein Stück verlegen macht.
,,Also.. ist Changbin gestorben, oder wie?" frage ich, eher aus Neugier, denn das wäre wirklich bitter, wenn es wahr gewesen wäre. ,,Ja.." antwortet er relativ traurig: ,,Er hat sich vor zwei Jahren auf die Gleise geschmissen und dann hat ihn ein Zug erwischt. Genau, als ich einen Ausflug mit meiner Familie gemacht habe. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Seitdem gehe ich alle zwei Wochen zur Therapie, um diesen Vorfall besser zu verarbeiten. Das war auch der Grund, wieso ich dich manchmal nicht nach Hause bringen kann. Und an dem Tag, wo ich nicht zur Uni gekommen bin, habe ich einen kleinen Rückfall gehabt. Nun denn.. wir sollten hier nicht über mich reden, sondern über dich. Hör auf, von dir abzulenken. Lass mich lieber wissen, wie man dich ablenken kann, ja?"
,,Okay.. es tut mir Leid. Uhm... aufgrund dessen, was du mir jetzt erzählt hast, habe ich jetzt Angst, mir was anzutun." murmele ich nervös für mich hin, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm für Jisung wäre, wenn schon der zweite Freund sich das Leben nimmt. ,,Hmm... ich denke, das ist ganz gut so. Ich will dich wirklich nicht verlieren! Auch nicht in zwei Jahren, geschweige denn in zwanzig Jahren und so weiter." gibt er ehrlich zu, ehe er mich noch einmal an sich drücke. Ich habe mich von den Tränen erholt und erwähne ebenso ganz ehrlich: ,,Das soll nicht wie eine Erpressung klingen, aber wenn sich unsere Wege niemals – ich betone: NIEMALS – trennen würde, dann würde es höchsten noch zur Selbstverletzung kommen, aber dafür wäre die Motivation, am Leben zu bleiben, um weiterzukämpfen, da... also... ja... ich will jetzt ablenkt werden. Hast du vielleicht eine Idee?"
,,Ja, habe ich. Lass uns dafür ins Wohnzimmer gehen." meint er, ehe er mich - trotz seiner Größe - hochhebt und mich ins Wohnzimmer trägt. Ich halte mich an ihm fest und schließe meine Augen. Wie schnell ich es schaffe, mich zu beruhigen. Es hat gut getan, mit ihm darüber zu reden. Als hätte ich jetzt keine Sorgen mehr.
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