18
Weiter zwei Tage sind vergangen und ich bin fertiger denn je. Ich habe das Gefühl, dass diese Zeit meinen Zustand verschlimmert und nicht verbessert. Schließlich tut es mir grundsätzlich nicht gut, mich von allem zu distanzieren. Deswegen hasse ich es so sehr, zu dissoziieren. Seit vorgestern – etwa seitdem Boram meine Wohnung verlassen hat – dissoziiere ich wieder ziemlich stark und ich wünsche mir so stark, dass es wieder aufhört.
Lieber wäre ich tot als nur das Gefühl zu haben, tot zu sein.
All die Dinge, die mir Jisung gesagt habe, gehen mir durch den Kopf. Und es hört nicht auf. Ich habe wirklich das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Wahnsinnig zu werden. Ich kann nicht in Worten beschreiben, wie stark ich mich in Jisung verliebt habe. Ich will ihn so stark bei mir haben, ihn in meine Arme nehmen, als würde ich ihn beschützen wollen. Ihn auf die Lippen küssen – ganz lang, als würde von diesem Kuss Menschenleben abhängen. Tut es aber auch: Mein eigenes Leben. Meine Seele, die schon in höchster Temperatur brennt, denn in Gefahr ist sie bereits. Wenn sich nichts tut, will ich mir das Leben nehmen. Ist auch nicht wirklich schwer, wenn man im höchsten Stockwerk eines Hochhauses wohnt. Ich hasse es, nur diese Bilder zu haben, die ich anschließend nicht in die Tat umsetze, weil ich ein feiges Huhn bin.
Jedes Mal, wenn ich an einem Hochhaus vorbeigehe, stelle ich mir automatisch vor, wie ich mich auf dem Dach befinde und auf einer Kante des Gebäudes balanciere, als würde ich nur darauf warten, „aus Versehen" auszurutschen. Und dann falle ich in diese Tiefe und alles spielt sich in Zeitlupe ab, als wäre es der epischste Moment meiner Geschichte. Ich will so stark diese Grenze überschreiten und im Abgrund landen. Tot.
Doch dann gibt es diese andere Seite in mir, die es nicht will.
Ich versuche, diese eine Seite dominieren zu lassen. Boram zur Liebe. Und vor allem Jisung zur Liebe.
Doch die Gedanken sind wieder stärker denn je. Die Gedankenwolken ziehen in meinen Kopf zurück und sorgen für stürmisches Unwetter. Der Orkan in meinem Kopf reißt mich von der Realität mit und ich falle wieder in dieses Loch, welches die Distanz zur Realität überhaupt inszeniert. Ich lasse mich auf mein Bett fallen, wodurch es sich noch mehr anfühlt, als würde ich in dieses Loch fallen. Der Unterschied zwischen dem Loch und dem Hochhaus ist, dass dieses Loch unendlich tief ist und ich niemals landen werde. Ich falle ohne Pause. Ich spüre keinen festen Boden. Große Unsicherheit kommt auf. In den Augenwinkeln bilden sich Tränen, denn ich halte es nicht mehr aus.
Neue Bilder kommen in meinen Kopf, die nur Schlechtes prophezeien: Was, wenn Jisung mich eigentlich gar nicht will.
Man muss sich vorstellen: Ich gehe zur Jisung und beichte ihm, dass ich Gefühle für ihn entwickelt habe und für ihn sogar Boram sitzen lasse haben. Es wäre der größte Weltuntergang für mich, wenn Jisung diese Gefühle nicht erwidert. Und das ist nicht das Schlimme: Möglich wäre auch, dass er nicht einmal mit mir befreundet sein möchte, weil er sich mit meinen Gefühlen unwohl fühlt. Die Chance könnte ganz hoch sein, dass dies passiert.
Also wieso bringe ich mich nicht einfach eher um, bevor ich alles verliere, was eine große Bedeutung für mich gehabt hat?
Ich schüttele meinen Kopf und versuche, aufzustehen, was ich schaffe. Meine Augen öffnen sich und ich erkenne mein Zimmer einfach nicht wieder, da dieses verzerrt auf mich wirkt. Es fühlt sich an, als würden sich meine Möbel bewegen. Ich erkenne die Realität nicht mehr wieder. Dieses Gefühl, zwischen Leben und Tod zu sein, zerstört mich innerlich mehr als es der Nikotin tut. Ich verliere meinen Verstand komplett, wenn ich mich jetzt schon hemmungslos erhängen könnte oder einfach, ohne noch einmal darüber nachzudenken, von dem Dach aus in den Tod springen kann. Ich muss es anders an mir auslassen, bevor es schlimm für mich endet.
Diese eine Seite, die leider nicht dominiert, will etwas ganz anderes als den Tod: Das Leben. Raus aus den Gedanken. Einfach das Leben genießen, ohne Stress und Sorgen. Und ohne zu sehr in diese Gedanken zu verfallen, die mich mehr verletzen, als wenn ich mir das Messer in meine Haut rahmen würde.
Einfach jeden Atemzug genießen. Einatmen. Ausatmen. Den Vorgang wiederholen, um die Bestätigung zu haben, noch am Leben zu sein. Ich will meine fünf Sinne benutzen. Ich will diesem Jungen in die Augen sehen. Ich will seine Hand fühlen. Ich will seine Stimme hören, wenn er mir von seinen Bedürfnissen erzählt. Ich will den – seinen - vertrauten Duft riechen, damit ich mir sicher sein kann, dass ich nicht allein bin. Und dann will ich seine Lippen schmecken, ihm meine ganze Liebe geben, weil ich nichts mehr will, als mit ihm zusammen zu sein.
Verdammt, ich will leben! Ich will lieben!
Ich fange an zu weinen, doch das ist in Ordnung, denn Tränen rauslassen, wenn man nicht mehr kann, ist menschlich. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass es okay ist, zu weinen. Auch wenn sie nie gewusst hat, wie sie mit meinen Depressionen umgehen soll, hat sie alles gegeben, um mich glücklich zu machen. Mein Herz schmerzt. Ich werde immer emotionaler nach jeder Sekunde. Ich kann nicht in Worten beschreiben, wie sehr ich diesen bei mir haben möchte.
Und dann höre ich auch noch ein Klingeln in meinem Kopf, als würde ich mir wünschen, dass Jisung kommen würde. Noch einmal nehme ich es akustisch wahr. Wie verrückt muss ich jetzt geworden sein, dass ich sogar halluziniere.. dass Jisung kommen würde, um mir beizustehen.
Ich reiße meine Augen auf und da bin ich wieder in der Realität. Und dann nehme ich diese Klingel mit meinen Ohren wahr. Meine Klingel. Jetzt. Ich eile zur Tür und reiße diese auf, wodurch ich ein bekanntes Gesicht im Sichtfeld habe. Ich kann es nicht glauben, dass Jisung jetzt wirklich gekommen ist, obwohl ich ihn nicht zu mir eingeladen habe. Ist das ein Zeichen? Schert er sich um mich?
,,Hey Hyung... ist alles in Ordnung? Ich mache mir so starke Sorgen um dich.." murmelt Jisung und wendet seinen Blick ein wenig ab. Ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß gerade nicht, wie es mir geht. Dass Jisung hier ist, könnte meine Gefühle stark beeinflussen jetzt, deswegen brauche ich ein wenig, um darauf zu kommen, wie es mir geht. Ich seufze leise, ehe ich ihn einfach frage: ,,Kannst du bitte reinkommen? Ich erkläre dir alles?"
Was ist denn unter ,alles' zu verstehen, frage ich mich. Das werde ich wohl gleich herausfinden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top