12
PoV. Hyunjin
Die Sitzung zieht sich ewig hin. Obwohl Jisung anfangs so lustlos gewirkt hat, sitzt er jetzt konzentriert daran, alle Begriffe, die er aufgeschrieben hat, zu Gruppen zusammenzufassen. Anfangs fragt er noch hin und wieder, ob ich etwas ergänzen möchte, doch nach einer Weile gibt er es auf und lässt mich in Ruhe. Endlich.
Ich mag das Studio nicht. Es ist nicht ganz so schlimm, wie in Jisungs Wohnung, denn immerhin sein Arbeitsplatz ist halbwegs ordentlich, aber ich komme mir fehl am Platz vor.
Es ist fast, als würde der ganze Raum wollen, dass ich verschwinde. Als hätte das Zimmer Jisungs Abneigung gegen mich übernommen.
Ich reagiere auf die einzige Art, die ich kenne: Mit noch größerer Abneigung. Die Arme fest vor der Brust verschränkt sitze ich da und versuche mir zu überlegen, wie ich aus diesem Schlamassel wieder herauskomme.
Wenn ich Jisung nur dazu bringen könnte aufzugeben... auf ihn wird JYP eher hören, als auf mich, denn ich bin mir sicher, dass JYP mir die Schuld für alles gibt. Wenn ich ihn bitte, wird er mich abweisen oder mich gleich rauswerfen. Jisung dagegen...
Ich schüttele den Kopf. Aber Jisung scheint entschlossen, das Ganze durchzuziehen. Ich weiß nicht, ob er einfach nur Angst vor JYP hat oder ob er das tut, um mich zu ärgern. 'Vermutlich um mich zu ärgern.'
Und es funktioniert. Ich bin verärgert. Aber wer mir das Leben schwer machen will, sollte sich auf einiges gefasst machen.
"Was soll das überhaupt bringen?", frage ich genervt. "Für einen Song braucht man Lyrics, keine sinnlose Anhäufung von Wörtern. Oder sind deine Songtexte nicht mehr? Wundern würde es mich nicht."
Jisung hebt kurz den Blick vom Blatt und sieht mich an. Man merkt, dass er seine Wut nur noch schwer im Zaum halten kann, seine Augen funkeln zornig und seine Stimme ist dunkel, als er mit mir spricht: "Wir brauchen erst einmal irgendein Thema, für den Song." Er zeigt mir das Blatt und die Gruppen, die er darauf schon eingetragen hat. Träume, Gefangenschaft, Freiheit.
"Wenn wir ein Thema haben, dann können wir uns überlegen, wie wir dieses Thema ansprechen wollen, also ob wir eine Geschichte erzählen wollen oder das Ganze abstrakter umschreiben-"
Denkt er wirklich, das mich das interessiert? "Ja, ja. Dann mach das einfach."
Jisung rollt die Augen. "Der Sinn des Ganzen ist doch, dass wir den Song zusammen schreiben sollen."
Ich zucke nur die Schultern. Mir egal. Er kann Songs produzieren, ich kann sie verkaufen. Warum belassen wir es nicht einfach dabei?
Jisung sieht mich noch einen Moment an, das Blatt noch immer so gedreht, dass ich darauf sehen kann. Als ich ihn nur ignoriere seufzt er. "Ich mache das hier noch fertig. Dann sehen wir weiter.", sagt er und macht sich wieder an die Arbeit.
Das Kritzeln seines Stiftes auf dem Blatt ist das einzige Geräusch, das zu hören ist. Fast unwillkürlich will ich die Luft anhalten, doch das wäre unsinnig. Ich konzentriere mich darauf, ruhig weiterzuatmen.
Endlich legt Jisung den Stift beiseite. Erfreut richte ich mich in meinem Stuhl auf. "Bist du fertig?" Jisung sieht ich an und schiebt das Blatt zu mir rüber. "Ich habe alle Begriffe in Gruppen eingeteilt oder rausgestrichen. Jetzt müssen wir überlegen, welches Thema oder welche Themen wir nehmen.", erklärt er.
Ich sehe ihn verständnislos an. "Dann mach das doch!", sage ich und will das Blatt zu ihm zurückschieben, doch er hält es an Ort und Stelle. Fest sieht er mich an. "Nein, Hyunjin. Ob du es willst oder nicht, wir müssen diesen Song zusammen schreiben, also wirst du mir jetzt sagen, mit welchem dieser Themen du etwas anfangen kannst."
Ich sehe ihn an. Er meint es ernst. Er meint es wirklich ernst. Es ist fast zum Lachen! Noch während ich ihn anstarre, verdreht Jisung die Augen und lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen.
"Hyunjin, du musst nur auf ein Wort zeigen, mit dem du etwas anfangen kannst. Das sollte nicht zu schwer sein, oder?" Die kleine Stichelei lasse ich einfach an mir vorbeiziehen. "Ich verstehe nicht, warum du nicht einfach ein Thema aussuchst...", murmele ich.
Dennoch sehe ich mir das Blatt an und muss sofort das Gesicht verziehen. Es ist unordentlich, es ist sowas von unordentlich. Kann dieser Junge nichtmal eine Sache ordentlich machen?
Ich versuche mich auf die Gruppen zu konzentrieren, die Jisung eingeteilt hat. Inzwischen sind es fünf.
Träume.
Gefangenschaft.
Freiheit.
Schmerz.
Liebe.
Zum ersten Mal heute, regt sich in mir etwas anderes, als Wut. Während ich die Worte auf dem Blatt lese und den Linien folge, die Jisung gezeichnet hat, kommen mir unwillkürlich weitere Begriffe in den Sinn.
Ketten. Dunkelheit. Angst.
Am Anfang versuche ich noch, mir die Begriffe aus dem Kopf zu schlagen-ich soll hier nur ein Thema aussuchen-aber schnell sind es nicht mehr nur Begriff, die in mir hochsteigen. Bald kommen Bilder dazu, kurze Erinnerungsfetzen. Je weiter ich den Linien folge, desto mehr werden sie. Hätte ich die Worte genauso verbunden?
Ich weiß es nicht. Aber egal, was Jisung da gemacht hat... ich verstehe es. Und ich mag es nicht.
Das sind Sachen, an die ich nicht denken darf. Schon gar nicht vor Jisung.
"Hyunjin?" Ich schrecke hoch und es fühlt sich an, als würde ich auf einem Traum auftauchen. Ohne, dass ich es verhindern kann, findet Jisungs Blick den meinen. Er sieht erwartungsvoll aus. Mein Herz rast in meiner Brust, als wäre ich gerade gesprintet. Mit einem Mal fühle ich mich nackt, als hätte Jisung meine Gedanken lesen können. Aber er kann unmöglich bemerkt haben, was gerade in mir vorgegangen ist.. oder?
"Gibt es ein Thema, mit dem du etwas verbinden kannst? Schreib auch gerne deine eigenen Assoziationen auf.", sagt er ermutigend und hält mir einen Stift hin. Ich starre nur darauf. Er kann es nicht bemerkt haben. Das Blut rauscht in meinen Ohren und auf einmal spüre ich wieder die Feindseligkeit dieses Raumes.
Nein, diese Themen können wir nicht nehmen. Keines von ihnen. Nicht, wenn Jisung dann von mir verlangt, ebenfalls etwas beizutragen. Niemals werde ich ihm so etwas anvertrauen.
Es gibt ein ratschendes Geräusch und einige Papierschnipsel fallen zu Boden. Jisung sieht erschrocken zu mir hoch, ich bin aufgesprungen. Noch immer pocht mein Herz fast schmerzhaft gegen meinen Brustkorb.
"Die Themen sind doch bescheuert!", schreie ich ihn an; "Kannst du eigentlich über irgendetwas anderes schreiben, als so einen blöden Kitsch? Glaubst du ich will hier die ganze Zeit sitzen und mir deine Probleme anhören? Vergiss es!"
Ich möchte nur noch raus aus diesem Raum, aber Jisung versperrt den einzigen Eingang. Kurzerhand lasse ich den letzten Rest Papierfetzen zu Boden fallen und lehne mich an die Wand.
Jisung starrt noch eine Weile auf das Papier und seufzt dann. "Okay Hyunjin. Ich hab's verstanden. Du hast absolut keine Lust hierdrauf." Er steht auf. "Komm. Wir machen eine Pause. Vielleicht hast du dich ja danach eingekriegt."
Er geht zur Tür und hält sie auf. Einen Moment bin ich versucht, ihn anzufauchen, dass er doch alleine gehen soll, aber allein die Aussicht darauf, aus diesem Studio herauszukommen, ist es mir wert seine Anwesenheit zu ertragen. Wortlos rausche ich an ihm vorbei in Richtung Cafeteria.
"Ich hole mir was zu trinken. Möchtest du auch etwas?", fragt Jisung, als wir angekommen sind. Ich lasse ihn stehen und suche mir einen Weg zu einem Tisch, der möglichst weit weg vom Getränkestand ist. Erschöpft lasse ich mich auf einen der Plastikstühle fallen und hole mein Handy heraus.
Jisung besteht nur darauf, dass ich auch etwas mache, um mich bloßzustellen. Na klar, als der Producer von uns beiden, kann er an allem rummeckern, was ich mache. Mal wieder bin ich abhängig von jemand anderem. Wie ich das hasse.
Bei jedem anderen hätte ich mich vermutlich über die Gelegenheit gefreut, etwas darüber zu lernen, wie man Songs produziert. Aber bei jemandem, der nur nach einem Grund sucht, mich zur Schau zu stellen... Ich schüttelte grimmig den Kopf. Wenn Jisung glaubt, ich würde ihm diese Möglichkeit geben, hat er sich getäuscht.
Zu meinem Ärgernis setzt sich Jisung kurze Zeit später zu mir. Fast hätte ich ihn wieder angefaucht, doch dann fällt mir ein, dass ich damit eine weitere Audienz bei JYP riskiere. Stattdessen weigere ich, von meinem Handy aufzusehen, bis er mir etwas entgegenschiebt.
Ich sehe hoch. Vor mir steht ein Becher mit dampfendem Kaffee. Verwirrt sehe ich zu Jisung, der selbst so einen Becher hat und vorsichtig daran nippt, wobei er es vermeidet mich anzusehen. Der Becher vor mir ist eindeutig für mich.
'Wieso hat er das denn gemacht?' Das erste was mir einfällt ist, dass Jisung sich als den Großzügigeren darstellen möchte, um bei JYP zu punkten. Doch zum ersten Mal kommt mir ein anderer Gedanke: Vielleicht will Jisung einfach nur nett sein.
Misstrauisch nehme ich den Kaffee und schnuppere daran. Er riecht gut. Ich nehme einen Schluck. Die Wärme ist angenehm und ich entspanne mich etwas. Jisung sollte keinen Dank von mir erwarten, denn den wird er nicht kriegen.
Aber schweigend nebeneinander zu sitzen und Kaffee zu trinken ist immer noch besser, als in diesem Studio zu sein.
Während ich die kurze Ruhezeit genieße, wandern meine Gedanken wieder zurück zu dem Song. Ich kann so etwas nicht. Jisung ist offensichtlich jemand, der über seine Gefühle schreiben möchte. Dazu fällt mir zwar etwas ein... aber das aufs Papier zu bringen, ist eine ganz andere Sache. Allein der Gedanke, bereitet mir schon Panik.
Ich bin noch nie jemand gewesen, der gerne etwas von sich preisgibt.
Als ich den Kaffee ausgetrunken habe, stelle ich den leeren Becher zurück auf den Tisch und öffne mein Handy. Heute noch einmal ins Studio zurück, schaffe ich nicht. Ich hasse den Raum und ich hasse es, mit Jisung zu arbeiten.
Kurzerhand stehe ich auf. "Willst du weitermachen?", fragt Jisung und macht Anstalten, ebenfalls aufzustehen.
Ich sehe ihn kalt an. "Vergiss es. Für heute reicht es mir! Mach doch alleine weiter." Mein Gesicht verzieht sich zu einem höhnischen Grinsen. "Kleb doch den Zettel wieder zusammen!"
Damit drehe ich mich um und gehe. Kurz spüre ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Jisung schon wieder so angefahren habe, doch dann schüttele ich den Kopf. Soll er doch sehen, wie er zurechtkommt. Von mir aus kann er das auch JYP melden. Mir egal.
Ich tippe eine kurze Nachricht auf meinem Handy.
Hey. Ich habe keine Lust mehr. Kann ich zu dir kommen?
Die Antwort kommt sofort:
Natürlich. Ich warte auf dich~
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