Kapitel 6
Als ich wieder im Krankenflügel auftauchte, war Devan bereits zurück. Er saß auf einem der Stühle in dem Gang, wo das Zimmer lag, in das Korrin geschoben wurde, und wirkte sichtlich nervös. Ich hob meinen Ring auf und setzte mich neben ihn.
„Ist alles in Ordnung?", fragte ich angesichts seines dauerhaft wippenden Beines. Er hatte das Kinn in die Hände gestützt und starrte an die Wand.
„Hey, Devan", sagte ich etwas lauter, als er nicht antwortete.
„Hm?" Mein Gott, dieser Typ war ja völlig von der Rolle.
„Ist alles in Ordnung?", wiederholte ich meine Frage. Er nickte schnell und lehnte sich dann so ruckartig zurück, dass ich zusammenzuckte.
„Es ist nur...", begann er und kniff die Augen zusammen. Es schuf ein gruseliges Bild, wie er noch immer starr die Wand fixierte.
„Er unterlag meiner Verantwortung. Es ist meine Schuld, dass das passiert ist. Ich hätte ihn davon abhalten sollen", eröffnete er mir noch immer, ohne mich anzusehen.
„Das war doch nicht deine Schuld, du hast ihn doch noch davor gewarnt. Es war seine Entscheidung", versuchte ich ihn zu beruhigen. Er zuckte noch immer mit dem Knie und fummelte an seinen Fingern herum. So eine Verfassung hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich legte meine Hand auf sein Knie, woraufhin er mich überrascht ansah. Wenigstens hatte ich so seine Aufmerksamkeit.
„Du machst mich ganz irre", erklärte ich ihm und ließ wieder von ihm ab. Er streckte die Beine aus und ich wurde augenblicklich ruhiger.
„Haben die Ärzte schon etwas gesagt?", fragte ich und beobachtete die Menschen, die durch den Gang liefen. Devan schüttelte den Kopf.
„Sie sind immer noch da drin. Seine Familie müsste gleich kommen, vielleicht sagen sie denen etwas", murmelte er.
„Es war nicht deine Schuld, Devan", wiederholte ich, damit meine Worte endlich bei ihm ankamen. Er sah mich kurz an und wandte dann den Blick wieder ab. Nur einen Augenblick später zog das schlagartige Auftauchen einer Wisserin unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wie aus dem Nichts – wie es für Wisser nun einmal üblich war – stand sie plötzlich vor uns. Sie war auch für eine Wisserin ziemlich groß und trug ihre langen weißen Haare in eleganten französischen Zöpfen. Sie drehte sich im Kreis und blieb stehen, als sie uns bemerkt hatte.
„Ihr", sagte sie mit einer Stimme, die mir glatt ein wenig Furcht einflößte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie jeden Moment auf uns losgegangen wäre.
„Wir?", fragte ich misstrauisch und hielt ihrem harten Blick stand.
„Wo ist mein Bruder? Ihr seid doch die, mit denen er unterwegs war, oder?"
Der Groschen fiel.
„Korrin ist dort drin." Ich deutete auf die gegenüberliegende Tür.
„Aber du..." Weiter kam ich nicht, da war sie schon durch die Tür gestürmt und da sie nicht sofort wieder rausgeschickt wurde, schienen die Ärzte wohl erst einmal mit ihren Untersuchungen fertig zu sein. Neugierig darauf, wie es Korrin jetzt ging, stand ich auf und wollte ihr folgen, doch ich spürte eine Hand auf meinem Arm, die mich zurückhielt. Verwundert sah ich Devan an.
„Lass sie", riet er mir mit leiser Stimme. „Ich denke, es reicht erstmal, wenn seine Familie ihn besucht."
Ich seufzte und ließ mich wieder auf den Stuhl fallen.
„Ich will doch nur wissen, wie es ihm geht. Ob er wieder wach ist", erklärte ich mich und lehnte den Kopf an die Wand.
„Wir fragen gleich eine Schwester", sagte Devan und hatte nun endgültig seine emotionslose Einstellung wiedergewonnen. Unsicher, ob mich das freuen oder enttäuschen sollte, blieb ich sitzen und starrte an die Decke. Nur kurze Zeit später tauchte Stacey neben uns auf. Ich setzte mich wieder gerade hin und sah sie erwartungsvoll an.
„Weißt du, wie es ihm geht?", fragte Devan direkt und vergaß dabei seinen vorhin so höflichen Ton. Stacey störte das nicht im Mindesten, schließlich war sie ja nicht so viel älter als Devan und ich.
„Er ist noch immer nicht wach, aber er ist stabil. Das sagt auf jeden Fall die Ärztin." Sie ließ sich neben mich auf einen Stuhl fallen und atmete hörbar aus. In diesem Moment wirkte sie einfach nur noch müde und nicht mehr so knallhart wie vorhin.
„Geht es dir gut?", fragte ich sicherheitshalber. Sie lächelte schwach.
„Ich muss nur den Vorsitzenden erklären, wieso einer ihrer Ermittler im Krankenflügel liegt. Das ist nicht gerade die Aufgabe, die ich an dem ersten Tag mit euch dreien erwartet hatte", gab sie zu und strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. Ihr strenger Zopf hatte sich gelöst und sie wirkte nun um einiges jünger.
„Das tut mir leid, ich...", begann Devan, bevor ich ihn harsch unterbrach.
„Devan, es war nicht deine Schuld also versuch jetzt gefälligst nicht, die Verantwortung zu übernehmen für das, was Korrin aus freiem Willen getan hat", mahnte ich ihn. Stacey blickte überrascht zwischen uns hin und her.
„Ich verstehe schon, es war nicht eure Schuld. Es ist nur so, dass der Rat Ergebnisse sehen will und keine Verletzten", sagte sie dann. Die Worte klangen wie ein Vorwurf, doch wie sie es aussprach, wusste ich, dass sie nicht uns dafür verantwortlich machte.
„Macht sonst erst einmal allein weiter. Korrin wird sich erholen und solange könnt ihr zu zweit daran arbeiten", schlug sie uns vor.
„Kriegen wir ein Büro oder so?", fragte Devan. Ich musste schmunzeln.
„Ich arbeite gerne von zuhause aus", erwiderte ich. Grund dafür war nicht nur, dass ich mich dort am wohlsten fühlte, sondern auch ein äußert neugieriger Mitbewohner, der auch gerne mal seinen Senf dazu gab, was tatsächlich in manchen Fällen hilfreich sein konnte.
„Wir sollen also zu dir?", fragte Devan mehr als skeptisch und ich verdrehte die Augen. So schlimm war mein Apartment dann auch wieder nicht.
„Ich habe euch etwas mitgebracht", unterbrach uns Stacey und zog aus ihrer Tasche ein paar Mappen.
„Informationen über die Toten?", fragte Devan und nahm sie entgegen. Stacey nickte.
„Von der Geburt bis zum zweiten Tod. Alles dabei."
Ich stand auf.
„Dann sollten wir jetzt wahrscheinlich mal loslegen, oder? Je schneller wir rausfinden, wer das getan hat, desto weniger Geister müssen sterben."
Devan erhob sich ebenfalls. Wir dankten Stacey und ich öffnete meinen Kreis. Ich ersparte es mir, Devan die Adresse meiner Wohnung zu diktieren und zog ihn mit in mein Portal hinein. Ein Wimpernschlag und wir landeten in meinem Wohnzimmer. Dieses Mal war Carlos nicht darauf vorbereitet. Er fiel beinahe vom Sofa, als wir auftauchten.
„Heiliges Kanonenrohr!", kommentierte er, als er sich aufgerappelt hatte.
„Was zum Teufel?", kam von Devan. Ich trat aus dem Ring und sah ihn fragend an, doch er starrte nur auf Carlos, der auf der Couch saß und uns eingehend musterte.
„Hätte nicht gedacht, dass du so auf so etwas stehst", sagte Carlos, bevor ich mich erklären konnte und ließ seinen Blick über Devan wandern.
„Verdammt, wer ist der Kerl?", fragte Devan mich aufgebracht. Ihm schien die Anwesenheit eines Verdammten nicht so zu gefallen, wie mir.
„Bisher hattest du immer einen besseren Geschmack, was das männliche Geschlecht angeht", sprach Carlos weiter und verzog das Gesicht. „Und dann auch noch ein Mitglied der Gemeinschaft, wann ist es denn bitte so weit gekommen?"
„Hüter!", korrigierte Devan ihn scharf. Carlos hob seine Augenbrauen und wandte sich dann an mich.
„Du hast dir einen anderen Hüter geangelt?", fragte er im Flüsterton, als würde Devan uns dann nicht hören. Ich seufzte genervt.
„Wir arbeiten zusammen, du weißt schon, der Mord", klärte ich meinen Mitbewohner auf, der daraufhin verstehend nickte.
„Der Typ da weiß von den Morden?", fragte Devan, in dem es offensichtlich gerade brodelte.
„Der Typ da weiß so einiges, also halte dich mal besser zurück, du Wichtigtuer!", entgegnete ihm Carlos.
„Was will der überhaupt hier?", fragte Devan, ohne auf Carlos Worte einzugehen.
„Ich wohne hier, du Pfosten", antwortete Carlos und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich habe sie gefragt", knurrte Devan ihn an. Bei mir litt langsam der Geduldsfaden.
„Sie würde es begrüßen, wenn ihr euch mal beruhigt und miteinander umgeht wie erwachsene Menschen", warf ich dazwischen und stellte mich demonstrativ zwischen sie.
„Wenn der da ein Mensch wäre, gerne", erwiderte Devan ungerührt. „Wieso wohnt ein Geist in deinem Apartment?"
Ich seufzte und ging zu meiner Couch. Keiner der anderen beiden bewegte sich auch nur einen Zentimeter. Der männliche Stolz war doch einfach nur zum Kotzen. Eine Beleidigung und direkt musste man sich prügeln. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass die beiden genau das jetzt getan hätten, wenn Carlos nicht so unpraktisch formlos gewesen wäre.
„Wieso denn nicht, ist die Frage", antwortete ich ihm und wartete darauf, dass die beiden sich in den Griff bekommen würden. Devan schnaubte und bewegte sich endlich. Er ging durch den Raum und ließ sich ebenfalls auf der Couch nieder, allerdings ein gutes Stück von mir entfernt.
„Vielleicht weil alle Geister, die verdammt sind, schlechte Menschen waren."
Diese Worte brachten Carlos nun endgültig aus der Ruhe.
„Wie wäre es, wenn du Vollblutschwachkopf einfach mal die Klappe hältst, wenn du keine Ahnung hast, worüber du redest, hm? Vielleicht solltest du dir auch mal angewöhnen, Geister wie mich nicht wie den letzten Dreck zu behandeln, nur weil du dich durch dein bescheuertes Gen wie jemand Besseres fühlst. So großartig seid ihr Kerle von der Gemeinschaft nämlich nicht ansatzweise. Also krieg dein Ego in den Griff und lass mich in Frieden!"
Hui. Selten einen so wütenden Geist gesehen.
„Was hat er?", flüsterte Devan mir unauffällig zu und ließ dabei den kochenden Carlos nicht aus den Augen.
„Sicilla", raunte ich zurück. Das war Antwort genug. Devan schwieg und Carlos begann langsam, sich zu beruhigen.
„Devan, das ist Carlos, mein Mitbewohner", stellte ich ihn vor. „Und Carlos, das ist Devan Cherwood, der Hüter Europas, er arbeitet jetzt mit mir."
Carlos und Devan musterten sich einen Moment, dann streckte Devan grinsend die Hand aus. Carlos verzog wütend das Gesicht. Bevor die Situation noch einmal eskalierte, drückte ich Devans Arm herunter und warf Carlos einen warnenden Blick zu.
„Wo sich doch jetzt alle so schön beruhigt haben, sollten wir mal an die Arbeit gehen, oder etwa nicht?", schlug ich vor. Devan nickte, ließ Carlos dabei aber nicht aus den Augen. Intuitiv fragte ich mich, wie der heutige Tag wohl verlaufen würde. Ich stand auf, nahm Devan die Mappen aus der Hand und ging in die Küche, wo ich die Mappen aufschlug und die Zettel auf dem Tisch verteilte. Carlos und Devan folgten mir und Devan ordnete sofort die Zettel hinter mir her. Schließlich hatten wir drei Stapel dort liegen und von jedem toten Geist die komplette Lebensgeschichte auf Papier. Devan beugte sich über den ersten.
„Schwerer Diebstahl", las er und wanderte zum nächsten Geist.
„Mehrfache schwere Körperverletzung."
„Kleinere Diebstahldelikte", vervollständigte ich die Liste. Devan warf mir einen seltsamen Blick zu und las dann die Akte des dritten toten Geistes.
„Diebstahl", wiederholte er mich langsam. Ich schwang mich auf die Tischkante und ließ die Beine baumeln.
„Die üblichen Verdächtigen. Doof gelebt, früh gestorben", fasste ich die Informationen zusammen. Carlos, der etwas abseits in der Ecke stand, schnaubte.
„So seht ihr das also?", fragte er verbittert. Ich legte den Kopf schief. Tatsächlich war er genauso ein Sünder gewesen. Tod mit Mitte zwanzig nach einem Leben voller Körperverletzungen und kleineren Diebstählen. Definitiv kein Einzelfall.
„Sie waren also alle nichts wirklich Besonderes", murmelte Devan vor sich hin und stieß sich dann schwungvoll von dem Tisch ab.
„Unser letzter Freund hatte zu Lebzeiten kaum Feinde. Er war eben ein kleiner Fisch", erinnerte ich mich und warf einen Blick auf seine Akte. Auch dort war nichts Derartiges vermerkt. Devan musterte mich erneut so seltsam und schüttelte sich dann, als wäre er von irgendetwas angewidert. Beleidigt verzog ich das Gesicht und machte mich dann an die Akte des ersten Opfers.
„Charles Bellingham", las ich vor und runzelte die Stirn. Kreativ in der Namensgebung waren die Engländer ja nicht besonders. Fast jeder zweite Brite, den ich kannte, trug den Namen Charles. Devan war an meiner Seite und las einen anderen Zettel.
„Erstmals auffällig mit sechzehn, wo er in einem Supermarkt klaute", las er und arbeitete daraufhin die ganze Lebensgeschichte des Geistes durch. Wir lasen auch die Akten der anderen beiden und versuchten, Gemeinsamkeiten festzustellen, aber nichts machte wirklich einen Sinn. Sie hatten sich zu Lebzeiten nicht gekannt und lebten auch in verschiedenen Orten. Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass eine Verbindung zwischen ihnen bestand.
„Definitiv wahllos", klassifizierte ich gähnend, nachdem wir stundenlang gebrütet hatten. Ich lag mittlerweile auf dem Tisch und gab meinen Augen eine Pause.
„Wer auch immer das getan hat, muss einen generellen Hass auf Geister haben."
Devan lehnte neben mir am Tisch und dachte immer noch fieberhaft nach.
„Ich bete dafür, dass es kein Mitglied der Gemeinschaft war", murmelte er und ich fühlte mit ihm. Ich schloss die Augen und begann ein kurzes Gebet, in dem ich genau um das bat, was Devan gerade ausgesprochen hatte – und darum, dass kein weiterer Geist würde sterben müssen. Auf den Anblick eines weiteren doppeltoten Sünders konnte ich gut und gerne verzichten. Da mich mein Glaube auch nach dem Anblick toter Geister noch nicht vollständig verlassen hatte, schien ein Gebet die wirksamste Methode, um meinen verwirrten Verstand etwas zu beruhigen.
„Schläfst du?", fragte Devan empört und stieß mich an. Ich setzte mich genervt auf.
„Ich bete, du Idiot", erklärte ich ihm und funkelte ihn wütend an. Als hätte ich nichts Besseres zu tun, als mitten in unseren Ermittlungen einzuschlafen.
„Du betest?", fragte Devan daraufhin skeptisch. Ich verdrehte die Augen.
„So eine verrückte Vorstellung?", fragte ich sarkastisch und ließ mich von dem Tisch runtergleiten. Hätte ich das mal lieber gelassen. Nun musste ich den Kopf wieder in den Nacken legen, um Devan ins Gesicht zu sehen.
„Können wir jetzt bitte mal eine Pause machen?", flehte ich dann und streckte mich demonstrativ. So viel denken an einem einzigen Nachmittag bekam mir gar nicht. Zu meiner Überraschung nickte Devan und fegte die Zettel ordentlich zusammen.
„Ich denke, wir werden so ohnehin nicht weiterkommen", räumte er ein und lehnte sich wieder an die Kante.
„Hast du zu zufällig etwas zu essen hier?", fragte er dann. Ich lachte sarkastisch auf.
„Nein, ich hungere lieber", antwortete ich auf diese blöde Frage. Devan schüttelte genervt den Kopf und sah mir dabei zu, wie ich meinen Kühlschrank überprüfte.
„Pizzarest!", präsentierte ich ihm stolz den Karton meines Abendessens von vor zwei Tagen. Devan verzog das Gesicht.
„Hast du nichts, was nicht aussieht, wie schonmal gegessen?"
„Sag nicht, du magst keine Pizza?", hakte ich ungläubig nach. Devan deutete mit einer Kopfbewegung auf den Karton in meiner Hand.
„Nicht, wenn sie schon wer weiß, wie lange im Kühlschrank gelegen hat", sagte er angewidert und kam auf mich zu, um ebenfalls einen Blick in den Kühlschrank zu werfen. Der Joghurt, der eigentlich für mein morgiges Frühstück gedacht war, schien seinen Anforderungen zu entsprechen und er durchforstete alle möglichen Schubläden der kleinen Küche, bis er einen Löffel fand. Dann setzte er sich auf einen der Hocker und begann zu essen. Beleidigt darüber, dass er mich nicht einmal gefragt hatte, ob er sich einfach so bedienen durfte, schob ich die Pizzareste in den Backofen und setzte mich neben ihn.
„Du musst vorheizen", verbesserte er meine Aufbackmethode zwischen zwei Löffeln meines Joghurts.
„Ach halt die Klappe", antwortete ich schlicht und einfach und wechselte einen kurzen Blick mit Carlos, der mittlerweile im Wohnzimmer am Fenster saß und die Menschen auf der Straße – oder aber mich und Devan – beobachtete.
„Du hast nicht vor, mir etwas übrig zu lassen, oder?", fragte ich angefressen, während ich Devan dabei zusah, wie er das Glas leer löffelte. Er sah mich überrascht an.
„Sag nicht, du wolltest etwas davon."
Ich verdrehte die Augen und warf einen Blick in den Ofen, in dem meine Viertel Pizza langsam aufbackte. Es wäre glatt ein Moment voller Frieden gewesen, wenn nicht gerade dann die Tür hätte aufgehen müssen. Sofort starrte ich alarmiert zu dem Eingang meiner Wohnung. Niemand, den ich erwarten würde, würde die Wohnung durch die Tür betreten.
„Liv?"
Verdammter Zweitschlüssel. Stella stand in der Tür und ihr Blick huschte zwischen mir und Devan fragend umher.
„Stella. Hi", versuchte ich Zeit zu schinden, bis mir eine geeignete Ausrede für meine Anwesenheit einfallen würde. Ich spürte, wie Devan mich von der Seite genauso fragend ansah, wie Stella es tat.
„Ich würde glatt sagen, du hast jetzt ein Problem", stellte Carlos zufrieden über diese unvorhergesehene Wendung fest und beobachtete erwartungsvoll die Szene.
„Was machst du hier?", fragte ich Stella und konnte mir wirklich nicht vorstellen, was meine beste Freundin hier suchen sollte, wenn ich offiziell auf Geschäftsreise war.
„Die Frage ist, was machst du hier?", entgegnete sie und ihr Blick ruhte nun auf Devan, der aufgehört hatte, in dem Joghurt zu löffeln und jetzt sichtlich verwirrt zwischen uns hin und her blickte. Ich überlegte krampfhaft für ein paar Sekunden, doch mein Verstand schien einen Aussetzer zu erleiden. Plötzlich erhellte sich Stellas Gesicht. Sie schien eine Idee zu haben. Ob sie mir damit alles leichter oder doch schwerer machen würde, konnte ich in diesem Augenblick noch nicht sagen.
„Ist das etwa dein neuer Freund?", fragte sie in einem verschwörerischen Tonfall, der mir die Hitze ins Gesicht trieb. Stella war es gewohnt, dass plötzlich Typen in meiner Nähe auftauchten, die sie nicht kannte, und vermutete deshalb immer gleich das eine. Da mir aber bei bestem Willen keine bessere Erklärung einfiel, als das, was Stella mir gerade so praktisch vor die Füße gelegt hatte, widersprach ich ihr nicht.
„Äh ja, du hast Recht", lenkte ich also ein und ich merkte, wie Devan neben mir scharf die Luft einsog.
„Und ihr wolltet wahrscheinlich ein bisschen Ruhe", zählte Stella zähneknirschend die falschen Einsen zusammen. Devan neben mir wollte wohl gerade etwas sagen, doch ich legte ihm warnend meine Hand aufs Bein. Er schloss den Mund wieder.
„Warum bist du denn hier?", wollte ich nun von Stella wissen und machte ein paar Schritte auf sie zu.
„Ich wollte nur meine Schuhe holen, die ich dir letzte Woche geliehen hatte", erklärte Stella. Ich nickte und verschwand in meinem Schlafzimmer, um die Schuhe aus meinem Schrank zu kramen. Als ich wieder zurück ins Wohnzimmer kam, schüttelte Stella gerade Devans Hand.
„Freut mich, dich kennenzulernen", hörte ich sie sagen, bevor ich sie auf möglichst freundliche Art und Weise aus dem Raum lotste. Sie folgte mir bereitwillig zur Tür und nahm die Schuhe entgegen.
„Dienstreise also", flüsterte sie mir verspielt zu und verschwand mit einem letzten Zwinkern im Flur. Erleichtert schloss ich die Tür hinter ihr.
„Was zum Teufel sollte das denn jetzt?", kam prompt Devans angesäuerte Stimme. Ich seufzte und drehte mich zu ihm um.
„Das war doch mal richtig unterhaltendes Kino", kommentierte Carlos diese unangenehme Situation unerwünschter Weise und ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.
„Wenn Louis das jetzt erfährt, was wird er bloß denken?", flötete er dann und warf mir einen feixenden Blick zu. Ich seufzte.
„Louis?", hinterfragte Devan mit noch immer wütender Stimme.
„Ihr Freund", erklärte Carlos ihm fälschlicherweise und stolzierte zufrieden durch den Raum.
„Er ist nicht mein Freund und das weißt du genau", fauchte ich Carlos an und ließ mich wieder auf meinen Hocker fallen.
„Da sagen seine Besuche hier aber etwas anderes", fiel er mir dennoch in den Rücken.
„Verdammt Carlos, wenn du nichts Sinnvolles mehr beizutragen hast, dann verschwinde einfach, okay? Und hör endlich auf, dich in mein Privatleben einzumischen!"
Mein Geduldsfaden war bereits aufs Äußerste gespannt. Carlos hob abwehrend die Hände und verschwand durch die geschlossene Tür. Ich atmete auf, bevor der Sturm namens Devan auf mich einstürzte.
„Du hast einen normal menschlichen Freund?", hinterfragte er das Gesagte skeptisch. Ich schnaubte.
„Ich habe doch gerade gesagt, dass er nicht mein Freund ist", rettete ich mich. Ich musste Devan ja nun nicht unbedingt auf die Nase binden, dass Louis tatsächlich öfter hier gewesen war. Eine Beziehung war das deshalb noch lange nicht.
„Ist auch egal, vielleicht sollten wir eher darüber reden, was du gerade diesem Mädchen dort erzählt hast:", warf er mir an den Kopf und ich hielt seinem finsteren Blick stand.
„Mir ist nichts Besseres eingefallen, als das, was sie mir unterstellt hat, also hatte ich ja keine Wahl", rechtfertigte ich mein Handeln. Devan schmetterte das Joghurtglas auf die Tischplatte, dass ich Angst hatte, es würde zerspringen.
„Hast du eine Ahnung, welche Folgen das haben kann?", knurrte er dann und starrte wütend auf mich herunter. Dieser Größenunterschied war bei Streitereien einfach nicht fair.
„Was soll das bitte für Folgen haben?", schnaubte ich verächtlich. Es war nicht das erste Mal, dass ich Stella wegen meiner Arbeit belogen hatte.
„Lügen haben immer Folgen", belehrte mich Devan und wandte sich ab. Nun wurde auch ich richtig wütend.
„Ja dann erzähl du ihr doch, dass du mein Arbeitskollege bist, mit dem ich Geistermörder jage und wenn du schon dabei bist, kannst du ihr gleich erzählen, dass es hier einen Hausgeist gibt, der tierisch auf ihre Mitbewohnerin und beste Freundin abfährt", warf ich ihm an den Kopf.
„Arbeitskollege", schimpfte Devan weiter. „Das wäre es gewesen, aber Mylady lässt mich lieber in die Sammlung ihrer speziellen männlichen Freunde einreihen."
Ich hielt inne und fixierte ihn mit einem sauren Blick. Das war ein Stück zu weit gewesen. So konnte nicht einmal ein Devan Cherwood mit mir reden. Das schien er auch zu merken und lies aufgebracht die Hände fallen.
„Das war nicht so gemeint, ich...", versuchte er, die Situation zu retten, doch ich war jetzt einfach nur noch angefressen. Manche Dinge waren sogar für eine Olivia Watson zu viel.
„Lass es, Devan", fuhr ich ihn an. „Ich werde jetzt spazieren gehen und wenn ich wiederkomme, bist du verschwunden, verstanden?" Mir war völlig egal, ob wir Befehl hatten, weiter an dem Fall zu arbeiten. In diesem Moment wollte ich Devan einfach aus meinen Augen haben. Ich wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern stampfte durch den Raum, verließ die Wohnung und knallte die Tür hinter mir zu.
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