Kapitel 16
Die Zeit verging elendig langsam. Wir warteten in der Wohnung darauf, dass Korrin, der irgendwann eingenickt war, aufwachte und sich wieder etwas erholte, und Cindy huschte dauerhaft um ihn herum. Sie wechselte Verbände, machte Wickel – da wir sie nicht davon überzeugen konnten, dass die erhöhte Temperatur für Korrin normal war – und ließ ihren Patienten keine Sekunde aus den Augen. Irgendwann würde sie eine großartige Ärztin abgeben.
„Willst du mir noch erzählen, was genau passiert ist?", fragte Stella mich schließlich. Wir saßen nebeneinander auf der zweiten Couch und sahen Cindy bei der Arbeit zu. Die Angst um Korrin nahm in mir immer weiter zu. Er schlief mittlerweile seit drei Stunden und auch seine Wunde blutete noch schwach. Cindy musste regelmäßig den Verband wechseln und Stella war sogar schon einmal losgefahren, um neue zu besorgen. Was würde werden, wenn Korrin nicht mehr reisetauglich werden würde? Wir konnten nicht hierbleiben. Je länger wir an einem Ort blieben, desto eher würden wir gefunden werden.
„Ich denke, das ist alles ein wenig zu kompliziert", wich ich der Frage aus. Um Stella diese Situation zu erklären, bräuchte ich noch weitere drei Stunden und außerdem würde ich danach noch tiefer in dem ganzen Mist drinstecken. Durch Einweihung eines Nicht-Mitglieds würde ich bei der Laune des Rates wahrscheinlich ein zweites Mal zum Tode verurteilt werden.
„Das denke ich auch", sagte Stella mit dem Blick auf dem schlafenden Korrin.
„Wo hast du ihn eigentlich aufgegabelt?", fragte sie dann. Ich seufzte. „Bei der Arbeit. Alle beide."
„Ich glaube ich will gar nicht wissen, was du arbeitest, wenn ich mir die Situation heute so angucke", meinte Stella nachdenklich. Ich lachte bitter auf. Damit hatte sie wahrscheinlich Recht. Diese ganze Sache war schon für mich verrückt genug.
„Mein Gott, hier bist du ja", tönte eine Stimme so plötzlich neben mir, dass ich beinahe von der Couch plumpste.
„Mein Gott, Liv. Hast du einen Anfall?", fragte Stella überrascht. „Nein, ich muss nur mal schnell ins Bad", erwiderte ich und verschwand durch den Flur in das geräumige Badezimmer.
„Du kannst mich nicht einfach so erschrecken", tadelte ich Carlos, der mir gefolgt war und nun erwartungsvoll neben mir stand.
„Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt", gab er zurück und schien sich nicht gerade schuldig zu fühlen, einfach so in der Wohnung meiner Freundin aufzutauchen und mich zu erschrecken.
„Und jetzt verrat mir gefälligst, was hier los ist", drängte er dann. „Wo warst du so lange und was ist mit dem Wisser passiert, der da halb tot auf dem Sofa liegt?"
„Er ist nicht halb tot", erwiderte ich schnell.
„So sieht er aber aus."
Carlos stolzierte mittlerweile aufgebracht vor mir her. „Also, wo warst du? Du warst zwei Tage lang nicht in deiner Wohnung."
„Ich war in einer Zelle im Ratsgebäude und wurde zum Tode verurteilt", beantwortete ich die Frage wahrheitsgemäß. Carlos entglitten sämtliche Gesichtszüge.
„Wie bitte?", fragte er schockiert. Ich lehnte mich müde an die Wand. In den letzten Tagen hatte ich definitiv zu wenig geschlafen. Eine Gemeinschaftszelle war nicht gerade das, was man unter bequemem Wohnen verstand.
„Der Rat wollte uns das alles anhängen", erklärte ich weiter. „Wir mussten da weg, um dem Urteil zu entgehen."
„Verdammt, wie kann denn so etwas passieren? Wie kommen die Schwachköpfe darauf, dass ihr das getan habt? Hat wieder irgendein Wisser das Blaue vom Himmel gelogen?"
Ich schüttelte den Kopf und erzählte Carlos von dem Gerichtsverfahren. Ließ man diesen Prozess Revue passieren, stellte man noch einmal fest, wie idiotisch die ganze Sache eigentlich war. Jeder geradeausdenkende Mensch hätte erkannt, dass wir unschuldig waren, dafür brauchte man kein Anwalt zu sein, aber dem Rat war sein ach so unantastbares Image wichtiger als die Wahrheit.
„Gibt es denn keine einzige Person dort, die der Meinung ist, ihr wärt unschuldig?", fragte Carlos skeptisch.
„Natürlich gibt es welche, aber das letzte Wort haben Carter und der Internationale Rat und die sind nun einmal gegen uns", erwiderte ich widerwillig.
„Reinste Diktatur da oben", grummelte Carlos und sprach damit aus, was ich mir in diesem Augenblick dachte.
Die Tür, die sich öffnete, riss uns aus unseren Grübeleien. Ich machte einen erschrockenen Schritt zur Seite und sah Devan an, der im Türrahmen stand und Carlos kurz abschätzig ansah.
„Du kannst doch nicht einfach so ins Bad reinplatzen", schimpfte ich sofort. „Hast du denn keine Manieren in deiner großartigen Hüterausbildung gelernt?"
„Ich habe doch gehört, wie du mit dem Geist redest", erklärte Devan sich. „Und jetzt komm. Korrin ist aufgewacht."
„Der Geist hat auch einen Namen", rief Carlos uns hinterher, als wir wieder ins Wohnzimmer eilten. Tatsächlich regte sich Korrin auf dem Sofa wieder und versuchte gerade, sich aufzusetzen, während Stella und Cindy sich bemühten, ihn davon abzuhalten.
„Du musst dich ausruhen und solltest dich erst einmal nicht bewegen, sonst fängt die Wunde erneut an zu bluten", warnte ihn Cindy und drückte ihn vorsichtig wieder in die Kissen.
„Wir müssen aber weg", murmelte Korrin und ich erkannte klar, dass er noch nicht wieder fit war. Bis er vollständig gesund war, würde noch einige Zeit vergehen. Ohne so eine grandiose Ausbildung wie Devan sie bekommen hatte, wusste ich nicht, wie Wisser mit ihren Verletzungen umgingen und wie schnell sie heilten, aber es schien jedenfalls nicht von jetzt auf gleich zu gehen.
„Du gehst nirgendwo hin", widersprach Cindy. „Es wäre sowieso am besten, wenn er in ein Krankenhaus kommen würde", schob sie dann an Devan und mich gewandt hinterher. Ich spielte mit den Bändern meines Pullovers und sah verunsichert zwischen Korrin und Devan hin und her. Ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, wenn Korrin vor unserer Nase sterben sollte, weil wir ihn nicht in das nächste Krankenhaus bringen wollten.
„Das geht aber nicht", sagte Devan nachdrücklich. Sein Blick wanderte zu mir. „Wir müssen weiter und darauf hoffen, dass Korrin schnell wieder gesund wird."
„Warte mal", warf Cindy dazwischen und stellte sich demonstrativ vor Devan. „Du kannst einen Schwerverletzten nicht in ein Auto setzen und zweieinhalb Stunden durch die Weltgeschichte fahren. Und dann auch noch ohne jegliches medizinische Personal."
„Sollen wir dich mitnehmen, oder was?", erwiderte Devan sarkastisch. Cindy verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich bin auch kein medizinisches Personal. Noch nicht. Außerdem habe ich leider Besseres zu tun, als mit euch vor irgendeinem Phantom zu fliehen."
„Ein Phantom?", hakte Devan ratlos nach.
„Wenn ihr uns nicht sagen wollt, wovor ihr weglauft", erwiderte Cindy und zuckte mit den Achseln. Devan warf mir einen entnervten Blick zu, den ich nur stur erwiderte. Ohne eigenen Vorschlag für unsere Flucht sollte er besser von seinem hohen Ross heruntersteigen.
„Wenn wir hierbleiben, sind nicht nur wir drei in Gefahr", sagte Devan nun und erzielte damit die gewünschte Wirkung.
„Verdammt, Devan", schimpfte ich angesichts der erschrockenen Gesichter meiner Freundinnen.
„Also, wer auch immer hinter euch her ist, könnte uns da mit reinziehen?", hinterfragte Stella das Gesagte mit bemüht ruhiger Stimme.
„Nein, die interessieren sich überhaupt nicht für euch", beruhigte ich sie und hoffte, dass ich damit Recht behalten würde.
„Ich denke trotzdem, dass es besser wäre, wenn ihr so schnell wie möglich geht", sagte Stella daraufhin. „Nicht, dass ich euch loswerden will oder so, aber ich denke, so ist es sicherer für alle von uns", ergänzte sie mit einem entschuldigenden Blick zu mir. Ich nickte und sah dann zu Cindy. Die wirkte nicht so glücklich über diese Entscheidung.
„Sagt mal, ist er euch eigentlich völlig egal?", fauchte sie uns an. „Wenn ihr jetzt eure Flucht antretet, setzt ihr ihn einem hohen Risiko aus. Wollt ihr, dass er auf dem Weg stirbt? Ist euch eure Flucht so wichtig?"
Bevor ich Devan warnen und von einer weiteren Bemerkung abhalten konnte, machte er die Situation bereits noch schlimmer als sie sowieso schon war.
„Er würde so oder so sterben", sagte er so nüchtern, dass ich mich für einen Augenblick fragte, ob er seinen menschlichen Teil nun endgültig begraben hatte.
„Leute, ich bin übrigens hier", warf Korrin mit leiser Stimme ein, doch keiner von uns ging auf ihn ein.
„Wie bitte?", rief Cindy und starrte uns drei aus großen Augen an.
„Devan, halt deine verdammte Klappe", zischte ich ihm zu, was er jedoch gekonnt ignorierte. Wenigstens der Umgang mit Menschen sollte etwas sein, worin er auf mich hören sollte.
„Wir beide sind zum Tode verurteilt und das wird er wahrscheinlich auch noch."
„Das weißt du doch gar nicht", knurrte ich ihn an.
„Ach, du denkst, er kann jetzt fröhlich zurück zum Rat marschieren und die lachen alle und klopfen ihm auf die Schulter?", entgegnete Devan düster.
„Nein, natürlich nicht, aber du kannst den beiden doch nicht so eine Angst einjagen", schalt ich ihn. Das war jedoch nicht das, was er hören wollte, was ich daran erkannte, dass er noch einen Schritt auf mich zumachte und mir den Zeigefinger unter die Nase hielt.
„Hör mal, du Psychologieprofessorin!", begann er mit wütender, aber leiser Stimme. „Wir befinden uns auf der Flucht vor dem Tod wegen Verbrechen, die wir nie begangen haben, also tut es mir wirklich leid, wenn ich jetzt nicht auch noch Rücksicht auf die Gefühle deiner Menschenfreunde nehme. Mich beschleicht nämlich das Gefühl, dass wir größere Sorgen haben."
„Leute, ihr solltet euch vielleicht mal wieder beruhigen", warf Stella ein und legte mir eine Hand auf die Schulter, bevor ich Devan eine Antwort entgegenschleudern konnte.
„Sie hat Recht. Devan, du brüllst mich geradezu an", stimmte Korrin ihr zu. Cindy und Stella verstanden jetzt vielleicht nicht, was er meinte, schließlich sprachen Devan und ich extra in einem leisen Tonfall, aber ich wusste genau, was er meinte, und Devan natürlich auch.
„Seit wann ist das für dich eigentlich ein Problem? Das ist doch dein Job", fragte Devan Korrin und schien wieder etwas beherrschter.
„Devan", zischte ich erneut. Wenn er so weiter machte, würde er noch zu viel verraten.
„Ich unterbreche diesen albernen Streit jetzt mal", kündigte Korrin an und erhob sich wackelig von dem Sofa. Cindy stieß ein paar Flüche aus und eilte direkt zu ihm, um seine Wunde zu begutachten.
„Devan hat wohl oder übel Recht", gab er zu. „Wir müssen langsam mal los. Der Rat hat bestimmt Möglichkeiten, uns aufzuspüren."
„Der Rat?", fragte Stella neugierig.
„Vergiss es", antwortete ich ihr schnell und wandte mich an Korrin. „Du brauchst etwas zum Anziehen."
„Ach echt? Ich dachte, ich laufe jetzt mal halbnackt durch die Stadt", erwiderte er sarkastisch und ich verdrehte die Augen.
„Hier", kam von Devan, der aus seiner Sweatjacke geschlüpft war und sie jetzt Korrin vor die Nase hielt.
„Wenn die mal nicht zu klein ist", murrte Korrin.
Devan schnaubte. „Spiel dich hier mal nicht zu sehr auf, Bohnenstange."
Ich blickte die beiden überrascht an. Bisher hatte ich gedacht, seine Beleidigungen waren eher mir vorbehalten und nicht unserem halbwegs neutralen Kollegen.
„Ich rate euch noch einmal ganz klar davon ab", wandte Cindy schwach ein. Sie hatte wohl nun erkannt, dass sie diese Runde verloren hatte.
„Ich besorge uns ein Auto, dann können wir los", sagte Devan und streckte mir die Hand entgegen. Ich lachte ironisch auf.
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich allein auf die Menschheit loslasse, oder?"
Mit den Worten marschierte ich an Devan vorbei in den Flur. Er folgte mir und ich hörte auch Korrin hinter uns.
„Dann kann ich ja auch gleich mitkommen", sagte er, als wäre das das Natürlichste der Welt. Devan hielt ihn am Arm fest.
„Definitiv nicht. Du siehst aus wie eine Leiche."
„Danke, du Charmeur", erwiderte Korrin, blieb aber stehen.
„Wir brauchen nicht lange", beschwichtigte ich ihn und verließ mit Devan im Schlepptau die Wohnung.
„Denkst du, der Rat hat Ms. Clark ihre Geschichte abgekauft?", wollte Devan von mir wissen, als wir schnellen Schrittes durch die Straßen liefen.
„Sie heißt Leila, und ja, ich denke schon", antwortete ich. „Sie kann ziemlich überzeugend sein, wenn sie will."
Ich blieb plötzlich stehen und Devan stolperte beinahe vor Überraschung.
„Was soll das?"
„Wir müssen die Ringe loswerden", erwiderte ich und zog mir den goldenen Ring vom Finger. Neben uns lag ein Gullideckel. Bevor ich meine Allzweckhilfe allerdings dort hineinfallen lassen konnte, griff Devan nach meinem Arm und zog mich zurück.
„Lass den Mist. Die Ringe sind wertvoll. Die wirft man nicht einfach irgendwo in den Abfluss."
„Aber, wenn sie uns orten..."
Devan ließ mich los und lachte verächtlich auf. Wut kam meinen Körper hochgekrochen.
„Die können uns nicht orten, solange von dem Ring keine Energie ausgeht."
„Und wenn sie uns anrufen?", fragte ich skeptisch. Mit den Ringen herumzulaufen, erschien mir riskant und ich war sowieso schon ärgerlich, dass mir das erst jetzt einfiel.
„Wenn wir nicht darauf reagieren, ist alles gut. Wir benutzen sie einfach nicht und sie werden uns so auch nicht finden", erklärte Devan und zog mich weiter den Fußweg entlang. Ich zog den Ring wieder an und folgte ihm, in der Hoffnung, er würde sich bloß nicht irren.
„Was, wenn er nicht einfach so wieder gesund wird?", fragte Devan, nachdem wir ein paar Meter schweigend zurückgelegt hatten.
„Er wird gesund werden", erwiderte ich stur.
„Und was, wenn nicht?", beharrte Devan. Ihm schien das Thema nicht so egal zu sein, wie seine nüchterne Einstellung es vermuten ließ.
„Wenn ihm etwas passiert, dann sind wir doch..."
„Sprich den Satz nicht zu Ende", befahl ich ihm. Solche Gedankengänge konnten wir gerade nicht gebrauchen. Positive Gedanken versprachen positive Ergebnisse und darauf kam es jetzt an.
„Er wird gesund werden. Wir verstecken uns in den Hamptons und die ganze Geschichte wird im Rat bestimmt aufgeklärt werden."
„Ganz von allein", schnaubte Devan. „Ganz bestimmt."
Ich blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
„Sag mal, bist du zu dieser restlos pessimistischen Einstellung erzogen worden, oder was?"
„Nein, bin ich nicht", erwiderte er bemüht beherrscht. „Aber das ist bereits das zweite Mal, dass Korrin unter meiner Aufsicht verletzt wird. Wenn ihm etwas Ernsthaftes zustößt..."
„Dann ist das blöd gelaufen, aber nicht zwangsläufig deine Schuld. Außerdem ist Korrin für sich selbst verantwortlich. Er ist immerhin älter als du. Hast du das vergessen?", unterbrach ich ihn. „Und das mit dem Rat wird sich bestimmt irgendwann aufklären. Ich weiß zwar nicht wann und wie, aber das weißt du genauso wenig, also solltest du aufhören, meine Ideen dauerhaft zu kritisieren. Oder hast du mittlerweile eine Bessere?"
„Nein, aber..."
„Dann gibt es auch kein Aber."
Ich wandte mich ab und ging weiter den Gehweg entlang. Devan folgte mir nachdenklich.
„Ich hasse es einfach, nicht zu wissen, was kommt", gab er dann zu. „Ich meine, weiter als zu den Hamptons sind wir mit unserer Planung auch nicht und das stört mich einfach."
„Ach und glaubst du etwa, mich stört es nicht?", fragte ich höhnisch. „Ich mag diese Sache genauso wenig wie du, aber mir fällt bei bestem Willen nichts anderes ein. Ich will nicht vom Rat hingerichtet werden wegen etwas, das ich nie getan habe. Und genauso wenig möchte ich schuld daran sein, dass ihr beide gleich mit mir in den Tod geht."
„Aber du bist ja nicht schuld daran. Das war der Rat allein", erwiderte Devan zu meiner Überraschung. Mister Ich-schiebe-allen-anderen-die-Schuld-in-die-Schuhe hatte seine Meinung wohl noch einmal überdacht.
„Seit wann denkt der Herr denn so?", hinterfragte ich seine Äußerung mit sarkastischem Unterton.
„Vergiss es", forderte Devan und beschleunigte seinen Schritt. Ich schloss zu ihm auf. Diese Sache würde ich ihm jetzt unter die Nase reiben.
„Ich vergesse gar nichts", begann ich begeistert. „Noch vor ein paar Stunden hättest du mich am liebsten gefressen, weil wir wegen meines Kontaktes zu den Geistern den Prozess gemacht bekommen, und jetzt willst du mir erzählen, ich wäre nicht schuld daran, wenn wir hingerichtet werden?"
Devan stöhnte genervt auf.
„Ich meinte nur, dass du nicht schuld daran bist, dass der Rat ein blindes Urteil fällt", rechtfertigte er sich. „Natürlich bist du der Grund dafür, dass wir überhaupt verhaftet wurden, aber das wusstest du ja nicht, als du was auch immer mit den Geistern getan hast."
„Was soll das denn jetzt heißen?", fragte ich verdutzt. Seine Ausdrucksweise verwunderte mich.
„Was?"
„Naja, dieses >was auch immer<", erwiderte ich neugierig. „Was denkst du, habe ich in Anwesenheit der Geister gemacht?"
„Genau das ist ja die Frage", entgegnete Devan, ohne mich anzusehen. „Niemand versteht, warum du dich mit Geistern anfreundest oder mit ihnen reist."
Ich ließ den Kopf hängen. Nein, das verstanden sie alle nicht.
„Und ich meine jetzt nicht Russell", fügte Devan hinzu und wirkte nun nicht mehr sauer. „Ich meine deinen geliebten Jessie. Warum gibst du dich mit den Geistern mehr ab als nötig?"
„Warum sollte ich das nicht?", wollte ich von ihm wissen. „Was ist das Problem an den Geistern? Ich mag ja auch nicht alle von ihnen, aber Jessie war wirklich in Ordnung. Er war nett und er war gut."
„Und deswegen freundest du dich mit ihnen an? Genauso wie mit Carlos? Weil er gut ist?"
Ich schob mir die Hände in die Taschen meiner Jeans.
„Unter anderem", antwortete ich dann. „Geister sind furchtbar einsam und wir sind die Einzigen, die ihnen das Gefühl geben können, noch menschlich zu sein."
„Aber sie sind nicht menschlich", widersprach Devan und machte einen Schritt auf mich zu. „Sie sind tot und die Ewigkeit ist ihre Strafe. Vielleicht kann dein Carlos nichts für seine Verdammnis, weil Sicilla ihn in die Pfanne gehauen hat, aber im Endeffekt ist es das, was wir tun. Wir bestrafen schlechte Menschen."
„Sind sie das denn?", hinterfragte ich ihn leise. „Sind sie denn wirklich alle so schlecht, dass sie das verdient haben?"
„Genau dafür sind wir da, Olivia", erinnerte er mich. „Wir sorgen dafür, dass sie nicht verdammt werden, wenn sie es nicht wirklich verdient haben."
„Und ist es falsch, wenn ich ihnen das Leben einfacher mache? Das zweite Leben. Für Menschen wie Jessie sind diese dreißig Tage eine zweite Chance. Eine Chance, gut zu sein. Und er gibt alles dafür. Warum darf ich dann nicht alles für ihn geben?"
„Es gibt kein Gesetz, dass das verbietet", erklärte Devan. „Aber es ist ungewöhnlich. Mit Geistern zu reisen, weil sie einsam sind, ist nichts, was alle Hüter tun."
„Aber ich tue es ja nicht nur für sie."
Diese Worte kamen heraus, bevor ich sie überdenken konnte. Devan runzelte die Stirn und sah mich an.
„Für wen denn noch?"
„Ach, vergiss es", erwiderte ich müde. So weit waren wir beide noch nicht, dass ich ihm hier und jetzt mein Herz ausschütten würde.
„Da vorne ist es", kündigte Devan glücklicherweise an und deutete auf die Autovermietung. Im Gegensatz zu mir nahm er ein >Vergiss es< wohl ernst.
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