Feuer - Erinnerung Teil 4

Am nächsten Tag haben wir uns sofort aufgemacht, um uns einen neuen Unterschlupft zu suchen. Es ist nicht leicht etwas zu finden, was seinen Ansprüchen an Verlassenheit gerecht wird, aber tatsächlich waren wir nicht all zu lang unterwegs. 

Es ist ein verlassenes Krankenhaus. Eine Klinik, die groß genug ist, dass man anderen Eindringlingen wie Obdachlosen aus den Weg gehen kann, ohne gesehen zu werden. Es ist der perfekte Ort, um einige Zeit ungestört leben zu können.

Der perfekte Ort um mit ihm alleine zu sein.

Mit meiner Bürste kämme ich ein letztes Mal durch meine Haare, als ich ihn plötzlich im Spiegel hinter mir stehen sehe. Die Bürste lege ich auf den Rand des gesprungenes Waschbeckens.

"Ich bin gleich fertig.", antworte ich auf seine unausgesprochene Frage. Meine Hände fahren durch mein Haar und teilen es in drei gleich große Strähnen. Mit schnellen Fingern fange ich an sie zu flechten. 

"Ich mag es lieber, wenn du dein Haar offen trägst." Mit seiner Schulter lehnt er sich gegen den Türrahmen. Mit schief gelegten Kopf mustert er mich.

Als ich bei meinen Spitzen angekommen bin, wickel ich mein Gummiband herum. "Die meiste Zeit trage ich sie aber in einen Zopf. Vor allem wenn ich schlafe."

"Ich weiß.", er tritt näher an mich heran und nimmt den geflochteten Zopf zwischen seine Finger. Vorsichtig löst er das Haarband und macht sich daran die Strähnen wieder voneinander zu trennen. Jede Berührung, die dabei ausersehen meinen Rücken oder Nacken streift, lässt einen angenehmen Schauer zurück. Seine Berührung ... ist so sanft. "Schau.", sagt er mit seiner tiefen Stimme. Meine Haare legt er nach Vorne. In leichten Wellen verdecken sie die Form meiner Brust. "Goldenes Haar. Wie ein Engel." Seine Hände liegen an meinen Armen. Seine Wärme spüre ich durch meine Nachtkleidung hindurch. Langsam folge ich seinen Blick im Spiegel und bleibe an das bisschen hängen, was man von der Form meiner Brust noch zu erkennen ist. Abrupt dreht er sich um und geht weg. "Du solltest dein Haar wirklich öfter offen tragen." Höre ich ihm noch im gehen sagen.

Mit meiner Hand streiche ich über die Stellen meines Körpers, die er berührt hat. Es ist Wärme, die er zurück lässt. Und nicht dieses unwohle Gefühl, welches ich früher immer gespürt habe.


**


"Heute ist es ganz schön kalt hier.", sage ich, als ich das Zimmer betrete, welches wir als unser Schlafquartier gewählt haben. Meine Hände reibe ich aneinander, nachdem ich die Tür zugezogen habe.

"Komm her.", antwortet er mir. Seine Decke schlägt er zurück. Überrascht schaue ich ihn an.

Er sitzt auf der Matratze auf den Boden. Bekleidet in einen weißen Shirt, welches Muskeln darunter vermuten lässt. Eigentlich schlafe ich auf einer anderen Matratze im Zimmer , die er mir  beschaffen hat. Dadurch war für mich klar, dass er mich nicht neben ihn liegen haben möchte. 

"Bist du -" sicher, will ich fragen, aber ich werde von ihm unterbrochen.

"Ich will mich nicht wiederholen müssen Mal'ach.", sagt er mit einem harschen Unterton und schnell bewege ich mich, um mich neben ihn zu setzen.

"Ich habe gesagt du sollst her kommen.", kommentiert er die wenigen Zentimeter Abstand, die ich zu ihm wahre. Seine Arme schlingen sich um meinen Körper und bevor ich etwas erwidern kann, werde ich an ihn gezogen. Ich sitze zwischen seinen Beinen, mit meinen Rücken gegen seine Brust gelehnt. "Meinst du dir wird so schneller warm?", flüster er mit gesenkten Kopf in mein Ohr. 

"Ja.", presse ich verlegen hervor. "Danke."

Seinen einen Arm löst er, um die Decke über uns zu legen. Dann streicht er mit seiner Hand über meine Haare.

"Ich bin noch gar nicht müde."

"Dann musst du einfach deine Augen schließen." Ich spüre wie er sein Kinn auf meinen Kopf legt.

"Das geht nicht so einfach." Meine ich stur und versuche mich zu ihm umzudrehen. Jedoch hält er mich fest in meiner jetzigen Position.

"Pst.", gibt er von sich. "Bewege dich nicht so viel."

"Willst du wirklich im sitzen schlafen?"

"So schlafe ich fast immer Mal'ach."

"Hm." So hat er sonst nicht geschlafen, wenn ich bei ihm war. Genervt schaue ich die Wand an. Sie könnte gut einen neuen Anstrick vertragen. Als ich wieder anstallten mache mich zu bewegen, drückt er mich noch fester an sich.

"Okay, was passt dir nicht?"

"Ich bin nicht müde." Tief atme ich aus. 

"Mal'ach."

"Ja?"

"Das ist nicht mein Problem."

"Schon gut." Ich schließe meine Augen, wie er es mir zuvor geraten hat. Mein Kopf ist voller Gedanken, die nicht still sein wollen. Doch irgendwann müssen sie ja nachgeben. 

"Was ist deine erste Erinnerung, an die du dich erinnern kannst?" Fragt er leise nach einen Moment der Stille.

"Ich dachte du wolltest schlafen.", flüstere ich. Dann räuspere ich mich. "Ich weiß nicht so genau. Ich habe noch recht viele Erinnerungen an meine Kindheit. Ich weiß nicht, welche davon meine Erste ist."

"Erzähl mir von ein oder zwei." Wieder streicht seine Hand mein Haar entlang. Eine Strähne streicht er hinter mein Ohr.

"Das ist schön", sage ich. "Hm. Es ist nicht meine erste Erinnerung, aber eine die noch recht gut erhalten ist. Ein paar Tage vor meinem vierten Geburtstag habe ich mich immer versteckt. Meistens hinter der Tür von unserem Wohnzimmer. Ich dachte ich könnte so mein Geburtstag umgehen." Ein kurzer lachender Schnauber kommt über meine Lippen, als ich über meine törichte Kinderlogik nachdenke. 

"Fandest du deinen Geburtstag schon immer so schlimm?", hakt er nach.

Leicht schüttle ich meinen Kopf. "Nein. Nicht direkt. Ich wollte damals schon nicht älter werden. Ich wollte einfach nicht Erwachsen sein. Das hat sich dann irgendwie auf meinem Geburtstag im Laufe der Zeit übertragen, vor allem nachdem mein Dad dann nie zu Hause sein konnte." Schnell verstumme ich.

"Warum wolltest du nicht erwachsen werden?"

"Ich fand Kind sein toll. Warum das also gegen eine blöde Arbeit und Hausarbeit austauschen wollen? Außerdem dachte ich immer, dass wenn ich älter werde, auch die Menschen in meiner Umgebung älter werden. Ich war immer die Jüngste. Ich dachte deswegen werde ich irgendwann alleine sein, weil alle vor mir sterben werden. Ich wollte nie ohne meine Familie sein." Antworte ich ehrlich. "Was ist denn eine deiner ersten Erinnerungen?" Sein Geruch umhüllt mich. Es gibt mir die Sicherheit, dass ich nicht alleine bin.

"Ich habe kaum Erinnerung an meine Kindheit. Keine, die ich wirklich greifen kann. Wir sind immer wieder umgezogen, weswegen ich nie ernsthafte Kontakte geknüpft habe und mir keine Person so wichtig wurde, dass sie eine Erinnerung wert gewesen wäre." Er sagt es ganz stumpf, als würde es ihn nicht belasten. Doch mir zieht sich bei seinen Worten das Herz zusammen. Es ist eine traurige Welt, wenn man niemanden findet, der sein Herz berührt. 

Niemanden, der eine Erinnerung wert gewesen wäre.

"Abgesehen von dir natürlich.", flüstert er wieder in mein Ohr hinein. Seine Stimme ist ganz rau. 

Bei seinen Worten kriege ich eine Gänsehaut. Ich hebe meine Hand um sie mit seiner zu verschränken. Eine unschuldige Berührung, die mir so viel bedeutet.

"Du hattest immer dieses Lächeln.", erinnert er sich. "Genau das meine ich.", spricht er weiter, als ich anfange bei seinen Worten zu schmunzeln.  Sanft drückt er seine Hand.

"Jeffrey."

"Wir sollten jetzt wirklich schlafen."

"Eine Frage habe ich aber noch." Spreche ich schnell. 

"Okay. Dann frag." Er scheint heute so gelassen zu sein. 

Ich zwinge die Worte hervor. Es könnte die ganze Atmosphäre zerstören. "Was ist damals mit deiner Familie passiert? Was ist nach dem Geburtstag passiert?" Es fühlt sich um einiges leichter an, jetzt wo ich meine ewige Frage ausgesprochen habe, aber auch habe ich Angst vor der Antwort. 

Aber ich bekomme erst gar keine.

"Willst du mir nicht antworten?"

Und wieder herrscht kurz Stille.

"Es ist belanglos."

"Nein, ist es nicht.", erwidere ich mit fester Stimme.

"Es ist eine weit entfernte Erinnerung."

"Das macht es nicht weniger wichtig." Es macht mich wütend, dass er sich immer so schwer tut mir zu antworten. Auch, wenn ich es nicht direkt aussprechen würde. "Erzähl mir davon." Wieder will ich mich umdrehen. Und wieder werde ich in meiner Position gehalten.

"Okay. Aber bleib so sitzen. Dann erzähle ich es dir." Er atmet hörbar ein und aus und fast glaube ich, dass er mir schon wieder nicht antworten wird, doch da fängt er schon an zu erzählen. "Du Hast das Video von dem Geburtstag gesehen. Hat es deine Erinnerung an die Zeit zurück geholt?"

Ich schlucke. "Ja."

"Erinnerst du dich dann auch daran, dass du mich im Badezimmer gesehen hast? Als die Jungs das Bleichmittel über mich gossen und mich angezündet haben? Unsere ... Blicken haben sich getroffen." Seine Stimme ist angespannt, als würde er mit sich selber kämpfen.

"Ich erinnere mich daran.", antworte ich vage. Dieses Bild hätte ich gerne für immer aus meinen Kopf verbannt. 

"Ich lag danach sehr lange im Krankenhaus. Meine ganze Haut war verbrannt und einige meiner Knochen waren von meinem Sturz von der Treppe gebrochen. Ich habe mich eine ganze Zeit lang nicht ohne Verbände gesehen. Als -", wieder wird sein Atem lauter, " - meine Verbände schließlich abgenommen wurden, habe ich die Blicke meiner Eltern und der Ärzte gesehen. Entsetzen. Das Wort beschreibt es ganz gut. Sie waren geschockt von meinem Anblick, aber ihre Worte sagten etwas ganz anderes. Sie meinten, es wäre gar nicht so schlecht geworden. Sie meinten, ich wäre nicht entstellt und ich machte mir Sorgen. Ich hatte Angst, dass ich wieder ein Aussenseiter sein würde. Das ich zu Hässlich für einen Engel wäre." Bei seinem letzten Satz streicht er wieder über mein Haar. "Und dann habe ich mich gesehen. Ich war besonders. Ich war schön. Aber alle anderen waren so entsetzt und ich wusste, dass ich dazu gesinnt war, wahre Schönheit zu erkennen. So wie du. Schönheit, die in dieser Welt von den wenigsten angenommen wird." 

Sofort erinnere ich mich an die Nacht meines Geburtstages. Als ich mich überwinden musste, ihm zu sagen, dass er schön sei.

Doch  jetzt erkenne ich es. 

"Als ich den Jungen auf der Feier getötet habe, ist in mir etwas erwacht. Etwas, was die ganze Zeit in mir geschlummert hat. Und es wollte mehr. Durch meine Verletzung tat es mir weh zu Lächeln. Als ich wieder zu Hause war, konnte ich nicht mehr abwarten, bis alles vollständig verheilt ist. Ich habe mich dazu entschlossen mir mein eigenes Lächeln zu beschaffen. Was mich noch viel Schöner machte. Doch ich wurde Müde und habe es nicht mehr geschafft meine Lider aufzuhalten. Kurzentschlossen habe ich mich dazu entschieden, sie mir abzubrennen. Schließlich würde ich mich so immer betrachten können. Meine Mutter kam in der Nacht ins Badezimmer, sie sagte, wie schön ich doch sei und dass das Dad unbedingt sehen müsste. Ich war so glücklich, dass sie endlich meine Schönheit erkannt hatte. Aber dann hörte ich ihre Worte. Sie hat meinen Vater gesagt, er solle das Gewehr hohlen. Mich erschießen wie ein wehrloses Tier. Sie wollte mich nicht. Sie hat mich angelogen." Seine Stimme wird immer wütender. Als wäre er genau in diesem Moment gefangen. "Ich tat das, was mein erwachtes Ich spürte. Ich griff nach dem Messer, mit dem ich mir zuvor mein Lächeln zauberte. Und ich habe sie alle damit schlafen gelegt. Angefangen mit meiner Mutter. Dann meinen Vater. Und schließlich meinen Bruder."

"Das ist schrecklich.", kommt es über meine Lippen. "Deine eigene Mutter ... wie hätte sie dich töten können?" Übelkeit durchzieht meinen Magen und Abscheu breitet sich aus. Wie hätte sie ihr eigenes Kind umbringen können. Sie hätte ihn mir beinahe genommen.

"Sie hat mich als Monster gesehen. Von dem Moment an, als sie mich im Krankenhaus erblickt hatte. Dabei hat sie nur eine Tatsache vergessen: Genau in diesem Moment wurde sie selbst zum Monster." Langsam beruhigt sich seine Stimmlage wieder. "Nachdem ich meine Familie schlafen gelegt habe, habe ich einen weiteren Jungen getötet. Ihn habe ich zuerst angezündet. Ihn sollte man nicht identifizieren können. Dann habe ich das Haus angezündet und das Feuer sich selbst überlassen."

"Hast du Angst vor Feuer?" Ist die einzige Frage, die ich wage zu stellen.

"Mal'ach. Wie könnte ich vor etwas Angst haben, was mich erschaffen hat?"

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