Dienstag



Die Nacht über habe ich schlecht geschlafen, was deutlich an meinen Augenringen zu sehen ist. Albträume haben mich geplagt und ließen mich ständig wach werden, wodurch ich auch einige Male meine Mutter geweckt habe, neben der ich mich abends ins Bett gelegt habe.
Lilly, meine Sitznachbarin in einigen Fächern und eine gute Freundin vor mir, schiebt mir einen kleinen Zettel hinüber. Wir haben die erste Doppelstunde, Spanisch, in dem Fach passt sie so gut wie nie auf.
Mit klammen Fingern öffne ich das Schriftstück und entziffere ihr Geschreibsel.

‚Geht es dir nicht gut?' Sie kam zu spät zum Unterricht, weswegen sie mich jetzt auf diese Weise fragt.

‚Doch. Habe nur ein Film gesehen, in dem ich komplett versunken bin.' Es ist schließlich keine Lüge, nur wird sie sicher von einen richtigen Film ausgehen und nicht von einer Videoaufnahme von Billys Geburtstag.

‚Gut, dann bin ich beruhigt. : )'

Den restlichen Spanisch Unterricht passe ich wieder auf und beteilige mich rege am Unterricht, auch wenn meine Gedanken immer wieder zu dem Mörder gleiten. Es ist verrückt.

Ist er seit Billys Geburtstag so wie er ist?


In Englisch haben wir Vertretung, unsere Englischlehrerin ist – wie ja nicht zu Fünfzig Prozent der Zeit – Krank. Daher sollen wir einfach Macbeth weiterlesen und zum ersten Akt ein paar Arbeitsbögen bearbeiten. Danach habe ich Deutsch, wo wir Momentan Lyrik als Überthema haben. Die letzte Deutschstunde am Freitag war ich nicht da, weil ich da von Thomas zu meinen Vater ins Krankenhaus abgeholt wurde und bisher habe ich es versäumt meine Mitschüler zu fragen, was wir behandelt haben.

„Lilly, was habt ihr denn die letzte Deutschstunde gemacht?", frage ich sie kurz vor Unterricht beginn.

Sie zuckt mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Sie ist die Namenliste mal wieder viel zu lang durchgegangen, ist tausendmal abgeschweift, bevor wir überhaupt angefangen haben und als sie schließlich unsere Hausaufgaben kontrollieren wollte, kam ein andere Lehrer in die Klasse und hat uns gebeten beim Stühle Aufbau in der Aula zu helfen, da da doch am Wochenende eine Theateraufführung war. Also wird sie heute wahrscheinlich wohl mit den Hausaufgaben beginnen."

Wie auf Stichwort kommt sie herein und ich setzte mich von meinem Tisch auf meinen Stuhl.
„Guten Morgen. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, werde ich mir als erstes ein paar Hausaufgaben anhören, da wir letzte Woche ja keine Zeit mehr gehabt haben. Gibt es Freiwillige, die ihr selbstgeschriebenes Gedicht der Klasse vorlesen möchten?", plappert sie los, während sie noch dabei ist, ihre Tasche auszupacken. „Keiner?", fragt sie nach einer Minute der Stille.

Zaghaft melde ich mich. Ich weiß, wie sauer sie wird, wenn niemand sich freiwillig opfert. Sie würde dann durch die Reihen gehen und mindestens die Hälfte der Schüler aufschreiben, weil sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.
Auch ein paar andere finden jetzt Mut und zwei von ihnen nimmt sie dran, bevor ich an der Reihe bin.

Meine Wangen röten sich leicht, ich werde relative schnell nervöse, wenn ich vor der Klasse etwas von mir vorlesen muss. Die Aufgabe war es, ein Gedicht zu schreiben, welches den Menschen und die Natur enthält, dabei ist es uns selbst überlassen worden, wie sehr wir die Themen reinbringen.

„Die Sonne geht unter,
vorbei ist die Zeit,
die Stille erdrückt uns,
hervor kommt das Leid.

Die Nacht beginnt.
Die Natur legt sich nieder,
wir aber bleiben wach
und alte Gedanken kommen uns wieder.

Die Sonne geht auf,
der Morgen beginnt
Zeit kehrt zurück,
bevor sie uns wieder durch die Finger rinnt.

Der Tag steht da,
wir spüren die Natur,
wollen das Leben ändern
vergessen das zu oft nur."

Als ich Ende, ist es eine Sekunde still, bevor das provisorische Tischklopfen beginnt. Nach mir liest keiner mehr sein Gedicht vor und so kommt es, dass wir den Auftrag bekommen, zu einem der drei vorgelesenen Gedichte eine Analyse zu schreiben.

Nach Deutsch gehe ich gemeinsam mit Lilly und Lynn in die Mensa. Wir holen uns unser Essen ab und setzten uns an einen Tisch mit ein paar anderen Klassenkameraden. Ich stochere ein wenig in meinen Pfannkuchen herum – das heutige vegetarische Gericht – bis ich bemerke wie mich die anderen komisch beäugen und ich schnell beginne das geschmacklose Essen herunter zu schlingen.

„Ich habe gehört, dass dein Vater im Krankenhaus liegt, Luci." Ich verschlucke mich und beginne zu husten. Als es mir besser geht, schaue ich hoch und blicke in das Gesicht von Jannik, der mich gefragt hat. Janniks Mutter ist eine Freundin meiner Mutter. Kein Wunder das er Bescheid weiß. Die anderen – Lilli, Lynn, Janin und Ben – starren mich geschockt an.

„Ja.", gebe ich schlicht als Antwort und nehme ein Schluck Wasser. Ich will wirklich nicht darüber reden.

„Warum hast du denn nichts gesagt?!", beschwert sich Lynn. „Wir sind doch deine Freunde!"

„Stimmt. Wir hören dir zu und so ein Zeug.", mischt sich Lilli mit ein.

Ben fängt an zu nicken und Janin starrt mich weiter stumm an.

„Leute, es ist alles gut. Mein Vater lebt und ist unter ständiger Beobachtung. Es ist wirklich kein spannendes Thema ...", versuche ich mich aus der Konversation zu winden.

„Es ist uns doch egal ob es spannend ist oder nicht. Wir wollen für dich da sein, schließlich bist du es auch immer für uns." Lynn scheint wirklich bestürzt darüber zu sein, dass ich es ihr nicht erzählt habe.

Ich zwinge mir ein Lächeln auf. „Ich weiß, dass ich auf euch zählen kann. Danke. Ich bin zwar ein wenig durch den Wind, aber es klappt ja noch alles. Außerdem -", ich setze ein Grinsen in mein Gesicht „redest du gar nicht mehr von deinen Liebeskummer, Lynn? Kann es sein ..."

Weiter komme ich gar nicht, da errötet Lynn schon und beginnt zu kichern. „Ja, ich bin jetzt mit Tony zusammen."

„Ich habe dir doch immer gesagt, dass du dir zu sehr den Kopf zerbrichst! Wir Jungs sind eben so." Ben klopft ihr auf die Schulter.

Für einen Moment schwappt die gute Laune der anderen auf mich rüber. Es ist befreiend mit seinen Freunden zu Lachen und es fühlt sich an, als würden sie einen Teil meiner Sorgen tragen.


Nach der Mittagspause, laufe ich mit Ben zum Schulgebäude, indem die ganzen Naturwissenschaftlichen Räume untergebracht sind. Wir beide haben uns schon seit letztem Jahr für eine AG angemeldet, in der Oberstufenschüler außerhalb des Unterrichtes ihr Wissen bezüglich solcher Fächer ausweiten können. Ben und ich gingen schon seit der Mittelstufe in eine gemeinsame Klasse, aber erst seit dieser AG wurden wir Freunde.

„Dir geht es nicht wirklich gut, oder?", fragt er.

Ich beschleunige meine Schritte und er hechtet hinter mir her.

„Lu, du kannst mit mir reden." Abgesehen von ihm, Simon und meiner Familie nennt mich niemand so. Wenn jemand ein Spitznamen für mich verwendet, dann Luci.

„Ich weiß. Aber eigentlich möchte ich es nicht.", sage ich Wahrheitsgemäß. Wir beide sind immer ehrlich zueinander und sagen uns, wenn uns etwas stört.

„Okay, dass akzeptiere ich. Aber -", wir bleiben vor einen der Bioräume stehen, „du sollst Wissen, dass ich mein Handy in der Nacht nur für dich ab sofort anlassen werde. Also falls du deine Meinung ändern wirst, du kennst meine Nummer ja." Er grinst mich an.

Seine Nummer ist identisch zu meiner, bis auf die letzte Ziffer. „Danke." Und schon zum zweiten Mal heute ist mein Lächeln ehrlich gemeint.


Für den Sportunterricht in der Neunten und zehnten Stunde hat meine Mutter mir eine Entschuldigung geschrieben. Bei ihr habe ich es mit dem Schnitt in meiner Hand begründet, aber in Gedanken habe ich mir mehr Sorgen um die Wunden an meinen Rücken gemacht. So sitze ich die nächste Doppelstunde auf der Bank und darf die Punkte der Leute zählen. Zum Schluss machen sie noch einen Biep Test und ich bin wirklich froh und gleichzeitig enttäuscht, nicht mit gemacht zu haben. Schließlich trainiere ich ja regelmäßig.
Als endlich die erlösende Schulglocke läutet, springe ich von der Bank auf, schnappe mir meine ganzen Sachen und eile zu den Bussen. Mir bleibt nach der Zehnten Stunde nie viel Zeit, wenn ich meinen Bus noch schaffen möchte.

Es ist schon dunkel und deutlich kälter, als zur Mittagszeit. Gerade so erwische ich meine Fahrgelegenheit nach Hause und erleichtert atme ich aus.
Der Bus ist leer, abgesehen von dem Busfahrer und mir. Der Gedanke bereitet mir Unbehagen. Es ist merkwürdig allein zu sein. Ich will nicht allein sein. Ich will nicht mehr allein sein.

Nicht seit ...


Der kleine Prinz und Peter Pan.


Mein Körper krampft sich zusammen. Ich schließe meine Augen. Doch alles was ich sehe, sind die Toten Körper derer, die er mir gestern gezeigt hat.

Wieso kommt es jetzt alles hoch?
Wieso?
Wieso verfolgt es mich?
Wo ich doch alleine bin?

Schwindel und Übelkeit verstärken sich in meinen Körper. Ich blicke nach vorne, versuche mir einzureden, dass der Busfahrer ja da ist. Doch ich bilde mir ein, dass er es ist. Ich sehe sein Grinsen, sehe seine blasse Haut.

Sehe den Flammenball.

Ich will zurück zu meinen Freunden.
Mama. Und Papa.
Und wieder bemerke ich, wie ich anfange, meine Fingernägel zu kauen.



„Luci. Was machst du denn hier?" Meine Nachbarin öffnet mir überrascht die Tür.

„Hey. Elina. Wieso bist du so überrascht? Ich komme doch öfters spontan vorbei, sowie du auch bei mir?" Ich klinge ganz außer Atem.

Aber das bin ich ja auch.
Meine Mutter war nicht zu Hause.
Ich wäre wieder alleine gewesen.

„Ja, ich weiß. Aber du hattest doch heute deinen langen Tag? Danach möchtest du doch immer für dich sein?"

Gespielt lässig zucke ich mit der Schulter. Sie hat Recht. Sie hatte Recht. Aber seit Freitagnacht ist alles anders.
Alles.

„Ich habe gedacht wir können einen Film sehen. Du hast doch von so einem geschwärmt? Wie hieß er noch? Ein ganzes Halbes Jahr?

Nun scheint sie komplett verdutzt. „Du meintest doch immer, dass du mit mir keine Mädchenfilme sehen willst? Ich weiß ja nicht einmal, wie ich dich damals dazu überreden konnte, mit mir Yoga zu machen ..."

„Och Elina. Das ist doch jetzt egal. Hast du jetzt Zeit und Lust oder nicht?" Langsam werde ich ungeduldig. Wieso stellt sie auch so viele Fragen?

Jetzt lacht sie. „Natürlich habe ich das. Für dich doch immer. Aber darf ich mich denn nicht wundern? Schließlich bist du meine beste Freundin und so kenne ich dich gar nicht. Komm rein."

Ich verabschiede mich erst von Elina, als ich sehe, dass das Auto meiner Mutter wieder zu Hause ist und ich so sicher sein kann, dass ich nicht alleine mit meinen Gedanken bin. Ich mache mein Projekt für Kunst noch fertig, zwar gebe ich mir nicht so viel Mühe wie sonst für das Fach, aber dennoch bin ich mir sicher, dass ich eine gute Note dafür bekommen werde. Ich zeichne unten bei meiner Mutter, während sie sich irgendwelche Reality Shows ansieht. Als sie sich entscheidet schlafen zu gehen, folge ich ihr. Denn auch heute habe ich nicht vor, in meinem eigenen Bett zu schlafen.

Ich schaffe es einfach nicht.


Fast 2000 Wörter, seid stolz auf mich :D
Mit dem Kapitel wollte ich eigentlich hauptsächlich bezwecken, dass ihr Lucias Freunde und auch sie ein bisschen besser kennen lernt, weil sowas sonst einfach zu kurz kommen würde und ihr ja eigentlich erst Simon kennen gelernt habt :D Und natürlich auch die Veränderungen von Lucia mehr nachvollziehen könnt o.o Die nächsten Schultage werde ich wohl erstmal nicht mehr so genau beschreiben XD, aber auch ist es noch wichtig :p (jaja, ich habe vooooll den Plan :3)
Viel SPaß euch wieder in der Schule!!!

Ich widme den Teil @@Raka_Neko  , weil ich mich immer über ihre lieben Kommentare freue ^-^ 

(Ich kriege schon seit ewigkeiten keine vernünftigen widmungen mehr hin, deswegen nun so :D

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