Das Schachspiel
Ich habe mir Zeit mit dem fertigmachen gelassen.
Ich habe in Ruhe meine Zähne geputzt, mich gewaschen und die Klamotten übergestreift, die er mir besorgt hatte. Ein schlichtes langärmliges Top mit Knöpfen am Dekolleté und eine graue, verwaschene Jeans. Erst dann habe ich die Aspirin Tablette genommen. Ich wollte sicher gehen, dass mich nicht wieder diese Übelkeit übermannte. Dreimal lief ich den Raum danach auf und ab, die Kopfschmerzen sollten einfach nur verschwinden.
Jetzt wo es mir allmählich besser geht, trete ich aus dem Raum.
Er sitzt in mitten des großen Zimmers auf den Fußboden. Seine Beine hat er angewinkelt und seine Arme lässig auf seinen Knien abgestützt. Seinen Daumen hält er nachdenklich an der Lippe, sein Blick ruht auf ein Schachbrett vor seinen Füßen.
„Du bist fertig Mal'ach.", stellt er fest, ohne den Blick auf mich zu wenden.
„Ja.", spreche ich verdutzt. Ich merke wie mein Mund leicht offen steht und klappe ihn schnell wieder zu.
„Und warum setzt du dich denn nicht?" Auch wenn seine Worte wie eine Frage klingen, ist mir klar, dass es keine ist.
Schnell nicke ich mit meinen Kopf. „Ja, ... ja." ‚Reiß dich zusammen, Lucia!' „Du ... du hast ja ein Schachbrett besorgt." Meine Stimme bricht, mein Herzschlag beschleunigt sich. Rasch setze ich mich ihm gegenüber im Schneidersitz.
„Wieso sprichst du andauernd das offensichtliche aus?" Während er spricht zieht er den ersten Bauern.
„Du spielst mit mir?"
„Und schon wieder. Du bist dran."
Ich lache auf. „Jetzt hast du aber das offensichtliche ausgesprochen." Ich schaue mir die schwarzen Figuren an und ziehe auch einen Bauern. Sie sind aus Holz und egal ob Turm, König oder Läufer, sie sind alle wunderschön verarbeitet. Kurz stocke ich in meiner Bewegung. Seit drei Jahren habe ich kein Schach mehr gespielt. Seit dem Tod meines Großvaters.
Ich vermisse ihn.
Jeff sieht seit den letzten Minuten das erste Mal zu mir. Und er grinst. Sofort konzentriert er sich aber wieder aufs Spiel.
„Weiß beginnt und Schwarz gewinnt.", murmle ich.
„Du würdest so oder so gewinnen." Gibt er mir als Antwort, ohne dass ich eine erwartet hätte.
„Das kannst du nach den wenigen Zügen doch noch gar nicht sagen."
Er seufzt. „Doch, das kann ich. Ich bin grottig in diesem Spiel. Du wirst gewinnen."
„Gewinnen oder verlieren ist ja auch nur Nebensache."
„Es geht doch immer ums gewinnen." Widerspricht er mir. Zwar ist mir bewusst, dass er nicht nur über Schach redet, aber das ist mir in diesem Moment egal.
„Mein Opa hat mir immer gesagt, ich weiß nicht von wem er den Spruch geklaut hat, aber ist ja auch egal, zumindest lautet der so,", ich räuspere mich, „Dem wahren Schachspieler zählt eine schöne Partie mehr als ein Sieg."
Er macht ein belustigest Geräusch. „Was hat dein Opa dir denn noch so übers Schach erzählt?", sagt er dann nach einiger Zeit.
„Das willst du wissen?" Es ist ein so normales Gespräch. Er kann so normal sein.
„Vielleicht gewinne ich dann ja irgendwann gegen dich."
„Schach.", meine ich neckisch und ziehe mein Läufer. „Gegen meinen Opa habe ich auch nur einmal gewonnen, obwohl er mir alles erzählt hat."
„Dann kannst du ja auch problemlos mit mir darüber reden." Er rückt den weißen König auf ein schwarzes Feld, sodass mein Läufer ihn nicht mehr ehrreichen kann.
„Er meinte immer, dass ich -", die hochkommenden Erinnerungen stimmen mich traurig, „dass ich, wenn ich einen Menschen besser kennen lernen möchte, mit ihm Schach spielen soll. Er ging sogar kurz vor seinem Tod soweit zu behaupten, dass ich einen Mensch wirklich erst kennen würde, wenn ich mit ihm eine oder mehrere Partien gespielt hätte." Ich lächle bei den Gedanken. „Er kannte mich wirklich gut. Und wir haben wirklich viel Schach gespielt. Also kann ich seine Theorie nicht widerlegen."
„Du wolltest Schach mit mir spielen, als du Krank warst.", stellt er fest.
„Ja."
„Deswegen habe ich für uns das Schachbrett besorgt."
Ich bleibe stumm. Ich weiß nicht genau was er von mir möchte.
„Spielst du mit vielen Leuten dieses Spiel?"
„Nein."
„Warum hast du dann mich gefragt?"
Ich habe mir dabei doch nichts gedacht. Ich wollte es einfach spielen. Es ging doch nur um ... Schach? Oder?
„Vielleicht wollte ich ja den Jungen aus meiner Kindheit besser kennen lernen.", flüstere ich.
Er lächelt mich an.
Kann er wirklich böse sein?
„Okay.", flüstert er zurück.
Unwillkürlich muss ich schmunzeln. „Schachmatt."
„Glückwunsch." Es klingt so ehrlich. Er klingt so ehrlich.
„Danke."
„Dann bin ich jetzt schwarz. Vielleicht gewinne ich ja dann jetzt."
„Wovon träumst du nachts?" Ich lache. Es ist so entspannend.
„Hast du von deinem Großvater deine Philosophische Ader?" Wechselt er das Thema.
„Das weiß ich nicht. Kann sein, ja." Ich zucke mit den Schultern. Darüber nachgedacht habe ich noch nie. Aber mein Opa und ich hatten viele solcher Gespräche. Aber immer nur während wir gespielt hatten.
„Ich träume übrigens nicht. Nie.", wirft er unerwartet rein. Er scheint eher mit einer Wand zu reden, als mit mir.
„Du erinnerst dich nie an einen deiner Träume?" Ich bin verwundert, dass er dieses Thema anspricht. Ich hatte ihn schließlich nur eine rhetorische Frage gestellt. Außerdem vergesse ich immer wieder, dass einige Menschen sich gar nicht an ihre Nächtlichen Ausflüge erinnern können.
„Nein, doch. Also ich habe mich schon mal erinnert. Aber das ist schon lange her." Er redet, als hinge er seinen eigenen Gedanken nach. Momentan ist er so ... unaufmerksam.
So habe ich ihn noch gar nicht erlebt.
„Wie lange?"
Gerade als ich denke, er antwortet mir nicht mehr, murmelt er: „Meinen letzten Traum hatte ich in der Nacht, als ich meine Eltern und meinen Bruder ermordet hatte."
Stimmt ja. Er ist ein Mörder. Wieso vergesse ich das immer nur?
„Erinnerst du dich heute auch noch daran?"
„Ja." Plötzlich Blick er mich an. „Ich bin zum letzten Mal meiner Mutter, meinen Vater und meinen Bruder begegnet. Alle mit diesen wunderschönen Lächeln, welches ich ihnen verpasst habe. Meine Mutter hatte sich dafür entschuldigt, dass sie zu meinen Vater meinte er solle mich umbringen. Wusstest du das? Meine Mutter hatte mich im Badezimmer erwischt, wie ich mir mein ewiges Lächeln verpasst habe und mir meine Lider weggebrannt habe. Darauf ist sie durchgedreht. Und wollte meinen Vater dazu bewegen mich mit ein Gewehr zu erschießen. Wie ein jämmerliches Tier. Und davor? Davor hat sie mich noch angelogen und gemeint sie fände mich wirklich schön." Abfällig schnaubt er. „Sie hat es nicht anders verdient." Doch während er es sagt, wirkt er niedergeschlagen.
Er würde das gleiche mit mir anstellen, wenn er erfährt, dass ich ihn an meinen Geburtstag angelogen habe.
‚Du bist so schon. So wunder, wunderschön.'
Ich schlucke.
„Du hast deine Mutter umgebracht. Das verstehe ich. Aber warum auch deinen Vater und deinen Bruder?" Das Bild des 15 Jährigen Jungen erscheint vor meinen Augen, in den eine Freundin von mir verliebt war. Sein Bruder.
„Es hat sich so unglaublich gut angefühlt. Zu meinen Vater hatte ich sowieso keine sonderlich gute Bindung. Er war halt da. Mehr nicht. Er sollte aussehen wie ich. Zumindest eine Verbindung wollte ich mit ihm. Aber ihn hat das nicht gefallen. Ich musste ihn umbringen. Und Liu-", er lacht höhnisch. „Er hat meine Schwäche repräsentiert." Seine Augen lodern gefährlich auf.
Ich warte darauf, dass er weiter spricht, doch er tut es nicht.
Ich beuge mich über das Schachbrett, nur um meine Hand auf seine zu legen. „Lass uns mit der zweiten Runde beginnen, Jeff.", sage ich und schaue tief in seine blaue Irden.
Ich will unter keinen Umständen, dass seine Emotionen überkochen.
Denn er würde es an mir auslassen.
Und sein Bruder ist ein so prekäres Thema, dass er jederzeit wieder über Leben und Tod entscheiden würde.
Und nicht nur über meins.
Ich schmunzle ihn an.
Warte –
Bis sich der Sturm in seinen Augen wieder etwas beruhigt.
Ich habe gelernt Jeff. Ich habe gelernt dich besser zu verstehen.
Mein Lächeln vertieft sich.
Lieber Jeffrey Woods, mein Großvater hatte Recht behalten, man lernt seinen Gegenüber wirklich besser bei einer Partie Schach kennen.
Und mein Lächeln wird echt.
Hiermit setze ich dich Schach, Jeffrey.
Und als er mich anlächelt, lehne ich mich zurück und ziehe die erste Figur.
Schach.
Soo, ich wollte das die beiden mal ein etwas längeres Gespräch führen, hoffe es gefällt euch :) Und wie immer würde ich mich über ein liebes Kommentar freuen oder wenn ihr, wenn ihr die Story mögt, über einen Vote freuen :)
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