Kapitel 3 - Warm und Kalt

Der erste Tag in einer neuen Stadt birgte ein befremdliches Gefühl. Ein neues Leben lag vor mir – so lange herbeigesehnt und doch hatte ich Angst.

Angst, es könnte mir entgleiten.

Das fremde und doch warme Bett, hielt mich noch eine ganze Weile gefangen, ehe ich mich aus den Laken befreien konnte. Meine nackten Füße berührten den kühlen Boden, sorgten dafür, das ich zu frösteln begann. Ich schalte mich dafür, die Heizung heruntergedreht zu haben. Etwas, was ich in der nächsten Nacht nicht tun würde.

Die Kälte Alaskas unterschätzte man schnell. Insbesondere, wenn die Sonne zwischen den Wolken hervorkam und den Schnee zum Glitzern brachte.

Ich trottete zum Kleiderschrank, zog mir einen warmen Pulli aus Alpaka-Wolle heraus und eine einfache Jeans, ehe ich zum Bad schlürfte. Eine ausgiebige Dusche, etwas Make-up und geputzte Zähne später, verließ ich das Hotel. Ich hatte eine volle To-do-Liste.

Die Gegend anschauen, einen Termin mit der Direktorin, Einkäufe und beim Immobilienbüro vorbeischauen.

Mein erstes Ziel war das Diner, in dem ich auch schon am Abend zuvor gespeist hatte. Es war mehr los auf den Straßen, jeder ging seinen eigenen Tätigkeiten nach. Auf der anderen Straßenseite unterhielt sich eine ältere Dame mit einem Herren über ihren Zwergpudel, der in eine warme Jacke eingewickelt war. Der flauschige Wollknäul zitterte am ganzen Körper. Eindeutig, war er nicht für das Wetter bestimmt.

„Jetzt hat er wieder nicht richtig gefressen", beschwerte sich die Dame.

„Schau doch mal bei Kaden vorbei", empfahl der Herr.

Das Gespräch wurde leiser, mit jedem Schritt Richtung Diner.

Kaden war wohl wirklich der Mann für alles.

„Guten Morgen", begrüßte mich Nika, als ich durch die Türschwelle trat. Warme Luft und der Duft von Bacon und Pancakes begrüßte mich herzlich. Augenblicklich knurrte mein Magen.

„Morgen", murmelte ich und steuerte denselben Platz wie am Abend zuvor an. Das Diner war gut besucht, dennoch gab es noch einige freie Plätze.

„Was kann ich dir bringen, Liebes?", fragte sie wenige Minuten später, nachdem ich die Karte studiert hatte.

„Einmal einen schwarzen Kaffee und ein Käseatoast."

„Alles klar!" Nika notierte sich alles auf einem kleinen Notizblock, ehe sie mich nachdenklich musterte. Ich legte fragend den Kopf schief.

„Ach, ich hab' mich nur gefragt, wie lange du es hier aushälst", sagte sie dann lachend, zuckte mit der Schulter.

„Seltsam, das Gleiche hat Greg auch schon gesagt", murmelte ich, während ich an die Fahrt mit dem schweigsamen älteren Herrezn zurückdachte

„Na ja, die meisten halten es nicht lange aus in dieser eises Kälte. Alaska ist nunmal nicht für jeden", erwiderte sie. Vermutlich hatte sie recht, aber ich mochte die Natur, das kalte Wetter. Alles hier unterschied sich von Texas. Vielleicht gefiel mir auch gerade das so sehr.

„Ich finds recht schön bisher." Ich zuckte mit der Schulter, während ich sie kurz musterte.

Nika hatte ihre blonden Haare in einen hohen Zopf, sie war stark geschminkt, aber dahinter verborg sich dennoch eine Naturschönheit. Sie brauchte gar nicht so viel Make-up, dachte ich.

„Noch! Am Anfang findet jeder den Schnee schön. Aber wenn du ihn nach vier Monaten immer noch siehst, dann vergeht dir die Freude daran." Ihr Augen flakerten zum Fenster, während sie das Treiben eine Weile beobachtete. Sie schien schon lange hier zu sein, das erkannte ich an der blassen Haut, dem wehmütigen Blick in die Ferne.

„Bist du hier großgeworden?", fragte ich sie neugierig.

„Oh ja, war nie woanders. Aber eines Tages fliege ich mal nach Hawaii und lasse es mir gut gehen. Lass' mich von ein paar hübschen Hawaiianern verwöhnen." Ein breites Grinsen lag auf ihrem Gesicht, ließ ihre Augen fröhlich funkeln. Ich lachte leise den Kopfschüttelnd. Das sah ihr ähnlich. Aber wer konnte es ihr verübeln? Ich hatte zwar zunächst genug von Männern, aber ich konnte nachvollziehen, dass Hawaii sehr verführerisch für jemanden sein konnte, der bloß das eisige Alaska gewohnt war.

„Dann nehm auf jeden Fall genug Sonnencreme mit", antwortete ich trocken.

Ihr Lachen, dass nach Glocken klang, ertönte und füllte das Restaurant, sodass sich bereits ein paar nach uns umdrehten. Ihre Augen funkelten dabei fröhlich und kleine Lachfalten zeichneten sich um ihre rehbraunen Augen ab.

„Bis später, Cheechakoo", antwortete sie lediglich.

Cheechakoo. Seltsames Wort. Zudem hatte ich es nun mittlerweile viel zu häufig gehört, als dass ich es weiter ignorieren könnte.

„Was bedeutet das?", fragte ich sie noch, bevor sie sich komplett abwenden konnte.

„Unerfahrener Neuling." Ihre Miene war frech, während sie mir zuzwinkerte.

Ich lachte leise in mich hinein und schüttelte den Kopf. Das war ich wohl wirklich. Denn ich wusste nicht, was mich in Alaska noch erwartete.

Nachdem ich mein Toast und meinen Kaffee verzehrt hatte, zahlte ich und verließ das Diner. Die kalte Luft schien mich zu erschlagen, während sich Wölkchen beim Ausatmen bildeten. Fröstelnd zog ich die Handschuhe an und ließ meinen Blick über die Häuser wandern. Im Hintergrund zeichneten sich die majestätischen Berge ab. Ein gewaltiger Ausblick, der mir die Sprache verschlug. Meine Beine trugen mich die Hauptstraße entlang, an der auch das Hotel lag. Dieses Mal nahm ich mir jedoch die Zeit, die einzelnen kleinen Läden zu begutachten. Es gab alles, was man brauchte, aber auch nicht mehr.

Ein kleiner Supermarkt, eine Apotheke und ein Krimskrams-Laden, der auch Klamotten verkaufte. Nicht gerade aus der Vogue, aber wohl recht funktional. Etwas anderes zählte zur Winterzeit in Alaska auch nicht.

Ich betrat den Krimskrams-Laden, der aus ein paar gut gefüllten Regalen sowie einem kleinen Kassenbereich bestand. Ein alter Holzofen in der Ecke spendete Wärme, und der Raum roch nach einer Mischung aus Lavendel und frisch geschärften Bleistiften. „Guten Tag!", rief mir die kratzige Stimme einer älteren Dame entgegen. Ihre dunkelrot gefärbten Haare lockten sich in alle Richtungen, was sie wild und gleichzeitig sympathisch erscheinen ließ. Das freche Grinsen auf ihrem faltigen Gesicht, gepaart mit funkelnden Augen, die hinter einem großzügig aufgetragenen hellblauen Lidschatten hervorblickten, verriet, dass sie sich nicht ansatzweise so alt fühlte, wie sie aussah. Ich hatte eine Schwäche für Menschen, die ihr jugendliches Feuer bewahrten, auch wenn ich das von mir selbst nicht mehr wirklich behaupten konnte. Die letzten Jahre hatten mir dieses Leuchten genommen und das Kind in mir tief begraben. Doch dies hier war ein Neuanfang, und vielleicht konnte ich mit der Zeit wieder einen Funken davon zurückholen. Mein gelegentlich loses Mundwerk bewies zumindest, dass bislang nicht alles verloren war.

„Hallo", erwiderte ich und ließ meinen Blick neugierig durch die Regale schweifen. Hygieneartikel neben Pfannenwendern, Schneeschaufeln neben Kerzen – die Sortierung war chaotisch, aber charmant. Es wirkte, als hätte die Verkäuferin selbst beschlossen, dass Ordnung überschätzt wird. Es spiegelte sie genau wider, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Die Verkäuferin trat hinter dem Tresen hervor, ihre bunten Wollsocken blitzten unter einem abgetragenen, aber gemütlich aussehenden Strickkleid hervor. Sie bewegte sich mit einer Mischung aus sprühender Energie und altersbedingter Bedächtigkeit, die seltsam harmonisch wirkte.

„Sie sind neu hier, nicht wahr?", fragte sie, während sie ihre Hände in die Taschen ihrer Schürze steckte. „Silver Creek ist klein, man kennt die Gesichter, die dazugehören. Und Ihres habe ich noch nie gesehen."

„Ganz frisch angekommen", gab ich zu, während ich eine Reihe von Teetassen betrachtete, die mit unterschiedlichen Sprüchen und Tiermotiven verziert waren. Eine davon, mit einem lachenden Elch, brachte mich kurz zum Schmunzeln.

„Na dann, willkommen! Ich bin Ruby", sagte sie und streckte mir eine Hand entgegen, deren Fingernägel in einem kräftigen rot lackiert waren, das kaum zu ihrem Alter passte, aber genau zu ihrer Persönlichkeit. „Falls Sie etwas brauchen – und damit meine ich alles von Schneestiefeln bis zu Lebensweisheiten – dann sind Sie hier genau richtig."

„Danke, Ruby. Ich bin Avery." Ich schüttelte ihre Hand, die erstaunlich warm war, und bemerkte, wie ein Hauch von Zimt von ihr ausging. „Und nein, ich bin nicht hier, um Berge zu besteigen oder ein Abenteuer zu suchen, falls das Ihre nächste Frage ist."

Ruby lachte, ein kehliges, ansteckendes Lachen, das den Raum füllte.

„Gott bewahre! Sie sehen aus, als hätten Sie reichlich Abenteuer hinter sich. Aber lassen Sie sich gesagt sein, in Silver Creek findet man immer genau das, was man nicht gesucht hat."

Ich hielt inne, ihre Worte nachklingend. Es war ein Satz, der auf charmante Weise bedeutungsschwanger klang, obwohl ich mir sicher war, dass Ruby ihn einfach so dahingesagt hatte.

„Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?", fragte sie mich neugierig, während sie sich an den Tresen lehnte.

„Ich wollte mich nur mal umschauen."

„Nur zu", sie deutete lächelnd auf die Regale, ehe sie wieder hinter dem Tresen verschwand.

Ich war gerade dabei, die Handschuhe zu bewundern, als die kleinen, altmodischen Glocken über der Ladentür erklangen und einen neuen Kunden ankündigten. Automatisch hob ich den Blick – und erstarrte.

Zwei kühle graue Augen fingen meinen Blick ein, scharf und durchdringend, als wollten sie jede meiner Geheimnisse erforschen. Der Mann, dem sie gehörten, hatte eine Präsenz, die schwer zu ignorieren war. Sein Gesicht war kantig, von Wind und Wetter gezeichnet, und er trug einen dichten, dunkelgrauen Wollmantel, dessen Schultern mit Schnee bestäubt waren. Es war, als hätte er den Sturm von draußen mit ins Innere gebracht.

Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, und ich fühlte mich plötzlich unbehaglich, obwohl der Laden so warm war. Ich wollte wegsehen, aber es war, als hielten seine Augen mich fest. Ein Moment, der sich wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, verstrich, bevor er schließlich den Blick abwandte und zu einem der Regale ging.

Er hatte den Bann gebrochen, doch mein Herz schlug schneller als vorher. Ich blinzelte ein paar Mal und zwang mich, wieder auf die Handschuhe zu schauen, die ich in den Händen hielt. Doch es war, als hätte etwas an ihm einen unsichtbaren Faden zu mir gespannt. Immer wieder glitt mein Blick unbewusst über die Regale hinweg zu ihm.

Er bewegte sich mit einer ruhigen, fast lautlosen Gelassenheit, als würde er genau wissen, dass der Raum ihm gehörte, ohne dass er es betonen musste. Die Energie um ihn herum war schwer zu deuten – ein Mix aus Zurückhaltung und etwas, das mich auf eine Weise faszinierte, die ich nicht erklären konnte.

„Ah, Kaden!" Rubys Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie klang vertraut, beinahe herzlich, als würde sie ihn gut kennen. Er nickte ihr knapp zu, murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte, und legte eine Packung Schrauben auf die Theke.

„Warst du schon bei der Hütte in der Creekside Street?", fragte Ruby, während sie die Packungen einscannte.

„Ja", erwiderte er, seine Stimme tief und ruhig, aber ohne jede Wärme. Sie klang so kühl wie seine Augen, und doch lief mir bei dem Klang ein weiterer Schauer über den Rücken.

Ich senkte meinen Blick wieder auf die Handschuhe und versuchte, meine Gedanken zu sammeln, doch die Anziehungskraft dieses Mannes schien mich wie ein Magnet immer wieder zu ihm zu ziehen. Ruby bemerkte nichts von meiner inneren Unruhe und plapperte fröhlich.

„Welche Hütte?", fragte ich plötzlich, ohne wirklich nachzudenken.

Kaden drehte sich halb zu mir, und für einen Moment schien er mich zu mustern, als ob er abwägen wollte, ob er überhaupt auf diese Frage antworten sollte. Dann zuckte er mit den Schultern, als sei das alles nicht so bedeutend. „Eine alte Hütte im Wald. Etwas abgelegen. Kein großer Luxus, aber sie könnte für jemanden wie dich genau richtig sein."

Ich stemmte meine Hände gegen die Hüfte und funkelte ihn böse an.

„Jemanden wie mich?", fragte ich provoziert, „Was soll das denn heißen?"

Er zuckte bloß erneut mit der Schulter, schnappte sich die Tasche mit den Einkäufen und lief auf mich zu. Wenige Meter vor mir blieb er stehen, seine kühlen grauen Augen auf mir. Der Duft von Pinien ummantelte mich.

„Klein und unbeholfen", antwortete er mit rauer Stimme, die meine Haut zum Kribbeln brachte. Ich reckte mein Kinn nach oben, entschieden das Blickduell nicht zu verlieren.

„Ich würde behaupten, jemand, der nach Alaska zieht, ist alles andere als unbeholfen", antwortete ich spitz.

Seine Augen begannen zu funkeln, er schien spaß an der kleinen Auseinandersetzung zu finden.

„Oder man ist eben genau das", antwortete er schlicht, ehe er sich abwandte. Der Duft von Pinien schwebte noch in der Luft, während er auf die Tür zulief.

„Zeig sie mir!", sagte ich dann, ehe er den Laden verlassen konnte. Er drehte sich um, sein Blick intensiv, musternd. Als versuchte er ein Rätsel zu lösen. Ich blinzelte ein paar Mal, fühlte ich mich unter seinem Blick auf einmal klein. Doch ich weigerte mich, es zuzugeben. Stattdessen verschränkte ich meine Arme vor der Brust und schaute ihn herausfordernd an.

„Heute Nachmittag am Platz. 15 Uhr", sagte er dann bloß, brach den Blickkontakt und schlenderte gelassen zu seinem Pickup-Truck.

Ich hingegen stand im Laden wie eine Eisfigur – noch immer gefangen von seiner Präsenz, während die Worte langsam zu mir durchdrangen. Er würde mir die Hütte wirklich zeigen.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Kaden wirkt manchmal so distanziert, aber ist eigentlich ein ganz Lieber."

Rubys Stimme holte mich aus meiner Starre und zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

„Sie meinen, er wird mich nicht ermolchen?", fragte ich, versuchte dabei locker zu klingen. Ich wünschte, meine Stimme würde dabei nicht so zittern. Ich wünschte, ich könnte es mit dem Sarkasmus sagen, den ich meinte. Aber mein Körper reagierte anders, wurde steiff, während ich versuchte die Bilder zurückzudrängen, die sich langsam in meinen Kopf schoben. 

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