Kapitel 2 - Bekannt und Begehrt
Greg setzte mich an einem Hotel ab, welches mitten in der kleinen Stadt lag. Wie auch die anderen Gebäude konnte man sehen, dass es bereits älter war. Die Fassade gab langsam den Kampf gegen den Winter auf. Doch als ich es betrat, empfing ich eine wohlige Wärme im Inneren. Dunkelrote Tapete zierte die Wände, der Kamin im Eingangsbereich knisterte leise vor sich hin und der alte Kronenleuchter ließ den Raum in einem warmen Licht strahlen.
„Guten Abend", begrüßte mich eine junge Frau. Sie musste in meinem Alter sein. Ihre roten Haare lockten sich in alle Richtungen und Sommersprossen verteilten sich auf ihrer zarten blassen Haut.
„Guten Abend", erwiderte ich, während ich auf den Tresen zusteuerte, „Ich habe reserviert unter dem Namen Garcia."
„Wir wissen doch schon, wer Sie sind", kicherte sie. Ein süßes Kichern fiel mir im selben Moment auf. Wie leise Glöckchen an einem Frühlingsmorgen
Ich hob überrascht die Augenbrauen, während ich die Handschuhe auszog, Finger für Finger.
„Zu dieser Jahreszeit kommen nur waghalsige Bergsteiger nach Silver Creek", erklärte sie mir und deutete dabei auf mich: „Und Sie sehen nicht aus, als seien Sie hier um Berge zu besteigen."
Ich verkniff mir schmunzelnd einen unangebrachten Kommentar.
„Da haben Sie recht."
„Ich habe ihnen ein schönes Zimmer reserviert. In Anbetracht dessen, dass sie wohl eine Weile hier bleiben werden. Oder haben Sie mittlerweile eine Wohnung gefunden?"
Ich verzog das Gesicht, die letzten Wochen hatte ich keinen Nerv dafür und hatte mir einfach nur ein Zimmer in diesem Hotel gebucht. Eine Wohnung zu finden, war ohnehin leichter, wenn man in der Stadt war.
„Danke, Miss... ?"
Fragend legte ich den Kopf schief.
„Freya Miller", stellte sie sich mit einem breiten Lächeln vor. Ihre grünen Augen funkelten dabei und sorgten dafür, dass sie mir direkt sympathisch wirkte.
Ich nahm den schweren Zimmerschlüssel entgegen, die robuste Messingnummer baumelte daran wie ein altmodisches Relikt, das Geschichten alter Zeiten von sich gab.
„Danke, Freya. Ich hoffe, die Suche nach einer Wohnung geht schneller als erwartet."
„Das hoffe ich auch. Wenn du möchtest, kann ich dich mit einigen Leuten bekannt machen, die Wohnungen vermieten. Silver Creek ist nicht groß, aber die Konkurrenz schläft nicht, selbst hier."
„Das wäre großartig", antwortete ich dankbar. „Ich weiß jede Hilfe zuschätzen, die ich bekommen kann."
„Ich melde mich bei dir, wenn ich mehr weiß", versprach sie und zog ein Telefonbuch hervor, das so dick war, dass ich kaum glauben konnte, dass es noch in Gebrauch war. Die moderne Technik hatte hier offensichtlich ihre Grenzen gefunden.
Ich verabschiedete mich von Freya und machte mich auf den Weg in mein Zimmer im zweiten Stock. Die Holztreppe knarrte unter meinen Schritten, als wollte sie protestieren gegen all die Jahre, die sie getragen hatte. Das Zimmer, das mich erwartete, war genauso gemütlich wie der Eingangsbereich. Dicke Vorhänge hingen an den Fenstern und ein klobiger Sessel stand einladend in der Ecke neben einem kleinen Tisch. Ich ließ meine Tasche auf das Bett fallen und öffnete das Fenster, um die frische, kühle Luft hereinzulassen. Der Blick hinaus bot mir die malerische Kulisse von Silver Creek, einer Stadt, die sich in der Dämmerung unter dem Sternenhimmel versteckte, als wäre sie selbst ein Geheimnis. Die Gipfel der umliegenden Berge zeichneten sich als schützende Silhouetten im Hintergrund ab.
Ein wohliges Prickeln legte sich über meine Arme, während ich meinen Oberkörper umschlang. Hier war es so ruhig, so friedlich und ursprünglich. Ich fühlte mich sofort inspiriert, wünschte mir meine Leinwand herbei. Doch stattdessen genoss ich den Moment der Ruhe. Tränen sammelten sich in meinen Augen, während ich tief einatmete. Was die Berge wohl verbirgten, welche Geheimnisse und alte Geschichten lagen unter den tiefen Schichte des Eises verborgen?
Ich schüttelte den Kopf, um meine aufkeimenden Gefühle abzustreifen, und schloss das Fenster wieder. Obwohl das Zimmer warm war, wurde ich das Zittern nicht los. Tief atmete ich ein, legte meine Hände an meine Brust, während ich die Augen schloss. Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken, ließ ihn langsam kreisen, um meine Schultern zu entspannen.
Der Tag war lang und die Reise hatte ihre Spuren hinterlassen. Ich sehnte mich danach Schlaf zu finden, mich unter die warme Decke zu kuscheln, das Buch aufzuschlagen und die Realität hinter mir zu lassen.
Ich hievte meinen Koffer auf die Ablage, holte meine Klamotten heraus und sortierte sie in den Kleiderschrank. Danach schnappte ich mir meinen Kulturbeutel. Im Bad betrachtete ich mein müdes Gesicht im Spiegel. Dunkle Augenringe, die ich versucht hatte mit Concealer zu übermalen, zeichneten sich unter meinen Augen ab. Meine grünen Augen wirkten leer, beinahe, als seien sie hinter einem dunklen Schleier. Gerädert beugte ich mich nach vorn, spritzte mir das kühle Wasser ins Gesicht.
Nachdem ich eine ausgiebige Dusche genommen hatte, ließ ich mich auf der Matratze nieder. Mein Blick wanderte zu der Uhr, die auf der Kommode stand. Es war gerade mal acht Uhr, doch die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden. Aus dem Fenster konnte man die Lichter der Stadt und der Sterne erkennen, die sich am Himmel abzeichneten. Hier, mitten im Nirgendwo, waren sie deutlich zu sehen.
Ich schnappte mir den Parka und schlüpfte in meine Schuhe. Auch wenn ich müde war, meldete sich mein Magen und schrie nach etwas Däftigen. Schnell schnappte ich mir meine Handtasche. Mit schnellen Schritten lief ich die Treppen hinunter. Ferya saß noch immer am Tresen und blickte von ihrem Buch auf, als sie mich entdeckte.
„Wenn sie nach einem Restaurant suchen. Es gibt eigentlich nur eins, direkt die Straße runter. Ansonsten gäbe es noch eine Bar, etwas weiter beim Fluss", erklärte sie mir.
„Oh, das klingt prima. Ich schau' beim Restaurant vorbei."
„Guten Appetit!", wünschte sie mir mit einem breiten Lächeln und ich winkte ihr zum Abschied, ehe ich aus der Haustür in die Kälte trat.
Mein Weg führte mich an den Häusern entlang. Das Café, welches ich bei meiner Ankunft entdeckt hatte, war bereits geschlossen. Allgemein war es bereits ruhig und still. Ein paar Personen begegneten mir, musterten mich argwöhnisch. Andere begrüßten mich freundlich. Ich war mir sicher, dass es eine Weile dauerte, bis ich alle bei Namen kannte, doch der erste Eindruck war positiv.
Fröstelnd rieb ich meine nackten Hände aneinander und erinnerte mich selbst daran, so bald wie möglich gute Handschuhe zu kaufen. Das Restaurant wirkte mehr wie ein Diner, als ein feines Etablisement, aber ich hatte hier ohnehin nichts anderes erwartet. Es war gut besucht, die Gespräche füllten die Luft und es waren nur noch wenige Plätze frei.
Ich steuerte den letzten Platz am Fenster an und ließ mich auf die rote Sitzbank fallen, nachdem ich mich meinen schweren Wintermantel entledigt hatte. Eine ältere Dame mit warmen braunen Augen und langen weißen Haaren nahm meine Bestellung – einen Tee und einen Eintopf – auf und verschwand dann schnell wieder. Während ich auf mein Essen wartete, starrte ich hinaus auf die Straße. Die Straßenlaternen erhellten die Dunkelheit, doch es war recht ruhig draußen. Ganz im Gegenteil zu diesem Diner, wo es orderntlich herging.
Ein Klingeln ertönte und die Tür öffnete sich, was sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein großer Mann mit dunklen Haaren und grauen Augen betrat das Diner. Sein Blick wanderte über die Menschen, blieb kurz an mir haften. Doch seine Mimik rührte sich nicht. Er steuerte die Theke an und wurde herzlich von der Bedienung begrüßt. Ein Kribbeln machte sich in meiner Magengrube breit. Er war gutaussehend. Seine spitze Nase war leicht gebogen, ein leichter Bartschatten zierte sein Gesicht und umrahmte seine sinnlichen Lippen.
„Richtiges Sahneschnittchen, he?", hörte ich eine weibliche Stimme neben mir säußeln. Hitze stieg mir in die Wangen, als ich zu der jungen Frau neben mir schaute. Ihr blondes Haar war perfekt gelockt und ihre kurvige Gestalt steckte in einer viel zu knappen Version der Diner-Uniform.
„Ehm", machte ich bloß verhalten.
„Kannst es ruhig zugeben, Darling", grinste die Schönheit an, während sie das Tablett auf den Tisch stellte und sich gegenüber von mir niderließ.
„Aber er lässt niemanden an sich ran", seufzte sie theatralisch und stütze sich auf ihrer Hand ab, während sie mich aus ihren braunen Rehaugen unschuldig betrachtete, „Und glaub mir, ich habe es öfter versucht, als Meryl Streep für einen Oscar vorgeschlagen wurde."
„Ich hab gar kein Interesse", beeilte ich mich zu sagen.
„Ist klar", kicherte sie, „jeder hat Interesse an Kaden Nelson. Der begehrteste Jungeselle der Stadt."
Ich zuckte mit der Schulter: „Ich nicht."
„Gut, dann stehst du mir immerhin nicht im Weg", schwärmte die Frau vor mir, auf dessen Namenschild „Nika Hansen" stand. Sie schaute wieder zu Kaden rüber, der gerade eine Bestellung zum Mitnehmen entgegennahm.
„Was macht er denn?", fragte ich dann doch neugierig.
„Er wohnt etwas außerhalb der Stadt. Ist so ein wenig der Mann für alles. Hat einen Schneewagen und macht hier den Schneedienst. Aber er hat auch eine Hundeschule und ist handwerklich sehr begabt. Wobei ich seine Hände noch nie auf mir spüren durfte", seufzte sie theatralisch.
„Mädchen für alles, hm?", fragte ich dann.
„Ich oder er?", fragte sie dann verwirrt und legte den Kopf schief.
Ich hob die Hände abwehrend. „Er", sagte ich dann und bekam ein freches Grinsen von ihr zu Gesicht.
„Ja ja, schon verstanden. Nicht schlimm, ehrlich gesagt, eilt mein Ruf hier wohl voraus", grinste sie.
Ich zuckte mit der Schulter: „Nur Frauen bekommen so einen Ruf. Ist das nicht unfair?"
Sie schwieg eine Weile, ehe ihr Grinsen breiter wurde.
„Du gefälltst mir, Garcia", sagte sie.
„Wieso kennen hier alle meinen Namen?", stöhnte ich auf.
„So ist das in Silver Creek. Kannst dich schonmal daran gewöhnen, Cheechako", sagte sie, ehe sie wieder aufstand und ihr Tablett nahm, welches sie sich unter die Arme klemmte.
„Ich bring dir gleich deinen Eintopf."
„Danke", erwiderte ich und schaute ihr hinterher, wie sie auf Kaden zu lief, absichtlich mit extra viel Hüftschwung, ehe sie sich in seine Arme schmiss, bevor er das Restaurant verlassen konnte. Er schien sie genervt abwimmeln zu wollen, doch sie ließ wohl nicht locker und verwickelte ihn in ein Gespräch. Wenige Sekunden verließ er das Restaurant beinahe fluchtartig und Nika blieb noch eine Weile schwärmend am Eingang stehen und schaute ihm hinterher.
Liebe konnte wirklich grausam sein, dachte ich seufzend und wandte mich wieder meinem Tee zu.
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