25 th
Ich saß einfach nur da. Als wäre ich eine Statue oder eingefroren. Nicht fähig meine Gelenke dazu zu bringen, sich zu bewegen. Alles war schwer, selbst das einfache weiter atmen. Ich wurde die Bilder nicht los. Wurde den Schlaf nicht los. Ich war allein, fühlte mich allein. Als wäre ich der einzige Mensch auf der großen, weiten Welt, als gäbe es niemand anderen außer mich. Dabei glich es beinahe einer Unmöglichkeit, Alans Präsenz neben mir nicht zu spüren.
Er war da gewesen. Da war ich mir mehr als sicher. Er hatte gesehen, was ich gesehen hatte. Hatte mir geholfen, so wie ich es erfleht hatte. Und doch fühlte ich ihm gegenüber keine Dankbarkeit. Es war, als hätte er mich entblößt, in aller Öffentlichkeit, gewaltsam Zutritt zu meinen Gedanken verschafft. Es nagte an mir, nicht zu wissen, was er nun dachte, doch ich verbot es mir, ihn auch nur anzusehen. Er hatte gesehen,wie ich zusammen brach. Hatte meine Tränen gesehen. Ich kam mir so klein, so unbedeutend, so geschändet vor. Und seine Blicke, die er mir, wie ich wusste, immer wieder von der Seite zuwarf , machten es nicht besser. Nein, eher im Gegenteil, sie bohrten sich in mich, schienen mich aufzuspießen, genau dort fest zu halten, wo ich mit angezogenen Knien kauerte.
Der Motor war das einzige Geräusch, das zu hören war. Er brummte, zerschnitt damit die drückende Luft im Inneren des Autos, die einfach nicht völlig verschwinden wollte. Ich wollte ihm sagen, dass er mich nie wieder anfassen sollte. Dass ich nur seinetwegen eingeschlafen war. Dass ich seinetwegen durch diese Hölle gegangen war. Doch keine einzige Silber, nicht mal ein einziger Buchstabe kam über meine Lippen. Es war, als wäre ich stumm geworden durch die Schreie, die ich im Schlaf ausgestoßen hatte.
Alan hatte bisher kein Wort gesagt. Weder zu meinem Traum, noch zu meinen Tränen, für die ich mich mehr schämte als gut für mich war. Er hatte nur stumm, mit einem angezogenen Bein, auf den er seinen linken Arm stützte, neben mir auf den Boden ausgeharrt. Hatte darauf gewartet, dass ich meine mühsam erkämpfte und doch so schnell verflüchtigte Kontrolle zurück erlangte, zumindest soweit, bis ich wieder in der Lage war, mich aufzusetzen. Es war hart gewesen, ihn nicht darum anzuflehen, mich doch einfach sterben zu lassen. Alles wäre besser gewesen, als die Angst davor, was ich womöglich in meinem nächsten Traum, der unweigerlich kommen würde, ganz gleich wie lange ich versuchen würde der Müdigkeit zu widerstehen, zu sehen bekommen würde. Ich hatte Angst. Furchtbare, tiefe Angst. Davor, was geschehen wäre, wenn ich nicht aufgewacht wäre. Was ich noch hätte sehen, hören müssen. Der Schlaf war mein Feind, war er schon immer gewesen. Es war Jahre her, dass ich einmal viel mehr als fünf Stunden im Durchschnitt geschlafen hatte, allein Luzifers Einfluss gab mir die Sicherheit des Schlafes zurück, wenn auch nur für wenige Stunden in einzelnen Nächten mehr. Es war nicht genug. Nicht genug, um die Schatten unter meinen Augen verschwinden lassen zu können. Wir hatten es nie angesprochen, Luzifer und ich. Wir hatten es totgeschwiegen, so wie vieles andere auch. Und es war mir mehr als nur recht gewesen. Er hatte mich schon in schlimmeren Verfassungen gesehen. Sehr viel schlimmeren. Aber Alan nicht. Und ich wollte nicht mehr als unbedingt nötig, als das schwache, kleine Mädchen wirken, das es nicht einmal schaffte mit einem gottverdammten Verlust umzugehen. Die daran zerbrach und sich selbst abstach mit jedem weiteren Gedanken daran, was hätte gewesen sein können wenn. Das letzte, was ich wollte, war Mitleid. Ich konnte es bereits förmlich vor Augen sehen, wie seine blauen Augen verhangen wären, mich ansehen würden wie einen schwer verletzten Hundewelpen, wenn ich ihn unter Tränen angebettelt hätte, mich mit der einzigen Sache zu erlösen, die mir endlich Frieden geben würde. Der Tod. Außerdem hatten wir einen Deal. Ich durfte mich umbringen, nachdem er mit mir dort war, wo alles angefangen hatte. Wo ich alles beenden wollte, es aber einfach nicht geschafft hatte. Und so verkorkst ich auch war, ich hielt meine Versprechen.
Zumindest so lange, wie mein Gehirn keinen totalen Absturz hatte.
>Willst du was essen?< Ich hatte mit allem gerechnet, wirklich mit allem angefangen bei der Frage, ob er mich nicht lieber fesseln sollte, zu seiner eigenen Sicherheit, bis hin zu der Frage, was zur Hölle ich geträumt hatte, um mich aufzuführen, als wäre ich vollkommen gestört, wenn nicht sogar unmenschlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er die Episode am Waldboden einfach gut sein ließ und zu so etwas normalen wie Essen zurückkehren würde.
>Ich hab keinen Hunger< Meine Stimme sollte ablehnend klingen, Himmel, ich hatte versucht, so viel Biestigkeit wie nur irgend möglich in meine Worte zu stecken, doch es kam nur ein heisernes Krächzen heraus. Was mich demonstrativ die Arme verschränken ließ. Meine erste Bewegung, nachdem ich mich mühsam ins Auto geschleppt hatte.
>Ich habe auch nicht gefragt, ob du Hunger hast. Meine Frage war, ob du was essen willst< Er klang so unfassbar sachlich, dass man hätte meinen können, es sei an diesem frühen Morgen rein gar nichts geschehen. Er schweigt es tot. Und bevor ich überhaupt verstand, was mich daran so störte, schrie ich auch schon:
>Nein, verdammte Scheiße! Ich will nichts Essen! Ich will gar nichts, außer endlich ein Ende zu finden! Checkst du das immer noch nicht?! Ganz gleich, was du auch tust oder sagst, ich werde nicht mehr lange hier sein, um es mitzuerleben, kapiert?! Ich will meine Ruhe! Ich will FRIEDEN, du ignorantes Stück- < Ich wurde mitten im Satz unterbrochen, als er, ohne hin zu sehen, eine von seinen Händen auf meinen Mund presste, während er mit der anderen weiter lenkte.
>Du bist hier die einzige, die nichts versteht, Angel. Du willst dein Ende? Bitte, ich hab dir mein Wort gegeben, dass du es bekommst, wenn ich an dir scheitere. Du willst deine Ruhe? Okay, dann gebe ich sie dir, dann werde ich dich weiterhin den gesamten Weg über anschweigen, sodass du schön weiter damit machen kannst, dich in deinen Wahn hinein zu steigen. Aber, weißt du was? Frieden kann ich dir nicht geben. Das kann niemand. Niemand, außer dir selbst.
Ich bin nicht dein Feind. Bin es nie gewesen. Du denkst vielleicht, du weißt ganz genau, was hier vor sich geht, du wüsstest alles, was dich betrifft, aber da täuscht du dich. Niemand weiß alles. Weder du, noch Luzifer und erst recht nicht ich. Aber im Gegensatz zu dir, maße ich mir nicht an, es zu tun. Im Gegensatz zu Luzifer, verschließe ich nicht die Augen dem gegenüber, was ich nicht weiß und nicht verstehe. Ich bin nicht perfekt, niemand ist das und wenn man mich fragt, bin ich weiter davon entfernt, perfekt zu sein, als jedes andere Wesen, das ich kenne.
Und ob du es glaubst oder nicht, Angel, ich habe dich nicht aus deinem Albtraum befreit, damit du das tust, von dem ich mir wünsche, dass du es tust. Ich habe dir nicht den Deal vorgeschlagen, damit ich meine Arbeit endlich erledigen kann. Ich habe meine Gründe, warum ich so handele, wie ich es eben tue und du hast deine. Das akzeptiere ich, aber unterstelle mir nie, nie wieder, ich wäre ignorant den Menschen gegenüber. Dem Leben gegenüber. Dir gegenüber. Du kennst mich nicht und du willst mich auch nicht kennen lernen, das verspreche ich dir. Also tu' nicht so, als wäre es anders. Damit tust du weder dir selbst, noch mir einen Gefallen. Und damit ist diese Diskussion auch beendet< Er nahm seine Hand von mir weg und legte sie zurück ans Lenkrad, das er immer noch locker umfasst hielt. Nicht ein einziges Mal sah er zu mir herüber, wie ich da saß und ihn einfach nur vollkommen verdattert anstarrte. Stattdessen atmete er einmal tief durch, bevor er noch einmal zu Sprechen begann:
>Zurück zu meiner Frage: Willst du was essen?<
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