Kapitel 2
„Der Weg zur Freiheit beginnt mit einem Schritt in die Ungewissheit." – Unbekannt
Die Pferde standen dicht beieinander, ihre Körper bildeten eine große, pulsierende Masse. Ihre Ohren waren gespitzt, die Nasenlöcher leicht gebläht, als sie mich, das fremde Fohlen, auf der anderen Seite der Lichtung entdeckten. Ihre Blicke waren neugierig, aber auch wachsam. Ein großer, majestätischer Hengst mit tiefschwarzem Fell löste sich aus der Gruppe. Seine Schritte waren kraftvoll und entschlossen, und als er sich mir näherte, konnte ich den Respekt, den die anderen Pferde ihm entgegenbrachten, förmlich spüren.
Mit einer tiefen, durchdringenden Stimme fragte er: „Was machst du hier alleine?" Seine Worte klangen nicht nur nach einer Frage, sondern auch nach einer Herausforderung. Ich senkte den Kopf und antwortete leise, fast schüchtern: „Meine Mutter hat mich fortgeschickt." Ich hoffte auf Verständnis, vielleicht sogar auf Mitleid, aber der Hengst zeigte keine Anzeichen von Mitgefühl. Stattdessen begann er, mich streng zu tadeln. Seine Worte trafen mich wie ein Schlag, und ich spürte die Last seiner Verantwortung und Autorität.
Gerade als seine Worte immer schärfer wurden, trat eine braune Stute mit ruhigen, aber bestimmten Schritten vor. Ihre Augen funkelten vor Unmut, und sie stellte sich schützend zwischen mich und den Hengst. Mit einer festen Stimme, die keinen Widerspruch duldete, wies sie den Hengst zurecht. Ich erfuhr, dass dieser große, schwarze Hengst der Leithengst der Herde war, derjenige, der über alle anderen wachte und für die Sicherheit und das Wohl der Gruppe verantwortlich war. Die braune Stute, die für mich eingetreten war, war die Leitstute, eine ebenso wichtige Figur in der Herde, die mit Weisheit und Stärke agierte. „Sie bestimmen hier alles", erklärte mir ein anderes Fohlen, das den Namen Anubis trug, mit einem ehrfürchtigen Ton in der Stimme.
In den folgenden Tagen lernte ich die Regeln und das Verhalten der Herde kennen. Es gab vieles zu beachten und ich musste schnell lernen, wie ich mich zu verhalten hatte, um nicht unangenehm aufzufallen. Obwohl ich nun Teil der Herde war, war ich doch anders. Ich durfte mit den anderen Fohlen spielen, doch oft spürte ich, dass sie wenig Interesse daran hatten. Manche Mütter untersagten es ihren Fohlen sogar, mit mir zu spielen, und ich verstand nicht, warum. Es fühlte sich oft einsam an, obwohl ich von so vielen Pferden umgeben war.
Zur Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten stand und viele Pferde sich zum Ausruhen niederlegten, wagte ich mich ans Gras und begann zu fressen. Doch die Blicke, die mir zugeworfen wurden, machten mir schnell klar, dass das nicht gern gesehen war. Ich war noch sehr jung, und in der Herde war es eine ungeschriebene Regel, dass junge Fohlen noch keine festen Pflanzen fraßen. Doch ich hatte Hunger und wollte wachsen, also hielt mich das nicht davon ab. Dennoch fühlte ich mich oft wie ein Außenseiter, der sich den vielen neuen Regeln fügen musste, ob es mir gefiel oder nicht.
Die Tage zogen sich hin, jeder ähnlich dem anderen. Die anfängliche Aufregung, die ich verspürt hatte, als ich in die Herde aufgenommen wurde, verblasste allmählich. Ich merkte, dass ich älter und kräftiger war als die anderen Fohlen. Diese körperliche Überlegenheit machte mich jedoch nicht glücklich, sondern verstärkte nur mein Gefühl der Einsamkeit. Alle anderen Fohlen hatten ihre Mütter, die sie beschützten und umsorgten. Nur ich war allein.
Ein paar Monate vergingen, und eines Morgens, als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel färbten, wachten wir auf und stellten fest, dass die Herde nicht mehr um uns herum stand. Stattdessen waren die erwachsenen Pferde einige hundert Schritte entfernt, und die Entfernung zwischen uns und ihnen schien unüberwindbar. „Die Herde verlässt uns", jammerten die anderen Fohlen in Panik. Ich verstand nicht, was das bedeutete, bis Anubis es mir erklärte. „Wenn wir alt genug sind, zieht die Herde weiter. Wir müssen jetzt unser eigenes Leben führen."
In diesem Moment wurde mir mit einer Klarheit bewusst, was ich wirklich wollte. Die Sehnsucht nach meiner Mutter, die mich fortgeschickt hatte, um mich zu schützen, brannte plötzlich lichterloh in mir. „Ich muss sie wiedersehen", dachte ich entschlossen. Diese Erkenntnis erfüllte mich mit neuer Energie und einem Ziel, das all die Langeweile und die Einsamkeit der vergangenen Monate in den Schatten stellte.
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