Kapitel 4 - Planänderung
Am Abend vor dem Flug überkam mich die volle Tragweite der bevorstehenden Begegnung mit meinem Exfreund. In weniger als 24 Stunden würde ich ihm gegenüberstehen, und der Gedanke daran ließ mich schaudern. Warum hatte ich dem überhaupt zugestimmt? Klar, ich würde auch viele alte Freunde dort wiedersehen, aber war das wirklich ein ausreichender Grund? Vielleicht war es meine Neugier, die mich überwältigt hatte, oder doch die optimistischen Zusprüche von Helen, die mir ein wenig Mut gemacht hatten.
So oder so, ich fand mich nun in einer Sackgasse wieder, und der einzige Ausweg führte auf diese gottverlassene Insel.
Gerade als ich das letzte Kleid in meinen Koffer legte, hörte ich Helens laute Stimme durch die Tür meines Zimmers dringen. Mit einem Stirnrunzeln schloss ich meinen Koffer und machte mich auf den Weg auf den Flur. Dort entdeckte ich Helen und Adrian, die lebhaft über etwas diskutierten. Ihre Gesichter waren von einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Aufregung geprägt, und ich konnte nicht umhin, neugierig zu werden, worum es ging.
„Was ist los?", fragte ich verwirrt, als ich auf den Flur trat und die hitzige Diskussion zwischen Helen und Adrian bemerkte.
„Ich kann nicht mitfliegen", sagte Helen mit einer verschnupften Stimme, die mich aufhorchen ließ. Ein ungutes Gefühl beschlich mich.
„Sie stellt sich nur an. So krank bist du nicht", erwiderte Adrian mit verschränkten Armen und einem skeptischen Blick. „Sie will nur, dass ich mitfliege."
„Das ist überhaupt nicht wahr! Der Flug war schon gebucht, und ich habe mir tolle Kleider gekauft!", empörte sich Helen, doch ein heftiges Niesen brachte sie dazu, hastig ein Taschentuch hervorzuholen. Jetzt, wo ich sie genauer betrachtete, musste ich zugeben, dass sie wirklich nicht ganz fit wirkte.
„Ich kann deinen Flug noch storn-...", begann ich, doch Helen unterbrach mich mit einem strengen Blick.
„...ändern. Perfekt!", rief sie aus, als ob sie gerade eine geniale Lösung gefunden hätte. „Wir können Elly unmöglich allein in die Höhle des Löwen schicken."
„Und jetzt muss ich deswegen mitfahren? Ich habe nicht mal Urlaub genommen", brummte Adrian, der deutlich keine Lust hatte, mich zu begleiten. Seine Unzufriedenheit war nicht zu übersehen.
„Du bist selbstständig. Da brauchst du keinen Urlaub einreichen", konterte Helen mit einem verärgerten Stirnrunzeln.
„Ich habe auch Klienten, denen ich Bescheid geben muss", antwortete Adrian ebenfalls verärgert.
„Ihr braucht euch deswegen nicht streiten. Ich fliege einfach gar nicht hin", schlug ich vor. Vielleicht war das ja der perfekte Vorwand, um der ganzen Reise zu entkommen.
„Kommt überhaupt nicht in Frage. Adrian Wilton! Entweder du fliegst mit ihr dorthin, oder ich rede die nächsten Wochen kein Wort mit dir. Und du weißt, wie gut ich das durchziehen kann", drohte Helen, bevor sie von einem heftigen Hustenanfall ergriffen wurde.
Helen wusste, wie effektiv sie im Anschweigen war – sie hatte Adrian vor einem Jahr für einen ganzen Monat mit Stille bestraft, nur weil er nicht mit ins Disneyland wollte. Für sie war das der perfekte WG-Trip gewesen, und ihre Unnachgiebigkeit hatte sich als äußerst wirksam erwiesen.
Adrian verzog das Gesicht und warf mir einen Blick zu, der zwischen Genervtheit und Entschlusskraft hin- und herpendelte. Seine Mimik entspannte sich allmählich, und ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. Er schien zu erkennen, dass es an der Zeit war, nachzugeben.
"Na gut, ich fliege mit", sagte er dann brummend.
"Du kannst den Namen noch ändern oder?", fragte Helen an mich gewandt.
Ich nickte:" Ich habe Flex-Tickets gebucht, falls ich doch noch einen Rückzieher mache, aber..."
„Perfekt", rief Helen, klatschte in die Hände und schickte Adrian entschlossen in sein Zimmer, damit er seine Koffer packen konnte.
„Ich werde aber hin und wieder arbeiten müssen", entgegnete Adrian, wobei sein Unbehagen deutlich spürbar war. „Das kann ich nicht einfach ignorieren."
Helen wischte seine Bedenken mit einem entschlossenen Winken beiseite und schob ihn weiter aus dem Flur, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Trotz ihrer Erkältung war sie erstaunlich vital, fast so, als ob ihre körperliche Verfassung ihren unerschütterlichen Willen nicht beeinträchtigte.
Ich starrte nachdenklich auf die geschlossene Tür. Adrians Widerstand war subtil, aber spürbar. Normalerweise war er gern dabei, wenn ich unterwegs war, und wir hatten oft unterhaltsame und angeregte Gespräche. Jetzt jedoch schien er sich mit einem unsichtbaren Gewicht herumzuschlagen, das über bloße Arbeitsverpflichtungen hinausging.
Es kam mir so vor, als wäre ich einfach nur eine zusätzliche Belastung für ihn, als ob er sich über die ganze Situation ärgerte und keine Lust hatte, sich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht fand er es einfach nervig, dass ich ihn in diesen Plan einbezogen hatte, oder er war schlichtweg unzufrieden mit der ganzen Reise. Aber wenn Helen sich etwas in den Kopf setzte, war es praktisch unmöglich, sie umzustimmen – das galt sowohl für mich als auch für Adrian.
Am nächsten Morgen begegnete ich Adrian im Flur, als er mit einem Handgepäckskoffer und einem Rucksack unterwegs war. Trotz seines genervten Gesichtsausdrucks begrüßte er mich freundlich, und wir machten uns auf den Weg, um ein Taxi zum Flughafen zu nehmen.
„Ich kann nicht fassen, dass ich mich darauf eingelassen habe", murmelte er, als das Taxi losfuhr.
„Glaub mir, ich kann es auch noch nicht fassen", erwiderte ich und lachte trocken.
Wir schwiegen eine Weile, bevor ich erneut das Wort ergriff. „Wie genau sieht es dort aus? Sind wir ein..."
Ich stockte, unsicher, wie ich die Frage formulieren sollte. Es war mir ohnehin schon unangenehm, dass Adrian sich gezwungen fühlte, mitzukommen, und nun sollte er auch noch so tun, als sei er mein Freund?
„Ein Paar? Scheint so", sagte er und zuckte mit den Schultern. „Sonst könnte es seltsam wirken."
„Hast du etwas dagegen? Ich meine, wenn du das nicht willst, können wir es auch lassen", bot ich vorsichtig an.
„Hast du etwas dagegen?", fragte er zurück.
Ich überlegte einen Moment und schüttelte dann langsam den Kopf. „Nein, eigentlich nicht."
„Gut, dann ziehen wir es einfach durch", murmelte er und wandte seinen Blick aus dem Fenster, während die Häuser an uns vorbeizogen. Damit schien das Thema endgültig vom Tisch zu sein.
Ich beobachtete ihn von der Seite. Sein Kopf ruhte auf seiner Hand, während er hinaus schaute. Er wirkte ruhiger als sonst, und ich fragte mich, ob das etwas mit diesem Trip zu tun hatte. Seine dunkelblonden Haare waren wild, und seine blauen Augen waren fest auf die vorbeiziehenden Landschaften gerichtet. Er trug ein weißes Leinenhemd, dessen obersten Knöpfe er offen gelassen hatte, und eine dunkle Hose, die ihm einen entspannten Look verlieh.
Für meinen Teil hatte ich mich für einen komfortablen Look entschieden: ein weißes Oversized-T-Shirt mit einer riesigen Kaffeetasse als Backprint und eine schwarze Jeans.
Als die Stadtlandschaft langsam auf der Autobahn verschwand und der Flughafen in Sicht kam, wurde das Flattern in meinem Magen stärker. Ich konnte noch nicht genau deuten, ob es Aufregung oder Nervosität war.
Wir stiegen aus dem Taxi und durchquerten den Flughafen, bis wir schließlich am Gate angekommen waren. Da wir noch ein paar Minuten Zeit hatten, holten wir uns einen Kaffee und setzten uns auf die Stühle am Gate. Wieder schielte ich zu Adrian, der gedankenverloren vor sich hinstarrte.
„Danke", sagte ich leise, was ihn überraschte und ihn dazu brachte, mich anzusehen. „Danke, dass du mich begleitest. Um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich nervös. Es ist schön, nicht allein dorthin zu fliegen."
Er hielt meinen Blick einen Moment lang fest, bevor er langsam nickte. „Mach dir nicht immer so viele Gedanken", lächelte er dann, und sein Lächeln war warm und beruhigend. „Außerdem ist bezahlter Urlaub wirklich gar nicht so übel."
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