Kapitel 2 - Die Einladung

Am nächsten Morgen rissen mich dröhnende Kopfschmerzen und Übelkeit aus dem Schlaf – ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich es am Vorabend eindeutig übertrieben hatte. Stöhnend setzte ich mich auf und fasste mir an den pochenden Kopf. Was ich jetzt dringend brauchte, waren eine Ibu und ein starker Kaffee. Also schleppte ich mich mühsam aus dem Bett und schlurfte in die Küche, wo ich Adrian entdeckte. Er stand bereits verschlafen, aber zielstrebig an der Kaffeemaschine und fummelte an den Knöpfen herum, offenbar nur halb so mitgenommen wie ich.

"Kaffee?", fragte er. Ich musterte ihn kurz, ehe ich nickte. Er trug bloß eine karierte Schlafanzughose, aber obenrum hatte er sich keine Mühe gemacht, etwas anzuziehen. Mir war schon öfter aufgefallen, dass er muskulös war, was mich jedoch nicht wirklich wunderte. Er ging regelmäßig joggen und spielte immer noch professionell Ice-Hockey.

"Wie gehts dir?", fragte ich, öffnete die Medizin-Schublade und kramte eine Ibuprofen heraus.

"Gut. War schon draußen und hab uns etwas geholt", sagte er mit beiläufigem Ton.

Ich zog die Augenbrauen zusammen und schielte zum Tisch. Tatsächlich lag dort eine braune Tüte.

"No way!", rief ich freudig.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

Ich schluckte die Ibu herunter, ehe ich zum Tisch lief und in die Tüte blickte. Donuts, Bagels und mehr waren darin gehäuft und sorgten dafür, dass mein Magen knurrte.

"Morgen", hörte ich Helen, die in einem ähnlichen Zustand wie ich zu sein schien.

Sie schlürfte ebenfalls zum Medizinschrank und holte eine Ibu heraus.

"Wie kann es dir schon wieder so gut gehen?", fragte sie Adrian und schlug ihn spielerisch gegen den Arm.

Er zuckte daraufhin bloß mit den Schultern.

"Sag mir nicht, du warst so draußen?", fragte ich dann und deutete auf seine fehlende Körperbedeckung.

"Ich war danach duschen und hab mir gerade nur schnell die Hose übergezogen", lachte Adrian. Erst jetzt fielen mir seine nassen, dunkelblonden Haare auf.

"Ah", machte ich dann. Langsam setzte ich mich an den Tisch und stützte meinen Kopf auf meine Handfläche.

Helen tat es mir gleich.

"Das war echt mega gestern", sagte sie dann schwärmend, ehe sie sich dann verbesserte:"wobei wir ruhig etwas weniger hätten trinken können".

"Sagt diejenige, die uns immer abfüllt", grinste ich und sie erwiderte es mit einem unschuldigen Lächeln.

"Ich weiß nicht, was du meinst".

Adrian stellte uns jeweils eine Tasse Kaffee vor die Nase, ehe er sich ebenfalls zu uns an den Küchentisch setzte. Er lehnte sich zurück, dabei bekam man einen guten Blick auf seinen muskulösen Oberkörper.

Zugegeben, ich hatte Adrian hin und wieder angeschmachtet. Er war jedoch so unnahbar, dass ich immer dachte, er hatte kein romantisches Interesse. Außerdem gab es ohnehin die ungeschriebene Regel, dass man nichts mit seinem WG-Mitbewohner anfangen sollte. Das führte bloß zu Chaos.

Helen schob sich zwei Strähnen ihrer weiß-blonden Haare nach hinten.

"Mensch Adrian, kannst du dir nicht was anziehen?", fragte Helen dann mit rollenden Augen.

"Wieso, kannst du dich nicht konzentrieren?", antwortete er mit nüchternen Ton und trank einen Schluck von seinem Kaffee.

"Son Schwachsinn", schnaufte meine beste Freundin.

"Ach übrigens, es lagen ein paar Briefe im Briefkasten. Da war einer dabei, der wirkte sehr wichtig und förmlich – für dich Elly", wechselte Adrian das Thema. Ich zog meine Augenbrauen zusammen.

"Wichtig und förmlich?", fragte ich ihn belustigt. Er zuckte mit der Schulter.

Langsam stand ich auf und fragte mich, was er genau damit meinte. Ich lief zur Anrichte im Flur, wo Adrian die Briefe abgelegt hatte und ging sie durch, bis ich bei einem Umschlag ankam, der mit goldener Schrift an mich adressiert war.

Gold?!

Ich schlürfte wieder zum Esstisch.

"Was ist das?", fragte Helen neugierig

Ich zuckte mit der Schulter, ehe ich mit meinem Zeigefinger in die Lücke fuhr und den Brief aufriss.

Mein Herz klopfte komischerweise unruhig und ein seltsames Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit.

Vorsichtig zog ich den Brief heraus, der mein Herz gefrieren ließ. Mit Schnörkel-Schrift und in Gold standen dort zwei Namen.

Noah and Amber

Mein Herz zog sich zusammen und ich hatte das Gefühl, kaum mehr atmen zu können.

"Alles okay? Du bist auf einmal so blass?", fragte Helen besorgt. Ich konnte nur wie in Trance nicken, während ich den Brief umdrehte und genau das las, was ich befürchtet hatte.

Es war eine verdammte Hochzeitseinladung.

Langsam legte ich den Brief auf den Tisch.

In meinen Ohren rauschte es und ich konnte Helens Stimme zwar hören, aber verstand nicht mehr, was sie sagte. Ich spürte, wie mein ganzer Körper zitterte.

"Elly? Elly!", langsam drangen die Worte, die Helen zu mir sagte, zu mir durch. Der anfängliche Schock legte sich langsam, dennoch spürte ich das Stechen in meiner Brust.

"Das ist ne Hochzeitseinladung", murmelte ich dann, griff nach der Tasse Kaffee und nahm einen großen Schluck.

"Wer sind die beiden, dass du so blass wirst?", fragte Helen besorgt.

"Noah war mein erster richtiger Freund", antwortete ich dann langsam und atmete tief ein.

"Ohh", machte Helen dann.

"Wir waren vier Jahre zusammen und haben uns getrennt, als ich nach London ging, um zu studieren", erklärte ich dann und nestelte am Briefumschlag herum.

"Und jetzt heiratet er", murmelte Helen.

"Und jetzt heiratet er", erwiderte ich leise.

Stille legte sich zwischen uns, während wir alle gemeinsam diesen Brief anstarrten.

"Wieso lädt er dich ein?"

Adrian war der erste, der wieder das Wort ergriff.

"Wir waren danach noch lange in Kontakt und unsere gemeinsame Freundesgruppe ist auch noch dieselbe von früher. Aber er hat nie erwähnt, dass er jemanden hat. Geschweige denn, dass er vorhat zu heiraten", sagte ich fassungslos.

"Das ist nicht mal ne Savethedate-Karte", sagte Helen dann irritiert mit zusammengezogenen Augenbrauen.

"Stimmt", nickte Adrian.

"Entweder hat er spontan entschieden, dich noch einzuladen, oder diese ganze Hochzeit ist so spontan, dass sie keine Zeit mehr für Save the Date Karten hatten", überlegte meine beste Freundin.

Mir wurde immer schlechter, aber ich wusste nicht, ob es an meinem Kater oder an dieser verdammten Einladung lag.

"Die ist ja schon in 3 Wochen!", sagte Helen überrascht.

"Schau mal, da wurde dein Name nachträglich draufgetragen", fügte Adrian dann hinzu.

"Wie?", fragte ich irritiert und beugte mich über den Tisch.

Tatsächlich war alles gedruckt, außer mein Name, der dort handschriftlich über einem weißen Balken hinzugefügt wurde. Ich erkannte diese Handschrift. Es war Noahs Handschrift.

"Auf gar keinen Fall!", rief ich dann aus und verschränkte die Arme.

"Du gehst da nicht hin? Empfindest du noch was für ihn?", fragte Helen dann überrascht.

Ich legte beide Zeigefinger aneinander an meine Lippen, während ich nachdachte.

"Es ist so lange her. Er war meine erste große Liebe. Aber nein, ich empfinde nichts mehr für ihn", sagte ich dann nach einer Weile. Vielleicht hatte ich immer ein wenig gehofft, dass wir wieder zusammenkommen könnten, wenn wir beide fertig waren mit dem Studium. Aber vielleicht war das auch eine Traumvorstellung gewesen. Er war in der Heimat geblieben, während ich nach London gezogen war. Und obwohl mein Studium jetzt beendet war, hatte ich kein Interesse zurück nach Coverack in Cornwall zu ziehen.

Daher war es ohnehin bloß eine Illusion gewesen.

"Dann geh doch hin!", sagte Helen dann.

"Hier steht: Mit Begleitung! Du könntest mich mitnehmen", erklärte Helen dann.

"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", murmelte ich dann.

"Hey eine ganze Woche auf der Isle of Skye, komplett bezahlt? Da würde ich nicht nein sagen", sagte Helen schulterzuckend.

Adrian stand währenddessen auf und machte sich noch einen Kaffee. "Ich leg mich nochmal hin", sagte er dann.

"Hey hey hey! Warte", rief Helen.

Adrian drehte sich um und schaute sie fragend an.

"Ihr beide geht hin!", sagte Helen erfreut.

"Was? Wieso?", fragten Adrian und ich gleichzeitig.

"Na ja, du kannst da ja nicht ohne jemanden auftauchen. So kommst du immerhin ebenfalls mit männlicher Begleitung", sagte sie dann.

"Auf gar keinen Fall!", sagte Adrian dann.

Ein wenig verletzte mich diese Aussage, war es denn wirklich so schlimm, sich eine Woche lang für meinen Freund auszugeben?

"Adrian hat Recht", murmelte ich dann an Helen gewandt, "das ist eine doofe Idee. Ich kann da auch alleine hinfahren. Ich hab da kein Problem mit".

"Ach quatsch, einer von uns sollte auf jeden Fall dabei sein"

"Das wird seltsam werden. Ich weiß nicht, ob ich da überhaupt hin soll", zweifelte ich weiter.

"Adriaaaaan", Helen schaute Adrian mit ihrem Welpenblick an.

"Nein, ich werde garantiert nicht so tun, als sei ich Ellys Freund", er schüttelte den Kopf und verschwand aus der Küche.

"Hm, das war deutlich", murmelte ich dann, während ich ihm nachdenklich hinterher sah.

"Buch den Flug für zwei Personen! Du gehst da hin", sagte sie eindrücklich, "und ich begleite dich".

Ich konnte es wirklich nicht fassen, dass ich mich von Helen dazu überreden ließ, dorthin zu gehen. Ein paar Stunden später, hatte ich tatsächlich Flüge zu dieser gottverdammten Insel gebucht. Mein Herz wollte einfach nicht aufhören, wie wild zu schlagen. Ich hatte Noah nun seit über 5 Jahren nicht mehr gesehen und auch wenn wir sporadisch immer wieder geschrieben hatten, war es doch etwas anderes, nun auf seine Hochzeit zu gehen. Wer war diese Amber? Wie war sie? Kannte ich sie? Ich konnte nicht aufhören, mir den Kopf darüber zu zerbrechen.

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