Kapitel 10 - Literatur und Reisen

Hallo ihr Lieben! Normalerweise versuche ich Author's Notes in den Kapiteln zu unterlassen, weil ich finde, dass das den Lesefluss stört. Aber ich würde hier gerne eine kurze Triggerwarnung aussprechen. 

Für die jenigen, die nicht gespoilert werden und die Warnung nicht lesen wollen, könnt ihr gerne bis zum Stern scrollen. 

Für alle anderen kommt hier die Triggerwarnung:
In diesem Kapitel kommt Alkoholismus in der Familie vor, jedoch ohne genauere Beschreibung und auch ohne Gewaltauswirkungen. Ich wollte es nur dennoch anbringen, da dies ein sehr sensibles Thema sein kann. Sollte euch dieses Thema triggern, achtet bitte gut auf euch. Ich werde die entsprechende Szene mit einem Pfeil und TW markieren, sodass ihr sie überspringen könnt, ohne auf das Kapitel zu verzichten. 

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Das Streichquartett, das vorhin noch im Garten gespielt hatte, war ins Innere des Hotels gezogen und spielte ein fröhliches Lied aus den 50er Jahren. Die meisten Gäste hatten bereits an den runden Tischen Platz genommen. Sie waren fein mit weißen Tischdecken dekoriert. Auf jedem Tisch waren weiße Rosen zu sehen. Nicht meine Lieblingsblumen, aber zu Amber schienen sie gut zu passen. Ich erinnerte mich gut daran, dass ich immer über Rosen hergezogen und Noah einen Schwur abverlangt hatte, mir niemals Rosen zu schenken. In der Welt der Blumen gab es weitaus schönere Sorte als die Rose, die meiner Meinung nach überschätzt war. Es grenzte an Ironie, dass es nun die weißen Exemplar eben solcher Blumen waren, die diese Hochzeit schmückten.

Weiße Servietten, goldenes Besteck und aufwendig verzierte Gläser schmückten die Tafel. Die Anzahl der Gabeln und Messer ließ erahnen, wie viele Gänge uns an diesem Abend erwarteten.

"Verhungern werden wir wohl nicht," bemerkte Adrian trocken, was mir ein breites Grinsen entlockte.

Wir steuerten auf einen runden Tisch zu, an dem noch sechs Plätze frei waren. Becca und Keith waren noch nicht eingetroffen, während die anderen Tische bereits gut besetzt waren

Wir nahmen Platz, und ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Das Streichquartett spielte immer noch die beschwingte Melodie aus den 50er Jahren, die dem eleganten Speisesaal eine nostalgische Note verlieh. Die Gäste unterhielten sich leise, ihre Stimmen vermischten sich mit den sanften Klängen der Musik. Adrian saß neben mir und strich beiläufig über die Tischdecke, während er sich umblickte.

Mir fiel die Karte auf, die in der Mitte des Tisches aufgestellt war und griff nach ihr. Sie zeigte ein 5 Gänge Menü vom allerfeinsten. Lachs-Pastete, Krabbensüppchen und Steinbutt in Weißweinsoße ließen bereits das Thema vermuten – Fisch. Eine kleine Schrift in italic informierte über die Regionalität dieser Produkte. Schottland war nicht nur für seine wunderbaren Hügel und Wiesen bekannt, sondern auch für die Vielfalt in ihren Meeren. Das hatte ich nicht gewusst. Ich musste zugeben, dass ich beeindruckt war. Amber und Noah hatten wirklich viel Arbeit in diese Hochzeit gesteckt. Ich fragte mich, ob sie das alles alleine getan oder jemanden dafür engagiert hatten.

Ich war noch in meine Gedanken vertieft, als ich plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Als mein Blick sich vom Streichquartett löste, konnte ich einen Mann mit grauem Bart erkennen, den ich noch allzugut von früher kannte.

"Mr. Harrison", sagte ich erfreut, stand auf und reichte ihm die Hand.

"Elizabeth", erwiderte der Mann, der früher mein Englischlehrer gewesen war. Ich lächelte, hatten wir uns doch immer gut verstanden. Ich war eine seiner besten Schülerinnen gewesen und er führte außerhalb der Schule auch noch eine Buchclub, den ich vor meinem Umzug nach London regelmäßig besucht hatte.

"Elly, Mr. Harrison", korrigierte ich und konnte nicht aufhören zu lächeln.

"Stimmt, es ist noch so ungewohnt, sie abseits der Schule wiederzusehen", lachte er auf und schaute dann zu Adrian, der mittlerweile ebenfalls aus Höflichkeit aufgestanden war.

„Adrian Wilson, Sir", stellte sich Adrian höflich vor. Ein seltsames Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. Ich mochte diese höfliche Seite an ihm. In unserer Wohngemeinschaft konnte er manchmal so desinteressiert wirken, doch das schwankte oft. Mal war er unglaublich freundlich, dann wieder eher distanziert. Er war nie unhöflich, immer liebenswürdig, aber diese Unberechenbarkeit hatte mich stets verunsichert. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, und erst als Mr. Harrison sich räusperte, wurde mir bewusst, dass ich Adrian anstarrte. Rasch wandte ich meinen Blick ab und sah mit heißen Wangen zu meinem ehemaligen Englischlehrer.

„Ist hier noch ein Platz frei für einen alten Herrn?", fragte Mr. Harrison freundlich, während er seine ovale Brille auf der leicht krummen Nase zurechtrückte und uns mit seinen hellgrauen Augen durchdringend, aber warmherzig musterte.

„Natürlich", antwortete ich schnell und bot ihm einen Stuhl an, auf den er sich nach ein paar Sekunden mit einem dankbaren Lächeln niederließ.

Eine Weile herrschte Schweigen, da er dem Streichquartett zuhörte.

"Wie geht es ihnen in London?", fragte er nach einer Weile.

"Gut, ich bin mit dem Studium fertig und schaue, wo mich das Leben hinführt. Wie geht es ihnen? Wie ist es in Cornwall?", stellte ich ihm die Gegenfrage.

"Ach es hat sich nicht viel geändert. Ich lehre mittlerweile an der Universität Literatur. Das macht sehr viel Spaß. Sie wissen doch, Studenten sind leichter zu begeistern, als Schüler, die nur andere Sachen im Kopf haben."

Ich musste leise lachen: "Ja, Studenten, die wirklich Literatur studieren, haben vermutlich mehr Interesse daran zuzuhören."

"Meistens jedenfall", erwiderte er ebenfalls mit einem Lachen.

"Ansonsten hat sich aber nicht allzu viel verändert", sagte er dann, nach einem Moment der Ruhe. Seine Miene wurde ernster, während er mich musterte und dann seufzte.

Ich konnte mir vorstellen, weswegen er mich so sorgenvoll betrachtete.

"Ich weiß", flüsterte ich, senkte meinen Blick und fing an mit dem Glas vor mir zu spielen.

"Machen sie sich keine Gedanken, mein Kind", lächelte er dann, "es hat Ihnen gut getan, die Stadt zu verlassen."

TW → 

Manch einer mochte vermuten, dass es hier um Noah ging, doch ich wusste, dass er von meinem Vater sprach. Ein Trunkenbold, der stets von einer Bar zu nächsten hüpfte und einst ein guter Freund von Mr. Harrison gewesen war. Ich schluckte.

"Ja, das stimmt", murmelte ich.

Mein Vater war zum Glück einfach nur verschwunden, nicht anwesend gewesen. Ich wusste, Alkohol konnte weitaus schlimmere Konsequenzen mit sich tragen. Er verbrachte seine Zeit in Bars und mit Frauen, die er kaum kannte, verschwand quasi von der Bildfläche. Doch er blieb in der Stadt und so war ich gezwungen zuzusehen, wie die ganze Stadt über ihn herzog. Es war mir lange schwergefallen, zu verstehen, dass sein Verhalten nichts über mich aussagte. Ich war nicht er und seine Taten hatten keinen Einfluss darauf was ich für ein Mensch sein konnte. Doch obwohl ich das wusste, wog die Last dennoch hin und wieder schwer auf meinen Schultern. Ich hatte mir oft gewünscht, er würde vollkommen verschwinden und gleichzeitig, diesen Unsinn lassen und wieder zurückkehren. Beide kontrastreiche Wünsche, waren nicht in Erfüllung gegangen und so hatte ich entschieden zu gehen. Ich konnte mir das nicht mehr ansehen, ihn manchmal Nachts betrunken von der Straße zu kratzen und nach Hause zu bringen, hatte mein Herz mehr als einmal gebrochen. 

← TW Ende

Ich spürte Adrians Blick auf mir. Gut Vorstellbar, dass er dachte, Mr. Harrison machte sich Sorgen um mich wegen Noah.

"Übrigens habe ich den Buchclub wieder ins Leben gerufen", fing Mr. Harrison auf einmal an und wechselte, zu meinem Glück, das Thema. Erleichtert atmete ich geräuschvoll aus, ehe ich lächelte.

Überrascht hob ich meine Augenbrauen.

Der Buchclub war vor einigen Jahren pausiert worden, da nicht mehr genug Teilnehmer, zu den Treffen gekommen waren. Oft saßen Mr. Harrison und ich alleine in der alten Bibliothek. Mittlerweile war er jedoch Professor an der Universität in Cornwall und ich konnte mir vorstellen, dass sich das nun geändert hatte.

"Wirklich?", fragte ich mit einem Lächeln.

„Ja, viele Studenten haben sich das gewünscht, und ich habe beschlossen, mich dem technischen Zeitalter zu stellen und mich mal mit meinem Laptop anzufreunden", erklärte er mit leuchtenden Augen. „Wenn ich den Club online anbiete, können viel mehr Menschen daran teilnehmen. Wie finden Sie die Idee?" Er wirkte so begeistert, dass es beinahe rührend war, ihn dabei zu beobachten, wie stolz er auf seine neu gewonnene Erfahrung mit der Technik war.

"Das klingt fantastisch!"

"Ich habe bereits eine Liste möglicher Werke angelegt und wollte auch einen Blog starten"

"Nicht schlecht, Mr. Harrison"

Er zuckte mit den Schultern, während ein Grinsen Lachfalten auf seinem Gesicht brachte.

"Ja ja, der alte Mann kriegt doch noch was hin"

Ich lachte, spürte wie sich mein Herz erwärmte.

Der Speisesaal füllte sich allmählich, und auch die Plätze an unserem Tisch wurden nach und nach besetzt. Mrs. Harrison hatte sich zu uns gesellt, nachdem sie ihrem Mann einen liebevollen Kuss auf die Stirn gehaucht hatte. Sie freute sich sichtlich, mich zu sehen, und bald unterhielten wir uns angeregt über ihre Bäckerei, die sie nun schon seit dreißig Jahren erfolgreich führte.

Im Laufe des Gesprächs stellten uns die Harrisons ein junges Paar vor, das ebenfalls an unserem Tisch Platz nahm. Sie hatten beide Literatur studiert und kannten Noah wohl aus ihren Studienzeiten. Das Paar erzählte begeistert von ihrem ausgebauten Van, mit dem sie regelmäßig durch England reisten. Ihre Augen leuchteten, als sie von ihren Abenteuern erzählten, und für einen Moment schien die steife Atmosphäre der Hochzeit ein wenig aufzulockern.

"Und nächstes Jahr geht es nach Portugal", fing George an zu erzählen.

"Sobald dieser Herr das Studium endlich abgeschlossen hat"

Verlegen legte der junge Mann seine Hand an den Nacken.

"Ich gebe zu, ich habe es maximal ausgereizt"

"Dem kann ich nur zustimmen", grunzte Mr. Harrison belustigt.

Sie erzählten uns begeistert von ihrer geplanten Route nach Portugal und holten ihre Handys hervor, um uns Fotos von ihrem ausgebauten Van zu zeigen. Die Liebe zum Detail und die Abenteuerlust, die sie in ihre Reisen steckten, waren unverkennbar. Während ich die Bilder betrachtete, konnte ich mich dem Ziehen in meinem Magen nicht entziehen. Unweigerlich erinnerte mich all das an die Urlaube, die Noah und ich einst gemeinsam unternommen hatten. Damals hatten wir ebenfalls davon geträumt, Europa zu erkunden, mit wenig Komfort, aber voller Freiheit. Der Gedanke daran ließ alte Gefühle aufwallen, und ich spürte, wie die Erinnerungen an eine Zeit, die längst vergangen war, mich leise überkamen.

Irgendwie gelang es mir, die aufkeimenden Erinnerungen zurückzuschieben und zu verdrängen. Zum Glück wechselte das Gespräch bald das Thema, als Mr. Harrison begann, leidenschaftlich über die besten Romane des Jahres zu sprechen. Ich hörte zunächst schweigend zu, in meinen eigenen Gedanken gefangen, bis ich mich schließlich dazu aufraffte, am Gespräch teilzunehmen. Zu meiner Überraschung war auch Adrian tief interessiert und diskutierte eifrig mit. Ich wusste, dass er gerne las, aber ich war erstaunt, wie viele Bücher er in diesem Jahr verschlungen hatte. Seine Begeisterung war ansteckend, und für einen Moment vergaß ich die bittersüßen Erinnerungen, die noch in der Luft hingen.

"Was machen sie beruflich?", fragte Harrison dann interessiert.

"Ich bin freiberuflicher Redakteur", erklärte Adrian dann, nippte dabei kurz an seinem Weißwein, welcher ihm zu der Krabbensuppe gereicht wurde.

"Oh Spannend! Sie sind also auch ein Freund des geschriebenen Wortes"

"In der Tat. Ich arbeite für Verläge, Agenturen und Unternehmen", fuhr er fort.

"Das klingt spannend!"

Ich lächelte in mich hinein, während die Unterhaltung über Kunden und das Leben als Freiberufler immer tiefer ging. Es war schön zu sehen, wie Adrian und Mr. Harrison sich so gut verstanden, ihre Stimmen im Rhythmus einer entspannten Unterhaltung flossen. Irgendwie berührte es mich, wie mühelos Adrian sich in die Gruppe einfügte. Obwohl unsere Beziehung nur ein Spiel für diese Feier war, spürte ich dennoch einen warmen Stolz in mir aufsteigen. Ein kleiner Teil von mir genoss es, ihn an meiner Seite zu haben – selbst wenn wir uns nur etwas vormachten.

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