8 - Utopia
,,Nein!", hauchte Tamara. Sie zitterte wie Espenlaub, als sich die Bilder in ihr Gehirn einbrannten. ,,Nein!". Doch die Erinnerung würde nicht vergessen werden. Nicht wieder.
Jahrelang hatte sie sich Antworten gewünscht, ein Fetzen einer Erinnerung - jetzt wünschte sie sich mit aller Macht ihre Unwissenheit zurück.
,,Es ist meine Schuld... meine".
Sie wusste nicht, was genau sie getan hatte. Aber sie wusste, dass es tausende Leben ins Unglück gestürzt hatte. Sie hatte Unschuldigen das Recht und die Möglichkeit auf ein glückliches, freies Leben gestohlen, ihnen ein ruhiges Gewissen verwehrt.
War egoistisch gewesen, selbstfixiert und dumm. Ein kleines, verwöhntes Mädchen das nicht verstand, dass die Spielwiese auf der es sich bewegte, lichterloh brannte.
Sie zitterte in ihren Fesseln und Miles bedachte sie mit einem mitleidigen Blick, machte jedoch keine Anstalten ihr zu helfen.
Panisch versuchte Tamara die Bilder wieder aus ihrem Kopf zu verbannen - doch wenn sie sich einmal eingenistet hatten, weigerten sie sich wieder zu gehen. Wie mit allem in ihrem Leben.
Ein leises Räuspern riss sie aus ihrer zerstörerischen Abwärtsspirale. Miles schien nun doch genug von ihrem momentanen Zustand zu haben und trat zu ihr hinüber.
Kleinlaut wandte Tamara den Blick ab und schüttelte sich die Haare wie einen Vorhang vors Gesicht. Sie hasste es, in ihren schwachen Momenten beobachtet zu werden. So war sie nicht! Sie war nicht schwach. Und sie wollte auch nicht dafür gehalten werden.
Große Hände fuhren ihren Rücken hinab, machten sich an ihren Fesseln zu schaffen und Tamara drehte sich bei der ungewünscht intimen Berührung der Magen um. Denn nicht nur wahr ihr die Berührung für einen Fremden zu viel - die Hände an ihrer Rückseite fühlten sich auch noch bekannt an. Zu bekannt. Doch so sehr sie auch suchte, sie bekam kein Bild zu dem Krieger zu fassen.
Als die Seile endlich von Tamara abfielen stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Rot-blaue Striemen zierten ihre Arme, ihren Bauch und ihre Hände, wobei sie sich als erstes das verrutschte Oberteil wieder zurechtzog.
Hätte sie beim Anziehen gewusst, was ihr bevorstand... sie hätte das Tanktop ausgetauscht.
Unsicher stand sie auf und tat einen wackligen Schritt ins Innere des quadratischen Raumes. Sofort protestierte ihr Kopf mittels grausamer Schmerzen und sie knickte sofort wieder ein. Bevor sie jedoch hart auf dem Boden aufkommen konnte, schlang sich ein, gar nicht mal so fremder, Arm um ihre Taille und zog sie wieder nach oben. Hellgrüne Augen kamen den ihren viel zu nah.
Peinlich berührt drehte sie den Kopf weg, in der Hoffnung Miles würde ihre Verlegenheit erkennen und sie wieder loslassen.
Doch stattdessen, zog er sie sanft durch den Raum, bis zu einer kaum erkennbaren Tür.
,,Du musst dich umziehen", brummte er, lies sie jedoch noch immer nicht los.
,,Ähm...".
,,Mein Auftrag ist es, doch zu beschützen, und in diesem Aufzug kannst du nicht alleine draußen herumlaufen".
Um eine Antwort verlegen, blickte sie einfach nur zu Boden, doch als Miles sie durch die helle Tür schob, konnte sie nicht anders als einen Blick hinauf zu wagen.
Mit offenem Mund blieb Tamara stehen. Wo auch immer sie war - ihre Welt war es nicht mehr.
Gebäude erstreckten sich in den unmöglichsten Konstruktionen entlang der Wege, alles schimmerte als wäre es aus Diamanten erbaut und die Luft war erfüllt von glitzernden Blasen, die einen sanften Lavendelduft verströmten.
Die Farben waren hell und leuchtend, jedoch vollkommen anders als Tamara es gewohnt war.
Der Himmel leuchtete rosa, das, was Tamara für Gras hielt glitzerte pfirsichfarben und was aussah wie Gestein, hatte die Farbe von Smaragden.
Doch dann sah sie die... Wesen die durch die Straßen liefen und war der zweiten Ohnmacht des Tages nahe.
Hochgewachsene Frauen mit Hörnern und ledrigen Flügeln, in 20-Jahre-Partykleidern, Männer mit blauer, von Sternen überzogener, Haut in maßgeschneiderten Anzügen. Damen in viktorianischen Kleidern, die von hinten ganz gediegen und vornehm aussahen, dann jedoch eine Reihe von spitzen Zähnen, giftigen Klauen und Drachenaugen entblößten. Herren im Frack, die Vampiren ähnlicher sagen, als Tamara es sich je hätte ausdenken können, jedoch bunt glitzernde Haarschöpfe hatten.
Wohin Tamara auch sah, das Unmögliche sprang ihr nahezu ins Gesicht.
Miles jedoch manövrierte sie unbeeindruckt durch die Menge, in Richtung eines großen, aus glänzenden, backsteinähnlichen Steinen erbauten, Turm. Das Licht, welches aus einer undefinierbaren Quelle erschien, prallte an dem Mauern ab und man konnte das imposante Gebäude nicht ansehen ohne sich die Hand vor die Auge zu halten.
Miles führte sie um den Turm herum zu einer kleinen, unscheinbaren Holztür die Tamara überraschend normal vorkam. Sie wartete auf Miles, sie zu öffnen, doch er blieb mit einem Sicherheitsabstand von beinahe drei Metern stehen und senkte den Blick.
,,Ich kann nicht mit hier rein kommen", erklärte er leise und Tamara sah wie er rot anlief.
,,Aber...", stotterte sie und fühlte sich mit einem Mal seltsam verloren. ,,Wo soll ich denn hingehen? Was soll ich tun?".
,,Du wirst erwartet".
Und damit verließ Miles sie.
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