5 - Gedankenkarussel
Hämmernde Kopfschmerzen begrüßten Tamara zurück in der Wirklichkeit. Kratziger Stoff lag auf ihrem Gesicht, erschwerte jeden Atemzug und Staub brannte in ihren Augen.
In dem Versuch sich aufzusetzen musste sie feststellen, dass Hände und Füße mit festen Seilen gefesselt waren, ebenso wie der Rest ihres Körpers, der sich kaum rühren konnte. Ihr Kopf steckte scheinbar in einem groben Sack, dessen Stoff über ihre Haut kratzte.
Altmodisch. Hätten sie mich nicht auf elegantere Weise entführen können? Mit Metallketten oder so was?, schoss es ihr banalerweise durch den Kopf, doch sie schob es auf den Schock. Falls sie einen gehabt hatte. Aber irgendwas musste dich für die absurden Gedanken verantwortlich sein, die ihr Gehirn ihr förmlich entgegenschrie.
,,Du magst es anders sehen, aber glaub mir: Metallketten sind noch viel uneleganter. Das ständige Rasseln, die aufgeschürfte Haut, zu viel Bewegungsfreiheit - das alles lässt sich mit Seilen viel besser lösen", ertönte eine amüsierte Stimme hinter ihr.
Was?! Wie zur Hölle...? Ruckartig fing sie an zu zappeln, versuchte ihrem Wächter zu entkommen und robbte wie ein Wurm über den kalten Boden. Sie wusste, dass sie so nicht weit kommen würde - aber sie verdrängte sturköpfig die hartnäckige Stimme in ihrem Kopf die sie zum Aufgeben bewegen wollte.
Die Stimme des Mannes wurde zu einem Lachen. ,,Glaub mir, das bringt dir nichts".
Mit zwei Schritten war er bei ihr, packte sie grob und hob sie hoch. Tamara wollte schreien, doch, wie konnte sie das nur noch nicht gemerkt haben?, ein Knebel steckte in ihrem Mund, fest und erstickend.
,,Beruhig dich", brummte der Mann, als sie zu zappeln begann, versuchte sich den unsanften Händen zu entwinden. ,,Ich werd dir schon nicht wehtun". Das hast du schon längst. ,,Glaub mir Süße,", lachte der Fremde, ,,deine leichten Kopfschmerzen sind nichts im Vergleich zu dem, was wir dir antun könnten!".
Wie... wie... wie zur Hölle wusste er was sie gedacht hatte? ,,Gewöhn dich dran. Das könne wir alle, solange du dich nicht dagegen wehrst". Wir alle?! Sofort flutete Tamara ihren Geist mit einer Salve von Beleidigungen , bei denen ihre Adoptiveltern vor Scham rot angelaufen wären. Der Griff um ihren Körper wurde schmerzhaft fest. ,,Lass das besser, wenn du weißt, was gut für dich ist", flüsterte der Mann, doch sie bereute es nicht. Kein Stück. Er hatte jedes Wort verdient.
So plötzlich wie er sie hochgehoben hatte, ließ der Mann sie auch wieder fallen, diesmal zumindest auf eine Art... Matratze? Oh mein Gott, was wenn...? Ihr wurde übel bei dem Gedanken, wie schutzlos sie dem Wohlwollen dieser Fremden ausgeliefert war. Je nachdem wie gierig sie waren...
Helles Licht blendete Tamara, als ihr der Sack mit einem Ruck vom Kopf gerissen wurde. Über sie gebeugt stand ein Mann in den Dreißigern, rotbraunes Haar klebte verschwitzt an seiner Stirn und der Bart sah aus, als müsste er dringend mal rasiert werden. Die Nase machte den Eindruck als wäre sie unzählige Male gebrochen worden, die hellgrünen Augen blitzten wütend und er sah aus, als wollte er Tamara am liebsten den Hals umdrehen. ,,Was glotzt du so blöd?", blaffte er und Tamara sah sofort woanders hin. Sie hatte wirklich gestarrt, wenn auch nicht aus Gründen der Attraktivität. Er hatte nur absurde Ähnlichkeit mit... mit jemandem den sie kannte.
Nun erst fiel ihr ihre Umgebung ins Auge. Helle Wände, keine Möbel, eine Glasscheibe gewährte Einblick in einen weiteren, leeren Raum. Nur ihre Matte lag auf dem Boden, Stroh quoll unter dem Laken hervor. Stroh? Wo war sie hier - im Mittelalter? Das alles wollte nicht zusammen passen...
Ein scharfes Zischen ertönte und plötzlich schwebte ein glänzendes Schwert nur wenige Zentimeter über ihrem Gesicht. Vor Schreck erstarrte sie, während in ihrem Inneren die Panik tobte. Eine falsche Bewegung und ihr ganzes Gesicht würde aufgeschlitzt werden.
,,Halt still!", herrschte der Rotschopf sie an, als sie versuchte, das Gesicht von der Klinge wegzudrehen. Mit aufgerissenen Augen sah Tamara ihn an und meinte tatsächlich etwas wie Mitleid in seinen Augen zu erkennen - doch es konnte genauso gut Einbildung sein, denn bevor die sich vergewissern konnte, gewannen sie ihre harsche Kälte zurück.
Ohne besonders vorsichtig zu wirken, trennte der Mann einen Teil ihres Knebels durch und riss ihn abrupt aus ihrem Mund. Schmerz durchzog Tamara und ein kleiner Schrei entfuhr ihr. Ihr Mund brannte, ihre Kehle war trocken wie die Wüste, doch... sie konnte wieder richtig atmen. Gierig sog sie Luft in ihre Lunge, kalt und frisch.
,,Was...", versuchte sie sich an einem Satz, doch ihre Stimme weigerte sich. Ein plötzlicher Würgreiz überkam Tamara und sie kniff die Augen zusammen. Das einzelne Wort, hatte sich angefühlt als würden ihre Stimmbänder reißen und Sandpapier ihren Hals entlangfahren. Autsch.
Trotz ihrer Reaktion sah der Mann vor ihr sie nur mitleidig an. Nein, nicht mitleidig. Abschätzend. Gelangweilt. Als wäre sie nur eine von vielen und er würde das hier jeden Tag erleben. Er hatte verdammt noch mal ein Schwert! Wo war sie hier??! ,,Glaub mir, das willst du nicht wissen".
Als wäre nichts geschehen, hatte der Fremde ein Tuch hervorgezogen und polierte nun in alles Seelenruhe seine Klinge. Dann kam er auf sie zu. ,,Außerdem darfst du es auch gar nicht wissen. Wenn ich die auch nur den Hauch einer Info gebe - wo du bist, was du hier machst, wer ich bin, wer du bist - köpfen sie mich schneller als ich Unfair sagen kann. Also stell keine Fragen und sprich nur wenn du gefragt wirst. Sonst reitest du uns beide in die Scheisse". Langsam kam sie wirklich nicht mehr mit. Was war hier los? Wieso war sie hier? Und am wichtigsten, wie kam sie wieder nach Hause?
Bevor sich ihr ängstliches Gedankenkarussel jedoch weiterdrehen konnte, öffnete sich eine verborgene Tür und eine Gruppe der seltsamst gekleideten Leute die Tamara je gesehen hatte trat ein. An ihrer Spitze lief... Nein. Das konnte nicht wahr sein.
,,Wie schön dich wieder wohlauf zu sehen, Tamara Degray!"
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