Nikolas Harold - So hieß der angebliche Meisterspion. Nicht gerade mysteriös, dachte Brooks, als er den Mann genauer betrachtete. Schon als Nikolas Platz genommen hatte, fiel Brooks auf, wie wenig er dem Bild eines Undercover-Agenten entsprach. Obwohl Brooks nie einem echten Geheimagenten gegenübergestanden hatte, hatte er durch die Medien gewisse Erwartungen an diese Art von Person. Nikolas Harold erfüllte diese Erwartungen bei weitem nicht.

Harold war in seinen Mittzwanzigern, trug ein zu großes blaues Poloshirt und braune Shorts. Sein hageres Gesicht mit dem fliehenden Kinn verlieh ihm praktisch dauerhaft einen passiven Ausdruck. Nein, dieser Kerl sah wirklich nicht wie ein Spion aus.

»Also gut, Mister Harold...«, begann Brooks das Gespräch. Nach den drei bisherigen Befragungen mit mäßigem Erfolg hatte Brooks beschlossen, diesmal offensiver vorzugehen.

Diesmal würde er keine Spielchen dulden. Also setzte er sein strengstes "Ich bin hier der Chef"-Gesicht auf und fixierte Nikolas mit zusammengekniffenen Augen.

»Mir liegt ein Zeugenbericht vor, dem zufolge Sie im Besitz einer Videodatei sind, die den heutigen Vorfall zeigt. Ist das korrekt?«, fragte Brooks. Nikolas schien unter dem durchdringenden Blick des Ermittlers immer mehr zusammenzufallen und nickte hastig.

»Ja«, presste er eingeschüchtert heraus. Seine Augen suchten unruhig den Raum ab, als ob er unbewusst nach einem Fluchtweg suchen würde. »Aber irgendwie auch nicht...«

Brooks schnaubte verärgert. Was zum Teufel sollte das schon wieder bedeuten?

»Haben Sie nun gefilmt oder nicht?«, fragte er ungeduldig.

»Habe ich«, antwortete Nikolas hektisch und schob gleichzeitig eine Hand in die Hosentasche. »Aber nur das Ende... nicht alles.«

»Ich verstehe«, sagte Brooks skeptisch. Er betrachtete das Handy, das sein Gegenüber gerade auf den Tisch gelegt hatte. »Warum haben Sie überhaupt gefilmt?«

»Naja...«, begann Nikolas, während seine Wangen rosa wurden und sein Blick erneut nervös durch den Raum wanderte. »...es ist mir irgendwie peinlich, aber die ganze Situation war so verrückt, dass ich sofort mein Handy gezückt habe. Sonst würde mir das ja keiner glauben.«

Die Jugend von heute und ihre verdammten Handys, dachte Brooks, nickte aber zustimmend.

»Aha, ich würde das Video gerne selbst sehen, um mir ein Bild davon machen zu können.«

»Oh«, sagte Nikolas und griff hektisch nach dem Gerät. »Natürlich, das ist kein Problem.« Sein Zeigefinger flog über das Display, während seine Augen langsam zum Gesicht des Polizeibeamten wanderten. Er schluckte hörbar und räusperte sich.

Der Beamte zog eine Augenbraue hoch. »Gibt es ein Problem?«, fragte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass es besser keines gab.

»Ähm nein... also, es ist nur sehr peinlich, das Video...«

Als Brooks diesmal sprach, klang er versöhnlicher. »Keine Sorge, so schnell bringt mich nichts aus dem Konzept.«

Nikolas nuschelte etwas Unverständliches, schob dann aber das Handy in Richtung Brooks. Dieser nahm es ohne zu zögern entgegen und platzierte es vor sich, um einen guten Blick darauf zu haben.

Nikolas' Behauptung, nur das Ende gefilmt zu haben, war stark untertrieben. Das Beweisvideo bestand aus einer knapp einminütigen, schrecklich verwackelten Aufnahme. Obwohl das Bild holprig war, war der Ton erstaunlich klar.

"Lass los... du ..." - "Halt ihn fest... pass auf, er... Mist" - "Ey, hör auf so zu zappeln! Ahhh... spinnst du, Alter?!" - "Passt doch auf, ihr..." - "IN DECKUNG"

Dann ein lautes Krachen, gefolgt von einem etwas leiseren Poltern. Eine Stimme, die Brooks sofort als Betsy identifizierte, rief: "Voll auf die Zwölf." Dann endete die Aufnahme.

»Was zum Teufel ist da passiert?«

»Hören Sie, ich wollte keinen Streit, aber diese Leute haben mir keine andere Wahl gelassen... Sie haben absurde Fragen gestellt und wollten ständig wissen, für wen ich arbeite.«

Um zu vermeiden, dass Nikolas ins Schwafeln geriet, hob Brooks hastig eine Hand. »Niemand gibt Ihnen die Schuld«, sagte er in versöhnlichem Tonfall. »Ich verstehe, dass das für Sie eine ungewöhnliche Situation sein muss, aber mein Job ist es, herauszufinden, was passiert ist.«

Er machte eine kurze Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Dann fuhr er fort: »Es wäre hilfreich, wenn Sie die Ereignisse kurz und sachlich wiedergeben könnten.«

Nun war es Nikolas, der kurz schwieg, bevor er schließlich einen weiteren Seufzer von sich gab. »Wenn es hilft.«

»Oh definitiv...«

»Als ich den Laden betrat, war zuerst alles wie immer. Mister Foster stand hinter dem Tresen und bei ihm waren drei andere Personen. Ich habe mir natürlich nichts dabei gedacht und bin zu einem der Regale gegangen, doch das Buch, das ich gesucht habe, war nicht da...«

Er brach ab und verzog den Mund, als hätte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

»Ich wollte fragen, ob das Buch womöglich verkauft wurde, doch als ich mich umgedreht habe, musste ich feststellen, dass mich alle vier anstarrten. Das war vielleicht seltsam... Jedenfalls habe ich dann meine Frage gestellt, woraufhin mir eine der Frauen, die jüngere um genau zu sein, unterstellt hat, dass ich ein Spion sei. Ehrlich gesagt habe ich das für einen dummen Witz gehalten und einfach nur gelacht.«

Verständlich, dachte Brooks, weshalb er zustimmend nickte.

»Das wiederum schien dem jungen Kerl nicht zu passen, denn er wiederholte die Frage und fügte hinzu, dass sie Beweise gegen mich in der Hand hätten. Ich habe einfach weitergelacht, was die Situation rückblickend nicht gerade entspannt hat. Mister Foster hat dann versucht, alle zu beruhigen, doch als mich der Junge als Vaterlandsverräter beschimpft hat und wissen wollte, für wen genau ich arbeite... also... ich habe ihn als Idioten bezeichnet.«

Nikolas klang beschämt.

»Die ältere Dame hat daraufhin angefangen, die anderen aufzustacheln. Sie meinte zu dem Jungen, dass er ein Held sei, weil er einen Spion fangen würde... da ist der Kerl plötzlich auf mich zugekommen...«

Seine Wangen färbten sich rot. Es war deutlich, wie unangenehm ihm das Ganze war.

»Ich wusste mir nicht anders zu helfen und habe das erstbeste Buch genommen und angefangen damit herumzufuchteln... Ich wollte wirklich niemandem weh tun, ich wollte einfach nur, dass der Junge weggeht. Irgendwann habe ich dann mein Handy herausgeholt und angefangen zu filmen.«

»Verstehe«, sagte Brooks. Das erklärte natürlich, warum das Bild so verwackelt war.

»Eine der Frauen schrie, dass ich Verstärkung rufen würde, und deshalb hat mich der Junge am Shirt gepackt. Da bekam ich Panik und wehrte mich noch heftiger. Dabei muss mir dann das Buch aus den Händen gerutscht sein. Es flog quer durch den Raum und landete schließlich mitten in Mister Fosters Gesicht. Der Junge und ich stürzten zu Boden. Irgendwann kam die Polizei, und... nun ja, jetzt sind wir hier.«

Brooks schwieg lange. Was sollte er auf eine solche Erzählung antworten?

»Eine letzte Frage hätte ich noch«, fand er letzlich seine Stimme wieder.

»Warum immer dasselbe Buch?«

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