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Während Thomas telefonierte, erlaubte ich mir einen kurzen Blick auf mein Handy. Natürlich hatte Lana mir geschrieben:
„Und wie ist es? Hast du ihn schon kennengelernt?"
Mit „ihn" meinte sie eindeutig Julien. Ich seufzte leise und tippte meine Antwort:
„Weiß nicht, ist alles noch ziemlich merkwürdig. Hab ihn kurz gesehen, er hat mir nicht mal wirklich Hallo gesagt. Die anderen scheinen nett zu sein."
Kaum hatte ich die Nachricht abgeschickt, legte Thomas auf und sah zu mir herüber. Schnell steckte ich mein Handy weg, doch er hatte es wohl bemerkt.
„Entspann dich, hier ist jeder mal am Handy", lachte er. Seine lockere Art war ansteckend. „Wir können die Kostüme später abholen. Aber erstmal..." Er warf einen Blick auf seine Uhr. „...ist es gleich Zeit für unsere Pause. Dafür brauchen wir Kaffee und Tee."
Ich folgte ihm in die Küche, die sich überraschenderweise im Keller befand. Die Atmosphäre hier war genauso gemütlich wie im Rest des Hauses, wenn auch etwas rustikaler.
„Wir treffen uns jeden Tag einmal hier in der Küche", erklärte Thomas, während er Wasser in den Wasserkocher füllte. „Alle, die gerade im Haus sind, kommen zusammen. Meist so gegen 11 Uhr. Dann wird etwas Warmes getrunken, vielleicht auch ein Snack gegessen. Zum einen weiß man dann, wer überhaupt da ist, und zum anderen, woran die Leute gerade arbeiten."
Während er sprach, wies er auf einen Schrank. „Wenn du magst, kannst du da oben schon mal den Holzkasten holen. Da sind lauter Teesorten drin."
„Klar", sagte ich und machte mich direkt an die Aufgabe. Es war nichts Großes, aber ich wollte unbedingt einen guten ersten Eindruck hinterlassen.
Der Holzkasten war überraschend schwer, als ich ihn aus dem Schrank hob. Ich stellte ihn auf die Arbeitsfläche und öffnete ihn, wobei mir ein angenehmer Duft von Kräutern, Früchten und Gewürzen entgegenschlug.
Thomas grinste. „Heute ist es wie gesagt wirklich entspannt. Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Es wäre gut, wenn du mir nachher dein Handy gibst, dann kann ich dir unseren Terminkalender draufspielen. Dann weißt du, worauf du dich eingelassen hast."
Ich lächelte leicht. Seine lockere Art half mir, mich langsam wohler zu fühlen. Es fühlte sich fast so an, als wäre ich schon länger hier.
Während er weiter mit den Vorbereitungen beschäftigt war, fragte er plötzlich: „Wieso studierst du eigentlich Kommunikationsdesign?"
Die Frage überraschte mich ein wenig, aber ich spürte, dass er wirklich neugierig war.
„Ich wollte immer etwas machen, das kreativ ist", begann ich. „Aber ich wollte auch, dass es einen praktischen Nutzen hat – etwas, das Menschen erreicht und inspiriert. Der Studiengang verbindet diese beiden Aspekte für mich."
Thomas nickte zustimmend. „Klingt nach einer guten Mischung. Und das merkt man deinen Arbeiten wohl auch an, wenn man bedenkt, dass Julien selbst auf dich aufmerksam geworden ist."
Ich errötete leicht bei dem Gedanken. „Ich glaube, ich habe einfach Glück gehabt."
„Vielleicht. Aber meistens steckt hinter so einem Glück auch viel Arbeit."
Seine Worte blieben bei mir hängen. Vielleicht hatte er recht.
Thomas' Worte hallten noch in meinem Kopf nach: „Ich bin auf jeden Fall gespannt darauf, wenn du dich hier erst einmal richtig mit einbringst." Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, hier wirklich etwas bewirken zu können. Kein Praktikum, bei dem ich nur Kaffee kochte. Die Möglichkeit, tatsächlich Teil des kreativen Prozesses zu sein, ließ mein Herz einen Moment lang schneller schlagen.
Ich spürte, wie sich mein Zopf langsam gelockert hatte, und zog das Haarband heraus, um meine Haare schnell zu einem Zopf zu flechten. Es war das Einzige, was ich ohne Spiegel halbwegs ordentlich hinbekam.
Plötzlich rief Thomas laut zur Treppe hoch: „PAUSE! Alles stehen und liegen lassen!"
Ich zuckte zusammen, erschrocken von seiner Lautstärke.
Er grinste. „Anders hören sie nicht. Die meisten haben Kopfhörer auf, wenn sie hier arbeiten. Deswegen auch immer das Kaffeetassen-Emoji in die WhatsApp-Gruppe schicken."
Ich musste lachen, als er sein Handy hochhielt und tatsächlich das Emoji in der Gruppe zu sehen war. Innerhalb weniger Minuten füllte sich die Küche. Die meisten setzten sich an den großen Tisch, während ich mit Thomas an die Arbeitsfläche gelehnt stehen blieb. Er drückte mir einen Becher Kaffee in die Hand, was ich dankbar annahm.
Als Letzte kamen Julien und Joon in die Küche. Julien lehnte an der Wand und hielt einen Becher in der Hand.
„Ich denke, wir sollten Mina hier erst mal offiziell willkommen heißen," sagte Thomas plötzlich. Alle Augen richteten sich auf mich, und ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden.
„Hi," brachte ich lächelnd hervor.
„Herzlich willkommen, Mina," sagte Julien mit einem leichten Lächeln, bevor er sich direkt an Josh wandte: „Wie weit seid ihr?"
Die Aufmerksamkeit richtete sich sofort wieder auf die Arbeit, und ich war fast erleichtert.
Josh, ein Mann mit rötlichen Haaren, begann zu sprechen: „Die Locations sind alle rausgesucht. Ich fahre nachher noch mal ins Studio, um zu klären, dass wir den Bluescreen brauchen."
Julien nickte. „Joon und ich sind mit Curly am Song schreiben. Ich würde sagen, es läuft durchwachsen," sagte er und sah dabei zu Joon.
„Der Refrain hakt noch ziemlich, aber Vince hat schon richtig gute Musikvorschläge geschickt," ergänzte dieser.
So ging es reihum, jeder berichtete, woran er arbeitete. Es war faszinierend, zu hören, wie viele unterschiedliche Projekte hier gleichzeitig liefen. Der Wunsch, all diesen kreativen Köpfen einmal über die Schulter schauen zu dürfen, wuchs in mir.
Nachdem jeder gesprochen hatte, leerte sich die Küche langsam wieder. Thomas wollte gerade etwas zu mir sagen, als sein Handy klingelte. „Oh, ja, Sekunde," sagte er, bevor er die Treppe hoch verschwand.
Etwas unschlüssig stand ich allein in der Küche. Mein Blick fiel auf die leeren Tassen auf dem Tisch, und um nicht untätig herumzustehen, begann ich, sie einzusammeln und in den Geschirrspüler zu räumen.
Joon und Julien unterhielten sich noch mit Josh, doch kurz darauf hörte ich Julien sagen: „Ich komm gleich."
Er stellte sich neben mich und stellte seinen Becher in die Halterung der Maschine.
„Dafür bist du nicht hier, das ist dir hoffentlich klar," sagte er mit einem eindringlichen Ton.
„Alles gut," erwiderte ich. „Aber alle sind gleich so aufgebrochen, um ihrer Arbeit nachzugehen, und noch hab ich ja keine festen Aufgaben."
Julien nickte langsam. „Die werden sich schneller finden, als du denkst."
Ich lächelte kurz, bückte mich, um die Klappe des Geschirrspülers zu schließen, und in diesem Moment spürte ich eine leichte Hand auf meinem Rücken und einen sanften Zug an meinen Haaren. Mein Zopf löste sich, und ich richtete mich überrascht wieder auf.
Julien stand da, mein Haarband lässig um sein Handgelenk geschlungen.
„Ich mag offene Haare lieber, und hübsche Dinge steigern die Kreativität. Merk dir das," sagte er grinsend, bevor er sich umdrehte und die Treppe hochging.
Perplex sah ich ihm nach. Was zur Hölle war das gerade?
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Ich wünsche euch schöne Weihnachten <3
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