64
Pov Mina
Mit einem leichten Pochen im Kopf wachte ich auf. Der letzte Shot war wohl einer zu viel gewesen. Ich seufzte, schälte mich aus dem Bett und nahm eine heiße Dusche, die zumindest einen Teil der Trägheit wegspülte. Heute hatte ich etwas mehr Zeit, also gönnte ich mir den Luxus, meine Haare mal etwas anders zu stylen. Rechts und links flocht ich sie locker und band sie hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen. Wie immer fielen ein paar Strähnen heraus, aber irgendwie sah das ziemlich süß aus. Zufrieden mit meinem Look füllte ich mir Kaffee in einen To-Go-Becher, schnappte mir die Autoschlüssel und stieg in Juliens Audi.
Langsam mochte ich das Auto, vor allem, wenn ich so zurechtgemacht darin saß und der Kaffeebecher perfekt in der Halterung passte. Doch während ich durch die Straßen fuhr, kam mir kurz mein Cabrio in den Sinn. Das stand in Berlin – falls es da noch stand. Ich hatte es damals nicht mitnehmen dürfen, und Kjell hatte vermutlich längst beschlossen, es zu verschenken, wie er es mit allem tat, was er nicht mehr brauchte.
Als ich um die Ecke bog, wartete Julien bereits auf dem Bürgersteig. Hände tief in den Taschen, die Haare zerzaust, sah er aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Ich hielt an und drückte den Knopf, um die Tür zu entriegeln.
Julien öffnete die Tür und steckte seinen Kopf ins Auto.
„Ist das nicht mein Auto?“ fragte er mit rauer Stimme, die seine Müdigkeit verriet.
„Durchaus möglich,“ erwiderte ich grinsend. „Aber jetzt sitz ich hier.“
Lachend stieg er ein, schloss die Tür und ließ seinen Blick über mich schweifen. Ich ignorierte es und fuhr los, während er seinen Kopf gegen die Fensterscheibe lehnte und herzhaft gähnte.
„Müde?“ fragte ich schmunzelnd.
„Die Frage ist eher, warum du nicht?“ gab er zurück.
„Kaffee macht’s möglich.“ Ich hob meinen Becher demonstrativ.
„Das sollte ich mir merken,“ murmelte Julien und nickte leicht.
Ein Moment der Stille verging, bevor ich ihn neckte: „Hast du den freien Tag gestern genossen?“
Julien zuckte die Schultern. „War okay. Hab ein bisschen gezockt, geschlafen... gefickt.“
Ich verschluckte mich beinahe an meinem Kaffee. Wie bitte? Warum erzählte er mir das jetzt? Ich war kurz sprachlos. „Schön... freut mich,“ murmelte ich schließlich und stellte den Becher zurück in die Halterung. Es war irgendwie... unangenehm.
„Und wie war dein Abend? Befriedigend?“ fragte Julien grinsend und warf mir einen Blick zu, der nichts Gutes verhieß.
„Lustig,“ antwortete ich trocken. „Ich hab viel getanzt und Lana zweimal geküsst, um mir irgendwelche Typen vom Hals zu halten.“
Julien setzte sich aufrechter hin, seine Augen blitzten vor Neugier. „Du küsst deine Freundin, um Typen loszuwerden?“
„Ja, wirkt wahre Wunder,“ erklärte ich sachlich. „Außer, du gehst mit Sofia feiern. Die nutzt das eher, um Typen heiß auf sich zu machen.“
Sein Interesse war geweckt – ich konnte es an seiner Haltung sehen. Julien musterte mich, als hätte ich gerade ein Rätsel aufgestellt, das er lösen wollte.
„Das heißt, du küsst all deine Freundinnen?“ fragte er nach.
„Nicht alle,“ antwortete ich beiläufig. „Das mit Lana ist auch nur kurz, reicht völlig.“
„Und das mit Sofia?“ hakte er nach.
Ich drehte kurz den Kopf zu ihm und lachte. „Warum interessiert dich das so?“
Julien grinste. „Nur so.“
„Sofia und ich haben schon so viel erlebt und gemacht... davon wirst du nur träumen können,“ sagte ich mit einem schelmischen Lächeln und ließ den Satz bewusst so stehen.
„Autsch.“ Julien lachte und lehnte sich wieder zurück.
Kaum hatte ich das Haus betreten, stürzte Thomas auf mich zu. „Wir müssen uns was einfallen lassen,“ begann er hektisch, ohne auch nur zu warten, ob ich überhaupt Zeit hatte. „Annika hat mir zwei Werbeaufträge geschickt, beide für TikTok. Beide wollen Julien – und beide erwarten seinen typischen Humor.“
Bevor ich etwas sagen konnte, hallte Dans Stimme von oben herunter. „Ist Mina da? Wir müssen unbedingt über das Colorgrading sprechen. In dem Stil ist die Hälfte überbelichtet!“
Mit einem überforderten Seufzen schlüpfte ich aus meinen Schuhen. Es war kaum zehn Minuten her, dass ich noch ruhig im Auto gesessen hatte, und jetzt schien hier alles zu eskalieren.
„Ich komme,“ rief Julien von neben mir nach oben.
Ich sah ihn überrascht an. „Danke,“ murmelte ich mit einem kleinen Lächeln.
Er erwiderte mein Lächeln, aber nicht ohne eine spitzbübische Bemerkung: „Rechnung kommt später.“ Grinsend sprintete er die Treppe hinauf, bevor ich auch nur etwas erwidern konnte.
Thomas wartete geduldig, während ich mir im Flur die Haare zurückstrich und versuchte, die Unordnung in meinem Kopf zu sortieren. Schließlich folgte ich ihm in die Küche, wo er mir die beiden Aufträge hinlegte.
„Also, beide Marken wollen Julien als Gesicht der Kampagne. Sie bestehen darauf, dass sein Humor mit eingebaut wird – so wie in seinen Videos,“ erklärte Thomas, während ich über die E-Mails flog. Die Marken waren gut, definitiv keine kleinen Fische, aber auch nicht einfach zu bedienen.
„Und Julien weiß schon Bescheid?“ fragte ich und hob den Blick zu ihm.
„Nicht so richtig,“ gab Thomas zu. „Er mag es ja nicht, wenn man ihm zu viel aufhalst, aber wir müssen ihn irgendwie motivieren. Die Budgets sind richtig gut, und die Kampagnen könnten für uns langfristig etwas Großes bedeuten.“
Ich nickte langsam. Julien hatte zwar diesen charmanten, humorvollen Stil, den die Marken wollten, aber es würde schwierig sein, ihn in vorgefertigte Vorgaben zu pressen. Sein Humor war spontan, ungefiltert – und genau deshalb funktionierte er so gut.
„Okay,“ sagte ich schließlich. „Wir müssen etwas finden, das sich nach ihm anfühlt, ohne dass es wie eine gekünstelte Werbung wirkt. Hast du schon Ideen?“
Thomas zuckte die Schultern. „Ich dachte, vielleicht könntest du mal mit ihm sprechen? Du kriegst ihn besser dazu, sowas ernst zu nehmen.“
Ich seufzte. Natürlich schiebt man das wieder mir zu.
„Ich rede mit ihm,“ versprach ich und nahm die E-Mails mit, um sie später noch einmal genauer durchzugehen.
Thomas wirkte erleichtert. „Perfekt. Wenn jemand ihn überzeugen kann, dann du.“
Ich verzog leicht das Gesicht, während ich aufstand. „Wir werden sehen.“
Ich hatte mir im Wohnzimmer eine ruhige Ecke gesucht, um die beiden Marken, die Annika an Land gezogen hatte, genauer zu analysieren. Es erschien mir klüger, gut vorbereitet zu sein, bevor ich mit Julien darüber sprach. Trotzdem meldete sich mein Gewissen. Gestern noch hatten wir uns darauf geeinigt, dass Julien sich ausruhen sollte, und jetzt standen schon wieder zwei zusätzliche, zeitintensive Projekte im Raum. Ich wusste, dass er mit Joon und Josh eigentlich die nächsten Tage das Skript für das neue Hauptvideo finalisieren wollte.
Während ich mich durch die Informationen arbeitete, erstellte ich für beide Marken eine übersichtliche Notizenseite und ergänzte die Anforderungen aus den E-Mails. Dabei versuchte ich, Ideen zu entwickeln, wie man die Kampagnen umsetzen könnte, ohne Julien dabei zu überfordern.
Plötzlich rief Joon laut: „Julien?“ Er tauchte im Wohnzimmer auf und sah sich suchend um.
„Hier!“ rief Julien aus dem kleinen Aufnahmezimmer. „Hatte gerade eine Idee für die eine Vollversion.“
„Die, die du mir gestern geschickt hast?“ fragte Joon mit einem genervten Seufzen, während er auf die Tür zuging.
Ich legte das Tablet zur Seite und lauschte.
„Nee, die war Schrott. Aber das Piano klang geil, oder?“ erwiderte Julien mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
„Es war nicht schlecht, aber noch zu melancholisch,“ antwortete Joon und verschwand hinter der Tür.
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Also hatte Julien gestern doch gearbeitet, obwohl er mir vorhin hatte glauben lassen, er hätte sich einfach nur entspannt. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinen Notizen zu, bis Thomas laut zur Pause rief.
Wie immer versammelten wir uns alle in der Küche. Joon erzählte, dass sie an der Vollversion arbeiteten und danach mit Josh nochmal aufs Drehbuch schauen wollten. Ich stand neben ihm, während ich meinen Kaffee umrührte.
„Ich schaue mir gerade zwei Marken an, mit denen Annika einen Werbedeal abgeschlossen hat,“ erklärte ich und warf einen kurzen Blick zu Thomas, der von irgend einem Telefonat erzählte.
Während er sprach, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie Julien etwas in sein Handy tippte. Kurz darauf vibrierte meines in meiner Hosentasche. Ich zog es hervor und öffnete die Nachricht.
„Ich mag deine Frisur, aber warum sind sie nicht offen?“
Ich runzelte die Stirn und sah auf. Julien schien aufmerksam Thomas zuzuhören, aber ich wusste, dass er auf meine Antwort wartete.
„Hatte nicht vor dir einen zu blasen, falls das deine eigentliche Frage war,“ tippte ich zurück und zwang mich, Josh zuzuhören, der etwas über die Umsetzung des Skripts erzählte.
Julien ließ mich nicht lange warten. "War sie nicht, aber trotzdem schade.“
Ich starrte auf mein Handy und dann zu Julien, der mir ein kurzes Grinsen zuwarf, bevor er den Blick wieder senkte. Mein Puls beschleunigte sich.
Dann vibrierte mein Handy erneut. „Aber vielleicht ist es gar nicht so schlecht, die Haare geschlossen zu tragen, wenn wir gleich shoppen fahren.“
Verwirrt las ich die Nachricht ein zweites Mal. Shoppen? Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
„Ich hab einen Termin außerhalb, wo ich mit Mina hinfahre,“ hörte ich Julien plötzlich sagen.
Alle Blicke richteten sich auf ihn, und dann auf mich. Ich hob fragend die Augenbrauen. „Wohin fahren wir?“
„Lass dich überraschen,“ antwortete er mit einem schelmischen Lächeln und schob sein Handy zurück in die Hosentasche.
Ich hätte darauf bestanden, mehr zu erfahren, aber Thomas unterbrach uns da die anderen noch erzählen mussten, woran sie arbeiteten. Julien hingegen wirkte völlig entspannt und ließ mich mit dem Gefühl zurück, dass ich mich wohl oder übel einfach auf diese spontane Aktion einlassen musste.
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