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Pov Ju

Ein Tag ohne Arbeit war anstrengender als jeder Vierzehn-Stunden-Dreh. Ungeduldig ließ ich mich auf das Sofa fallen, das Tablet in der Hand. Eigentlich hätte ich froh sein müssen, mal durchatmen zu können, aber stattdessen fühlte ich mich unruhig. 

Ich scrollte durch das Internet und suchte nach Themen für den nächsten Podcast mit Rezo. Jede Woche etwas Neues zu finden, das spannend und gleichzeitig unterhaltsam war, war schwieriger, als die meisten denken würden. Nach einigem Hin und Her schrieb ich mir ein paar Ideen raus und speicherte sie für später. Ein Gespräch über künstliche Intelligenz? Vielleicht eine Analyse zum aktuellen Musik-Hype? Ich würde ihn später fragen, was er davon hielt. 

Nachdem ich die Liste abgelegt hatte, schnappte ich mir mein Handy und rief Vince an. Ich brauchte dringend seinen Rat, wie ich einen nervigen Ton aus einem Song herausbekommen konnte, den ich vor einigen Wochen für den Podcast aufgenommen hatte. Es war nur ein Detail, aber das störende Rauschen war wie ein winziger, hartnäckiger Splitter in meinem Kopf. 

„Ich schwöre, Vince, ich hab alles versucht“, sagte ich genervt, während ich mit dem Fuß auf den Boden wippte. 

„Hast du die Kompression mal angepasst? Vielleicht liegt’s daran“, schlug Vince vor. 

„Klar hab ich das probiert.“ Ich schnaubte, dann fügte ich grinsend hinzu: „Vielleicht musst du einfach herkommen und es selbst machen.“ 

Er lachte. „Ja, ja, ich weiß. Jedes Mal dieselbe Einladung. Irgendwann überrascht dich mein Besuch, und dann steh ich plötzlich in deiner Tür.“ 

„Darauf warte ich seit Wochen“, erwiderte ich und lehnte mich zurück. 

Wir quatschten noch eine Weile, nicht nur über die Technik, sondern auch über Gott und die Welt. Es tat gut, mal wieder länger mit ihm zu sprechen, auch wenn ich es immer schade fand, dass unsere Treffen fast nur noch virtuell stattfanden. 

Als der Anruf endete, merkte ich, wie spät es schon war. 16 Uhr. Der Tag zog sich wie Kaugummi, und ich hatte immer noch keinen Plan, wie ich den Rest der Zeit rumkriegen sollte. Also tat ich das, was ich viel zu selten machte: Ich setzte mich an den PC und startete eines meiner alten Lieblingsspiele. 

Es fühlte sich seltsam an, fast nostalgisch, nach so langer Zeit wieder zu zocken. Die vertrauten Sounds, das Adrenalin, das hochkam, wenn es knapp wurde – es war, als würde ich einen längst vergessenen Teil von mir selbst wiederentdecken. 

„Wann hab ich das zuletzt gemacht?“ murmelte ich leise, während ich konzentriert die nächste Runde spielte. 

Trotz der Ablenkung wanderte mein Blick immer wieder zur Uhr. Der Tag wollte einfach nicht vergehen, und obwohl ich wusste, dass Mina erst morgen wiederkommen würde, ertappte ich mich dabei, wie ich mehrmals nach meinem Handy griff, um zu checken, ob sie geschrieben hatte. 

Ich lachte leise in mich hinein und schüttelte den Kopf. „Ruhe. Das wolltest du doch, oder?“ 

Aber Ruhe ohne sie fühlte sich irgendwie zu ruhig an.

Nach ein paar Matches schaute ich auf die Uhr – gerade mal 17:30. Ich lehnte mich zurück und ließ die Hände auf die Armlehnen fallen. Der Tag zog sich wie Kaugummi. 

Die Ruhe war ungewohnt. Normalerweise hetzte ich von einem Termin zum nächsten, hatte immer mindestens zwei Projekte parallel laufen, und mein Kopf war ständig voller Ideen und Deadlines. Heute? Nichts. Und das war... merkwürdig. 

Ich stand auf und schlenderte in die Küche, öffnete den Kühlschrank und starrte hinein. Salat, ein paar Eier und die Reste von Minas Nudeln mit Tomatensoße. Ein kurzes Grinsen huschte über mein Gesicht, als ich an den gestrigen Abend dachte. Mina hatte sich wirklich ins Zeug gelegt, und obwohl sie sich nie komplett öffnete, spürte ich, dass sie sich hier immer wohler fühlte. 

Das mit Berlin war die richtigeEntscheidung, dachte ich. Nicht nur, weil Mina es brauchte, sondern auch, weil ich neugierig auf diese Seite von ihr war. Die Sache mit ihren Eltern schien sie mehr mitzunehmen, als sie zugeben wollte. Und ehrlich gesagt... ich wollte sehen, wie sie sich in diesem Umfeld behaupten würde. 

Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Ich schnappte mir mein Handy vom Küchentresen und warf einen Blick aufs Display: Shawn. 

„Na?“ meldete ich mich, während ich das Handy zwischen Schulter und Ohr klemmte und mir ein Glas Wasser einschenkte. 

„Na, was machst du? Ich dachte, du solltest dich ausruhen.“ 

„Ich ruh mich aus. Zocken, Wasser trinken, nix tun – alles sehr erholsam.“ 

Shawn lachte am anderen Ende. „Klingt, als wärst du kurz davor, wahnsinnig zu werden.“ 

„Vielleicht ein bisschen.“ Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte. „Aber hey, Mina hat mich dazu gezwungen. Ich durfte ja nicht mal mit zum Haus.“ 

„Weil sie recht hat. Du brauchst den freien Tag. Und wenn du ehrlich bist, hättest du den schon vor Wochen nehmen sollen.“ 

Ich seufzte. „Ja, ja, ich weiß. Keine Sorge, ich mach brav Pause.“ 

„Gut. Dann kannst du ja morgen mit frischer Energie weitermachen.“ 

„Klar. Hast du noch was? Oder wolltest du nur meine Selbstdisziplin kontrollieren?“ 

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, abends was zu machen. Ein paar Bier, irgendwas Entspanntes. Ich denke, Mina hat sich sicher schon wieder verdrückt.“ 

Ich überlegte kurz. Es klang verlockend, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich den Abend lieber für mich bleiben sollte. Oder vielleicht wollte ich nur, dass Mina wieder hier auftauchte. 

„Ich glaub, ich pass heute. Aber danke.“ 

„Wie du meinst. Ich bin jedenfalls verfügbar, falls du noch jemanden zum Quatschen brauchst.“ 

„Danke, Shawn. Ich meld mich.“ 

Nachdem ich aufgelegt hatte, ließ ich das Handy auf die Arbeitsplatte fallen. Plötzlich fühlte sich die Wohnung zu still an. Vielleicht sollte ich wirklich mal ein paar Leute einladen, so wie Vince, oder endlich wieder Zeit mit Shawn verbringen. 

Doch stattdessen schaltete ich den Fernseher ein und ließ mich aufs Sofa fallen. Es war ungewohnt, den Kopf mal nicht voll zu haben – und irgendwie machte mir das fast mehr zu schaffen, als ich zugeben wollte.

Ich scrollte durch Instagram, ohne viel nachzudenken, bis ein bekanntes Profilbild aufploppte. Mina hatte etwas in ihrer Story gepostet. Aus Reflex tippte ich darauf und ließ die Bilder durchlaufen. Der erste Post zeigte zwei Cocktails, dazu der Text „wieder vereint“ und eine Markierung: Lana. Ihre Mitbewohnerin, wenn ich mich richtig erinnerte. 

Das nächste war ein Video. Mina lachte, tanzte – ihre Bewegungen leicht, unbeschwert, wie immer. Sie trug einen schwarzen Glitzer-Jumpsuit mit tiefem Ausschnitt, der kaum mehr bedeckte als nötig. Das Licht ließ das Material glitzern, während sie sich in der Menge bewegte. 

Ich hielt das Video mit dem Finger an. Mein Blick blieb an dem Outfit hängen, an dem Ausschnitt, an ihren Beinen, die durch die Strumpfhose noch endloser wirkten. Ein seltsames Gefühl breitete sich in mir aus. Es war weder Ärger noch Eifersucht – nicht direkt. Es war dieses unangenehme Kribbeln, das einem sagt, dass man etwas nicht mag, ohne genau zu wissen, warum.

„Was zum Teufel...“ murmelte ich und warf das Handy aufs Sofa. Ich wollte diesen Gedanken loswerden. Mina konnte machen, was sie wollte. Sie gehörte mir nicht.

Doch das nagende Gefühl blieb. Die Vorstellung, dass sie da draußen war – mit diesem Lachen, diesem Outfit – ohne mich. 

Ich warf das Handy von mir weg, in der Hoffnung das damit auch dieser Besitzer ergreifende Gedanke verschwand. Mina gehörte mir nicht und doch nagte es an mir.

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Jetzt saß ich auf dem Sofa, den Kopf gegen die Lehne gelehnt. Die Stille der Wohnung war verschwunden, ersetzt durch das leise Rascheln von Stoff und die Geräusche einer anderen Person. Blonde Haare fielen über meine Oberschenkel, während sich der Kopf rhythmisch auf und ab bewegte. 

Ich griff zur Seite, zog das Kondom aus der Schachtel und hielt es ihr hin. Sie nahm es ohne zu zögern, stülpte es über meinen Schwanz und setzte sich auf mich. 

Ihre Hände ruhten auf meinen Schultern, und sie begann sich zu bewegen – schnell, mechanisch, wie einstudiert. Ihr leises Stöhnen klang hohl, fast nervig. Ich schloss die Augen und versuchte mich in den Moment fallen zu lassen, doch mein Kopf hatte längst woanders angesetzt. 

Die Bilder kamen ungebeten. Mina, wie sie auf meinem Schoß saß, frustriert, weil ich sie nicht hatte kommen lassen, zumindest nicht sofort. Der Ausdruck in ihren Augen – ein Mix aus Wut und Verlangen. Es war dieser Blick, der mich immer wieder reizte. Der mich süchtig machte. 

Mein Atem beschleunigte sich, als ich mir vorstellte, es wäre sie. Mina, mit diesem Glitzerding, das sie getragen hatte. Doch ich wusste, dass ich sie nicht so gelassen hätte. Nicht dieses Tempo, nicht diese Kontrolle. Ich kannte sie. Mina ließ es zu, wenn ich die Führung übernahm, und genau das machte sie so unwiderstehlich. 

„Fuck,“ stöhnte ich, als ich kam. Mein Körper verkrampfte sich, und für einen Moment fühlte es sich an wie Befreiung – doch es war nichts als eine Illusion. 

„An wen hast du gedacht?“ fragte Lilli und stieg von mir runter. 

„Kennst du nicht,“ murmelte ich und griff nach meiner Hose, um sie wieder zu schließen. Wortlos hielt ich ihr das Geld hin.

Sie zuckte mit den Schultern, richtete ihren Rock und griff nach ihrer Tasche. „Du weißt, dass du mir nichts zahlen musst, Ju.“ 

„Ich weiß.“ 

Sie schenkte mir ein flüchtiges Lächeln, bevor sie ging. 

Ich ließ mich zurücksinken, schloss die Augen und atmete tief durch. Doch die Leere blieb. Sie war nicht verschwunden – nur überdeckt, für einen Moment.

Die Stille in der Wohnung war erdrückend. Ich ließ meinen Kopf nach hinten sinken, starrte an die Decke und versuchte, diesen Knoten in meinem Bauch zu lösen. Es war nicht die Schuld von Lilli. Sie hatte ihren Job gemacht, war wie immer diskret und unkompliziert. Aber was auch immer ich damit hatte erreichen wollen – es hatte nicht funktioniert. 

Meine Gedanken kreisten weiter um Mina. Ihr Lachen, ihr Blick, dieser gottverdammte Glitzer-Jumpsuit. Es machte mich wahnsinnig, dass sie sich so präsent in meine Gedanken schlich, selbst wenn sie nicht hier war.

Ich griff nach meinem Handy, entsperrte den Bildschirm und öffnete Instagram. Ihre Story war immer noch da. Der Clip lief erneut, zeigte sie lachend, tanzend, völlig unbeschwert. Wie konnte sie so locker sein, während ich hier saß und mich mit meiner eigenen Dummheit auseinandersetzen musste? 

Ich wollte ihr schreiben. Einfach irgendwas Banales, nur um einen Vorwand zu haben. Aber ich wusste, dass das keine gute Idee war. Also warf ich das Handy erneut weg, dieses Mal etwas fester. Es landete auf dem Teppich und blieb dort liegen, während ich mit meinen Gedanken kämpfte. 

Die Wahrheit war, ich wusste nicht, was ich von Mina wollte. Sie war klug, scharfzüngig, eine Herausforderung – alles, was ich sonst bei niemandem fand. Aber sie war auch kompliziert, verschlossen und so weit außerhalb meiner Komfortzone, dass ich nicht mal sicher war, ob ich sie wirklich verstand. 

Ein Teil von mir wollte einfach loslassen, sie vergessen und mich wieder auf die Arbeit konzentrieren. Der andere Teil... wollte alles. Sie, ihre Nähe, ihren verdammten Sarkasmus – alles, was sie ausmachte. 

Ich griff nach meinem Handy, entsperrte es und öffnete den Chat mit ihr. Mein Daumen schwebte über der Tastatur, während ich nach den richtigen Worten suchte. 

Am Ende schrieb ich nur: 
„Hoffentlich habt ihr einen schönen Abend. Pass auf dich auf.“ 

Ich starrte auf die Nachricht, bevor ich sie abschickte. Es war ein schwacher Versuch, aber mehr brachte ich nicht über mich. 

Das Handy landete wieder auf dem Tisch, und ich ließ mich zurückfallen. Vielleicht sollte ich einfach schlafen gehen.

Tja Mina, was soll ich sagen? Es war ein verdammtes Spiel, und ich war dabei zu verlieren.

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