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Natürlich hatte ich dem Angebot des Praktikums zugestimmt. Es war eine Chance, die ich mir niemals hätte entgehen lassen können. Die Uni hatte mir sogar erlaubt, zwei Wochen früher in die Semesterferien zu starten, damit ich direkt loslegen konnte. Um auf den großen Tag vorbereitet zu sein, war ich am Vortag mit Lana shoppen gewesen. Denn irgendetwas in meinem Kleiderschrank schien uns beiden nicht gut genug. Wir wollten sicherstellen, dass ich einen guten ersten Eindruck machen würde. 

Am Ende hatte ich mich für eine weiße, lockere Hose, ein schwarzes Top und eine braune Strickjacke entschieden. Dazu band ich meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. 
„Du siehst langsam echt aus wie eine professionelle Assistentin“, lachte Lana, während sie meinen Make-up-Beutel schnappte. 

„Wahrscheinlich werde ich eher Kaffee kochen, aber egal“, grinste ich nervös und ließ sie mich schminken. Lana bestand darauf, einen kleinen Beitrag zu meinem Look beizusteuern. 

„Ich will, dass du strahlst. Augenringe hast du schon genug vom ganzen Lernen“, sagte sie und trug einen dezenten Lidschatten auf. 

„Ich werde dir zwischendurch schreiben und nachher wirklich alles erzählen“, versprach ich, während ich sie dabei beobachtete, wie sie ihre Lippen zusammenpresste, während sie konzentriert arbeitete. 

„Das will ich ja wohl hoffen. Ich hab mir extra vorgenommen, heute zu Hause zu sein, wenn du zurückkommst. Ich will absolut alles wissen“, erklärte sie ernst und drückte mir dann die Mascara in die Hand. 

Ich warf einen Blick auf mein Handy, um die Zeit zu checken – und plötzlich zog sich mein Magen zusammen. „Oh Gott, er ist da!“ 

„Dann los jetzt!“ Lana scheuchte mich zur Tür. 

Ich griff hastig nach meiner Tasche und überprüfte ein letztes Mal, ob ich alles dabeihatte. Notizbuch, Stifte, Kopfhörer – ja, alles war an seinem Platz. Mit klopfendem Herzen lief ich die Treppe hinunter zum Parkplatz. 

Dort stand ein weißer Audi, und daneben lehnte ein Mann mit einer Cap. Er war groß, sah freundlich aus und schenkte mir ein breites Lächeln. 
„Bist du Mina?“ fragte er und streckte mir die Hand entgegen. 

Ich nickte und ergriff seine Hand. „Ja, das bin ich.“ 

„Ich bin Thomas“, stellte er sich vor. 

„Freut mich, dich kennenzulernen“, antwortete ich höflich und spürte, wie mein Herz in meiner Brust hämmerte. 

Er öffnete mir die Beifahrertür, und ich ließ mich auf den schwarzen Ledersitz sinken. Während er um das Auto herumging und sich hinter das Lenkrad setzte, versuchte ich, tief durchzuatmen. 

„Bist du aufgeregt?“ fragte Thomas, während er den Motor startete. 

„Und wie“, gestand ich offen. „Ich habe mich immer auf Praktika beworben, aber dann kam plötzlich dieser Brief...“ 

„Das kann ich total verstehen“, sagte er mit einem verständnisvollen Lächeln. „Aber keine Sorge, das Team ist wirklich nett. Heute läufst du erstmal bei mir mit. Ich kümmere mich viel um die Organisation und drehe die Behind-the-Scenes für Jus zweiten Kanal. Du hast Glück, dass wir heute keinen Drehtag haben. Das heißt, du kannst ganz entspannt alle kennenlernen.“ 

„Das klingt perfekt. Danke, dass du mich abholst“, sagte ich dankbar. 

„Ach, kein Ding“, winkte er ab. „Mit den Öffis wärst du ewig unterwegs gewesen, und Ju brauchte das Auto heute nicht.“ 

„Moment mal... Das ist gar nicht dein Auto?“ fragte ich und zog die Augenbrauen hoch. 

Thomas lachte. „Nee, aber ich fahre es die meiste Zeit. Quasi mein Dienstwagen.“ 

Ich musste lachen. Thomas war wirklich nett und schaffte es irgendwie, dass ich mich ein wenig entspannte. 

Während wir durch die Stadt fuhren, erklärte er mir, wie der Tag ablaufen würde, und beantwortete geduldig jede meiner Fragen. Als wir schließlich vor dem Haus ankamen, war ich immer noch nervös, aber es fühlte sich weniger wie ein Sprung ins kalte Wasser an. 
Ich würde mein Bestes geben – das war alles, was zählte.   

Als ich hinter Thomas das riesige Haus betrat, war ich sofort beeindruckt. Die Räume waren hell und freundlich, mit hohen Decken und großen Fenstern, durch die das Licht strömte. Es fühlte sich weniger wie ein Büro und mehr wie ein Zuhause an – ein ziemlich luxuriöses Zuhause. 

Thomas zog seine Schuhe aus, und ich tat es ihm gleich. „Ich stelle dir erstmal alle vor, sofern wir sie finden“, sagte er grinsend. Ich nickte und folgte ihm durch das Haus, das wie ein Labyrinth aus Kreativität wirkte. 

Wir trafen auf eine Menge Leute, von denen jeder seinen eigenen Bereich zu haben schien: Schnitt, Ton, Kamera, Konzept, Organisation – überall war jemand, der etwas Wichtiges tat. Thomas stellte mich bei jedem vor, aber die Flut von Namen und Gesichtern war so überwältigend, dass ich mir kaum etwas merken konnte. 

„Das war viel“, gab ich am Ende seiner Tour zu und atmete erleichtert aus, als wir wieder im Wohnzimmer ankamen. 

„Und das waren nur alle, die gerade da sind. Wenn wir wirklich drehen, kommen noch mehr Leute dazu“, erklärte Thomas mit einem Lächeln. 

„Wow“, brachte ich nur hervor. Es war faszinierend und einschüchternd zugleich. 

Thomas wechselte in den Arbeitsmodus. „Heute haben wir zwei Telefonate wegen Kostümen zu führen, und wir müssen das gesamte Material vom gestrigen Dreh reinigen. Vor allem die Kameras haben ziemlich gelitten – du hast ja selbst gesehen, wie das Wetter gestern war.“ 

Ich erinnerte mich an den Sturm vom Vortag und nickte verständnisvoll. „Klingt nach einer Menge Arbeit.“ 

„Ist es auch. Aber erst nach zwölf – vorher erreiche ich niemanden. Also, lass uns mit dem Reinigen anfangen.“ 

Im Wohnzimmer standen zahlreiche Koffer am Boden. Als er einen öffnete, offenbarte sich eine beeindruckende Sammlung von Kameras und Zubehör. Es war, als hätte jemand ein Hightech-Spielzeuggeschäft vor mir ausgebreitet. 

Mit geübten Handgriffen zeigte Thomas mir, wie man die Kameras auseinanderbaut und mit einem Druckluftreiniger säubert. Die Arbeit war zwar nicht besonders aufregend, aber es war interessant zu sehen, wie viel Technik hinter den Drehs steckte. 

Während ich mich auf eine Kamera konzentrierte, hörte ich plötzlich Schritte. Ich blickte auf und sah Julien zusammen mit einem anderen Mann den Raum betreten. 

„Hey Ju, das ist Mina, unsere neue Praktikantin“, sagte Thomas und wandte sich an Julien. 

Ich richtete mich auf, bereit, ihm die Hand zu reichen. Doch Julien schenkte mir nur ein müdes Lächeln und verschwand ohne ein Wort in einem Nebenraum. 

Die Enttäuschung war kurz, aber spürbar. Ich zwang mir ein Lächeln auf, um meine Unsicherheit zu überspielen. 

„Ich bin Joon“, sagte der andere Mann und reichte mir die Hand. 

„Mina. Freut mich, dich kennenzulernen“, erwiderte ich höflich und schüttelte seine Hand. 

„Ich muss auch gleich rein.“ Joon deutete mit dem Kopf in die Richtung, in die Julien verschwunden war. „Aber wir quatschen später, ja?“ 

„Klar“, sagte ich und bemühte mich, locker zu wirken. 

Als Joon ebenfalls verschwand, ließ ich mich wieder auf meinen Platz sinken. Das war... seltsam gewesen. Julien hatte kaum etwas gesagt, und seine Abwesenheit hatte die Atmosphäre irgendwie gedrückt. Aber vielleicht hatte er wirklich viel um die Ohren – immerhin leitete er ein riesiges kreatives Team. 

Ich wandte mich wieder der Kamera zu, schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Es war der erste Tag, und es war noch viel zu früh, sich einen wirklichen Eindruck zu machen.

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