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Die Almhütte war ein kleines Paradies mitten im Schneechaos, warm beleuchtet und voll von Menschen, die den Tag auf der Piste feiern wollten. Von der Decke hingen Holzlaternen, die sanftes Licht auf die rustikalen Tische warfen. Die Atmosphäre war laut, lebendig und genau das, was man sich unter einer typischen Skihüttenparty vorstellte: Gelächter, Klirren von Gläsern und leise Musik im Hintergrund, die von einem Akkordeon begleitet wurde.
Wir saßen an einem der massiven Holztische und hatten bereits Getränke vor uns stehen, während wir auf unser Essen warteten. Der Duft von geschmolzenem Käse und frisch gebackenem Brot füllte die Luft, und ich konnte kaum erwarten, zu probieren, was Mina so anpries.
„Es war so lustig!" Sofia war kaum zu bremsen und erzählte begeistert, wie sie und Rezo noch ein paar weitere Rodelabfahrten gewagt hatten.
„Ich hab sogar ein Video davon!" Rezo zog sein Handy aus der Tasche und hielt es Mina und mir hin. Darauf war zu sehen, wie die beiden den Hang hinunterrasten, dabei fast kippten und schreiend lachten.
„Das sieht gefährlich aus," kommentierte Mina, während sie das Video betrachtete.
In diesem Moment brachte eine Kellnerin unser Essen, und ich konnte nicht anders, als meine Gabel in die dampfenden Käsespätzle zu tauchen, die vor mir standen.
„Und was habt ihr gemacht?" fragte Sofia neugierig, während sie ihr Glas an ihre Lippen führte.
„Wir haben was Warmes getrunken, und ich hab Ju ein bisschen die Gegend gezeigt," erklärte Mina und probierte ihr Essen.
„Es ist wirklich richtig schön hier," stimmte ich zu. „Da merke ich, wie wenig Urlaub ich in letzter Zeit hatte."
„Oh, absolut!" Rezo nickte übertrieben. „Du bist ein absoluter Workaholic, Mann."
Während wir aßen, redeten wir über all die Dinge, die man in der Gegend unternehmen konnte. Mina und Sofia erinnerten sich an frühere Besuche.
„Oh Gott, weißt du noch, als wir mit den Ziegen wandern waren?" Mina begann laut zu lachen.
„Ja! Und diese Biester haben meine Extensions gefressen!" rief Sofia und hielt sich entsetzt die Haare.
„Das klingt sehr nach unserem Dreh auf dem Bauernhof," sagte Rezo grinsend und warf mir einen Blick zu.
„Du meinst den Dreh, bei dem wir Wap Bap perfektioniert haben?" erinnerte ich mich lachend.
„Und bei dem Ju sich auf ein Pferd setzen musste," fügte Rezo hinzu. „Das war Comedy pur."
So plauderten wir weiter, während die Teller leerer wurden und Sofia die nächste Runde Shots bestellte.
„Ist das immer so mit ihr?" fragte ich Mina, während Sofia die Gläser verteilte.
„Meistens ja. Sie verträgt einfach super viel, aber sie ist auch total entspannt, wenn man nicht mitzieht," erklärte Mina, bevor sie das Glas entgegennahm, das Sofia ihr reichte.
Auch ich nahm einen Shot, und wir stießen gemeinsam an. Man merkte uns allen langsam an, dass der Alkohol Wirkung zeigte, denn das Gelächter wurde lauter und die Gespräche immer ausgelassener.
Irgendwann stand Mina auf. „Ich glaub, ich muss mal wohin," sagte sie lachend. Ich erhob mich, damit sie von der Bank rutschen konnte, und setzte mich wieder hin.
Kaum war Mina verschwunden, beugte sich Sofia über den Tisch und sah mich direkt an. „Und? Habt ihr eure Zeit zu zweit genutzt?"
„Was?" Ich war irritiert von ihrer Direktheit.
„Na, Mina hat doch gesagt, was ihr gemacht habt. Aber wirklich nichts? Keine Andeutungen, keine kleinen Gesten?"
Ich seufzte. „Habt ihr eure Zeit denn genutzt?" stellte ich die Frage zurück und sah zu Rezo.
„Ich denke schon, oder?" grinste Sofia und lehnte sich zurück.
„Unsere Rodelskills sind definitiv besser geworden," sagte Rezo und schüttelte leicht den Kopf, als Sofia kurz aus dem Fenster sah.
Erleichtert stellte ich fest, dass zwischen ihnen wohl nichts lief. Doch eine andere Frage brannte mir auf der Zunge. „Wer ist Cole?"
Sofia drehte sich blitzschnell zu mir um und sah mich prüfend an. „Woher kennst du denn jetzt Cole?"
„Wir haben ihn getroffen," antwortete ich ruhig.
Sofia rollte mit den Augen. „Dann weißt du sicher auch schon, dass er kein Fan von mir ist." Sie grinste und nahm einen Schluck von ihrem Drink. „Er ist zwei Jahre älter als Mina und ich. Super vernünftig, aber definitiv keine Konkurrenz für dich. Der hat gar keine Zeit für Frauen. Seine Mom hat Krebs, und er verbringt fast jede freie Minute bei ihr."
Ich nickte langsam. „Das mit seiner Mom hat man ein bisschen rausgehört. Und dass er dich nicht mag, auch."
„Tja, man kann eben nicht jedem Mann den Kopf verdrehen," sagte Sofia schmunzelnd und winkte die Kellnerin heran. „Ein Sex on the Beach, bitte!"
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sofia war mit Abstand die direkteste Person, die ich je kennengelernt hatte.
„Wir sollten öfter solche Kurztrips machen," sagte Rezo zu mir.
„Ich weiß," gab ich zu und prostete ihm zu.
„Dafür habt ihr zwei Süßen ja jetzt mich," mischte sich Sofia ein und nahm ihren Cocktail von der Kellnerin entgegen. „Irgendwelche Wünsche? Ich würde ja gern irgendwo hin, wo es heiß ist."
„Dann muss Rezo ja erstmal sein Sportprogramm wieder anfangen," stichelte ich.
„Immerhin hab ich eins," konterte Rezo, „und häng mich nicht nur an die Klimmzugstange, in der Hoffnung, dadurch größer zu werden."
Das Gelächter hallte durch die Almhütte, und ich lachte so sehr, dass mir der Rücken vor Schmerzen brannte. Die Stimmung am Tisch war ausgelassen, und selbst Rezo schüttelte den Kopf vor Lachen, während Sofia sich vor Übermut fast ihr Getränk verschüttete.
„Heilige Scheiße!" Sofia knallte plötzlich ihr Glas auf den Tisch und starrte in die Menge. Das Lachen verschwand schlagartig aus ihrem Gesicht.
„Was?" fragte Rezo irritiert, und auch ich drehte mich um. Mein Blick wanderte durch die Menschen, die an der Bar und an den Stehtischen standen, bis ich Mina sah, die sich gerade den Weg zurück zu uns bahnte. Doch Sofia deutete an jemand anderen – eine blonde Frau in einer roten Jacke, die an der Bar stand und lachte.
„Die Blonde da drüben, mit der roten Jacke – das ist Minas Mom," flüsterte Sofia. Ihre Stimme war plötzlich ernst.
Ich betrachtete die Frau genauer. Sie hatte ein einnehmendes Lachen, das Mina verblüffend ähnlich war.
„Und das ist schlecht, weil...?" Rezo klang verwirrt. Natürlich wusste er nichts von den Spannungen zwischen Mina und ihrer Familie.
Sofia stieß einen leisen Seufzer aus. „Oh Gott, du musst sie retten, Ju!" quiekte sie plötzlich und packte meinen Arm.
„Ich?" fragte ich ungläubig und sah sie an.
„Wenn ihre Mom herausfindet, dass ich hier bin, gibt das nur noch mehr Ärger. In deren Augen bin ich die Schuldige, warum Mina sich damals so verhalten hat." Sofia reckte den Hals, um besser sehen zu können. „Oh nein, sie hat Mina entdeckt! Jetzt mach was!"
Ich zögerte nur einen Moment, bevor ich aufstand und mich durch die Menge bewegte.
„Was ist denn los?" hörte ich Rezo hinter mir fragen, doch ich hatte keine Zeit zu antworten. Minas Mom hatte sie schon erkannt und winkte ihr zu. Mina hielt ihr Lächeln aufrecht, doch ich konnte die Anspannung in ihrem Gesicht erkennen.
„Was machst du hier? Ich dachte, du hast dieses Praktikum?" hörte ich ihre Mutter sagen, als ich näher kam.
„Ja, genau..." begann Mina unsicher.
Ehe sie weitersprechen konnte, legte ich meinen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft an mich. „Da bist du ja," sagte ich mit einem warmen Lächeln und drückte ihr einen Kuss auf den Haaransatz.
Minas Mom musterte mich sofort von Kopf bis Fuß, ihr Blick war kühl und analytisch.
„Entschuldigung," sagte ich höflich und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Julien Zheng Zheng Kho Budorovits."
„Astrid Persson. Minas Mutter," erwiderte sie knapp und ergriff meine Hand nur kurz. „Und in welchem Verhältnis stehen Sie zu meiner Tochter?"
„Ich bin ihr Freund," antwortete ich ruhig. „Es ist noch recht frisch, und wir wollten es nicht gleich offiziell machen – das ist aber meine Schuld." Ich lächelte entschuldigend. „Berufsbedingt, wissen Sie."
Ich spürte, wie Mina steifer wurde, aber ich drückte sie enger an mich und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. Sie erwiderte es zögerlich, noch immer sichtlich überfordert.
„Ach so? Und was machen Sie beruflich?" Astrid Persson ließ ihren Blick über die Tattoos auf meiner Hand wandern, bevor sie mich direkt ansah.
„Ich leite mehrere Firmen, bin Webvideo-Produzent und Synchronsprecher – das Gröbste, um es kurz zu halten." Ich sprach ruhig und sah, wie sie Mina erneut musterte. „Wir haben uns während meiner Arbeit kennengelernt. Mina ist unglaublich talentiert, und ich konnte nicht anders, als sie in mein Team zu holen. Und was soll ich sagen? Ihr Charakter ist ebenso beeindruckend wie ihre Kreativität. Sie müssen wirklich stolz sein, so eine Tochter zu haben."
Ihre Mutter zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ach, bei der Arbeit?" fragte sie an Mina gerichtet, die daraufhin noch mehr in sich zusammensank.
„Mina wollte das Ganze auf professioneller Ebene belassen," erklärte ich schnell, bevor Mina antworten musste, „aber ich konnte einfach nicht locker lassen."
Mina nickte sofort und ließ ein unsicheres Lächeln aufblitzen.
Astrids Miene wurde weicher, wenn auch nur ein wenig. „Warum kommt ihr zwei nicht morgen zum Mittagessen? Dann können wir uns ganz entspannt kennenlernen. Dein Vater möchte sicher auch wissen, wer da an deiner Seite ist."
„Ich weiß nicht..." Mina stammelte und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.
Ich lächelte beruhigend. „Das Angebot nehmen wir natürlich sehr gerne an. Mina bringt mir morgen das Snowboarden bei, da wird eine Stärkung zwischendurch sicher guttun."
Astrid wirkte überrascht, aber sie lächelte schließlich. „Wie schön. Dann sagen wir morgen um halb eins im Les Deux?"
„Sehr gerne", anwortete ich mit einem freundlichen Lächeln und hielt die Fassade aufrecht, obwohl mir innerlich bewusst war, dass das eine ziemliche Herausforderung werden könnte. Minas Mutter nickte zufrieden und wandte sich wieder kurz zu ihrer Tochter, die steif neben mir stand.
„Dann freue ich mich darauf, euch beide morgen zu sehen. Ich bin gespannt." Mit einem letzten prüfenden Blick auf mich wandte sie sich ab und verschwand in der Menge, vermutlich um zur Bar zurückzukehren.
Mina atmete hörbar aus, als ihre Mutter außer Sicht war, und sah mich mit großen Augen an. „Was war das gerade?" flüsterte sie.
„Deine Rettung", antwortete ich leise, nahm ihren Arm und zog sie ein Stück weiter weg, damit uns niemand belauschen konnte.
„Du hast einfach behauptet, wir wären zusammen!" Sie klang halb entsetzt, halb erstaunt, und ihre Stimme überschlug sich fast.
„Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte! Sofia meinte, es würde Ärger geben, wenn sie erfährt, dass ihr zusammen hier seid, und du sahst nicht gerade so aus, als würdest du das alleine klären wollen."
Sie legte eine Hand an ihre Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich hätte es irgendwie hinbekommen..."
„Oh, wirklich?" Ich zog eine Augenbraue hoch. „Weil das gerade so überzeugend aussah?"
Sie wollte etwas sagen, hielt dann aber inne. Stattdessen runzelte sie die Stirn und seufzte. „Okay, ich gebe zu, das war vielleicht gar nicht so schlecht. Aber was machen wir jetzt? Morgen Mittagessen mit meinen Eltern?"
„Kein Problem", sagte ich, so überzeugt, wie ich nur klingen konnte. „Ich habe es doch ganz gut hingekriegt, oder? Außerdem: Wie schlimm kann es sein?"
„Wie schlimm?" Sie sah mich ungläubig an. „Du kennst meine Eltern nicht. Sie sind unglaublich... kritisch. Und jetzt denken sie, wir sind ein Paar. Was machen wir, wenn sie uns Löcher in den Bauch fragen?"
„Dann beantworten wir die Fragen, so gut wir können", sagte ich ruhig. „Wir ziehen das durch. Ich lasse dich nicht hängen, okay?"
Sie sah mich lange an, dann nickte sie langsam. „Okay... aber wenn das schiefgeht, war das alles deine Idee."
„Deal", sagte ich lächelnd und streckte ihr die Hand hin.
Statt sie zu schütteln, schlug sie mir leicht gegen die Schulter. „Du bist echt unmöglich."
„Und genau deswegen wird das morgen ein Erfolg", antwortete ich grinsend.
Wir kehrten zum Tisch zurück, wo Sofia und Rezo uns neugierig erwarteten.
„Na, wie ist es gelaufen?" fragte Sofia mit einem breiten Grinsen.
„Es läuft auf ein Mittagessen mit Minas Eltern hinaus", sagte ich trocken und ließ mich wieder auf die Bank fallen.
„Was?!" Rezo und Sofia sagten es gleichzeitig, ihre Augen weiteten sich synchron.
„Das ist eine lange Geschichte. Meine Mom denkt jetzt er wäre mein Freund", murmelte Mina und griff nach ihrem Glas.
„Oh, das wird ein Spaß", sagte Sofia und lehnte sich zurück, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. „Das möchte ich sehen."
„Das möchtest du nicht", sagte Mina genervt, trank einen großen Schluck und rieb sich die Schläfen.
Ich konnte nicht anders, als zu lachen. „Wird schon nicht so schlimm, oder? Ich bin ein netter Freund"
Mina warf mir nur einen Blick zu, der sagte: Du hast ja keine Ahnung.
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