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Am Abend saß ich in meiner Wohnung auf der Couch, das Handy am Ohr, während ich mit Lana telefonierte. Ihre Stimme war voller Energie, als sie von ihrer Zeit in München bei ihrer Familie berichtete. 

„Aber jetzt erzähl du mal,“ forderte sie schließlich mit einem spitzbübischen Ton. „Ich hab dich immerhin in seinem neuen Video gesehen!“ 

Ich lehnte mich zurück, seufzte und schloss für einen Moment die Augen. „Ja, was soll ich sagen? Rezo hat mich vor die Kamera gezerrt.“ 

„Das war nicht zu übersehen,“ lachte Lana. „Aber es sah schon süß aus, wie du zwischen den beiden saßt.“ 

Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie das nicht sehen konnte. „Ich hab das Video geschnitten,“ verkündete ich schließlich, ein wenig Stolz in meiner Stimme. 

„Wow, das ist richtig cool! Pass auf, nachher wird aus dir noch eine YouTuberin!“ 

Ich musste lachen. „Jetzt übertreib mal nicht gleich. Dan würde dir da sicher widersprechen. Er verzweifelt an mir, auch wenn er es nicht zugibt.“ 

„Colorgrading ist ja aber auch eine Katastrophe,“ meinte Lana mitfühlend. „Hast du denn überhaupt mal frei, um dich zu erholen? Es ist ja auch nicht gut, wenn du die kompletten Semesterferien durcharbeitest. Meine Eltern fragen übrigens schon, ob du noch vorbeikommst. Du weißt doch, Mom liebt es, wenn du kochst.“ 

Ich lächelte leicht bei dem Gedanken an Lanas Mutter, die mich immer wie eine zweite Tochter behandelte. „Ich weiß nicht,“ antwortete ich zögerlich. „Da müsste ich Ju mal fragen.“ 

Innerlich verkrampfte sich alles in mir, als ich seinen Namen aussprach. Ihn zu fragen, war das Letzte, was ich wollte. Der Gedanke an unser Gespräch – wenn man es so nennen konnte – machte mich immer noch wütend. Julien hatte mich heute auf so viele Arten zur Weißglut getrieben: seine Selbstherrlichkeit, die Art, wie er in mein Projekt eingegriffen hatte, ohne mich zu informieren, und nicht zuletzt diese dreiste Nähe, die er mir aufgezwungen hatte. 

Ich ballte unwillkürlich eine Hand zur Faust. Er nahm mich einfach nicht ernst – weder als professionelle Partnerin noch als Person. Und das würde er noch bereuen. Ich wusste noch nicht genau wie, aber ich würde mich rächen. 

„Na gut,“ hörte ich Lanas Stimme wieder in meinem Ohr. „Aber sag Bescheid, wenn du gefragt hast, ja?“ 

„Mach ich,“ murmelte ich, obwohl ich wusste, dass das eine Lüge war. 

„Bis bald, Mina,“ verabschiedete sich Lana, und ich legte auf. 

Ich ließ das Handy auf die Couch fallen und starrte für einen Moment an die Decke. Mein Kopf war voller Gedanken, meine Gefühle ein chaotischer Wirbelsturm aus Wut und... etwas anderem, das ich nicht genauer benennen wollte. 

Eins war klar: Ich würde Julien zeigen, dass ich keine Marionette war, die er nach Belieben herumschubsen konnte.

Am nächsten Morgen verabschiedete ich Sofia, die zurück nach Berlin musste, bevor sie von dort nach Kitzbühel weiterfliegen würde. Sie war wie immer voller Energie, selbst nach einem Wochenende, das für sie alles andere als ruhig gewesen war. 

„Mach’s gut, Süße,“ sagte sie, während sie mich in eine enge Umarmung zog. 

„Du auch,“ murmelte ich und hielt sie fest. „Ich weiß gar nicht, wie ich das hier ohne dich schaffen soll.“ 

„Das wirst du schon,“ erwiderte sie selbstbewusst. „Die Zeit geht schneller um, als du denkst. Und dann sitzen wir in der Skihütte, schlürfen Champagner und machen die Pisten unsicher. Ich schwöre dir, das neue Chalet meiner Eltern lässt keine Träume offen.“ 

„Das glaube ich dir sofort,“ sagte ich und konnte mir das Haus ihrer Eltern förmlich vorstellen. Ihre Mutter war Interior Designerin mit einem unfehlbaren Sinn für Stil und Eleganz – jedes Projekt von ihr glich einem Kunstwerk. 

Sofia zog mich leicht zurück und musterte mich mit einem kritischen Blick. „Mina Maus, hast du denn überhaupt was zum Anziehen für Kitzbühel?“ 

„Ich finde schon was,“ winkte ich ab. 

„Ich kann auch deine Sachen bei deinen Eltern abholen... oder ich lasse dir Geld hier,“ schlug sie vor und begann schon in ihrer Handtasche zu wühlen. 

„Quatsch, nein. Ich werde schon was finden,“ versicherte ich ihr. Doch bevor ich sie weiter beschwichtigen konnte, drückte sie mir ihre Bankkarte in die Hand. 

„Du kennst den Pin, und ansonsten lässt du es einfach auf meinen Namen anschreiben. Ich erwarte ein hübsches neues Outfit, ansonsten gehst du nackt im Schnee baden,“ drohte sie mit einem breiten Grinsen. 

Ich musste lachen. „Sofia, bis jetzt warst immer du diejenige, die irgendwann nackt im Schnee lag, wenn wir in Kitzbühel waren.“ 

„Ja, weil du nie mitmachst!“ gab sie anklagend zurück, mit einem gespielt beleidigten Gesichtsausdruck. „Also weißt du, was du zu tun hast, wenn das so bleiben soll... wobei Ju bestimmt nichts dagegen hätte.“ 

„Zeit, dass du verschwindest,“ sagte ich lachend und schob sie sanft zum Auto ihres Fahrers. 

Sofia warf mir einen letzten Blick über die Schulter zu, ein freches Grinsen auf den Lippen. „Sex im Schnee hat bestimmt auch so seinen Anreiz.“ 

„Du spinnst!“ rief ich ihr nach, doch sie winkte nur mit einer Hand, bevor sie einstieg und die Tür hinter sich schloss. 

Als das Auto um die Ecke bog und aus meinem Sichtfeld verschwand, konnte ich nicht anders, als den Kopf zu schütteln. Sofia und ihre endlosen Provokationen – aber genau das machte sie aus.

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