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Wir saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander. Bis Mina sich aufrichtete, ihren Rücken durchstreckte und mich ansah.
"Das ändert aber nichts zwischen uns, dass ich dir das erzählt habe" stellte sie klar.
"Was soll es ändern?" lächelte ich.
"Mein Tablet liegt noch oben, dann kann ich dir meine Vorschläge zeigen" sie stand auf und lief nach oben.

Ich sah ihr nach. Sie wollte sich ablenken und wahrscheinlich verhindern das ich weiter nachfragte, in dem sie auf die Arbeit lenkte. Ich würde es zulassen, es wunderte mich schon, dass sie es überhaupt erzählt hatte.

Mina kam die Treppe hinunter, ihr iPad fest in der Hand. Ihre Haltung war wieder aufrechter, fast entschlossen. Ich lehnte mich zurück und ließ sie gewähren, neugierig, wohin das führen würde. 

„Dann überrasche mich,“ sagte ich mit einem kleinen Lächeln, als sie sich neben mich setzte. 

„Also,“ begann sie, während sie durch ihre Dateien scrollte, „dadurch, dass die Marke ja stark auf dystopische und urbane Ästhetik setzt, dachte ich, wir könnten diese Stimmung in den Hintergrund des Videos einbinden, ohne dass es die Kleidung überstrahlt.“ 

„Dystopisch und urban, okay. Und wie stellst du dir das genau vor?“ fragte ich, während ich mich nach vorne beugte, um auf ihr Display zu schauen. 

Mina öffnete ein Moodboard mit Fotos. Lost Places, wie verlassene Fabrikhallen, düstere Korridore, bröckelnde Fassaden und eingeschlagene Fenster, füllten den Bildschirm. Die Szenerien waren trist, fast bedrohlich, aber hatten eine faszinierende Ästhetik. 

„Ich dachte an einen Lost Place als Drehort. Eine Umgebung, die diese verfallene, hoffnungslose Atmosphäre einfängt. Die Hoodies stehen dabei im Vordergrund, als Kontrast zu dieser Trostlosigkeit. Es ist, als ob die Figuren darauf, die einzige Farbe, das einzige Leben in dieser Welt sind.“ 

Sie hielt inne und schaute zu mir, um meine Reaktion abzuschätzen. 

„Hm, gefällt mir,“ murmelte ich, meine Augen weiter auf die Bilder gerichtet. „Das passt zur Marke, aber wie willst du die Models und die Bewegungen inszenieren? Soll es eine Art Story geben oder nur rein visuelle Reize?“ 

Mina schien erleichtert, dass ich nicht sofort widersprach, und blätterte weiter durch die Bilder. 

„Ich dachte an eine Mischung. Die Story soll subtil sein, eher in Fragmenten erzählt werden. Ein paar Einstellungen könnten zeigen, wie die Charaktere durch diese verfallene Welt streifen, aber das Hauptaugenmerk liegt auf den Hoodies – wie sie getragen werden, wie sie sich bewegen. Die Umgebung ist nur die Bühne, die die Kleidungsstücke hervorhebt.“ 

„Beleuchtung?“ fragte ich, mein Interesse wachsend. 

„Düster, aber gezielt akzentuiert. Vielleicht mit ein paar Lichtbrechungen durch kaputte Fenster oder eine Neonröhre, die flackert. Die Schatten sollen tief sein, fast wie eine zweite Hauptrolle, um die Hoodies noch mehr in den Fokus zu rücken.“ 

Sie wechselte zu einem anderen Bild: Ein Model, das inmitten einer verlassenen Lagerhalle stand, Licht, das durch die Ritzen der Wände fiel und die Silhouette betonte. 

„Die Hoodies sollen der leuchtende Kontrast sein. Die Charaktere haben ja recht knallige Farben, die die Tristesse durchbrechen – Rot, Gelb, Blau. Aber nicht übertrieben. So dass, es so wirkt, als ob die Hoodies Hoffnung in eine hoffnungslose Welt bringen.“ 

Ich nickte langsam, meine Gedanken gingen schon in Richtung Machbarkeit und Teamaufstellung. „Das klingt ehrlich gesagt ziemlich stark. Die Marke könnte so ein Statement-Video wirklich gebrauchen. Glaubst du, du findest einen geeigneten Ort dafür?“ 

„Ich habe schon ein paar Locations im Kopf. Eine alte Fabrikhalle hier in der Nähe wäre perfekt. Sofia hat außerdem Kontakte zu ein paar anderen Lost Places, die wir eventuell nutzen könnten. Da hat sie mal ne Party organisiert“ 

„Du hast wirklich mitgedacht.“ 

Mina hob leicht die Schultern. „Es ist mein Job, oder? Also, was denkst du?“ 

Ich lächelte. „Ich denke, das könnte wirklich groß werden. Aber es wird eine Herausforderung, den Fokus so präzise auf die Hoodies zu lenken, wie du dir das vorstellst.“ 

„Ich mag Herausforderungen,“ erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln. 

„Gut,“ sagte ich und stand auf. „Dann schau ich mal, wie wir das im Zeitplan unterkriegen. Aber eins sage ich dir: Wenn du das durchziehst, wird es dein Projekt. Das heißt, du hast die Zügel in der Hand. Bist du bereit dafür?“ 

Mina wirkte für einen Moment überrascht, dann aber nickte sie entschlossen. „Bereiter als je zuvor.“ 

„Dann los. Wir haben Arbeit vor uns.“ 

„Allen voran möchte ich geklärt haben, wie du dir das mit Charakteren vorstellst. Wie sollen sie lebendig werden? Real live action? Das Team wird uns umbringen, wenn sie jetzt noch animieren müssen“ fragte ich, während ich im Raum auf und ab lief. Es war wie immer bei kreativen Brainstormings – Bewegung brachte die Ideen zum Fließen. 

Mina saß entspannt am Tisch, ihr iPad noch in der Hand. „Nee, das wäre nicht authentisch,“ entgegnete sie. „Ich dachte an Cosplay, verkleidete Menschen. Das würde zu dem leichten Anime-Stil der Marke passen.“ 

Ich hielt inne und starrte sie an. Diese Frau hatte wirklich an alles gedacht. 

„Was für Models hast du dir für die Hoodies vorgestellt?“ fragte ich, neugierig, wie weit sie mit ihrer Planung war. 

„Das ist etwas, worüber ich noch mit dir sprechen wollte,“ sagte sie zögernd. „Dadurch, dass du selber Werbung für die Marke machst, bin ich nicht ganz durchgestiegen, ob du bei so etwas dabei wärst. Deshalb habe ich in beide Richtungen geplant.“ 

Ich blinzelte, verblüfft über ihre Weitsicht. „Du bist wahnsinn,“ staunte ich offen. „Ich hatte nicht ansatzweise damit gerechnet, dass du so eine große Aufgabe so durchdacht angehen würdest. Eternal God ist einfach komplex, wenn man es nicht lebt.“ 

Mina zuckte mit den Schultern, ein kleines Lächeln spielte auf ihren Lippen. „Ich hatte überlegt, dass man Cosplayer sucht, die dann später den Hoodie ihres jeweiligen Charakters tragen. Man könnte das Licht so flackern lassen und die Bildszene wechseln – einmal der Charakter, einmal das Model. Du weißt, was ich meine?“ 

Ich nickte begeistert. Sie hatte einen unglaublichen Blick fürs Detail. Es war fast absurd, dass sie bisher nur eine Praktikantin war. 

„Das könnte tatsächlich etwas richtig Großes werden,“ sagte ich, während ich wieder auf und ab lief. Insgeheim fragte ich mich, ob man Mina selbst nicht in die Rolle von Koya oder Marry stecken könnte. Sie hatte diese natürliche Präsenz, die perfekt zu den Charakteren passen würde. Aber diese Idee behielt ich erst einmal für mich. 

„Und wie stellst du dir das mit den Szenenwechseln genau vor?“ fragte ich. 

„Die Kamera bewegt sich ständig – keine starren Aufnahmen. Es sollte dynamisch wirken, fast so, als ob die Charaktere und die Modelle miteinander verschmelzen. Vielleicht lassen wir sogar kleine animierte Details in die Szenen einfließen, um die Verbindung zum Anime-Stil noch deutlicher zu machen.“ 

„Animierte Details?“ Ich hob eine Augenbraue, überrascht von ihrer Kreativität. 

„Ja, nichts Übertriebenes. Vielleicht nur leuchtende Augen bei den Charakteren oder kleine, glitchartige Effekte, wenn die Kamera zwischen den Real-Life-Modellen und den Cosplayern wechselt.“ 

Ich ließ die Idee in meinem Kopf wirken. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr konnte ich das Endergebnis vor mir sehen. Es wäre ein Statement – ein echter Hingucker. 

„Okay, Mina,“ sagte ich schließlich. „Ich will, dass du dieses Konzept komplett ausarbeitest. Location, Models, Licht, Effekte – alles. Ich gebe dir Zugang zu allen Ressourcen, die du brauchst.“ 

Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. „Heißt das, ich leite das Projekt?“ 

„Ja, genau das heißt es. Aber ich bleibe als Berater an deiner Seite. Eternal God ist zu wichtig, um es komplett aus der Hand zu geben. Aber wenn du das durchziehst, gehört die Idee am Ende dir.“ 

Ein entschlossenes Lächeln zog über ihr Gesicht. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“ 

„Da bin ich mir sicher,“ antwortete ich, und zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich wirklich inspiriert. Genau das was ich erhofft hatte, als ich Mina das erste Mal gesehen hatte.... naja zumindest ein Teil davon. An dem anderen Teil würde ich wohl noch etwas arbeiten müssen.

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Da schreibe ich hier munter weiter und kriege gar nicht mit, dass ich hier plötzlich 206 Abonnenten habe 😱 das ist einfach sooo heftig 😍

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