26

Der Abend zuvor hatte mich mehr beschäftigt, als ich zugeben wollte. Ich hatte Mina nach Hause gefahren, obwohl ich ihr angeboten hatte, bei mir zu bleiben. Doch sie hatte darauf bestanden, in ihre eigene Wohnung zurückzukehren, und ich hatte den Grund dafür nicht wirklich herausgefunden. Mina war gut darin, zu schweigen, wenn es um ihre Probleme ging. 

Am nächsten Morgen war ich wieder im Haus, offiziell „ausgebremst“ vom Team, nachdem ich mich gestern krankgemeldet hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, die Produktion nur aus der Ferne zu beobachten. Normalerweise war ich derjenige, der sich in jeden Arbeitsschritt einbrachte, doch nach meiner gestrigen Absenz hatte das Team entschieden, mir eine Zwangspause zu verpassen. 

Als Mina und Joon zusammen hereinkamen, sah sie fast wieder aus wie immer. Abgesehen von ihren geröteten Augen wirkte sie gefasst. 

„Guten Morgen,“ grüßten sie mich fast gleichzeitig. 

„Alles wieder fit?“ fragte Joon, während er seine Jacke abstreifte. 

„Ja, war wohl einfach mal ein Knock-out gestern. Hallo Mina,“ antwortete ich beiden und stand auf. 

„Thomas hat dir also schon erzählt, dass du es entspannt angehen sollst?“ grinste Joon. 

„Sehr lustig,“ erwiderte ich trocken und verschränkte die Arme. „Dafür nehme ich euch Mina weg.“ 

„Wozu?“ fragte Joon sofort, während Mina mich mit einem Blick ansah, den ich nicht einordnen konnte. 

„Ich will mir ihr Konzept für *Eternal God* anhören. Jetzt hab ich ja Zeit,“ erklärte ich, und Joon nickte. 

„Pass auf, dass er es ruhig angeht,“ wies er Mina an, bevor er nach oben verschwand. 

Mina hielt mir einen Beutel mit frisch gewaschenen Klamotten hin. „Hier, hab sie gewaschen.“ 

„Du hast gestern noch gewaschen?“ fragte ich verwundert. 

„Ja, ist doch nichts dabei. Danke nochmal für das alles gestern.“ Sie lächelte verlegen. 

Ich warf den Beutel zu den Schuhen und sah sie ernst an. „So leicht kommst du nicht davon. Wir zwei reden jetzt.“ 

Mina versteifte sich sichtbar, doch sie ging an mir vorbei in die Küche. Unten angekommen lehnte sie sich mit verschränkten Armen gegen die Küchenzeile. 

„Ich brauche keine Belehrung, wie scheiße das war. Dafür habe ich bereits Eltern,“ sagte sie trotzig. 

Ich verschränkte ebenfalls die Arme und sah sie an. „Dennoch bist du gestern hier so aufgetaucht. Damit ist das jetzt eine Angelegenheit zwischen uns beiden. Ich kümmere mich um meine Angestellten.“ 

Ich hasste es, diese Karte auszuspielen, aber Mina ließ mir keine andere Wahl. Ihre Haltung war starr, ihre Augen herausfordernd. 

„Sag mir, was los ist. Du bist so ordentlich und fast langweilig, mit deinem Studium und allem. Du lässt alles über dich ergehen, was ich hier tue, und dann setzt du plötzlich alles auf eine Karte und machst so etwas?“ 

Meine Worte schienen sie zu treffen. Sie zuckte leicht zusammen, doch ich trat einen Schritt auf sie zu.

„Ich habe dir doch gestern gesagt...“ 

„Dass deine Mom dich angerufen hat, ja,“ unterbrach ich sie und machte einen Schritt auf sie zu. „Aber das erklärt absolut gar nichts!“ 

Ihre Augen funkelten, und sie machte ebenfalls einen Schritt auf mich zu. „Hör auf, den besorgten Chef zu spielen. Ich soll dir sagen, was mit mir los ist? Du sagst mir doch auch nicht, warum ich hier unbedingt anfangen sollte. Wegen meiner Leistungen sicherlich nicht – du weißt ja nicht mal, was ich studiere.“ 

„Es geht jetzt aber nicht um mich, sondern um dich,“ entgegnete ich bestimmt. 

Noch ein Schritt näher, und sie war direkt vor mir. Ihre Augen waren glühend vor Wut. „Warum? Etwa, weil du gerade nicht in Stimmung bist, mich flachlegen zu wollen?“ 

Ihre Worte trafen mich, doch ich ließ mich nicht beirren. „Weil ich eine Frau vor mir sehe, die ich nicht verstehe. Die sich etwas aufbauen will, nur um es selbst zu zerstören. Keine Ahnung, was das mit dir und deinen Eltern ist, aber du solltest lernen, dass dein Leben nicht von ihnen abhängt.“ 

Ihre Haltung brach in sich zusammen, und die Tränen, die sich in ihren Augen bildeten, machten deutlich, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. 

Ich atmete tief durch. Es war Zeit, hinter Minas Mauern zu blicken – auch wenn sie sie gerade bröckeln ließ. 

Mina sank auf die Bank am Küchentisch, ihre Schultern schwer, als wäre all das Gewicht der Vergangenheit plötzlich wieder auf sie gefallen. 

„Mein Leben hängt nicht von meinen Eltern ab. Nicht mehr. Ich hab mir das Leben doch selber unnötig schwer gemacht,“ brach es aus ihr heraus. Ihre Stimme war leise, aber voller Schmerz. 

Ich setzte mich neben sie, reichte ihr ein Taschentuch und wartete, dass sie weitersprach. 

„Ich hatte alles. Ein Leben, von dem die meisten nur träumen, und ich habe es einfach nicht gewertschätzt.“ Sie schnaubte bitter, während sie sich das Taschentuch vors Gesicht hielt. 

„Mein Dad ist Unternehmer, ziemlich erfolgreich. Er hat ein Tool entwickelt, mit dem Politiker und Wirtschaftsbosse ihre Aktien bestmöglich anlegen können. Er hat damit Schweinegeld gemacht,“ begann sie plötzlich zu erzählen, als würde das Reden den Druck in ihrem Inneren lindern. 

„Ständig hatten er und meine Mom irgendwelche Kunden eingeladen, um ihre Beziehungen zu pflegen. Und ich? Ich hatte einfach das Gefühl, dass sie sich nicht um mich kümmern.“ Ihre Stimme zitterte. „Sofia, die Schwarzhaarige von gestern, ist meine beste Freundin. Ihre Eltern besitzen Clubs auf der ganzen Welt. Wir haben so viel gefeiert... Gott, ich war so eine Tussi.“ 

Sie lächelte kurz, doch der Ausdruck war voller Selbstverachtung. 

„Immer die teuersten Drinks, die schicksten Outfits. Das Geld kam ja von unseren Eltern. Sofia war immer irgendwie in die Geschäfte ihrer Eltern eingebunden, aber bei mir flog alles einfach so zu. Irgendwann reichten die Partys nicht mehr, um... um glücklich zu sein. Ich glaube, ich war sechzehn, als ich die erste Line gezogen habe.“ 

Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. Mina – die ordentliche, pflichtbewusste Mina, die ich kannte – hatte Drogen genommen? 

„Ich hab es nur sporadisch gemacht,“ fuhr sie fort, ohne mich anzusehen. „Aber zusammen mit Alkohol verträgt sich das halt schlecht. Meine Mom hat mich zu drei Psychologen geschleppt, aber ich habe mich geweigert, auch nur irgendwas zu machen. Mein Dad wollte mich schon damals rausschmeißen.“ 

Sie hob den Kopf, ihre Augen glasig. Dann atmete sie tief durch und drehte sich langsam zu mir. 

„Vielleicht erkennst du dich ja wieder und weißt jetzt, warum ich dich damals so schockiert angesehen habe.“ 

Ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte. 

„Es war Silvester,“ begann sie, ihre Stimme schwer. „Das Haus war voll. Wenn meine Mom einlud, kamen alle – alles, was Rang und Namen hatte. Ich war schon mittags betrunken, und Mom hatte mich gebeten, einfach in meinem Zimmer zu bleiben und mit Sofia einen netten Abend zu verbringen. Aber stattdessen...“ Sie brach ab, als ob es ihr schwerfiel, die Worte zu sagen. „...hab ich mich mitten in der Küche von irgendeinem Typen vögeln lassen.“ 

Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Augen weiteten. 

„Dad war außer sich vor Wut, und Mom konnte ihn gerade so überzeugen, dass ich bleiben durfte. Und es war nicht mal gut,“ fügte sie mit einem verbitterten Lachen hinzu. 

Ich war sprachlos, doch sie war noch nicht fertig. 

„Ein halbes Jahr später, beim Essen mit dem Oberstaatsanwalt, hab ich quer über den Tisch gekotzt. Da war dann endgültig Schluss.“ 

Mina hielt inne, um sich die Tränen wegzuwischen und ihre Nase zu putzen. 

„Seitdem ist das Verhältnis zu meinen Eltern... schwierig, um es nett auszudrücken. Sie vertrauen mir einfach nicht mehr. Für sie bin ich nur noch die, die sich grundlos volllaufen lässt und mit irgendwelchen Männern ins Bett steigt. Das hat meine Mom mir am Telefon gerade erst wieder klar gemacht. Und irgendwie... irgendwie habe ich die Kontrolle verloren.“ 

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, und ihre Schultern bebten vor Schluchzen. 

Ich legte meine Hand auf ihren Rücken, fühlte, wie sie leicht zitterte. „Mina, du bist so viel mehr als das. Du hast daraus gelernt, das sieht man. Rückschritte gehören dazu, aber sie definieren dich nicht. Deine Eltern werden irgendwann erkennen, was für eine starke Frau du geworden bist.“ 

Sie hob langsam den Kopf und sah mich an, ihre Augen gerötet, aber in ihrem Blick lag ein Funken Hoffnung. 

„Und wenn sie es nicht sehen?“ flüsterte sie. 

„Dann sehe ich es“ sagte ich ruhig. „Du hast so viel mehr verdient, als in der Vergangenheit zu leben.“ 

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