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Pov Mina
Mein Wecker riss mich aus einem Tiefschlaf, der so angenehm gewesen war, dass ich mir sicher war, nie wieder etwas Vergleichbares erleben zu dürfen. Mit halbgeschlossenen Augen tastete ich nach dem Höllengerät und schaffte es schließlich, es auszuschalten. Erleichtert vergrub ich mein Gesicht wieder im Kopfkissen. Wer zur Hölle hatte diese Folterinstrumente erfunden? Und warum hatte die Menschheit beschlossen, sie freiwillig zu benutzen?
Doch es nützte alles nichts. Ich musste aufstehen.
Aus dem Nebenzimmer hörte ich bereits leise Musik und das rhythmische Atmen meiner Mitbewohnerin. Lana machte jeden Morgen vor der Uni Yoga, während ich froh war, wenn ich es ohne blaue Flecken aus dem Bett schaffte. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Ballon, und ich brauchte eine ganze Weile, um ins Bad zu schlurfen. Das kalte Wasser auf meinem Gesicht wirkte zumindest ein bisschen.
Meine Locken waren wieder einmal ein einziges Chaos. Ich seufzte und flocht sie kurzerhand zu einem Zopf. Es war keine Glanzleistung, aber besser als gar nichts.
"Guten Morgen," begrüßte mich Lana, als ich die Badezimmertür öffnete. Sie schob sich an mir vorbei und grinste mich frisch und ausgeschlafen an.
"Morgen," murmelte ich zurück und schlürfte in mein Zimmer. Vor meinem Spiegel schminkte ich mich dezent – hauptsächlich, um die Augenringe zu kaschieren – und zog mir eine Jeans und einen braunen Pullover an. Klassisch, aber schick. Zumindest soweit ich das beurteilen konnte.
"Mina, hast du meine Tasche gesehen?" rief Lana aus dem Flur.
"Die hast du gestern in die Küchenecke gefeuert!" rief ich zurück.
"Ach ja, stimmt!"
Ich musste lächeln. Lana hatte sich gestern Abend wieder über unseren Professor aufgeregt und lautstark darüber nachgedacht, das Studium abzubrechen. Das passierte mindestens einmal die Woche – meistens, weil einer von uns beiden keine Lust mehr hatte.
Ich griff nach meiner Tasche, hängte sie mir über die Schulter und ließ mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden.
"So, ich hab alles," verkündete Lana schließlich zufrieden, als sie die Haustür öffnete.
Wir studierten zusammen Kommunikationsdesign und hatten uns direkt im ersten Semester kennengelernt. Damals waren wir beide verzweifelt auf Wohnungssuche gewesen, und nach nur einem Kaffee war klar, dass wir zusammenziehen würden. Bis heute hatte sich diese Entscheidung als goldrichtig erwiesen.
"Bist du auch schon so aufgeregt?" fragte Lana, als wir wenig später den Bäcker verließen.
Ich biss von meinem Brötchen ab, kaute kurz und schüttelte den Kopf. Dann nickte ich doch.
"Eher neugierig," sagte ich schließlich. "Ich kann mir dieses YouTube-Ding einfach nicht vorstellen."
"Ich meine doch nicht das Thema, sondern Julien Bam selbst," entgegnete sie und zwinkerte. "Er ist ein erfolgreicher Content Creator – und sieht ziemlich gut aus."
Seit wir erfahren hatten, dass Julien Bam als Gastdozent einen Vortrag halten würde, hatten wir uns einige seiner Videos angesehen. Anfangs nur aus Pflichtgefühl, doch schnell waren wir fasziniert. So faszinierend, dass wir beschlossen hatten, seinen Vortrag auf keinen Fall zu verpassen. Und weil ich für mein Stipendium noch den Nachweis für zwei Vorträge brauchte, die ich besucht hatte.
"Er wird doch eh nur seinen Text runterrattern und dann wieder verschwinden," meinte ich und warf die leere Brötchentüte in den Mülleimer am Straßenrand.
"Vielleicht," gab Lana zu. "Aber es ist doch trotzdem spannend, jemanden in echt zu sehen, den man sonst nur aus Videos kennt."
"Ja, ist es," gab ich schließlich zu. Ich musste zugeben, dass Julien Bam eine beeindruckende Präsenz hatte, selbst durch den Bildschirm. Es war schwer vorstellbar, dass diese Persönlichkeit heute direkt vor uns stehen würde.
Als wir den Hörsaal erreichten, war es schon ziemlich voll. Die Stimmung im Raum war aufgeregt, fast elektrisiert. Viele Studenten tuschelten miteinander, einige hatten sogar kleine Kameras dabei.
"Hier, der Platz ist noch frei," sagte Lana und zog mich in eine der mittleren Reihen. Ich setzte mich, klappte den kleinen Tisch vor mir herunter und legte mein iPad darauf. Mit dem Pen öffnete ich eine neue Seite für meine Notizen und schrieb in sauberer Schrift: "Vortrag – Julien Bam" oben drüber.
"Streber," kicherte Lana leise und tat es mir dann gleich.
Ich schmunzelte und warf einen Blick zur Bühne. Noch war sie leer, aber mein Herz schlug ein wenig schneller. Ob er nervös war? Wie würde er wohl wirken? Mein Bauchgefühl sagte mir, dass dieser Vortrag interessanter werden würde, als ich ursprünglich gedacht hatte.
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