14

Pov Mina

Ich hatte alles erreicht, was ich wollte. Julien hatte nicht damit gerechnet, dass ich ihm so souverän zeigte, wie egal mir das war, was ich gestern gesehen hatte. Innerlich schmunzelte ich bei der Erinnerung an sein Gesicht, als ich ihm diesen süffisanten Seitenhieb verpasst hatte. Als Vorsichtsmaßnahme – und vielleicht auch ein bisschen, um ihn zu ärgern – hatte ich meine Haare heute streng zurückgebunden. Ein Dutt, der keine Chance ließ, dass Julien meine Locken berührte, geschweige denn löste. Ich wusste, dass er offene Haare an mir mochte, und das war genau der Punkt. 

Während Thomas und ich gemeinsam im Internet nach dem Ding suchten, das er in den Läden nicht finden konnte, drifteten meine Gedanken immer wieder ab. Ich hatte keine genaue Vorstellung, wonach wir suchten, aber es lenkte mich zumindest ab. 

„Möchtest du auch was zu trinken?“ fragte ich irgendwann, als ich das iPad zur Seite legte. 

„Ein Wasser wäre toll“, antwortete Thomas, ohne den Blick von seinem Tablet zu heben. 

Ich nickte und ging Richtung Küche. Dabei kam ich an der Arbeitsgruppe auf dem Sofa vorbei, wo Julien, Joon und Josh ihre Diskussionen führten. 

„Bringst du mir einen Eistee mit?“ rief Joon plötzlich, als er bemerkte, wo ich hinwollte. 

Ich wollte gerade antworten, doch Julien kam mir zuvor. „Sie ist keine Bedienung. Holt euch euer Trinken selbst, Jungs.“ 

Verblüfft blieb ich stehen und warf ihm einen langen Blick zu. „Du könntest mir ja auch tragen helfen“, sagte ich schließlich und hielt kurz inne, bevor ich weitersprach. „Ich stelle die Getränke in der Küche auf den Tisch, aber du solltest vielleicht jetzt aufstehen. Ich habe gehört, in der Küche kann es ziemlich heiß werden, da werden die Getränke dann so schnell warm.“ 

Mein süßes Lächeln unterstrich meine Worte, und ich wusste, dass er die Anspielung verstanden hatte. Es war mir egal, was die anderen dachten.

In der Küche suchte ich die Gläser zusammen, als ich plötzlich Juliens spöttische Stimme hinter mir hörte. „So heiß finde ich es hier gar nicht.“ 

Ich drehte mich nicht zu ihm um. „Jetzt, wo du es sagst“, antwortete ich beiläufig und fand endlich die Gläser. Drei stellte ich vor mich auf die Arbeitsplatte.  Den Tisch würde ich in den ganzen drei Monaten meines Praktikums nicht mehr berühren können.

Julien trat näher und stellte den Eistee und die Wasserflasche neben die Gläser. Ich bemerkte seinen Blick auf mir, während ich mich darauf konzentrierte, die Flaschen zu öffnen. 

„Der Dutt passt nicht zu dir“, sagte er schließlich. 

Ich hob eine Augenbraue, sah ihn an und antwortete kühl: „Ein Jammer, dass mich das nicht interessiert.“ Ich stellte die Flaschen ab und fügte hinzu: „Und unterlass künftig diese Spielchen. Das Praktikum ist wichtig für mich, ich habe ein Stipendium zu verlieren.“ 

„Ich verspreche dir, dass du nach diesem Praktikum das beste Schreiben bekommst, das du dir erträumst“, sagte Julien ruhig und mit diesem verschmitzten Lächeln, das mich gleichzeitig reizte und irritierte. „Aber alles andere kann und werde ich dir nicht versprechen.“ 

„Warum?“ fragte ich, während ich die Gläser befüllte. „Was hast du davon?“ 

„Spaß. Solltest du auch mal versuchen“, grinste er. 

Ich stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. „Oh, ich habe jede Menge Spaß in meinem Leben.“ 

„Ach ja?“ Er lehnte sich an die Arbeitsplatte und sah mich herausfordernd an. „Dein Leben besteht doch nur aus diesem Studium. Wobei …“ Sein Grinsen wurde breiter. „Ich habe den Insta-Post deiner Freundin gesehen. In meinem Mini hattest du scheinbar tatsächlich Spaß. Scheint so, als wäre dein Spaß eng mit mir verbunden.“ 

Ich sah ihn fassungslos an. Die Dreistigkeit, mit der er das sagte, war unglaublich. Mein Instinkt schrie danach, ihm eine zu klatschen, aber ich hielt mich zurück. Stattdessen presste ich die Worte hervor: „Rede dir das ruhig weiter ein, aber ich werde ganz sicher nicht noch einmal dabei zusehen, wie du hier jemanden fickst, wenn das deine Interpretation von Spaß ist. Ich dachte wirklich, ein Praktikum hier wäre cool, aber da war mir nicht klar, was für ein Psycho du bist.“ 

Kaum waren die Worte raus, bereute ich sie. Doch zu meiner Überraschung lachte Julien. Nicht spöttisch, sondern herzhaft und ehrlich. 

„Das hat gesessen“, meinte er schließlich, wobei er mich halbwegs ernst ansah. „Es tat schon fast weh. Ich weiß nicht, wann mir zuletzt jemand so eine Ansage verpasst hat.“ 

Sein Blick war plötzlich ruhig, fast nachdenklich. „Das mit gestern … tut mir wirklich leid. Es war absolut unüberlegt.“ 

Ich war baff. Julien entschuldigte sich tatsächlich? Diese Wendung hatte ich nicht erwartet. Es ließ mich für einen Moment nachdenklich werden, doch ich schob den Gedanken beiseite. 

„Schön“, sagte ich schließlich und griff nach den Gläsern. „Dann sorg dafür, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“ 

Er nickte nur, sein Lächeln schwächer, aber immer noch da. Ich verließ die Küche, die Getränke in der Hand, und spürte, wie mein Puls sich langsam wieder beruhigte. Das hier war definitiv ein seltsames Praktikum. 

„Hat er doch nicht tragen geholfen?“ fragte Joon grinsend, als ich mit den Gläsern zurückkam. 

„Es war ihm zu schwer“, antwortete ich trocken, woraufhin Joon laut lachte. Er nahm sich ein Glas und griff nach dem Eistee. 

„Weint er jetzt in der Küche deswegen?“ fragte er immer noch kichernd. 

„Ich bin mir sicher, er kommt gleich“, entgegnete ich mit einem Schulterzucken und ging zurück zu Thomas. Kaum hatte ich mich wieder gesetzt, vibrierte mein Handy. Ich zog es aus meiner Tasche und sah die Nachricht: 

Kannst du mich bitte trotzdem von diesem schrecklichen Anblick befreien? Das ist Haarquälerei 🥺“

Ich starrte auf die Nachricht und hob den Blick. Julien schlenderte genau in diesem Moment wieder ins Wohnzimmer und setzte sich, als hätte er nichts getan. Ich antwortete knapp: 

Später vielleicht.“

Ich wollte das Handy gerade weglegen, doch da kam schon die nächste Nachricht: 

Was muss ich tun?“ 

Ich blickte auf und beobachtete ihn, wie er scheinbar konzentriert in seinen Unterlagen blätterte. Der Mann war wirklich gut darin, so zu tun, als hätte er nichts mit mir zu schaffen. Mir fiel allerdings nichts ein, was ich fordern konnte. Doch Julien ließ mir keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. 

„Thomas, ist die neue Werbekampagne für Eternal God schon geplant?“ fragte er plötzlich laut in die Runde. 

Thomas sah genervt auf. „Wann soll das denn noch passiert sein, Ju?“ fragte er. 

Julien ließ sich davon nicht beirren. „Mina, das ist ab jetzt deine Aufgabe. Bis morgen hätte ich gerne erste Ideen für ein Video. Und ich möchte, dass sich jemand überlegt, wie wir Mina als neues Teammitglied auf Social Media vorstellen.“ 

Ich blinzelte überrascht. Eine so wichtige Aufgabe … an meinem dritten Tag? 

„Aber morgen ist Samstag“, stellte ich fest, als ich auf den Kalender sah. 

„Ist das ein Problem?“ fragte Julien und sah mich an. 

Seine Augen durchbohrten mich, und ohne groß nachzudenken, schüttelte ich den Kopf. Eigentlich hatte ich gehofft, am Wochenende etwas durchatmen zu können, aber das konnte ich jetzt wohl vergessen. 

Ich sah wieder auf mein Handy, das erneut vibrierte: 

Mina, Mina, lass dein Haar endlich frei."

Ernsthaft? Eine Anspielung auf Rapunzel? Ich rollte innerlich die Augen und tippte eine Antwort: 

Und wenn nicht? Nimmst du mir die Aufgabe dann wieder weg?“

Die Antwort kam schneller, als ich erwartet hatte: 

Dann musst du mit mir essen gehen. Italienisch, Griechisch – such dir was aus.“

Ich starrte auf die Nachricht, fassungslos. Das war doch nicht sein Ernst. Doch als ich kurz zu ihm blickte, sah ich, wie er wieder scheinbar vertieft in seine Arbeit war, das typische verschmitzte Lächeln auf den Lippen. 

Seufzend gab ich nach. Ich griff nach meinen Haaren, zog die Haarnadeln und das Band heraus und wuschelte durch meine Locken, damit sie einigermaßen saßen. Gott, wie ich es hasste, meine Haare offen zu tragen – aber offenbar war Julien genau das der Effekt, den er erzielen wollte. 

Ohne ein weiteres Wort ging ich nach oben, um mir die vorhandenen Klamotten und Materialien für die Kampagne noch einmal genauer anzusehen. Wenn ich bis morgen etwas vorlegen sollte, brauchte ich dringend Inspiration. Beim Vorbeigehen warf ich Julien mein Haarband zu. 

„Für deine Sammlung“, sagte ich bissig, und sein Grinsen wurde nur breiter. 

Kaum hatte ich die Treppe betreten, hörte ich, wie Julien laut sagte: „Thomas, suchst du ein nettes Restaurant raus für heute Abend? Zwei Personen. Ich möchte Mina ein bisschen in die Gedanken hinter Eternal God einweihen – für ihre Arbeit.“ 

Ich hielt mitten auf der Treppe inne. 

„Diese kleine Ratte“, zischte ich und ballte die Hände zu Fäusten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top