12
Die Sonne schien träge durch die kahlen Äste, als ich den Mini vor dem Haus parkte. Heute würde ein anderer Teil der Filmproduktion im Mittelpunkt stehen: die Effekte. Thomas hatte mir die Wahl gelassen, ob ich wieder am Set helfen oder mir die Arbeit der Postproduktion ansehen wollte. Ich hatte mich bewusst für Letzteres entschieden. Es reizte mich, jeden Schritt der Entstehung mitzuerleben und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie alles zusammenkam.
Das Haus wirkte seltsam still. Ein seltener Moment inmitten des sonst so geschäftigen Produktionsalltags. Bevor ich ausstieg, kontrollierte ich im Rückspiegel noch einmal meinen Zopf. Alles saß. Zufrieden schulterte ich meine Tasche und ging zur Tür. Beim Klingeln fiel mein Blick auf mein Handgelenk, an dem drei Haarbänder baumelten. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich hatte gelernt, vorbereitet zu sein – auch wenn ich heute gar nicht sicher war, ob Julien da sein würde.
Dan öffnete die Tür. Seine lockere Art war ansteckend, und ich fühlte mich sofort wohl. "Bereit für die Effekte?" fragte er mit einem Grinsen, als er mich hereinschleuste.
Ich stellte meine Tasche im Flur ab, zog mein Notizbuch und einen Stift heraus und folgte ihm ins Wohnzimmer. Hier stand ein großer Bildschirm, der den Raum dominierte. "Wir schauen uns jetzt erstmal an, was gestern fertig geworden ist," erklärte er und wies auf das Sofa. "Quasi zur Kontrolle."
Ich setzte mich neben ihn und schlug mein Notizbuch auf. "Und worauf achtet man da genau?" fragte ich neugierig.
Dan lehnte sich zurück und begann zu erklären: "Das Wichtigste ist, dass alles flüssig läuft. Die Effekte dürfen keine Ruckler haben, sie müssen nahtlos in die Szene eingebettet sein. Und natürlich müssen Farben und Licht stimmen, damit sie realistisch wirken."
Ich notierte fleißig, was er sagte, während er weitere Punkte aufzählte: Übergänge, Schattenwürfe, Details, die auf den ersten Blick gar nicht auffielen, aber im Gesamtbild wichtig waren. Es fühlte sich fast an wie eine Checkliste, die ich stichpunktartig festhielt.
Dan startete die erste Szene. Auf dem Bildschirm flimmerte eine Explosion auf, die spektakulär in Zeitlupe ablief. Er pausierte das Video und zeigte mir, wie die Lichteffekte mit der Umgebung harmonieren mussten. "Siehst du das hier?" fragte er, während er mit der Maus über die Szene fuhr. Ich nickte und machte mir weitere Notizen.
Szene für Szene arbeiteten wir uns vor. Manchmal verlangsamte Dan das Video, um auf winzige Details hinzuweisen, die sonst unbemerkt geblieben wären. Ich war fasziniert davon, wie viel Arbeit in diesen Momenten steckte, die später im Film vielleicht nur wenige Sekunden dauerten. Drei Stunden vergingen wie im Flug.
Es war unheimlich spannend, aber auch anstrengend. Mein Notizbuch füllte sich mit Skizzen, Begriffen und neuen Erkenntnissen. Während Dan die letzte Szene startete, lehnte ich mich zurück und ließ die Eindrücke auf mich wirken.
"Das war beeindruckend," sagte ich schließlich, als der Bildschirm erlosch und Dan die Dateien schloss.
"Ja, manchmal merkt man erst, wie viel dahintersteckt, wenn man mittendrin ist," erwiderte er mit einem zufriedenen Lächeln.
Ich war müde, aber glücklich. Es war ein weiteres Puzzleteil, das sich in das große Ganze einfügte – die Magie des Films.
„Dann wollen wir mal weiter bauen,“ sagte Dan und erhob sich mit einem entschlossenen Ausdruck. Ich folgte ihm neugierig in den hinteren Teil des Wohnzimmers. Der Raum war eine Mischung aus technischer Präzision und kreativer Unordnung – Monitore, Grafiktablets und lose Blätter voller Skizzen lagen auf dem Schreibtisch.
„Das hier ist unser Werkzeug,“ begann er, als er ein Programm auf dem Bildschirm öffnete. Es wirkte auf den ersten Blick einschüchternd, mit all seinen Schaltflächen, Ebenen und Grafiken. Dan erklärte mir grob, wie es funktionierte, bevor er sich einer neuen Aufgabe widmete: ein Feuer im Kamin zu erstellen.
„Feuer wirkt simpel, aber es ist eigentlich ziemlich komplex,“ erklärte er, während er Farben und Bewegungsmuster auswählte. „Es hat unzählige Farbstufen, die sich ständig verändern. Und dann kommt noch die Lichtreflexion dazu.“
Ich sah ihm fasziniert zu, wie er mit geschickten Handbewegungen und präzisen Klicks eine lebendige Flamme entstehen ließ. Es war beeindruckend, wie viel Detailarbeit nötig war, um etwas so Alltägliches wie Feuer glaubhaft darzustellen.
„In ein, zwei Wochen kannst du sicher auch schon deinen ersten Effekt bauen, wenn wir ein bisschen üben,“ sagte Dan und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
Ich lachte unsicher. „Da bist du aber optimistisch. Im Moment bezweifle ich, dass ich mir in diesem Programm auch nur ansatzweise zurechtfinden würde.“
Dan warf mir einen vielsagenden Blick zu. „Nur durch Anwenden lernt man es. Und du bist doch hier, um etwas zu lernen, oder? Ju wird dir nicht halb so coole Dinge beibringen können wie wir VFX-Artists. Vor der Kamera ein paar Sprüche reißen ist das eine, aber wir machen das eigentliche Video.“
Sein breites Grinsen war ansteckend, und ich lachte. „Aber lass ihn das bloß nicht hören,“ warnte ich gespielt ernst.
„Meine Lippen sind verschlossen,“ versprach ich lachend.
Im Laufe des Nachmittags wuchs meine Bewunderung für die Arbeit der Effektkünstler weiter. Jeder Klick, jede Entscheidung schien durchdacht zu sein. Und zu meiner Überraschung durfte ich am Ende sogar selbst Hand anlegen.
„Hier, schau mal,“ sagte Dan und deutete auf eine Szene, in der die Beleuchtung des Feuers nicht ganz stimmte. „Korrigier das mal.“
„Ich?“ fragte ich ungläubig.
„Natürlich helfe ich dir,“ sagte er geduldig und zeigte mir, wie ich die Einstellungen anpassen konnte. Meine Finger zitterten leicht, als ich die Maus bewegte, aber mit Dans Unterstützung schaffte ich es tatsächlich, die Szene zu korrigieren.
„Perfekt,“ lobte er.
Ein kleines Erfolgserlebnis – zwei Mausklicks, aber sie fühlten sich an wie ein großer Schritt in diese faszinierende Welt. Am Ende des Tages war ich müde, aber erfüllt. Vielleicht würde ich doch irgendwann meinen ersten Effekt bauen können.
Nach einem langen Tag mit Dan fuhr ich noch schnell zur Post, um ein Paket abzuholen. Der Verkehr war ruhig, und mein Kopf war noch voll von all den Eindrücken des Tages. Als ich wieder in den Mini stieg, leuchtete das Display meines Handys auf – eine Nachricht von einer fremden Nummer.
Neugierig öffnete ich den Chat.
"Du hast hier was vergessen" stand da, zusammen mit einem Bild meiner Tasche, die auf den Treppenstufen zur Küche lag. Ich runzelte die Stirn. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich sie dort hingelegt hatte.
"Oh, danke. Komme nochmal rum, um sie abzuholen. Wessen Nummer ist das denn hier?" tippte ich zurück und legte das Handy beiseite.
Bislang hatte ich nur die Nummer von Thomas, also musste es jemand aus dem Team sein. Ich seufzte, wendete den Wagen und machte mich wieder auf den Weg zu dem Haus.
Dan hatte mir vorhin einen Ersatzschlüssel von Thomas gegeben, falls ich noch einmal zurückmüsste. Als ich in die Einfahrt bog, fiel mir Juliens Auto auf. Er war also noch hier, dabei war es doch schon spät.
Das Haus war still, als ich die Tür aufschloss und eintrat. „Hi, ich bin’s, Mina. Ich hol nur kurz meine Tasche und bin dann wieder weg!“ rief ich, aber keine Antwort kam.
Die Tasche lag auf halber Höhe der Treppe zur Küche, genau wie auf dem Bild. Ich ging die Stufen hinunter und bemerkte dabei ein leises Geräusch. Es wurde deutlicher, je näher ich kam – ein gedämpftes Keuchen und rhythmische Bewegungen, die ich nicht sofort einordnen konnte.
Dann sah ich es.
Julien stand am Tisch, seine Hände um den nackten Oberkörper einer blonden Frau geschlungen. Die Szene war unverkennbar, ihre Bewegungen zu eindeutig. Sie hatten Sex, mitten in der Küche.
Mein Atem stockte, und ich wollte den Blick abwenden – doch dann trafen sich unsere Augen. Julien sah direkt zu mir, als hätte er gewusst, dass ich da war. Seine Lippen waren leicht geöffnet, und ein Stöhnen entwich ihm, als er seine Hüften fester gegen die Frau presste. Sein Blick fixierte mich, als er plötzlich laut stöhnte. Seine Bewegungen stoppten. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er mich weiter ansah.
Mein Herz raste, mein Verstand schrie mich an zu handeln. Ich griff nach meiner Tasche, drehte mich um und rannte die Treppe hinauf. Meine Beine fühlten sich wie Blei an, und doch schaffte ich es, die Haustür aufzureißen, in meinen Mini zu springen und den Motor zu starten.
Erst als ich ein gutes Stück weit gefahren war, brachte ich den Wagen rechts zum Stehen. Ich schaltete den Motor aus und presste die Stirn gegen das Lenkrad. Meine Gedanken überschlugen sich.
Was hatte ich da gerade gesehen? Warum hatte Julien mich angesehen, als wäre das alles … für mich?
Ich atmete tief ein und aus, versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen, doch sie waren eingebrannt.
Ich zog mein Handy hervor, um die Antwort auf meine Frage zu lesen. „Julien, freue mich. Bis gleich.“
Das Blut in meinen Adern kochte, und bevor ich wusste, was ich tat, warf ich das Handy auf den Beifahrersitz. Wut und Verwirrung vermischten sich in mir, und ohne groß nachzudenken, schlug ich mit der Hand gegen das Lenkrad.
„Gottverdammte Scheiße!“ fluchte ich laut, nur um direkt danach das schmerzende Pochen in meiner Handfläche zu spüren. Natürlich tat es weh. Alles tat gerade weh – nicht nur meine Hand.
Julien. Er hatte gewusst, dass ich komme. Er musste meine Tasche absichtlich auf die Treppe gelegt haben. Ich war den ganzen Tag nicht in der Nähe der Küche gewesen, also konnte ich sie unmöglich dort verloren haben. Das alles war kein Zufall.
Mein Atem wurde schwerer, als ich die Szene vor meinem inneren Auge wieder sah. Julien, wie er diese Frau hielt. Wie er mich ansah. Als wäre es absichtlich gewesen. Und dann …
Oh Gott.
Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, der mich schaudern ließ. Hatte er tatsächlich … während er mich ansah? Der Ausdruck auf seinem Gesicht, sein Atem, dieser Blick. Es war alles so überdeutlich.
Ich stieß einen verzweifelten Laut aus und vergrub mein Gesicht in den Händen. Meine Finger zitterten leicht, während ich versuchte, die Realität dessen, was passiert war, zu sortieren.
„Ich kann dem doch nie wieder in die Augen sehen,“ murmelte ich jammernd in meine Handflächen.
Das war zu viel. Wut, Scham, Verwirrung – alles auf einmal. Julien hatte nicht nur eine Grenze überschritten, er hatte sie bewusst mit voller Absicht niedergerissen. Und ich war mitten in diesen verdrehten Moment hineingezogen worden, ohne es zu wollen.
Ich lehnte mich zurück, starrte aus der Windschutzscheibe und zwang mich, tief durchzuatmen. Das Bild in meinem Kopf wollte nicht verschwinden.
„Was zur Hölle sollte das?“ fragte ich mich leise und ballte die Hände zu Fäusten.
Ich hatte gehofft, dass der Schlaf eine Flucht sein würde. Aber als ich mich endlich ins Bett legte und die Augen schloss, waren sie wieder da – die Bilder, die ich verzweifelt zu verdrängen versucht hatte.
Ich sah Julien vor mir, wie er da stand, seine Hüften sich rhythmisch bewegend, wie seine Hände den Körper dieser Frau hielten. Doch es war nicht das, was mich am meisten beschäftigte. Es war sein Blick. Wie er mich ansah, herausfordernd, fast schon genießend, mit dieser Spur von Befriedigung, die in seinen Augen flackerte. Seine leicht geöffneten Lippen, der Atem, der ihm entwich.
Ein leises Keuchen entrang sich meiner Kehle, und ich biss mir auf die Lippe. Mein Körper reagierte, ob ich wollte oder nicht. Die Erregung zwischen meinen Beinen war ein Schlag ins Gesicht meiner Moral.
„Nein, nein, nein,“ flüsterte ich in die Dunkelheit, als würde das meine Gedanken stoppen. Doch da war dieses verdammte Teufelchen in meinem Kopf, das sich genüsslich räkelte und mir ins Ohr flüsterte: „Er hat dich dabei angesehen. Er ist gekommen, während er dich angesehen hat. Und es war hot.“
Ich presste meine Hände gegen meine Schläfen. „Halt die Klappe,“ murmelte ich verzweifelt.
Doch das Teufelchen war gnadenlos. Es ließ mich nicht los, spulte die Bilder wieder und wieder ab, als wären sie eine intime Fantasie und nicht die Realität, die mich so unvorbereitet getroffen hatte.
„Aaah, verpiss dich!“ rief ich leise und zog mir die Bettdecke über den Kopf, als könnte ich mich damit vor den aufdringlichen Gedanken verstecken. Mein Herz pochte, mein Körper kämpfte mit sich selbst, und meine Moral schrie.
„Bitte,“ flüsterte ich schließlich in die Einsamkeit meines Bettes, „lass mich einfach nicht davon träumen.“
Doch die Stille antwortete mir nicht.
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