- 45. KAPITEL -
Wie oft wünschte ich mir schon Selbstvertrauen in meinem Leben - heute mehr denn je zuvor. Wie in jedem kitschigen Roman hängt alles mal wieder von einer Person ab, aber anstatt mich in das Abenteuer zu stürzen sitze ich hier auf meiner Bettkante und lasse den Kopf hängen. Noch nie habe ich mich so allein gefühlt, obwohl so viele bei mir sind und mir helfen wollen. Warum muss eigentlich immer der Mann die Frau retten? Warum kann es nicht einmal andersrum sein? Womöglich hätte ich viel zu viel Angst um Elva, dass ihr was bei meiner Rettung passiert, oder ich würde verrückt werden, weil ich nichts machen kann. Zum gefühlten tausendsten Mal gebe ich mir ein Ruck. Ich muss jetzt hier durch, ich muss jetzt kämpfen, um eine glückliche Zukunft zu haben. Wenn ich jetzt schwächele werde ich mir für immer Vorwürfe machen. Seufzend schlurfe ich die Treppen hinunter. Ich muss ins Krankenhaus. Ich habe das Gefühl, dass ich erst wenn ich Elva sehe, wieder einen klaren Kopf bekommen kann. "Wo willst du hin?", fragt Mom, als ich an der Küche vorbeilaufe. "Ich gehe ins Krankenhaus. Ich muss zu Elva, sonst werde ich noch verrückt", gebe ich geknickt zu während ich in meine Schuhe schlüpfe. "Soll ich dich fahren?" Mom ist einfach die Beste. Sie will mich in jeder Gelegenheit unterstützen, doch heute will ich ein wenig allein sein. "Danke Mom, aber genieß deinen freien Tag heute", lehne ich lächelnd ab, gebe ihr ein Kuss zum Abschied und öffne die Haustür. Es ist schon ewig her, als ich das letzte Mal allein unterwegs war. Die frische Luft weht mir um die Ohren und trägt meine verwirrenden Gedanken davon.
*****
"Hey Elva", flüstere ich, als ich mich leise auf den Stuhl neben ihren Bett setze. Seitdem ich das letzte Mal hier war hat sich nichts verändert. Das Piepen der Geräte durchdringt immer noch sekündlich das weiß-sterile Zimmer. So gern würde ich ihr frische Blumen mitbringen, doch es ist mir nicht erlaubt. Jeder einzelne Keim von draußen könnte eine Gefahr für sie darstellen. Bilder des letzten Traumes blitzen auf, als ich in ihr blasses, aber wunderschönes Gesicht schaue. Ein Kribbeln durchfährt mich als ich an den beinahen Kuss denke. Ehe ich mich versehe befinde ich mich nur wenige Zentimeter über ihrem Gesicht. Soll ich sie jetzt küssen? Kurz zögere ich und zieh mich wieder zurück. Aber es ist zu spät. Ich kann nicht anders- ich fühle mich einfach zu stark zu ihr hingezogen. Kurzerhand nähere ich mich erneut bis meine Lippen ihre warme Haut berührt. In diesem Moment durchfährt mich zuerst ein starkes Kribbeln, das nur Sekunden später zu einem Stromschlag ausartet. Entsetzt springe ich zurück auf meinen Stuhl und starre keuchend auf sie. Minutenlang sitze ich wie gelähmt da, nicht in der Lage mich zu bewegen. Angst, dass ich ihr geschadet habe, heftet an mir, doch als endlich ein Pfleger zur regelmäßigen Kontrolle ins Zimmer kommt, die Geräte überprüft und schweigend das Zimmer wieder verlässt, weiß ich, dass es ihr gut geht. Erst jetzt spüre ich, dass ich die letzten Minuten die Luft angehalten hatte. Schweratmend lasse ich mich zurückfallen und schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne hat sich mein Puls beruhigt und ich kann endlich ihr alles, was in den Tagen passiert ist. Reden - so wie es mein Plan war.
Ich verkneife mir ein erneuten Kuss zum Abschied, streichle ich ihr stattdessen über die Wange und freue mich über die kleinen weißen Fünkchen, die unsere Berührung umspielen. "Bis bald", flüstere ich ehe ich den Raum verlasse und mich zum Ausgang des Krankenhaus begebe. Gerade als ich die Tür nach draußen aufstoßen will, greift mir jemand auf die Schulter. Als ich mich umdrehe stehe ich vor Kenai. "Hey, warst du bei Elva?", fragt er, doch er weiß die Antwort. Welchen weiteren Grund habe ich denn, um hierher zu kommen. "Und du warst bei Charles?", frage ich lächelnd anstatt auf seine Frage einzugehen. "Wo denn sonst!", lacht Kenai und schiebt mich nach draußen. "Soll ich dich mitnehmen? Das Auto steht hier gleich um die Ecke." Ich nicke nur und folge ihm, während er mir von seinem Arzt vorschwärmt. Ich sage nichts dazu, denn meine Gedanken schweifen zu dem Mädchen, welches in diesem Gebäude seit Wochen alleine ausharrt. Sehnsüchtig schaue ich nochmal zurück zum Krankenhaus ehe ich mich auf den Beifahrersitz neben Kenai fallen lasse. "Wie gehts dir?", fragt dieser plötzlich ernst. So recht kann ich den Stimmungsumschwung nicht folgen, weshalb ich versuche so ehrlich wie möglich zu antworten: "Ich bin überfordert mit der ganzen Situation. Ich fühle mich allein gelassen, obwohl ich weiß, dass es nicht so ist. Und ich fühle mich nicht stark genug." Gegen mein Erwarten lacht Kenai nicht los. Ich könnte schwören, dass es für ein Außenstehenden zu schräg klingen muss, aber mein bester Freund nimmt mich ernst. "Komm her." Die warme Umarmung tut mir so gut. Ich hätte nie gedacht, dass mir eine Umarmung so stark helfen würde. Ich kämpfe mit meinen Tränen, denn ein Heulanfall wäre jetzt vielleicht doch ein wenig zu viel. "Wir werden alles zusammen schaffen. Du wirst nie allein sein. Lass uns jetzt nach Hause fahren. Dort kannst du noch ein wenig abschalten, ehe es morgen wieder in die Schule geht."
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