- 43. KAPITEL -

"Kennen ist zu viel gesagt. Jeder aus Kulana hat schon von ihm gehört, doch gesehen haben ihn die Wenigsten", meint sie seufzend. Sofort sehe ich ein dunklen Schleier, der sich um ihren Körper legt. Ich wusste nicht, dass dieses Thema sie bedrückt. Sofort fühle ich mich schlecht, da ich ihre Stimmung zunichte mache. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter und murmele ein leises "Entschuldige". Traurig hebt sie ihren verschleierten Blick. Kleine Tränen glitzern auf ihren sommersprossenbesetzten Wangen. Mein Körper versteift sich -  ich wusste nicht, dass ihr das Thema so nahe geht. Woher auch? "Schon in Ordnung", meint sie schniefend, während sie die Tränen mit ihrer Hand wegwischt. "Ich kann einfach mit dem Schicksal Aydens nicht umgehen. Ich verstehe nicht, wie die Kamanas seine Gefangenschaft feiern können. Er ist nicht viel älter als wir. Er hat sein ganzes Leben noch vor sich." Ich schlucke den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, herunter. "Das ist ja schrecklich! Wir müssen ihm helfen!", ruft Milou aus, springt auf und läuft unruhig im Kreis. Koda, der bisher nur die Geschehnisse mit einer gesunden Distanz beobachtet hatte, legt seinen Arm um sie, um sie ein wenig zu beruhigen. "Liebling, wie sollen wir ihm denn helfen? Er wurde gefangen genommen von dem Sektor, gegen die wir kämpfen. Wir müssen sein Schicksal hinnehmen", versucht er auf sie einzureden, doch seine Stimme verliert immer mehr an Lautstärke, sodass die letzten Wörter nicht mehr als ein Flüstern sind. "Wie kannst du so etwas sagen? Ich soll jemanden sterben lassen, nur weil ihr nicht den Mut aufbringt ihn zu retten!" Aufgebracht schmeißt sie ihre Arme in die Luft, wobei sie Koda leicht von sich wegschubst. Ich sitze nur still da und will mich am liebsten gar nicht mit einbringen. Koda hat ja Recht, aber je länger ich über Milous Worte nachdenke, umso mehr machen sie Sinn. Ich verstehe sie so gut, doch mit dem Entschluss, dass wir eine Rettung Aydens versuchen könnten kriecht mir die Angst in die Glieder. Langsam geht mir mein Pessimismus selbst auf den Keks, doch es ist nicht so leicht ihn abzuschütteln. Nichtsdestotrotz versuche ich es: "Hast du eine Idee, wie wir ihm helfen könnten?", frage ich mutig in die Runde. Als mich alle mit großen Augen ansehen, will ich mich am liebsten wieder verkriechen. "Du willst ihn allen Ernstes retten?", verdutzt schaut mich Kenai an. Ich glaube, ihn schockt mein plötzlicher Optimismus mehr, als mein Entschluss zu Aydens Rettung. "Wir brauchen noch ein Kamana und er ist der Einzige, der uns helfen wird. Ohne ihn sind wir sowieso verloren." Und da war er wieder- der Pessimismus. Innerlich schlage ich mich dafür. Gerade noch war ich fest entschlossen positiv zu denken, doch der kleine Teufel hat sich einfach schon zu lange in mein Kopf eingenistet. Ich schüttele die Gedanken ab, um wieder klar denken zu können. "Keine Ahnung, wie wir ihn retten sollen, aber ich weiß, wenn wir zusammen arbeiten schaffen wir es", meldet sich nun Milou zu Wort, die sich anscheinend wieder beruhigt hat. "Ayden wird im Haupthaus des Clans festgehalten, wenn wir den Gerüchten Glauben schenken. Wir müssen uns irgendwie einschleusen und mit vereinten Kräften gegen die Wachen kämpfen." Tonis Entschlossenheit überzeugt mich, doch die Anderen sehen nicht so aus, als würden sie nicht mal halb so überzeugt sein wie ich. "Vielleicht hat Elva noch eine Idee. Ich werde sie fragen, wenn ich sie das nächste Mal sehe. Und Mom werde ich auch fragen. Sie muss sowieso mit dem Plan einverstanden sein, weil sie mitkommen muss", versuche ich Tonis Plan zu unterstützen. "Als ob das klappen wird", murrt Koda, wohl eher weil er Angst um uns hat. "Wir müssen es versuchen. Vielleicht hat sich Chester bis dahin auch wieder eingekriegt und kann noch was zu dem Plan beitragen." Als Kenai auflacht starre ich ihn ernst an. Ich will einfach nur Elva und ihr Volk, was zufällig auch meins ist, retten. Dass das so schwer werden würde, hatte ich nicht gedacht. 

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