-4. KAPITEL -
Ich bin noch nicht bereit für diesen Tag, denke ich mir, als ich mich aus dem Bett quäle. Die letzte Nacht verging trotz Schlaflosigkeit viel zu schnell. Ich tapse in das Bad, bleibe jedoch vor dem Spiegel stehen anstatt mich unter die Dusche zu begeben. Gedankenverloren beobachte ich mein Spiegelbild und trete näher an den Spiegel heran, um meine Iris zu betrachten. Je näher ich an den Spiegel heran trete, desto grüner werden meine eigentlich braunen Augen. Fasziniert von dieser neuen Erkenntnis spiele ich mit den Abständen zwischen mir und dem Spiegel, bis ich mir wirklich bescheuert vorkomme. Da steht nun ein 17- jähriger Mann halbnackt im Badezimmer und beobachtet sich selbst im Spiegel. Das ist der Moment, in dem ich mich offiziell als verrückt abstempeln kann. Nachdem ich schnell geduscht habe, gehe ich unter die Küche, um ein paar Leckereien, die ich gestern noch schnell gekauft hatte, einzupacken. Da ich keinen Korb , wie es die verliebten Pärchen in irgendwelchen kitschigen Filmen haben, finde, stopfe ich alles in den nächstbesten Jutebeutel. Für Mom schreibe ich noch schnell einen Zettel und lege ihn auf den Esstisch. Kaum trete ich aus der Tür kommt Koda um die Ecke gefahren. "Hier du Frauenheld. Bring ihn mir heute Abend einfach wieder vorbei" Augenzwinkernd überreicht er mir den Schlüssel für sein Mini Cabrio. "Danke Mann. Voll korrekt von dir.", bedanke ich mich und steige ins Auto ein.
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Yuna steht schon vor der Haustür als ich um die Ecke gefahren komme. Kaum bleibe ich stehen, springt sie schon in den Wagen. "Hi, Schatz.", begrüßt sie mich mit einem Kuss. Schon jetzt macht sich ein Unwohlsein in mir breit, aber ich ignoriere es einfach. Schließlich soll sie nichts von meinem Unbehagen merken. "Wohin geht es denn?", will sie wissen, als ich den Motor starte. "Lass dich überraschen.", meine ich halb abwesend zu ihr. Während der Fahrt nervt sie mich entweder mit ihren ständigen Fragen, wohin wir denn fahren und ob wir nicht bald mal da seien. Die andere Hälfte der Fahrt grölt sie zu den verschiedensten Liedern mit und versucht mich zum mitmachen zu animieren. Doch ich habe nicht wirklich Lust darauf und lächele sie einfach immer nur kurz an, um ihr so viel Aufmerksamkeit zu geben, die nötig ist, um sie nicht zu verärgern.
Endlich biege ich auf die Wiese ein, die hier als Parkplatz genutzt wird. Ich hole den Jutebeutel aus dem Kofferraum und halte Yuna die Autotür auf. "Wow, voll schön hier." Überwältigt schaut sie sich um: "Woher kennst du den Ort hier?" "Kenai hat mir hiervon erzählt. Komm, lass uns ein Stück laufen." Ich greife nach ihrer Hand und laufe los. Einen Moment versuche ich mich auf meine Hand zu konzentrieren - früher hat schon die Berührung unserer Hände ein Kribbeln im ganzen Körper ausgelöst. Mit der Zeit hat es nachgelassen, ich habe jedoch nie darauf geachtet. Heute weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. Ich weiß nicht mal mehr, ob es Liebe ist, was uns verbindet. Ob uns überhaupt noch etwas verbindet.
Ich lasse meinen Blick über das tiefblaue Wasser schweifen. In der Ferne höre ich Kinder, jedoch sehe ich keine. An diesem Ort fühle ich mich wahnsinnig frei und losgelöst. Ein wenig überrumpelt von meinen plötzlichen Gefühlen lege ich an Geschwindigkeit zu, sodass Yuna kaum noch hinter mir her kommt. "Lass uns dort auf die Bank setzen", sage ich während ich Sie schon dorthin ziehe. Ich krame die mitgebrachten Weintrauben und den Kindersekt aus der Tasche. Die bunten Kinderbecher stelle ich ebenfalls auf die Bank. "Kindersekt? Hast wohl kein Richtigen bekommen?", fragt mich Yuna mit einem Gesichtsausdruck, den ich gar nicht einschätzen kann. Meint sie das jetzt neckisch oder ist sie schon wieder eingeschnappt? "Als wir uns kennengelernt haben, haben wir auch Kindersekt aus bunten Bechern getrunken und Weintrauben gegessen", erkläre ich ihr. Augenrollend lässt sie sich neben mich auf die Bank fallen: "Ja, früher. Da waren wir auch 14 Jahre alt." "Du, ich habe mir Gedanken gemacht und du meckerst nur", gebe ich etwas angesäuert zurück. "Es ist jetzt egal. Lass uns nicht schon wieder streiten. Hier.", sie gibt mir ein Becher, "Prost. Auf uns." Während das süße Getränk meine Kehle hinunter läuft, nutze ich die kurze Stille um mich umzuschauen. Inmitten der sattgrünen Umgebung glitzert das klare Wasser des Sees in der Sonne. Die Umgebung, die sich vor meinen Augen abbildet, kommt mir plötzlich so bekannt vor. Ich habe jedoch nicht die Zeit, mich noch länger mit diesem Gedanken zu beschäftigen. "Komm, lass uns weitergehen." Noch während sie spricht legt sie alles zurück in den Beutel und zieht mich auf die Beine. Hand in Hand schlendern wir am Ufer entlang, als mir ein Gedanke in den Sinn kommt und ich grinsend zum See sehe. Kurzerhand ziehe ich meine Schuhe aus und renne barfuß ins kühle Nass. Plötzlich werde ich aber von hinten gepackt und rückwärts ins Wasser gezogen. Nach Luft ringend tauche ich wieder auf und drehe mich in die andere Richtung, wo gerade Yuna steht, die gleichzeitig selbst untertaucht. Plötzlich trifft mich eine weitere Wasserwelle, was mich dazu antreibt, sie aus dem Wasser zu ziehen und lachend eine Wasserschlacht zu starten.
Erschöpft schleppen wir uns aus dem Wasser und setzen uns nebeneinander in das feuchte Gras. Eine Weile sagen wir beide nichts. Yuna ist diejenige, die die Stille durchbricht. „Es tut mir leid, dass ich letztens so ausgeflippt bin. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich will, dass du glücklich bist und dass wir zusammen glücklich sind. Ich will und kann mir nicht vorstellen ohne dich leben zu müssen." Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll und bin froh, als Yuna weiter spricht. „Weißt du, ich male mir oft unsere Zukunft vor.Wir, in einem schönen Haus. Unsere Kinder spielen im Garten und... " Was? Erschrocken schaue ich in ihre verträumten Augen. Moment. Während ich überlege, ob das Ganze hier noch Sinn macht, malt sie sich eine rosige Zukunft aus? Wie realitätsfern lebt sie denn bitte! „Klingt doch schön oder nicht?" Ich darf mir bloß nicht anmerken lassen, dass ich überhaupt nicht mehr zugehört habe, weswegen ich einfach mit einem knappen „Ja" antworte und hoffe, dass sich damit dieses Thema gegessen hat. Der Himmel meint es mit mir gut, denn Yuna scheint in ihrer Welt versunken zu sein. Verträumt schaut sie durch die Gegend bis ihr Blick an dem Glitzern des Sees hängen bleibt. „Es war ein schönes Date, danke. Aber lass uns jetzt nach Hause fahren. Ich muss mich mich unbedingt umziehen." „Na dann los." Auf dem Weg zum Auto und sogar während der ganzen Heimfahrt erzählt sie von ihren Zukunftsvisionen. Sie plappert und plappert, ohne Pause und leider verstummt sie erst, als das Haus ihrer Familie in Sichtweite kommt. Höflicherweise steige ich aus dem Auto, um ihr die Tür zu öffnen. „Danke Schatz - für alles", sagt sie augenzwinkernd, gibt mir ein Kuss und verschwindet im Haus. Seufzend setze ich mich zurück ins Auto - was für ein Tag.
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„Hey Mann, wie war es?", begrüßt mich Koda, „Komm rein und erzähle. Aber lass uns vorher noch die Runde Mario Kart beenden." Ich überreiche Koda den Autoschlüssel und spaziere ins Wohnzimmer, wo Kenai mich herzlich begrüßt.
Nach der Entscheidungsrunde in Mario Kart, die Koda gewann, erzähle ich den Jungs von dem Date. Ich erzähle davon, wie alles mit einem Streit begann, von der Wasserschlacht und natürlich von Yunas Gerede über ihre Zukunftspläne. „Also geht es wieder bergauf?", fragt mich Kenai als ich meine Story beende. „Ach, ich weiß auch nicht. Ich muss mir selbst erstmal überlegen, was ich wirklich will. Und dann sehen wir weiter." Für mich ist dieses Thema inzwischen so wehleidig geworden, sodass es sich langsam auf meinen Gemütszustand legt. „Du bist in letzter Zeit überhaupt nicht mehr glücklich. Ständig ziehst du ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und lachst kaum noch.", stellt Koda nachdenklich fest, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Ich versuche mich zu bessern, okay? So, jetzt muss ich aber los. Ich bin pitschnass und ich habe keine Lust, krank zu werden. Danke für eure Hilfe Jungs." Aus Jux versuche ich Koda umarmen, der mich lachend wegstößt. „Ich bin nicht dein Handtuch!" Ich verabschiede mich und mach mich auf den Heimweg.
Zuhause erwartet mich Mom, die sich natürlich halb aufregt,dass ich nass durch die Kälte laufe. „Es ist August Mom. Außerdem bin ich doch schon wieder halb trocken." Jedoch wird sie nicht aufhören zu nerven bis ich warm geduscht und mir was Trockenes angezogen habe. Natürlich schlüpfe ich direkt in meinen Pyjama, der sich so kuschlig weich auf meiner Haut anfühlt, und tapse wieder runter in die Küche. Mom hat, wie soll es auch anders sein, Essen gekocht und sitzt schon wartend am Tisch. „Bevor wir anfangen zu essen will ich wissen, wie dein Date war." Zum zweiten Mal an diesem Tag erzähle ich von dem Erlebten und freue mich als ich mir endlich die dampfende Pasta in den Mund schiebe. „Geh ruhig hoch", meint Mom während sie aufsteht und beginnt das Geschirr in die Küche zu tragen. „Quatsch, lass mich das machen." Ich nehme ihr das Geschirr aus der Hand, räume die Küche auf und gehe kaputt, aber glücklich in mein Zimmer. Dort angekommen lasse ich mich in mein Bett plumpsen. Eine Sekunde lang schwebt mir das Bild des Sees vor Augen. Jedoch kann ich nicht mal ein Gedanke fassen, da bin ich schon eingeschlafen.
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