- 17. KAPITEL -

"Guten Morgen, Liebling." Moms Haare kitzeln mein Gesicht, während sie mir ein Kuss auf die Stirn gibt. "Guten Morgen, Mom", krächze ich und schaue mich verschlafen im Wohnzimmer um. "Ich wollte dich gestern nicht nochmal wecken", erklärt sich Mom schuldbewusst, obwohl ich nichts gesagt habe, worauf sie sich erklären müsste. Ihre Fürsorge zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen: "Ich hab gut geschlafen. Hilfst du mir in den Rollstuhl?" Ich hasse es, dass ich mit diesem Rollstuhl immer auf Andere angewiesen bin, weshalb ich mir insgeheim vornehme, an mir zu arbeiten.

*****

"Ich muss heute nochmal ins Krankenhaus", sagt Kenai, als wir unsere Gesichter in die Sonne halten, "Ich habe mein Portmonee dort verloren, weshalb sie mich vorhin angerufen hatten." " Dann lass uns nach der Schule hinfahren", bietet Koda an ohne seine Augen zu öffnen. Das muss echt komisch aussehen: Drei Typen -  wie Hühner auf der Stange sitzen sie da und halten ihr Gesichter nach oben. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. "Nein, ich gehe nach der Schule allein hin. Ihr könnt nach Hause fahren und ich laufe dorthin.", lehnt Kenai den Vorschlag dankend ab. "Kannst du mir noch ein Termin für die Kontrolle ausmachen? Das hatten wir gestern vergessen. Ich hab immer nach der Schule Zeit. Also ist mir egal, wann ich dorthin gehe.... rolle", mische ich mich ins Gespräch ein woraufhin Kenai mir zustimmend zunickt. „Alles klar, dann komme ich danach direkt zu dir ehe ich nach Hause gehe."

*****

„Hey Per", begrüßt mich Kenai als er am frühen Abend bei mir vorbeikommt. „Hey, kommst du jetzt erst aus dem Krankenhaus?", entgegne ich ihn während Kenai sich neben mich auf die Couch setzt. Für einen Moment schaut er verlegen auf seine Hände, mit denen er nervös spielt. Mit einem leichten Grinsen sagt er: „Ja, es war ziemlich voll dort und deshalb musste ich einige Zeit warten." Seine Nervosität scheint verschwunden zu sein, als er fortfährt. Vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet. „Ich hab mit Dr. Adam ausgemacht, dass du morgen nach der Schule zur ersten Kontrolle kommen sollst. Dann bespricht er auch mit dir, wie es weitergeht."
„Bleibst du zum Abendessen?" Mom steht im Türrahmen, mit einem Geschirrtuch in der Hand und lächelt und zu. Kenai, der sich nun zu Mom umdreht, überlegt für einen Moment, stimmt dann aber zu. „Sehr schön, ich hab Kartoffelgratin gemacht. Ich hoffe, du isst das." So schnell, wie sie kam ist sie nun auch wieder verschwunden. Mich beschleicht das Gefühl, dass Kenai mir etwas verheimlicht und ich  überlege, ihn darauf anzusprechen, verwerfe den Gedanken jedoch, als er aufsteht. „Ich helfe deiner Mom beim Tischdecken." Mit diesen Worten ist auch er aus dem Zimmer verschwunden.
Das Gefühl Kenai würde mir aus dem Weg gehen kann ich einfach nicht abschütteln. Ich spüre, dass ihn etwas bedrückt. Auch wenn ich in einem ganz anderen Zimmer als er bin, spüre ich die negative Energie, die ihn umgibt. Ich frage mich, seit wann ich so feinfühlig bin. Mit einem Mal fühle ich mich eingeengt, bekomme beinahe keine Luft, sodass ich einmal tief einatmen muss, um wieder in die Realität zu kommen. Langsam werde ich verrückt! Ich kann Gläser zerspringen lassen und scheinbar spüre ich die Energien Anderer so, als wären es meine Eigenen. In Gedanken verloren, fahre ich in die Küche, in der es köstlich duftet.
Während des Essens sagt weder Kenai noch ich ein Wort. Mom schaut zwar immer irritiert zwischen uns hin und her, aber sagt nichts. „Danke für das leckere Essen. Ich muss jetzt aber auch los", sagt Kenai, als er aufsteht, um den Tellerstapel neben die Spüle zu stellen. „Wir sehen uns morgen.", verabschiedet er sich an mich gewandt, „schönen Abend euch noch."
„Habt ihr Streit?", fragt Mom, doch ich schüttle direkt den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, was los war."

*****

„Ist alles in Ordnung bei dir? Du warst gestern so distanziert", konfrontiere ich Kenai, als wir die Schule betreten. „Ja, alles in Ordnung. Was soll denn sein?" Ich höre seine Unsicherheit aus seiner Stimme heraus, weshalb ich antworte: „Was ist in dem Krankenhaus passiert, dass du jetzt so verändert bist?" Mit großen Augen schaut er mich an, hält unseren Blickkontakt jedoch nicht stand, sodass er durch mich an die Wand starrt: „Es ist alles in Ordnung. Wirklich. Lass uns jetzt weitergehen, sonst kommen wir noch zu spät."
„Fahren wir heute wieder zum See?", fragt Koda, als wir im Klassenzimmer ankommen. „Es geht heute leider nicht. Ich muss doch nochmal ins Krankenhaus zur Kontrolle. Könnt ihr mich dort absetzen? Mom holt mich dann später von dort ab", antworte ich und meine Gedanken wandern direkt zu Elva. Wo sie wohl jetzt ist? Ob sie unverletzt aus dem Erdbebentraum kam? „Per?" Koda wedelt mit seinen Händen vor meinem Gesicht, sodass ich mich kurz erschrecke. „Wo warst du denn?", fragt er lachend, doch ich brumme nur vor mir her, da ich darauf keine Antwort geben will.

*****

„Dann bis morgen", verabschiedet sich Koda, als er meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum geholt hat und ich mich hinein hieve. Während ich mich Richtung Eingang kämpfe, schaue ich nochmal kurz zurück zu dem Auto und sehe, wie Kenai auf dem Eingang starrt. Im nächsten Moment verschwindet der Wagen. Seufzend setze ich meinen Weg fort und fahre zur Anmeldung. „Bitte setzen Sie sich ein Moment ins Wartezimmer", sagt die Schwester, die ich schon von meinem letzten Krankenhausbesuch kenne. Feixend sehe ich an mir herunter. „Dann gehe ich mal und setze mich hin." Die großen Augen der Schwester lassen mich nur noch mehr auflachen. Ohne ein weiteres Wort fahre ich in das Wartezimmer, welches durch eine Glasscheibe von dem Flur getrennt ist.
Plötzlich stürmen fünf Sanitäter über den Flur in Richtung der Operationssäle. Auf der Trage, welche sie schieben, sehe ich ein Mädchen in meinem Alter. Die Beatmungsgeräte verdecken ihr Gesicht, die blonden Haare kleben an ihrer Wange. Ich fahre aus dem Wartezimmer und versuche die Menschentraube zu erreichen. Warum ich das tue, weiß ich dem Moment auch nicht so wirklich. Das starke Kribbeln und die Energie, die mich zu dem Mädchen zieht, kommt mir irgendwie bekannt vor. Eine Sekunde später weiß ich - das Mädchen ist Elva

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top