22 Rot und Blau
Klara kehrte auch am nächsten Tag nicht zurück, doch Theo setzte sich eine Weile zu mir.
Ich redete nur wenig. Eher gar nicht und ich versuchte ihn auch nicht anzusehen. Stattdessen sah ich auf den Tisch, an dem ich saß.
Theo wollte Malen. Ich wollte nicht.
Oder doch, ich wollte auch, aber er hatte meinen Stift. Meinen blauen Stift. Den einzigen, den ich hatte.
Er rollte mir den Roten zu, doch schaute ich ihn nur mit gerunzelter Stirn an und schubste ihn dann wieder zurück.
Ich hörte ihn schmunzeln, dann tauchte mein blauer Stift in meinem Sichtfeld auf. Direkt über dem noch weißen Blatt Papier.
Langsam senkte Theo ihn, bis er ihn auf das Papier setzte und erst einen Punkt und dann einen Strich hinterließ.
Ich blinzelte irritiert. Sah dem Stift nach, wie er einen Bogen beschrieb, wie sich Bogen an Bogen reihte, bis er einen Kreis geschlossen hatte. Er begann die Form auszumalen. Und so länger er malte, desto blauer wurde sie.
Ich mochte, was er malte. Was ich nicht mochte, war, dass er den blauen Stift weglegte und nach dem Roten griff.
Wieder setzte er den Stift auf das Papier. Hinterließ erst einen Punkt, dort wo er ihn aufgesetzt hatte, und machte dann einen Strich. Wieder reihte sich Bogen an Bogen, bis seine Form vollendet war. Er malte sie aus.
ROT! Und sie war genauso groß wie die Blaue.
Entsetzt riss ich ihm das Blatt weg und zerknüllte es. So viel Rot, war einfach zu viel. Zu viel, was kein Blau war.
Doch was nicht zu viel war, war das Zerknüllen des Papiers. Nein! Das reichte nicht! Es war viel zu wenig. Zu wenig Zerstörung. Noch immer sah ich das Rot durch das Papier leuchten, so wie die Sonne durch das Fenster, und so begann ich das Blatt in winzige Stücke zu zerreißen.
Theo lachte.
"So schlimm?", wollte er wissen und ich nickte energisch.
Ich stand auf und warf die winzigen Schnipsel in den Papierkorb, dann setzte ich mich wieder an den Tisch und griff nach dem blauen Buntstift, den er weggelegt hatte.
Ich ahmte nach, was er gemacht hatte. Malte eine Wolke auf das Blatt und malte sie an, dann schaute ich zufrieden zu ihm auf.
"Ist die Wolke nicht etwas einsam da oben?", fragte er mich mit funkelnden Augen und ich schüttelte verneinend den Kopf.
Doch als ich dem Bild einen weiteren Blick schenkte fand ich, dass sie irgendwie doch nicht reichte. Nicht reichte, um das Blatt von seiner weißen Farbe zu befreien.
Wieder setzte ich den Stift an und malte eine zweite Wolke, so wie er es gemacht hatte, nur war meine Wolke blau. So blau wie die erste, doch etwas kleiner.
Eigentlich sogar viel kleiner. Kleiner, weil Klara, die Wolke, die bei mir sein sollte nicht da war.
Wut stieg in mir auf. Wut, weil Klara noch immer nicht wieder hier war. Wut, weil ich nur wegen ihr nicht in den Garten konnte. Wut, weil ich mit Theo malen musste, anstatt es mit ihr zu tun.
Wut, weil er sich den Roten Stift nahm und einen winzigen, roten Punkt zwischen die beiden Blauen Wolken tupfte.
"Nein!", schrie ich plötzlich laut und sprang von meinem Stuhl auf, "Nein!", schrie ich erneut und begann wie wild über den roten Punkt zu malen, "Nein! Nein! Nein!", schrie ich ein ums andere Mal, was mir von Theo einen erstaunten Blick einbrachte.
"Wow!", machte Theo beruhigend und griff nach meinen Händen, mit denen ich wild über das Blatt fuhr und noch den kleinsten Beweis der roten Farbe zu vernichten suchte.
"Ich hab ja verstanden. Kein Rot. Okay?", hielt er mich fest und zog das inzwischen blaue Blatt unter meinen Händen weg. Knüllte es zusammen und warf es mit einem gezielten Schwung in den Mülleimer neben dem Bett.
"Siehst du? Schon weg.", sagte er und ich sah ihn schwer atmend an, gerade als die Tür hinter uns mit einem Ruck aufgerissen wurde.
"Was ist denn hier los?!", wollte Luna aufgeregt wissen und sah mit großen Augen zwischen mir und Theo hin und her.
"Nichts?", sagte der grinsend, "Katrina, war nur anderer Meinung als ich. Oder?", wandte er sich an mich und sah mich abwartend an.
Ich blinzelte verwirrt. Sah auf den Tisch, wo lauter blaue Striche zu sehen waren und nickte dann schon deutlich ruhiger.
"Blau.", sagte ich und deutete auf den Tisch.
"Ja. Blau.", wiederholte Theo lächelnd und stand auf. "Ich hole einen Lappen, damit wir den Tisch wieder sauber machen können, Ja?"
"Ja.", sagte ich und lächelte. Mir schlug das Herz noch immer bis zum Hals und irgendwie fühlte er sich wund an von dem Schrei, der über meine Lippen gekommen war. Doch fühlte es sich gut an.
Ich fühlte mich gut.
Nein, das nicht, aber ich fühlte nicht mehr die Wut darüber, dass Klara nicht da war. Ich war nicht glücklich, doch hatte ich ganz ohne Klara etwas erreicht und das war.... es war...sonderbar. Irgendwie befreiend.
Luna schaute fassungslos zwischen uns hin und her. Sah mich selbst dann noch an, als Theo sich schon an ihr vorbei durch die Tür geschoben hatte und verließ dann irritiert mein Zimmer, doch ich nahm zufrieden ein neues Blatt und den blauen Stift und begann ein neues Bild zu malen. Und diesmal blieb es blau.
Mit einer kleinen weißen Ecke ganz am Rand.
Nachdenklich starrte ich sie an.
Ich legte den Stift auf den Tisch. Gleich neben den Roten. Ich rollte beide Stifte hin und her. Sah auf den weißen Fleck auf meinem Bild und runzelte verstimmt die Stirn.
Weiß war...Weiß war...keine Ahnung, aber weiß war nicht gut.
Nicht so schlimm wie Rot, aber deutlich schlimmer als Blau. Oder?
Unsicher blickte ich zwischen den Stiften und dem Blatt hin und her. Meine Hand schwebte unschlüssig über den Stiften.
Ich griff nach dem Roten.
Drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern und nahm auch den Blauen zur Hand. Nebeneinander sahen sie gar nicht so schlecht aus. Auch das Weiß sah gar nicht so schlimm aus.
Ich trennte die beiden Stifte voneinander. Einen nahm ich in die linke Hand, den anderen in die rechte.
Dann senkte ich entschlossen die Spitze aufs Papier und färbte die weiße Fläche ein.
Blau!
Aber nur ganz leicht. Ich wollte nicht, dass die Ecke weiß blieb. Egal wie klein sie auch war. Und für Rot war ich noch nicht bereit. Dafür lehnte ich mich jetzt zufrieden zurück und legte die Stifte weg. Einen nach links, den anderen nach rechts.
Mein Blick schwankte zwischen den Stiften hin und her. Ich rollte den einen etwas nach links, den anderen etwas nach rechts.
Wieder sah ich die Stifte an.
Betrachtete die Lücke dazwischen. Die einsamen, blauen Striche auf dem Holz. Wieder rollte ich die Stifte ein Stückchen dichter zusammen. Fast lagen sie nebeneinander. Doch der Tisch war noch immer nur Blau.
Ich runzelte die Stirn.
Dann schob ich zögerlich die Stifte zusammen. Ganz dicht. Doch an dem Bild störte mich was. Überall war es Blau. Nur der Stift war rot.
Ohne lange zu überlegen hob ich den roten Stift auf und machte einen kleinen, hellroten Strich, dorthin, wo der Stift gelegen hatte, dann legte ich den Stift darauf und stand auf.
Ich sah auf sie hinunter. Einer Blau, einer Rot.
Der Blaue lag auf dem Tisch, dort wo es Blau war und der Rote dort, wo es rot war.
Ich drehte mich um und verließ mein Zimmer.
Das Bild, welches ich gemalt hatte noch immer vor Augen.
Eine Welt, ganz für sich allein. Eine Welt in der es Blau war. Mit einem blauen Stift und eine winzig kleine rote Welt, mit einem Roten Stift.
Unsere Welt und seine Welt. Dicht beieinander und doch getrennt.
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1272 Worte
18.04.17
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