20 Garten

Lange blieb ich hier stehen. Ich schaute aus dem Fenster. Das Bild für Theo in der Hand. Den Kopf gegen die Kühle scheibe gelehnt stand ich da und wartete. Ich wartete viel länger als eine Stunde. Ich wartete sogar noch, als sie schon das Frühstück austeilten.

Selbst als sie es wieder einsammelten stand ich noch immer am Fenster und wartete. Die Sonne hatte sich hin und wieder mühsam durch die Wolken geschoben, doch hatte sie den Kampf verloren. Regen kündigte sich an und vereinzelte Tropfen schlugen gegen das Glas, als endlich die Stimme in meinem Rücken erklang, die ich seit Stunden zu hören gehofft hatte.

Doch jetzt war es so weit und ich war mir nicht sicher, ob ich es wirklich schaffen konnte.

Langsam drehte ich mich um. Ich hob den Kopf und schaute ihn an. Er stand einige Schritte von mir entfernt und sah aus, als wüsste er nicht, was er machen sollte.

"Hallo Katrina.", grüßte er mich verhalten, "Du wolltest zu mir?", fragte er mich und wich meinem Blick aus. Ich runzelte die Stirn und nickte.

Das strahlende Blau hatte sich umwölkt und verdunkelt. Es war fast wie der Himmel draußen. Es schien so, als hätten sich lauter Wolken vor den Himmel geschoben und verdeckten die funkelnden Punkte in seiner Iris.

Betrübt nickte ich.

"Komm schon Katrina. Es ist nur Theo. Ein 'Ja' bekommst du doch wohl hin.", sagte Klara ungeduldig bettelnd.

Und tatsächlich hauchte ich ein: "Ja.", was ein kleines Funkeln in seine Augen zurückbrachte, dass aber schon im nächsten Moment, als seine Augen meine fanden wieder verschwand.

"Und was wolltest du?", fragte er aufmerksam und hob eine Augenbraue. Sein Blick fiel auf das Blatt in meiner Hand und er fragte weiter: "Wolltest du mir das da geben?", er deutete auf den Zettel und diesmal schaffte ich ganz ohne Klara ein zustimmendes "Ja. Auch."

"Auch?", Theo klang erstaunt, "Was denn noch?", fragte er nach und diesmal war seine Stimme wieder so voller schalk wie sonst.

Angespannt stand ich da. Was jetzt kam war deutlich schwerer, als das, was ich bisher vollbracht hatte, aber ich wollte es schaffen. Ich wollte meine Wünsche äußern. Eine Frage stellen und wenn dabei mein Herz platzen würde, dann war es eben so. Und dass das durchaus passieren könnte, das spürte ich, denn schon jetzt hetzte es mit dem Regen draußen um die Wette. Das prasselnde Klopfen der Tropfen, die gegen die Fensterscheibe schlugen, war nicht mal ansatzweise so laut, wie mein Herz, dabei ging vor dem Fenster gerade die Welt unter.

Theo stand noch immer da und sah mich an. Er wartete geduldig. Ganz anders als die Blöde Kuh, die mich vorhin so angefahren hatte.

"Gut so Katrina! Das machst du Super! Endlich mal ein Gedanke in die richtige Richtung. Sie IST eine blöde Kuh!", freute sich Klara jubilierend und klatschte sogar in die Hände. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Doch das machte die Sache mit dem Garten nicht wirklich leichter.

"Komm schon Katrina.", sagte Theo sanft, "Ich weiß dass du das schaffst."

Ich hatte den Kopf gesenkt, doch plötzlich traten seine Füße in mein Blickfeld und ich spürte seine weichen, starken und doch sanften Finger unter meinem Kinn.

Er hob es an, bis ich im funkelnden Sternenhimmel verloren ging. Seine Augen glitzerten wieder, ganz so, als hätten sich die Wolken verzogen und ich lächelte ihn glücklich an.

Tief holte ich Luft, dann fasste ich mir ein Herz und sagte: "Können wir in den Garten gehen?"

Ein erstaunter Ausdruck trat in sein Gesicht. Doch seine Augen funkelten begeistert. Zumindest so lange, bis sein Blick auf das Fenster fiel.

"Ich würde wirklich gerne Kleine, aber ich fürchte, wenn es so schüttet, dann erlaubt Dr. Franklin das nicht.", sagte er entschuldigend, doch dann nahm sein Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. "Aber weißt du was. Ich werde sie fragen, ob wir gehen können, sobald es aufgehört hat. Okay?", fragte er mich und ich nickte.

"Ah, ah, ah.", machte er grinsend und wedelte mit seinem Finger vor meiner Nase herum, "Wir wollen doch nicht in alte Verhaltensweisen zurückfallen nicht war.", zwinkerte er mir zu, "Also... Okay?"

Bei seinen Worten musste ich grinsen, doch fiel es mir dennoch schwer das Wort zu sagen, das er hören wollte.

"Komm schon Katrina!", feuerte Klara mich an, "Denk an den Garten. Er will Dr. Franklin wirklich fragen, ob wir raus dürfen!"

Sie klang so euphorisch, dass sie mich damit beinahe ansteckte, doch war das Wort, dass ich herausbrachte fasst nicht zu verstehen.

"Okay.", hauchte ich und erntete prompt ein triumphierendes Lächeln von allen Seiten.

Klara freute sich lautstark. Selbst von Theo konnte ich ein leises "JA!", vernehmen, dass mir ganz warm werden und mich verschämt den Blick senken ließ.

"Aber jetzt zeigst du mir das Bild ja? Oder war das doch nicht für mich?", fragte er neckend, kaum dass sein Lächeln etwas nachließ.

"Doch.", hauchte ich nach kurzem Zögern und reichte ihm das zerknitterte Stück Papier, das so blau wie der Nachthimmel war, doch.

"Mensch! Du hast wirklich mit Rot gemalt?! Katrina das ist toll!", freute er sich ehrlich, dabei war der rote Punkt kaum zu sehen.

"Ja!", flüsterte ich beschämt und senkte den Kopf. Ich spürte, wie ich so rot wurde, wie der Stift, der in meinem Zimmer auf dem Tisch lag. Mein Pulsschlag geriet beängstigend außer Rand und Band und in meinem Magen rumorte es, bis plötzlich Luna's Stimme zu uns herüber wehte.

"Theo kommst du mal. Telefon!", rief sie uns zu und er verabschiedete sich mit einem Lächeln.

"Danke Katrina. Das Bild ist wirklich schön. Ich werde es zu Hause in mein Wohnzimmer hängen.", sagte er bestimmt, dann drehte er sich um und ging zum Schwesternzimmer.

Doch ich drehte mich zum Fenster zurück und freute mich wie eine Fünfjährige, die zur ersten Mal ein Buch gelesen hatte.

Ich war im siebten Himmel!

"Ich hab mit ihm gesprochen, Klara!", freute ich mich überschwänglich. "Fast ohne deine Hilfe. Und sogar einen ganzen Satz!"

"Ein Anfang Katrina.", schmunzelte sie, "Jetzt musst du nur noch lernen mit Dr. Franklin zu reden."

"Warum nennst du sie eigentlich nicht mehr Dr. Dracula?", wollte ich wissen und sah sie grinsend an, doch um ehrlich zuzugeben, dass Dr. Dracula gar nicht so schlimm war, wie Klara immer behauptete, dazu war sie dann doch nicht bereit.

"Und ich sag dir auch warum! Dr. Dracula IST so schlimm, wie ich immer gesagt habe!", sagte sie borniert und verschränkte mit bockig gerunzelter Stirn die Arme vor der Brust.

"Ich weiß, dass du das nicht so meinst.", wiedersprach ich ihr wobei ich aus dem Fenster schaute, doch hatte Klara keine Lust das Thema weiter zu verfolgen. Stattdessen sagte sie: "Ich hab Hunger. Lass uns frühstücken gehen."

Und das taten wir.

Anschließend malte ich. Ich malte zwar ausschließlich blaue Bilder, doch hin und wieder erwischte ich mich dabei, wie ich dem roten Buntstift einen sehnsüchtigen Blick zu warf.

Langsam schritt der Tag voran, doch Theo kam nicht wieder.

Der Regen vor dem Fenster wurde aber auch nicht weniger und umso später es wurde, desto schlechter wurde Klaras Laune.

Verübeln konnte ich es ihr nicht. Ganz im Gegenteil. Ich verstand es sogar. Sie hatten gesagt, ich dürfte nach draußen. Und jetzt wollte ich da auch hin!

"Komm! Wir fragen!", sagte ich zuversichtlicher als ich mich fühlte, was mir von Klara einen erstaunten Blick einbrachte.

Seit über einer Stunde hatte sie schon nichts mehr gesagt und nur noch die Scheibe abgeleckt, hinter der es noch immer am nieseln war, dabei wurde es schon fast wieder dunkel.

"Bist du sicher?", fragte sie skeptisch und ich seufzte angespannt.

"Ne, bin ich nicht, aber...", unsicher brach ich ab und änderte meine Meinung, "Vielleicht hast du recht. Ich schaff dass sowieso nicht."

"Blödsinn!", wiedersprach sie energisch und stand schon im nächsten Moment an der Tür, "Worauf wartest du? Los! Komm!"

Über meinen eigenen Vorschlag erstaunt, schlich ich den Gang entlang. Ich presste mich an die Wand, als mir ein fremder Mann entgegen kam, der mich unverwandt ansah. Er blieb auf der anderen Seite des Flures stehen und sah mich an.

Mehr nicht. Er stand da und starrte.

"Warum guckt der so?", hauchte ich Klara zu, die desinteressiert neben mir an der Wand stand und mit den Achseln zuckte.

"Ist doch egal. Lass ihn gucken."

"Er macht mir Angst.", raunte ich ihr zu und senkte den Blick. Ich drehte mich von ihm weg und musterte eingehend einen Knubbel an der Wand. Mit dem Zeigefinger puhlte ich daran herum. Dann machte ich an die Wand gepresst einen weiteren Schritt. Wieder ein Knubbel dem ich meine Aufmerksamkeit schenkte, dann wieder ein Schritt. Mein Blick hing an der Wand, doch dann folgte ein Bild und er folgte mir.

Langsam wurde mir die Sache unangenehm. Noch schlimmer wurde es, als er fragte: "Wo gehst du hin?"

Ich wagte kaum ihn anzusehen, doch Klara musterte ihn. Er hatte die Hände in die Taschen seiner Hose gesteckt und stand noch immer auf der anderen Seite des Flures und sah mich an.

"Sag ihm er soll weg gehen!", flüsterte ich den Tränen nahe und sah Klara flehend an. "Bitte!", sagte ich eindringlich, doch sie seufzte nur.

"Du weißt, dass ich das nicht kann. Du musst es machen.", sagte sie bestimmt und hob auffordernd die Augenbrauen. "Schrei einfach. Hol tief Luft und dann...schrei ihn an!"

"Und was soll ich schreien?", wollte ich lautlos wissen, dabei war ich mir sicher, dass ich kein Wort herausbringen würde.

"Sag doch einfach...geh weg!...", schlug sie vor, dann holte sie tief Luft und schrie ohrenbetäubend laut: "Hau ab!"

"Das soll ich machen?", raunte ich ihr zu, "Einfach so?" Erstaunt sah ich sie an, ebenso wie er. Also er schaute mich an. Nicht Klara.

Ich hasste es, dass er mich anschaute.

"Mit wem redest du?", wollte er wissen und kam einen Schritt auf mich zu. Ich fing an zu zittern. Verängstigt schloss ich die Augen. Mein ganzer Körper spannte sich an. Ich ballte die Hände und wisperte Klara zu: "Sag ihm er soll weggehen. Er soll weggehen."

"Was soll ich ihm sagen?", fragte Klara mich, was mich verwirrte. Ich warf ihr einen schnellen Blick zu, wobei ich sah, dass er noch dichter gekommen war.

Mein Atem beschleunigte sich. Mein Puls raste. Meine Hände wurden feucht. Ich hatte Angst. Wahnsinnige Angst.

"Geh weg.", murmelte ich Klara zu, doch sie sagte; "Was? Du musst lauter sprechen, ich versteh dich nicht."

"Geh weg!", sagte ich nochmal. Etwas lauter diesmal. Ich wollte die Augen nicht noch mal aufmachen. Wollte nicht sehen, wie nah er mir jetzt war. Wollte nicht sehen, wie dicht er mir gekommen war, doch Klara sagte schon wieder: "Wenn du so nuschelst verstehe ich dich nicht."

Ich verstand Klara auch nicht. Sie verstand mich doch sonst immer. Wie konnte sie mich denn jetzt nicht verstehen? Sie stand doch direkt neben mir und sonst konnte sie sogar meine Gedanken hören, warum denn jetzt nicht?

Ich nahm all meinen Mut zusammen. Ich wusste, ich würde es nicht noch einmal schaffen ihr laut zu sagen, was ich wollte, doch jetzt holte ich tief Luft, dann stieß ich sie heftig aus. So heftig, dass mir meine eigene Stimme in den Ohren dröhnte.

"GEH WEG!", schrie ich plötzlich laut und riss erstaunt die Augen auf. So laut war ich noch nie gewesen! Auch er schaute erstaunt, dann wich er vor mir zurück.

"Ich geh ja schon.", sagte er beleidigt und ließ mich allein.

Doch ich brach in Tränen aus. Mein ganzer Körper zitterte, meine Knie fühlten sich an, als wären sie zwei wackelige Stängel Gras, die von einem wilden Wind ungezügelt hin und hergerissen wurden. Mein Herz zuckte als wäre es ein Blitz, der über den Himmel peitschte.

Ich hörte schnelle Schritte, doch sehen konnte ich nichts. Kraftlos sank ich an der Wand nach unten und blieb auf dem Fußboden sitzen. Mein Sichtfeld war eingeengt. Meine Atmung schnell und flach. Blut rauschte in meinen Ohren und vor meinen Augen blitzen kleine helle Punkte, die auch Sterne sein konnten.

Sterne in einem Himmel. Funkelnde, pulsierende Punkte in einem paar nachtblauer Augen, die mich besorgt musterten.

Langsam klärte sich meine Sicht wieder. Und ich erkannte, wer vor mir war. Hörte die Stimme, die beruhigend auf mich einsprach und eine weitere, die einer Frau gehörte.

"Nein ist schon gut.", sagte Theo zu der Frau. Ich glaube es war Luna.

"Ich denke aber doch.", erwiderte sie, doch Theos energische Stimme, brachte meine Ohren zum klingeln, mein Herz zum stehen.

"Ich habe NEIN gesagt. Ihr geht es gleich wieder gut.", sagt er mit fester Stimme und berührte mich sacht am Kinn.

"Katrina?", sagte er sanft und hob es an, "Kannst du mich ansehen?"

"Ja.", schniefte ich leise, doch als ich den Kopf hob war nur er zu sehen. Niemand sonst.

"Ist alles in Ordnung?", wollte er wissen und ließ die Hand wieder sinken. Unterbrach den Kontakt, doch seine dunklen Augen fingen die meinen ein und ließen mich in den Himmel aufsteigen.

"Nein.", hauchte ich, und wischte mir mit der Hand über die tränenfeuchten Augen.

"Was ist denn passiert?", wollte er wissen und legte sanft eine Hand auf mein Knie, doch löste mich das vollends in Tränen auf.

Schluchzend saß ich vor ihm und weinte. Weinte so sehr, dass ich kein Wort mehr herausbringen konnte und selbst Klara konnte mir nicht helfen.

Unaufhörlich rannen mir die Tränen über die Wangen, schluchzte ich so heftig, dass ich kaum Luft bekam.

"Katrina. Hey.", drang Theos Stimme tröstend zu mir, doch er berührte mich nicht. Ließ mich einfach sitzen und redete beruhigend auf mich ein. "Es ist alles gut. Niemand tut dir was. Keiner wird dir wehtun. Okay? Alles ist gut. Verstehst du. Du bist in Sicherheit. Wir sind da. Ich bin da."

Doch irgendwie war gar nichts gut. Ich war allein, wie damals. Ich hatte die Augen geschlossen und um mich herum war es dunkel. Über mir funkelten die Sterne. Und ein leichter Wind wehte durch die Äste des Baumes über mir.

Es raschelte. Das Gras knisterte und der Baum über mir knarrte.

Ich hörte Schritte auf mich zukommen. Sie hallten seltsam laut auf dem weichen Wiesenboden, was mich verwunderte.

Die Schritte damals hatte ich nicht gehört. Er war plötzlich einfach da gewesen. War einfach über mir und schlug mir auf den Kopf.

Erschreckt riss ich die Augen auf. Vor mir funkelte der Sternenhimmel und gleich dahinter eine strahlendweiße Sonne.

"Ich werde ihr etwas zur Beruhigung geben.", sagte die Sonne, doch der Himmel wiedersprach, "Geben sie ihr doch einen Moment sich zu beruhigen. Ich bin sicher, sie schafft das auch ohne Medikamente."

"Herr Brenner!" die Sonne klang mahnend, "Habe ich mich vorhin nicht deutlich genug ausgedrückt? Es ist nicht gut, dass sie zu dieser Patientin eine so enge Verbindung aufbauen."

"Ich habe sie durchaus verstanden, Dr. Franklin. Aber sie können nicht leugnen, dass es in diesem besonderen Falle, von Vorteil ist. Sie hat seit 4 Jahren mit niemandem geredet, doch hat sie selbstständig zu mir den Kontakt gesucht. Ich kenne sehr wohl die Grenzen und ich versichere ihnen, dass es über ein berufliches Mitgefühl nicht hinausgeht.", erklärte die Nacht dem Tag, was ich nicht verstehen konnte.

"Das hoffe ich für sie!", sagte die Lichtgestalt streng und stand auf, "Bringen sie sie in ihr Zimmer. Und wenn sie in zehn Minuten noch immer so aufgewühlt ist, dann rufen sie mich. Haben sie verstanden!"

"Ja. Dr.!", versicherte der Sternenhimmel dem Engel, der für mich wie der Teufel zu sein schien, doch als ich zwei Starke Arme unter meinen Knien und in meinem Rücken spürte, seufzte ich erstickt auf. Sterne hüllten mich ein. Die beruhigende Dunkelheit verschlang mich und ich ließ erschöpft den Kopf gegen eine harte Brust sinken.

"Frag sie nach dem Garten.", raunte Klara mir zu, "Deswegen sind wir doch hergekommen. Frag sie schnell!"

Ihre Stimme klang drängend, die von Dr. Franklin wurde leiser. Sie schien mit jemandem zu reden. Ich wusste jedoch nicht mit wem.

Allerdings klärten sich meine Sinne wieder so weit, dass ich wusste, dass der Engel in seinem weißen Sonnenkleid Dr. Franklin gewesen sein musste und der sternenübersäte Nachthimmel Theo, der mich aus seinen blauen Augen bedrückt ansah.

"Dr. Franklin.", hauchte ich leise und ich spürte, wie Theo stehen blieb und mich erstaunt musterte.

"Was denn Katrina!", wandte er sich an mich und ich holte zitternd Luft. Ich sah ihm ins Gesicht. Hielt mich mit dem Blick an seinem Sternenhimmel fest, und schluckte schwer.

"In den Garten gehen.", brachte ich zwischen zwei Schluchzern heraus und verstummte wieder.

"Du machst das gut Katrina. Nicht aufgeben.", feuerte mich Katrina an und beinahe versiegte der Tränenstrom.

Auch Theo schien mir helfen zu wollen.

"Dr. Franklin?", hielt er mit deutlicher Stimme die Ärztin auf, die mich nicht gehört zu haben schien.

"Was ist denn Herr Brenner?", wollte sie wissen und ich hörte ihre Stimme näher kommen.

"Katrina möchte ihnen was sagen.", teilte er ihr überzeugt mit und sah mich aufmunternd an. Ich spürte seinen Daumen in meinem Rücken auf und abstreichen und kratzte jeden Funken Mut zusammen, den ich besaß, doch konnte ich die Ärztin nicht ansehen, während ich die Worte aus meinem Mund presste.

Stattdessen verankerte ich sie im Sternenhimmel und sagte so laut es mir zwischen den Schluchzern möglich war: "Ich will in den Garten gehen."

Lange Zeit herrschte Stille. Nur mein leises Weinen war zu hören. Selbst Klara schien die Luft anzuhalten, so still war es. Dr. Franklin schwieg ebenso, doch schien sie mich anzusehen.

Ich hingegen sah nur Theo an, der lächelte. Langsam hob er den Blick. Entzog mir die Sterne und den Halt. Den Himmel und die Kraft und damit den Mut um zu sprechen.

Meine Hand krallte sich in seine Brust, in der sein Herz einen Sprung machte, den ich tief in meiner Seele spürte.

"Ich habe es ihnen gesagt, Dr. Franklin. Katrina schafft das. Sie haben es ihr gestern versprochen. Enttäuschen sie sie bitte nicht.", seine Stimme klang beruhigend in meinem Ohr. Tief und warm. Sie streichelte mich. Berührte mich tief in meinem Herzen und füllte den Tiefen graben, in meiner Brust mit einer einzige Schaufel Sand.

Es war wie ein einziger Tropfen, der in ein Meer von Wasser fiel, und doch schien er eine Welle zu schlagen. Eine Welle dessen Ausbreitung schon an dem Tag begonnen hatte, als ich das erste Mal den funkelnden Sternenhimmel in seinen Augen entdeckt hatte.

Die Tränen waren versiegt. Mein Herz schlug ruhiger, doch die Angst, Dr. Franklin könnte meinen Wunsch in den Garten zu gehen ablehnen, wuchs mit jeder Minute, die verstrich.

Ich zählte die Schläge von Theos Herzen, der unter meinem Ohr einen kleinen Trommelwirbel schlug, der doch immer denselben Takt einhielt. Und erst als Dr. Franklin wieder das Wort an mich richtete geriet er für einen Schlag aus dem Takt.

"Also schön.", stimmte sie ihm schließlich zu. "Sie dürfen mit ihr nach unten gehen. Aber...", sie klang fürchterlich streng, als sie eine drohende Pause machte, "...sie kommen wieder hoch, bevor es dunkel ist.", verlangte sie und Theo nickte zustimmend.

"Ist gut Dr. Franklin. Und...Danke.", fügte er erleichtert hinzu. Auch ich war erleichtert, doch da mir meine Kraft genommen wurde schaffte ich es nicht, noch einmal meine Stimme zu erheben.

Ich hatte die Augen geschlossen, die Wange an Theos Brust gelegt und spürte das sanfte auf und ab seiner Schritte, als er mich in mein Zimmer trug.

Als er mich auf meinem Bett absetzen wollte, klammerte ich mich an ihn, was ihn schmunzeln ließ: "Hey, Kleine. Wenn wir nach unten wollen, musst du mich aber los lassen. Es ist kalt draußen und du hast nichts an.", sagte er belustigt und hob mal wieder mein Kinn an.

Seine Augen fanden meine und ich nickte zustimmend, was ihn grinsend den Kopf schütteln ließ, doch dann seufzte er und fuhr sich angespannt durch die Haare, bevor er sich meinem Kleiderschrank zuwandte und etwas zum anziehen herausholte.

Die Socken und Schuhe, die er mir anzog, fühlten sich seltsam fremd an. Dabei hatte ich früher immer welche getragen. Er wickelte mich in eine Jacke und setzte mit eine Mütze auf, dann strich er die letzten feuchten Spuren der Tränen von meinen Wangen und hielt mir auffordernd die Hand hin.

"Wollen wir?", fragte er mich mit funkelnden Augen, die mich so lebendig machten, wie ich es schon lange nicht mehr war.

"Ja.", sagte ich glücklich und spürte förmlich den Wind in meinem Herzen. Die Flügel die mir wuchsen und mir die Kraft gaben mich in den Himmel zu erheben. Es reichte zwar nur für einen winzigen, Millisekunden währenden Flug, doch dieser Flug brannte sich langanhaltender in meine Erinnerung ein, als der Sprung vom Dach. Das erwachen nach dem Ertrinken, oder das, als ich nach dem Schnitt am Handgelenk in Krankenhaus wieder zu mir gekommen war.

Strahlend griff ich nach Theos Hand und drehte mich zu Klara um, doch konnte ich sie nirgends sehen.

"Klara? Kommst du? Wir gehen in den Garten!", rief ich beinahe aus und ich wusste, ich strahlte wie der hellste Stern, den ich je gesehen hatte. Doch sie antwortete mir nicht. Und das verwirrte mich.

"Klara?", fragte ich verunsichert und Theo sah mich musternd an.

"Was ist denn Katrina?", wollte er wissen, doch erst als ich in seine Augen blickte konnte ich ihm antworten.

"Klara ist nicht da.", sagte ich eingeschüchtert, dennoch freute ich mich, dass ich ihm antworten konnte.

"Sicher wartet sie unten. Komm. Lass uns nachsehen.", sagte er zuversichtlich, doch traute ich mich nicht ihm zu sagen, dass Klara nicht durch Wände gehen konnte.

Trotzdem folgte ich ihm den Gang entlang zu der Tür, die ins Treppenhaus führte. Wie so oft legte ich meine Hand auf den Griff, doch sie war verschlossen.

"Warte.", sagte Theo, "Ich mach auf."

Seltsam war es. Das Schloss klickte. Die Tür öffnete sich und Klara war nicht an meiner Seite.

Ich hatte Angst. Konnte ich in den Garten gehen, ohne dass Klara an meiner Seite war.

"Komm.", wieder war es Theo, der mir die Hand reichte. Der mir half den nächsten Schritt zu gehen.

Die Tür zur Station fiel klickend hinter uns zu und jetzt stand ich auf der anderen Seite und wünschte mir beinahe, wieder drinnen zu sein.

"Komm.", forderte Theo erneut und führte mich zum Fahrstuhl. Er drückte den Knopf. Die Türen öffneten sich. Wir stiegen ein.

Und dann war ich gefangen. Panik erfasste mich. Angst schnürte mir die Kehle zu. Mein Herz raste. Meine Hände zitterten und der Schweiß brach mir aus.

"Kannst du mich ansehen, Katrina?", drang Theos Stimme von weither an mein Ohr, doch hatte ich nicht die Kraft den Kopf zu heben, geschweige denn mich auch nur irgendwie mich zu bewegen.

Weiche, starke Finger legten sich unter mein Kinn und drückten es hoch.

"Sieh mich an Katrina.", bat mich Theo mit ruhiger Stimme und meine unruhigen Augen fanden die seinen.

Der strahlende, von Sternen beschiene Himmel fing mich ein. Lenkte meinen Flug in die richtige Richtung und machten mich ruhiger.

"Wieder gut?", wollte er wissen, als sich meine Atmung beruhigte und ich nickte. Ich war ihm dankbar dass er nicht von mir verlangte zu sprechen. Dazu wäre ich jetzt auch nicht in der Lage gewesen.

Warum war Klara denn nicht hier?!

Warum ließ sie mich an diesem besonderen Tag einfach allein?! Sie wusste doch, dass ich ohne sie verloren war!

Als der Fahrstuhl unten ankam und sich die Türen öffneten blieb ich wie angewurzelt stehen. Menschen wuselten umher. Viele. Sie rannten von einer zur anderen Seite und schienen es fürchterlich eilig zu haben. Manche sahen uns an. Ohne uns zu sehen, sie eilten an dem Fahrstuhl vorbei und verließen das Gebäude.

Die Türen der Kabine wollten sich schon wieder schließen, doch Theo hielt sie auf.

"Komm Katrina. Der Garten ist gleich da vorne.", deutete er in die Richtung, wo auch all die anderen Menschen hingingen. Nach draußen.

Doch ich wich vor den Türen zurück. Presste mich zitternd an die gläserne Wand des Fahrstuhls und hatte große Mühe mich auf den Beinen zu halten.

Energisch schüttelte ich den Kopf und so sehr Theo es auch versuchte mich dazu zu bewegen die letzten Meter zu überwinden, ich schaffte es nicht.

Nicht einmal, als er mir tief in die Augen blickte und das leuchtende funkeln mich beruhigte.

"Ist gut.", sagte er schließlich und versperrte einer Frau den Weg, als sie sich zu uns in den Fahrstuhl stellen wollte.

Sie schien nicht glücklich darüber zu sein, doch schien Theo das nicht zu kümmern. Er drückte auf einige Knöpfe und dann setzte sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung.

"Das macht nichts Kleine. Wir versuchen es einfach wieder. Hm?", versuchte er meinen Kummer zu vertreiben, "Und nächstes Mal nehmen wir Klara mit."

Ich nickte bedrückt.

Ich folgte Theo aus dem Fahrstuhl und war beinahe froh, als sich die Türen der Station hinter mir schlossen. Er begleitete mich noch bis in mein Zimmer, wo ich mir die Schuhe und Socken von den Füßen strich, die Jacke auf den Fußboden daneben fallen ließ und mich dann in mein Bett legte.

Dicht zog ich die Beine an den Bauch und blieb schweigend liegen.

Theo redete noch eine Weile auf mich ein, schließlich ging er aber doch.

Nach Hause sagte er. Und er würde morgen wieder kommen und dann würden wir in den Garten gehen.

Es wurde nichts draus.

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4181 Worte
18.04.17

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