16 Wahrheit 1
Als er am nächsten Morgen wiederkam, mein Frühstück in der Hand, lächelte er.
"Du lebst ja noch!", sagte der Scherzkeks als er meinen grimmigen Blick auffing. "Geht's Katrina gut?", wollte er wissen, als er das Tablett auf den Tisch stellte. "Ich hab ihr eines von den Kürbisbrötchen mitgebracht. Die mag sie doch so gern.", schleimte er sich bei ihr ein, doch das konnte er sich sparen.
"Sie ist nicht hier.", grunzte ich ihn an und drehte ihm den Rücken zu.
"Schade. Ich dachte, sie hätte vielleicht Lust, mit mir zu malen?", er klang fragend, doch sie war nicht hier, also, was sollte ich machen.
"Was willst du Theo? Sie ist nich hier, also, wenn du nur wegen ihr gekommen bist...verpiss dich!", maulte ich und zog mir die Decke über den Kopf.
"Dann willst du auch nicht mit mir malen?", nervte er weiter.
"Nein Verdammt! Ich bin kein Baby! Verstanden!", schnauzte ich und sprang genervt auf. Wütend sah ich ihn an und atmete hektisch.
"Schade.", sagte er und zuckte mit den Achseln, "Na dann, nehme ich die Blume halt wieder mit."
"Eine blaue Blume?", erklang Katrina's schniefende Stimme unter dem Bett.
"Ach!", schnauzte ich, "Jetzt kommst du wieder angeschissen ja?!"
Theo blickte mich erstaunt an, doch schien der Groschen recht schnell bei ihm zu fallen. "Hallo Katrina.", sagte er leise und zog tatsächlich eine Blume hinter seinem Rücken hervor.
Wo hatte er die denn versteckt?
"Ist sie Blau?", wisperte sie leise und ich maulte: "Ne Rot."
"Du lügst.", hielt sie mir vor. Zurecht.
"Es ist eine Kornblume.", sagte Theo und legte sie neben das Tablett auf den Tisch, "Ich lasse sie euch da."
"Kannst du ihm danke sagen.", sagte Katrina und kam tatsächlich unter dem Bett hervor.
"Ne. Kannst du selber machen. Für so ne olle Blume sag ich sicher nicht danke!", ätze ich doch Theo lächelte.
"Gern geschehen Katrina. Lasst es euch schmecken.", sagte er noch, bevor er ging.
"Toll!", schnauzte ich sie an kaum das er verschwunden war, "Du kriegst ne scheiß Blume und ich?! Was bekomme ICH! NICHTS!"
"Er hat nicht abgeschlossen.", wisperte sie, beugte sich zu der Pflanze hinunter und steckte die Nase hinein.
Überrascht, mit vor Wut rasendem Puls, wandte ich mich der Tür zu. "Meinst du wirklich?", fragte ich atemlos.
Anstatt zu antworten nickte sie und ich probierte es aus.
Tatsächlich konnte ich die Tür öffnen und warf einen Blick auf den Flur. Theo stand, einige Meter weiter, an einem Rollcontainer und zog ein weiteres Tablett heraus. Er zwinkerte mir grinsend zu und ich streckte ihm kindisch die Zunge raus, dann kehrte ich in mein Zimmer zurück und setzte mich nachdenklich, und deutlich ruhiger, an den Tisch.
"Warum macht er das?", wollte ich wissen und begann die Kerne vom Brötchen zu puhlen.
"Er mag dich.", sagte Katrina seufzend und blickte sehsüchtig die Blume an.
"Blödsinn!", knurrte ich, "Er ist ein Idiot."
"Na und?"
"Ich hasse ihn!"
"Na und?", sagte sie erneut und langsam machte sie mich damit wahnsinnig.
"Ich will nicht, dass mir so ein Idiot irgendwas mitbringt. Und du auch nicht.", verlangte ich brummig und begann einen Kürbiskern nach dem nächsten in die weiche Innenseite des Brötchens zu stecken.
"Ich finde nicht, dass er ein Idiot ist. Und du auch nicht.", sagte Katrina emotionslos.
"Doch!", wiedersprach ich aus Gewohnheit, "Er geht mir auf die Nerven.
"Tut er nicht."
"KATRINA!", schrie ich sie beinahe an, weil sie mir dermaßen auf den Zeiger ging, das ich es nicht mehr aushielt, "Halt die Klappe!"
"Okay.", sagte sie und war schon im nächsten Moment verschwunden. Na toll!
Gereizt schnaubte ich und aß dann das Brötchen. Sie hatten mir heute Käse gebracht. Er war in eine rote Wachshülle gewickelt, die mich daran erinnerte, dass Theo rot mochte.
"Idiot!", knurrte ich und knüllte den Wachs zusammen, dann beförderte ich ihn mit einem wütenden Laut in den Mülleimer neben meinem Bett.
Ich liebte diesen Käse, doch beschloss ich ihn ab heute zu hassen.
Einfach aus dem Grund, weil er rot eingepackt war, und Theo Rot mochte.
Nach dem Essen, schlich ich mich auf den Flur. Obwohl ich wusste, dass Theo wusste, dass meine Tür offen war, hatte ich das Gefühl etwas Falsches zu machen. Und dass, wenn ich nicht aufpasste, ich in kürzester Zeit wieder gefesselt und mit Medikamenten vollgepumpt in meinem Zimmer feststecken würde. Und das wollte ich nicht.
So konnte ich wenigstens über den Flur gehen und nachsehen, ob die Tür zum Treppenhaus vielleicht doch offen war. War sie nicht.
Auch das Fenster war zu. Leider.
Seufzend lehnte ich den Kopf an die Scheibe und schaute hinaus. Die Sonne schien. Zumindest hin und wieder, doch Wolken warfen dichte Schatten auf die Wege im Garten.
Es schien windig zu sein. Die Blätter an den Bäumen wackelten hin und her und ich war sicher, dass sie auch rascheln würden.
"Ob es wohl windig genug zum fliegen ist?", wollte Katrina wissen und ich zuckte ratlos mit den Schultern.
"Möglich.", grummelte ich.
"Wollen wir nicht aufs Dach gehen?", fragte Katrina und ich schnaubte.
"Geht nicht. Die Tür ist zu."
"Na und?"
"Fängst du schon wieder an?!", fuhr ich sie an, "Du bist komisch heute!"
"Ich will fliegen Klara. Weit weg. Lass uns aufs Dach gehen. Du hast gesagt, du bringst es mir bei.", sagte sie traurig und strich sich über ihr linkes Handgelenk. Mein Blick folgte ihrer Bewegung und glitt zu meinem eigenen Arm.
Ich zog den Ärmel des blauen Pullovers etwas hoch und sah auf die gerötete Linie.
"Bist du denn mutig genug?", wollte ich wissen, "Du musst es wirklich wollen.", sagte ich ernst, "Wenn du nicht wirklich daran glaubst, dann wirst du fallen. Wie damals. Willst du das?"
"Nein Klara. Ich will fliegen. Mit dem Wind. Mit den Vögeln. Du hast gesagt, es war nur nicht genug Wind. Das Dach nicht hoch genug.", ihre Stimme klang nachdenklich. Verträumt. Und sie hatte recht, ich hatte es gesagt.
"Glaubst du dieses Dach ist hoch genug um fliegen zu lernen?", wollte Klara wissen und ich nickte.
"Das Dach ist perfekt."
"Wofür?", unterbrach Theo unser Gespräch und ich schloss gequält die Augen.
"Zum Fliegenlernen.", sagte Katrina lächelnd, doch ließ ich ihn abblitzen.
"Zum in den Himmel schauen. Was denn sonst?!", fauchte ich ihn an doch er nickte unbeeindruckt.
"Klar. Als würdest du gerne in den Himmel schauen."
"Zufälligerweise mag ich den Himmel tatsächlich!", giftete ich, dabei waren meine Worte ernst gemeint. Wie Katrina, liebte ich den Himmel und die Sterne. Ebenso den Wind. Das Gefühl, das er einem gab, wenn man fiel. Mit geschlossenen Augen.
Dann konnte man fast denken, man würde fliegen. Nein. Nicht nur denken. Für einen Moment flog man wirklich.
Und das war das wirklich schöne am Wind.
Man war frei. Konnte tun was man wollte. Gleiten, schweben, flattern, tanzen, treiben, taumeln, trudeln, sinken, steigen, fallen und fliegen.
Wohin man wollte.
Doch das 'wohin' brachte mich in die Realität zurück, denn hier, wo wir waren, konnten wir nirgends hin.
"Was willst du, Theo?", fragte ich ruppig und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust.
"Du hast einen Termin bei Dr. Franklin.", teilte er mir mit.
"Na und?", Katrina's Worte kamen so leicht über meine Lippen, dass ich fast zu grinsen begann.
"Kommst du mit?", wollte er wissen.
"Hab ich eine Wahl?", stellte ich ihm ebenso eine Frage.
Bedauernd schüttelte er den Kopf: "Ich fürchte nicht. Aber ich komme mit.", er grinste breit, als wäre das eine gute Nachricht, doch ich verdrehte nur genervt die Augen.
"Super!", grummelte ich freudlos und ging zu der Tür, die zu ihrem Büro führte, "Was will die Schnepfe denn?"
"Reden.", sagte Theo und zuckte mit den Achseln.
"Kann die auch was anderes?", knurrte ich und verschränkte erneut die Arme. Finster sah ich ihn an, doch das war keine so berauschende Idee. Seine glitzernden, blauen Augen zogen mich in ihren Bann und erinnerten mich an den Sternenhimmel draußen. Abweisend verengte ich die Augen und stieß gereizt die Luft aus.
"Was denn zum Beispiel?", von meiner Laune gänzlich unbeeindruckt zwinkerte er mir zu und ließ mich voran durch die Tür gehen.
"Verschwinden.", grummelte ich und stapfte wütend die Treppe hoch.
"Ich weiß nicht. Frag sie doch mal.", schlug er vor, was ihm von mir einen tödlichen Blick über die Schulter einbrachte.
"Wenn ich das mache, dann steckt die mich doch gleich wieder in diese hübsche, weiße Jacke. Mit den geschlossenen Ärmeln.", hielt ich ihm vor und er lachte.
"Nein, das macht sie nur, wenn du ihr wieder an die Gurgel gehst.", sagte er und ich spürte seinen Blick in meinem Rücken. "Ich hoffe, dass hast du nicht vor.", jetzt klang er ernst. Ganz anders als vorher.
Als wir oben vor Dr. Draculas Büro ankamen, legte er seine große, warme Hand auf meine Schulter und drehte mich zu sich um.
Sein Blick war unergründlich. Irgendwas zwischen besorgt und aufmerksam.
"Nicht, dass ich dich nicht gern im Arm hab Klara, aber ich sehe dich nicht gern im Bett und schon gar nicht mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Verstehst du?"
Ich nickte gereizt und riss mich von ihm los.
"Ich bin brav!". fauchte ich und riss die Tür vor mir auf. Ich hörte ihn hinter mir seufzen, bevor ich viel zu laut sagte: "Hey! Ich bin da und ich heiße Klara!"
Dr. Dämlich saß an ihrem Schreibtisch und las. Also zumindest hatte sie das getan. Jetzt richtete sie sich beinahe sprunghaft auf und sah mich an.
Aber nur kurz, dann glitt ihr Blick an mir vorbei. Ich wusste, dass sie Theo ansah, der hinter mir den Raum betrat. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging durchs Zimmer.
"Würdest du dich bitte setzten?", forderte die dumme Kuh, doch ich hatte keine Lust.
"Ne!", fauchte ich und blieb vor dem Bücherregal stehen. "Das sind scheiß Bücher!", teilte ich ihr mit und ging zu dem Bild mit dem hässlichen, gläsernen Gebäude. "Das ist auch Scheiße! Hier gibt es nur Schrott!", sagte ich.
"Können sie auch was anderes als Schrott?!", wirbelte ich zu ihr herum, was mir von ihr einen erstaunten Blick einbrachte.
"Und was wäre das? Was sollte eine Ärztin deiner Meinung nach denn können?", fragte sie mich ruhig und setzte sich auf den Sessel, wo ich sie am liebsten wieder erwürgen würde.
"Verschwinden.", knurrte ich und hörte Theo hinter mir ein Lachen unterdrücken. Idiot!
"Tut mir leid. Ich bin leider nicht wie du.", sagte sie unbeeindruckt von meinen scharfen Worten, doch machten mich die ihren wütend.
"Was soll das heißen?! Ich kann verschwinden!", ich machte einige schnelle Schritte auf sie zu um ihr eine reinzuhauen. Doch als ich Theo zucken sah, blieb ich mit geballten Händen stehen und atmete hecktisch ein und aus.
Dr. Dracula machte große Augen und war in ihrem Sessel zurückgewichen, dennoch sprach sie weiter als wäre nichts geschehen.
"Du kommst und gehst, wie du Lust hast. Und Katrina auch. Ich würde manchmal auch gerne einfach verschwinden, wenn mir alles zu viel wird.", sagte sie gelassen und schob mal wieder ihre Brille hoch.
Ich jedoch wirbelte wieder herum und stapfte zum Fenster.
"Wenn ich gehen könnte, wäre ich schon längst weg.", sagte ich finster und lehnte den Kopf an die Kühle scheibe und schaute hinaus.
Von hier konnte man nicht in den kleinen Garten sehen, sondern auf eine Straße, die links und rechts von Bäumen gesäumt war.
"Und wo würdest du hingehen?", fragte mich die Frau und sie klang als würde es sie interessieren, weshalb ich einfach: "Auf die Wiese.", sagte.
"Welche Wiese?", bohrte sie weiter.
"Ist doch egal. Ich komm ja eh nicht hin.", knurrte ich.
Ich wollte mit dieser Schreckschraube ganz sicher nicht über unsere Wiese reden und die Nacht, die so schön gewesen ist. Aber sie gab nicht nach. Sondern nervte mich weiter.
"Nicht, wenn du dich weiter vor uns verschließt.", sagte sie und ich warf ihr einen gereizten Blick zu.
"Ich soll mit ihnen reden?!", fauchte ich sie an und sah sie nicken, jedoch begleitete sie diese Geste mit einem "Ja."
"Und was soll das bringen?!", wollte ich scharf wissen. "Lassen sie mich dann endlich aus diesem stinkenden Loch, wenn ich ihnen irgendwelche dämlichen Geschichten aus meiner Kindheit erzähle?"
"Wenn sie wahr sind.", sie zuckte leicht mit den Schulter, "Wir sind hier, um dir zu helfen. Und auch Katrina. Wir wollen verstehen, warum sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Warum ihr vom Dach gesprungen seid.", sagte sie und ich hasste sie dafür.
"Das geht sie nichts an.", knurrte ich derzeit noch beherrscht und wandte mich ihr zu, "DAS! GEHT! SIE! VERDAMMT! NOCHMAL! NICHTS! AN!", ich betonte jedes einzelne Wort. So dass sie mich gar nicht missverstehen konnte, doch irgendwie musste ich Chinesisch sprechen oder so, denn sie fragte: "Wieso nicht?"
"Weil es sie nichts angeht!", schrie ich jetzt und stand schon im nächsten Moment hinter ihr.
Mein Atem ging schwer. Meine Hände krallten sich in die Lehne von ihrem Sessel, doch spürte ich wie sich plötzlich eine Hand auf meinen Bauch legte.
Ich spürte Theos warmen Körper in meinem Rücken und schloss angespannt die Augen. Ich spürte den Sessel unter meinen Fingern ruckeln und ich wusste Dr. Dracula hatte sich in Sicherheit gebracht.
"Klara. Beruhige dich.", drang Theos Stimme ruhig, aber doch mahnend an mein Ohr und sein Atem kitzelte mich im Nacken. Ich ließ mich gegen ihn sinken und genoss das Gefühl das er mir bot.
Mein Herzschlag beruhigte sich, meine angespannten Muskeln wurden weicher und schließlich seufzte ich tief auf.
"Ich lass dich jetzt wieder los.", sagte der Mann und tat, was er gesagt hatte. Ich blieb einfach stehen. Mit geschlossenen Augen und versuchte nicht sofort wieder aufzubrausen.
"Klara.", ihre Stimme klang ruhig, beschwichtigend. Ich hasste sie. "Unser Ziel ist es, dir hier herauszuhelfen, doch das geht nur, wenn du mitmachst. Du kannst erst zu der Wiese wenn du für dich selbst keine Gefahr mehr bist."
"Ich bin eine Gefahr für mich, weil ich frei sein will?", sagte ich angespannt und vergrub meine Hände wieder tiefer in die Sessellehne.
"Nein, die Gefahr liegt in der Freiheit. So wie du sie für dich und Katrina willst."
"Sie will diese Freiheit auch."
"Es gibt eine andere.", sagte sie ruhig, "Eine andere Freiheit als den Tod."
"Wir wollen nicht den Tod. Wir wollen fliegen. Wir wollen den Wind spüren. Frei sein. Vergessen. Uns an neue Dinge erinnern.", sagte ich in Gedanken versunken.
"Was wollt ihr denn vergessen Klara? Was ist so schrecklich, dass ihr es vergessen wollt? Im Tod.", bohrte sie weiter, doch machte sie mich damit nur wieder wütend.
"Hören sie mir eigentlich zu?! Wir wollen nicht sterben!", fauchte ich sie an. "Wir wollen frei sein!"
"Ist das nicht dasselbe? Bedeutet frei sein für dich nicht, deinen Körper zu verlassen?"
"Nein!", schnauzte ich sie an, "Frei sein heißt FREI SEIN! Von hier abhauen. Hingehen, wo man hin will. Fliegen. Die Gedanken fliegen lassen. Ohne...", ich verstummte. Wollte die Worte, den Gedanken nicht zu Ende denken, aussprechen, was sich mir aufdrängte, denn...
Ich hatte keine Angst! Wovor sollte ich auch Angst haben?! Ich konnte fliegen. Ich war frei. Nur Katrina brauchte noch meine Hilfe dabei. Sie konnte nicht loslassen.
"Ohne Angst? Angst wovor?", beendete die Zicke meinen Satz nach eigenem Ermessen und jetzt war es mit meiner Ruhe gänzlich vorbei.
"ICH HABE KEINE ANGST!", schrie ich sie an und machte einen Satz. Und schon war ich an Theo vorbei. Ich raste auf Dr. Kotzbrocken zu und warf mich auf sie.
Dass heißt, ich wollte mich auf sie werfen, doch wieder wurde ich aufgehalten.
Theos Arme umschlangen mich, pressten mich erneut an ihn und hinderten mich daran, dieser Hure die Zunge aus dem Hals zu reißen. Ihr die Augen auszukratzen und sie für ihre Worte büßen zu lassen.
Angst? ICH? ICH HATTE KEINE ANGST! Vor nichts! Vor niemandem!
"Nur vor ihm.", wisperte Katrina hinter mir.
"Sei still!", fuhr ich sie an und wehrte mich energisch gegen Theos festen Griff, "Du musst keine Angst haben! Ich bin jetzt da!"
"Wovor hat Katrina Angst?"
"Sie hat keine Angst! Niemand tut ihr weh!", schrie ich die Ärztin an und ruckte mit dem Kopf nach hinten.
Theo stöhnte schmerzvoll, aber sonst sagte er nichts. Er hielt mich einfach fest, während ich mich halbherzig, aber doch heftig von ihm zu befreien suchte.
"Aber ich kann es nicht vergessen Klara.", flüsterte Katrina qualvoll, "Es tat so weh!"
"Er wird dir nie wieder wehtun! Hörst DU! Das kann er gar nicht!"
"Ich weiß.", ich sah sie vor mir. Sie hatte sich neben Dr. Dracula gestellt. Auf ihren Wangen glitzerten Tränen. Ihre Augen waren gerötet. "Ich weiß.", wiederholte sie erneut leise.
"Wer hat euch weh getan, Klara?", fragte die Frau neben ihr ruhig und sah mich besorgt an.
"Niemand!", schrie ich, "Niemand hat uns was getan."
"Doch. Er.", schluchzte Katrina und wischte sich die Tränen von den Wangen.
"Nein! KATRINA! NEIN! Er hat gar nichts gemacht!", wiedersprach ich ihr energisch, "Das hast du dir eingebildet! Das war alles nur ein Traum. Wir haben geschlafen. Geschlafen und geträumt! Erinnerst du dich an die Sterne, Katrina?", wollte ich, dass sie nachdachte. Auch ich wurde etwas ruhiger als ich daran dachte. Weil mich die Sterne beruhigten, "Sie waren wunderschön.", fuhr ich fort, "Sie strahlten so hell wie nie und dann sind wir eingeschlafen! Erinnerst du dich, Katrina? Wir sind eingeschlafen. Einfach eingeschlafen.", wiederholte ich ein ums andere Mal, doch wurde meine Stimme immer leiser. Fast flehte ich sie inzwischen an sich zu erinnern.
Sich an das zu erinnern, was wir uns als Wahrheit zurecht gelegt hatten.
"Abes es ist nicht wahr, Klara.", flüsterte Katrina, "Es ist nicht wahr. Es ist doch passiert. Ich weiß es. Ich erinnere mich."
"Dann vergiss es!", sagte ich kalt und funkelte sie an. "Es ist nie passiert!"
"Was ist nie passiert?", bohrte die Zicke in ihrer rosafarbenen Bluse weiter und versuchte mich nicht allzu sehr zu mustern, während sie ihre Brille die Nase hoch schob.
Doch ließ mich ihre Hartnäckigkeit wieder die Kontrolle verlieren, die ich gerade erst langsam zurück zu erlangen schien. Konnte diese verfickte Schlampe uns nicht in Ruhe lassen?!
Das ging sie Überhaupt nichts an. Nur uns.
"Sie will uns helfen.", flüsterte Katrina, während mir das Herz immer schneller durch die Brust raste. Blut rauschte in meinen Ohren und ließ mich langsam rot sehen.
"Verdammt Katrina!", schrie ich erneut los, und jagte meine Freundin weg. "Halt endlich die Klappe!"
Und mit diesen Worten ließ ich mich so plötzlich fallen, dass Theo mich kaum halten konnte. Ich musste hier weg! Weg, bevor etwas schreckliches passierte.
Musste dieser penetranten Gedankensaugerin die Luft zudrücken. Sie daran hindern, Katrina all die schrecklichen Gedanken denken zu lassen, die ich in ihrem Kopf näher kommen spürte.
Die Bilder, die sie quälten. Die Gefühle, die wir nicht mehr an uns rankommen ließen. Dafür war ich da. Ich beschütze sie. Beschütze sie vor all dem, was sie verletze.
Und weil ich weg musste, weil ich nicht hier bleiben konnte, weil ich nicht zulassen konnte, dass diese Hexe Katrina erneut diesen Schmerz zufügte, schmiss ich mich nach vorne, rempelte zurück und drehte mich wild hin und her. Ich zappelte so stark, schlug wild mit den Armen um mich und attackierte Theo mit dem Kopf, dass es ihm wahrlich schwer fiel mich zu bändigen.
Mir brach der Schweiß aus und ich spürte seinen Atem schnell in meinen Nacken prasseln. Sein rasendes Herz in meinem Rücken schlagen. Es hämmerte geradezu dagegen. Oder war es meines?
Mein Atem ging schwer. Ich konnte kaum mehr etwas sehen. Schweiß rann über meinen Körper und Tränen über meine Wangen.
Wie bei Katrina, die das Einzige war, das ich noch vor mir sehen konnte.
Ich hörte beinahe nichts mehr, nur noch Theos schweren Atem und Katrina's leises Schluchzen. Eine leise Stimme. Kurze Zeit später ein schmerzhaftes Stechen und dann wurde meine Welt seltsam.
Nebel zogen auf. Die Luft schien dicker zu werden. Das Licht dunkler.
Mein Versuch mich zu befreien erlahmte. Meine Kraft war aufgezehrt, oder mir genommen worden.
Ich spürte, wie Katrina von meiner Seite gerissen wurde, wie ich sie in all dem Nebel, der Dunkelheit nicht mehr finden konnte. Mich selbst nicht mehr finden konnte und dann konnte ich gar nichts mehr finden.
Nur noch Dunkelheit. Schwärze.
Ich verlor den Boden unter den Füßen. Ich schwebte. Flog beinahe, doch das Gefühl der Freiheit stellte sich nicht ein, nur das losgelöste Gefühl, dass ich für Sekunden verspürt hatte, als wir geflogen waren.
Es war nicht von Dauer gewesen, doch diesmal schien es länger anzuhalten.
Ich flog durch die Nacht. Der leere entgegen, bis ich landete. Weich und sanft. Nicht wie damals. Damals war die Landung hart.
Es hatte fürchterlich weh getan, doch diesmal nicht.
Mühsam öffnete ich noch einmal die Augen. Schaute in den Sternenübersäten Nachthimmel, bevor mich die Dunkelheit endgültig verschluckte und ich in eine allumfassende Schwärze tauchte, die mir einen Ort zeigte, an dem ich vergessen konnte. Einen Ort, an dem ich mich nicht erinnern musste, einen Ort, der mir willkommen war und so ließ ich mich fallen.
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3464 Worte
16.04.17
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