12 Die Farbe Rot
Die nächsten Tage waren gut.
Beinahe schön, wenn Dr. Franklin mich nicht immer wieder in ihr Büro holen ließe. Sie wollte reden. Reden über alles Mögliche, doch ich wollte nicht.
Klara auch nicht. Sie kam auch nicht mit, dennoch ließen mich Dr. Franklins Worte nicht los.
"Sie wollte wissen, warum ich im See war.", erzählte ich Klara.
"Und was hast du gesagt?", wollte sie wissen und ließ den Kopf über die Kante des Bettes nach unten Baumeln. Mit den Füßen trampelte sie gegen die Wand.
"Ich habe ihr gar nichts gesagt. Wie auch. Du warst ja nicht da.", seufzte ich und drehte den kurzen, blauen Buntstiftstummel zwischen den Fingern.
Ich hatte gemalt. Mal wieder. Und das Bild war wunderschön.
"Es sind blaue Blumen.", grummelte Klara und ich lächelte.
"Ich liebe blaue Blumen.", sagte ich verträumt und drehte mich auf dem Stuhl zu ihr herum. "Klara?", fragte ich.
"Was!", sagte sie genervt. Sie wusste was ich wollte. Trotzdem sprach ich aus, was ich dachte. "Kommst du mit, wenn sie mich wieder abholen?"
"Ne!"
"Bitte!", flehte ich sie an. "Wenn du da bist kann ich mit dir reden."
"Du kannst mit der blöden Kuh reden. Oder ist Theo auch da? Dann kannst du mit Theo reden.", sie hob hoffnungsvoll die Augenbrauen, doch ich zuckte nur ratlos mit den Schultern.
"Manchmal ist er da, aber du weißt doch..."
"Ja, ja!", unterbrach sie mich, "Du redest nur mit mir."
Ich nickte.
"Also gut.", maulte sie weiter, "Ich komme mit, wenn Theo auch kommt."
Ich seufzte. Wie sollte ich das denn machen.
"Mir doch egal! Lass dir was einfallen.", sagte sie.
"Aber das Dach. Der Garten.", wandte ich ein. "Ohne deine Hilfe dauert das doch Jahre, bis wir nach draußen können."
Wenn überhaupt. Dachte ich.
"EY! Wenn nicht, dann raste ich aus. Das sag ich dir!", fauchte Klara mich an und schwang die Beine über ihren Kopf. Die Hände stütze sie auf dem Boden ab und drehte sich dann schwungvoll zu mir um, kaum dass ihre Füße den Boden berührten.
"Komm! Lass uns nach draußen gehen. Wir hocken viel zu oft in diesem beschissenen Zimmer!", schlug sie bestimmt vor und ich erhob mich zögerlich.
"Wenn du meinst."
Langsam ging ich zur Tür. Öffnete sie und schaute hinaus.
Eine Frau wanderte den Flur entlang. Sie trug ein grünes Hemd. Wie viele hier. Sie hatte eine kleine Stoffpuppe in der Hand und zwirbelte die Hände der Puppe zwischen ihren Fingern.
"Jetzt mach schon!", drängte Klara und ich trat hinaus.
Kaum dass sie mich bemerkte sah sie mich an.
"Hast du sie gesehen?", fragte mich die Frau und ich wich kopfschüttelnd vor ihr zurück.
"Aber irgendwo muss sie doch sein.", ich sah, das ihr Tränen in die Augen stiegen, als sie sich mir näherte.
"Sie ist so groß.", sagte sie und zeigte irgendwo auf Kniehöhe, "Und hat helle Haare. Und du hast sie wirklich nicht gesehen?"
Wieder schüttelte ich den Kopf. Blieb aber stehen, obwohl die Frau immer dichter kam.
"Ich hab sie verloren.", jetzt weinte sie. "Ich kann sie nicht mehr finden. Aber sie muss doch irgendwo sein."
Ich nickte zustimmend. Sicher hatte die Frau recht. Was auch immer sie suchte, würde sicher irgendwo auftauchen.
"Man! Ist doch klar was die sucht. Ein Kind. Sie hat eine Puppe. Sicher gehört die dem Mädchen.", sagte Klara genervt und verdrehte die Augen.
"Bist du sicher dass es ein Mädchen ist?", wollte ich wissen und Klara stöhnte genervt. Die Frau nickte weinend.
"Sie heißt Milli. Hast du sie gesehen?", fragte sie erneut und wieder schüttelte ich den Kopf.
Sie tat mir leid, aber ich konnte ihr nicht helfen. Ich machte einen Bogen um sie herum und ging an ihr vorbei.
"Sagst du mir, wenn du sie siehst?!", rief sie mir nach und ich nickte bestätigend.
"Gibt es hier eigentlich nur Bekloppte?!", maulte Klara und ich nickte.
"Ja.", stimmte ich zu, "Nein.", revidierte ich meine Aussage, als mir Theo aus dem Schwesternzimmer entgegen kam.
"Hallo ihr beiden.", grüßte er mich, "Brauchst du wieder neues Papier?", fragte er mich lächelnd, doch schüttelte ich den Kopf. Hielt ihm aber den abgenutzten blauen Stift hin.
Vielleicht gab er mir ja einen neuen.
"Ah, einen blauen Buntstift.", stellte er fest und ich nickte. "Moment. Ich schau mal."
"Er ist so süß.", schwärmte Klara und lehnte sich an die Wand gegenüber der Tür. Sie schaute durch die Glasscheibe in den Raum und beobachtete ihn.
Er hatte lange Beine, die in einer weißen Hose steckten. Auch sein Oberkörper steckte in einem weißen Hemd.
"Ja, leider.", seufzte meine Freundin, "Ich würde ihn gerne mal ohne sehen."
"Klara!", tadelte ich grinsend, "Denk nicht an so komische Sachen."
"Man! Ich bin eine Frau! Warum sollte ich nicht an sowas denken. Ich finde er sieht gut aus. Du nicht?", sie sah mich mit strahlenden Augen an und ich nickte verstohlen.
"Doch." flüsterte ich, "Ich finde er hat schöne Augen. Wie der Nachthimmel so dunkel."
"Und er riecht so gut."
"Wirklich?", fragte ich erstaunt und dieses Mal war sie es die nickte.
Ich sah Theo zurückkommen. Er hatte gleich drei blaue Stifte dabei und einen roten. Die Blautöne waren unterschiedlich hell, oder dunkel. Das rot war...es war rot. Leuchtend rot. Rot wie die Lippen meiner Mutter. Oder auch wie das Blut, das aus meinem Arm getropft war, als ich mich geschnitten hatte.
"Hier."
Er reichte mir die blauen Stifte und lächelte sanft. Dann hielt er mir den Roten hin und ich sah ihn an. Den Stift, nicht Theo. Nahm ihn aber nicht.
"Malst du mir ein Bild?", fragte er mich, "Und kannst du etwas Rotes darauf malen. Ich mag rot.", sagte er und lehnte sich etwas zu mir nach unten, um mir ins Gesicht sehen zu können.
Ich ließ den Kopf noch mehr hängen und Klara wurde unruhig.
"Sieh ihn an Katrina. Sieh in seine Augen. Bitte. Ein Mal. Er ist dir so nah.", hauchte sie verliebt, "Riehst du es. Das Heu? Er riecht nach frischem Gras. Nach frischer Luft. Nach Freiheit.", säuselte sie, doch erst als ich etwas an meinem Kinn spürte, tat ich mit klopfendem Herzen was sie verlangte.
Langsam hob ich den Blick. Er half mir dabei. Sein Finger lag unter meinem Kinn. Ganz leicht nur und mein Atem stockte, als ich seine Augen fand.
"Malst du ein Bild für mich?", wiederholte er leise und ließ mich los. Ich sah ihn an. Sprachlos. Verlor mich in seinem Sternenhimmel. Klara schwieg und ich nickte Hypnotisiert. Streckte die Hand nach dem Stift aus und nahm ihn ihm ab.
"Danke, Katrina. Du bist doch Katrina? Oder?", fragte er mich und ich nickte.
"Ja, leider.", brummte Klara, und ich lächelte leicht über ihren Unmut, dann senkte ich den Blick wieder und fand mich mehr als schrecklich, weil ich einfach ging, ohne mich zu bedanken.
"Hättest ja was sagen können.", grummelte meine Freundin, aber ich spürte, dass die nicht wirklich böse auf mich war.
"Er hat uns angefasst.", flüsterte ich ihr zu, während ich an der Tür zum Dach vorbeiging und mich an das Fenster stellte.
Ich lehnte meinen Kopf dagegen und blickte sehnsüchtig in den Garten hinunter, in dem viele bunte Blumen wuchsen. Auch Rote.
"Das sind Rosen. Dummerchen."
"Meinst du Theo mag Rosen?", fragte ich sie und schaute auf den Roten Stift, der aussah wie die roten Blumen unter mir.
"Er hat doch gesagt, er mag Rot. Also mag er wohl auch Rosen.", sagte Klara neutral.
"Dann male ich ihm eine Blume."
"Du malst ständig Blumen."
"Ich weiß. Aber keine roten.", sagte ich leicht und ein wenig Licht schien durch das Fenster in mein Gesicht. Es wärmte mich. Oder war es das Gefühl in meiner Brust das mich wärmte?
"Er hat mich angefasst.", staunte ich erneut und fuhr mit der Hand über die Stelle, an die er seinen Finger gelegt hatte.
"Ja, und?", fragte Klara wissbegierig, "Wie hat es sich angefühlt? Gut oder so wie...", sie brach stockend ab, doch ich schüttelte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen den Kopf.
"Nein, nicht wie damals. Anders."
"Besser?", wollte Klara wissen und ich nickte mit klopfendem Herzen.
"Viel besser.", seufzte ich und schloss die Augen.
Lange Zeit stand ich einfach nur da. Horchte in mich hinein und dachte nach. An Dinge, die Dr. Franklin gesagt hatte und auch an Dinge, die meine Mutter vor so langer Zeit gesagt hatte.
"Sie war lange nicht mehr hier.", wies Klara mich darauf hin.
"Ich weiß.", flüsterte ich traurig, "Seit Papa gestorben ist."
Klara schwieg. Es war schwer für uns alle. Wir hatten ihn alle geliebt und er uns.
"Nicht so sehr."
"Vielleicht.", sagte ich traurig und drehte mich vom Fenster weg und ging in mein Zimmer zurück. Die Stifte legte ich auf meinen Tisch und starrte sie an.
Lange Zeit.
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1445 Worte
14.04.17
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