11 Blaue Hügel
Am nächsten Tag brachten sie mich wieder zu Dr. Franklin.
Sie wollte mit mir über den Vorfall reden.
Ich wollte nicht. Und Klara hatte sich geweigert mitzukommen. Und so war ich wieder gegangen. Ohne etwas gesagt zu haben.
Doch obwohl ich getreten hatte, obwohl ich jemanden verletzt hatte und auch obwohl ich jemanden angegriffen hatte, ließen sie mich in Ruhe.
Ich bekam keine Medikamente. Nicht das sie mich nicht gefragt hätten, doch ich hatte den Kopf geschüttelt und sie waren wieder gegangen.
Und sie fesselten mich auch nicht ans Bett, obwohl Klara geschimpft und gewütet hatte.
Dafür kam nach einigen Tagen Luna mit Stiften und Papier in mein Zimmer.
Ich saß auf meinem Bett. Starrte an die Wand gegenüber und hatte die Arme um die Knie geschlungen.
"Ich dachte, du magst vielleicht was malen.", sagte sie fröhlich. Sie war immer fröhlich. Ganz anders als ich oder Klara. Ich mochte das. Klara hasste es.
"Grins nicht so blöd!", fauchte sie sie an, doch hörte Luna sie nicht.
"Ich leg's dir hier hin ja. Dann kannst du die Stifte nehmen wenn du willst.", sie platzierte die Zettel und die Stifte auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster, dann ging sie zur Tür zurück, doch bevor sie mich wieder allein ließ, sagte sie noch: "Wenn du mehr Blätter möchtest, dann komm einfach zu mir. Okay?"
Ich nickte und sie ging.
"Ich hab keinen Bock zu malen!", beschwerte sich Klara, "Für wie alt hält die mich? 5?"
"Du musst ja auch nicht malen.", sagte ich leise. Machte aber selbst auch keine Anstalten mich zu erheben. Ich blieb einfach sitzen und starrte weiter an die Wand. Ich redete nicht einmal mit Klara, sondern hing nur meinen Gedanken nach.
Der Himmel war von Sternen übersät. Fast keinen Fleck gab es, der nicht funkelte. Es war wunderschön. Ich hatte mich raus geschlichen. Mitten in der Nacht. Ich war die Straße entlang gegangen, bis zu der Wiese auf dem Hügel.
Es wehte kein Wind. Und still war es. Nicht einmal ein Vogel hatte gezwitschert, nur das Gras hatte unter meinen Füßen geraschelt, als ich den Berg hinauf gestiegen war.
"Warum denkst du jetzt darüber nach?", wollte Klara gereizt wissen und tigerte im Zimmer auf und ab. Immer wieder warf sie ein Blick aus dem Fenster, das keinen Griff hatte.
Ich antwortete ihr nicht.
Ich hielt an den Gedanken fest.
Der Mond war in der Nacht nur eine kleine Sichel gewesen, doch die Sterne strahlten so viel Licht aus, dass ich meinen Weg auch so ohne Probleme fand.
Ich setzte mich, als ich ganz oben auf dem Bergrücken angelangt war auf den Boden und legte mich dann hin.
"Erinnerst du dich an den Bären?", fragte ich Klara leise.
"Türlich! Bin ja nicht dumm!", brummte sie.
"Hast du ihn jemals so hell strahlen sehen, wie in dieser Nacht?", wollte ich wissen.
"Ne. Wie auch. Seitdem waren wir nachts nicht mehr draußen."
"Willst du denn wieder raus?"
Klara schwieg.
"Ich weiß auch nicht, ob ich wieder raus will. Aber ich würde gern noch mal das Gras unter meinen Füßen spüren. Die Ruhe genießen."
"Und den Wind.", fügte sie hinzu.
"Ja. Der Wind war schön.", seufzte ich, "Er roch so gut. Nach Heu und Blumen."
"Nicht so widerlich wie...", sie brach ab. Das tat sie immer, weil sie nicht wusste, wonach es gerochen hatte, ebenso wenig wie ich.
"Lass uns den Bären malen. Oder den Wind. Das Gras und die Blumen."
"Nein. Den See.", wiedersprach Klara und so ließ ich mich von meinem Bett gleiten und schlich zu meinem Tisch hinüber.
Ich suchte mir ein Blau und malte.
Auf dem meerblauen Wasser schwammen azurblaue Enten mit aquamarinblauen Schwänen im Kreis. Ultramarinblaue Blumen wuchsen im türkiesblauen Gras und zwei blauhaarige Mädchen lagen, den Blick auf die Wasserfläche gerichtet, am smaragdblauen Ufer.
"Ich mag blau.", seufzte ich, während Klara, "Ich hasse blau." hinzufügte.
"Der Himmel ist blau.", sagte ich ihr und sie lächelte.
"Wasser ist aber auch blau.", sagte sie und ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen, dass mir die Farbe aus dem Gesicht weichen ließ.
"Ich mag blau trotzdem."
"Ich nicht."
Schweigend malte ich weiter. Blatt um Blatt. Bis keines mehr übrig war.
"Nimm die Wand. Da ist mehr Platz. Du könntest einen ganzen Himmel malen. So einen wie Damals.", schlug Klara vor.
Ich schüttelte verneinend den Kopf. "Ich will nicht, dass sie die Stifte wieder wegnehmen. Lass uns lieber neues Papier holen.", schlug ich stattdessen vor. Ich wusste zwar nicht, wie ich meinen Wunsch äußern sollte, doch versuchen wollte ich es trotzdem.
"Langweiler.", sagte Klara und verdrehe die Augen. Sie folgte mir zur Tür. Tief atmete ich durch. Öffnete sie einen Spalt und schaute vorsichtig hinaus.
Der Flur war leer.
"Das kann sich ändern. Das weißt du."
"Ich weiß.", sagte ich unsicher und trat hinaus.
Unbehaglich schlich ich den Gang entlang. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich hasste das Gefühl. Angst schlich durch meine Adern. Angst davor, dass er wiederkommen würde. Mich wieder anfassen könnte. Mich festhalten könnte.
Meine Hände zitterten. Und ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn.
Die gläserne Tür zum Schwesternzimmer näherte sich. Die zu meinem Zimmer entfernte sich. Meine Angst wuchs.
Ich hasste die Angst.
"Klara?", flüsterte ich und sie stieß mich vorwärts.
"Jetzt geh schon!", grummelte sie, "Sei nicht so ein Angsthase."
Ich schaffte es bis zur Glastür. Ich klopfte.
Theo öffnete mir.
"Hallo Katrina?", sagte er mit fragender Stimme und ich nickte. "Was kann ich für dich tun?"
Mit großen Augen sah ich ihn an. Und jetzt?
Nachdenklich blinzelte ich, während Klara ihn anhimmelte. Er hatte blaue Augen. Ganz dunkel. Fast wie der Nachthimmel vor so langer Zeit. Kleine, helle Flecken funkelten wie die Sterne in seiner Iris und ich konnte Klara verstehen, warum er ihr gefiel.
Er lächelte mich auffordernd an.
Mein Blick war auf seinen Bauch gerichtet. Höher wagte ich nicht zu schauen.
"Solltest du aber. Er sieht wirklich umwerfend aus.", schwärmte Klara und ich schloss lieber ganz die Augen. Ich fühlte mich in seiner Nähe zwar sicherer aber damit war mir auch nicht geholfen.
"Raste mal aus Kati.", bettelte Klara beinahe, "Ich möchte, dass er mich wieder an seine Brust presst. Er fühlt sich so gut an. Und sein Geruch erst.", seufzte sie und kuschelte sich an ihn, doch mir wurde bei dem Gedanken beinahe schlecht.
Abwehrend wich ich vor ihm zurück, als Luna's Stimme hinter mir ertönte.
"Na? Möchtest du mehr Papier?", fragte sie mich und ich nickte, nachdem ich mich erleichtert zu ihr umgedreht hatte.
"Holst du für Katrina welches?", wandte sie sich an den großen Mann vor mir, dabei war er nur wenig größer als ich. Aber ich war so zierlich, dass er beinahe doppelt so breit war.
"Sicher. Hättest du mir doch sagen können, Kleine.", er zwinkerte mir belustigt zu und Klara grinste verliebt.
"Zeigst du mir, was du gemalt hast?", wollte Luna wissen, als wir auf Theo warteten. Ich war beinahe froh, dass sie bei mir blieb und wenn sie sich meine Bilder ansehen wollte, musste sie mich in mein Zimmer begleiten, deshalb nickte ich glücklich.
"Hoffentlich fragt sie Theo ob er auch mitkommt.", sagte Klara begeistert, doch ich ignorierte sie. Ich war einfach froh, dass ich nicht alleine den weiten Weg zurückgehen musste.
Theo kam mit einem kleinen Stapel Papier zurück und gab ihn mir und wir gingen in mein Zimmer, wo ich Luna die blauen Bilder zeigte.
"Du magst Blau, was?", fragte sie Lachend, nachdem sie sich jedes angesehen hatte und ich nickte zustimmend.
'Ich liebe Blau.' wollte ich sagen, doch blieb ich stumm. Wie immer.
"Frag sie nach dem Dach.", schlug Klara vor und ich seufzte.
Irgendwann würde ich das sicher machen. Eines Tages. Ganz bestimmt.
Also vielleicht. Oder?
Luna ging. Und ich malte.
Blaue Bilder. Viele.
Mit tiefblauen Blumen und leuchtendblauen Häusern. Mit nachtblauem Wasser und strahlendblauem Himmel.
Und in den Himmel malte ich kleine hellblaue Punkte die Sterne waren.
Wie damals in der Nacht auf dem Hügel.
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1360 Worte
14.04.17
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