Das Buch
Ich hatte es extra aufgeschoben den begehbaren Kleiderschrank zu betreten, weil ich mir sicher war, dass sich dort mindestens ein Spiegel befand.
Und ich hatte Recht.
Nachdem ich das erste Fach mit Kleidern und Oberteilen durchsucht hatte, öffnete ich den nächsten Schrank. Und ohne jede Vorbereitung stand ich aufeinmal vor einem Spiegel der mich vom Gesicht bis zur Taille zeigte. Oder besser gesagt nicht mich sondern Destiny.
Sie war unglaublich schön. Ein wenig größer als ich, sicher so um die 1, 74 cm, die hauptsächlich ihre langen Beine ausmachten. Ihre Haut war makellos und gebräunt. Sie hatte ein hübsches, ein wenig puppenhaftes Gesicht, dass gleichzeitig Unschuld, Eleganz und Sexiness ausstrahlte. Unter ihrer schmalen Stupsnase befand sich ein herzförmiger Mund mit vollen, rosa Lippen. Ihre ozeanblauen Augen wurden von dichten, schwarzen Wimpern umrahmt, die beinahe schon künstlich aussahen. Die Haare waren rückenlang und blond.
Ich gab einen ungläubigen Gluckslaut von mir, als ich vortrat und mit den Fingern das Glas berührte. Das Mädchen im Spiegel tat es mir nach.
Das bin ich!
Ich hob das Handy damit Siri ebenfalls mein Spiegelbild sehen konnte.
,,Das bin ich, oder besser gesagt Destiny. Na, was sagst du?"
,,Ich glaube ich bin lesbisch. Du hast so ein Glück, dass du in ihrem Körper gelandet bist! Was ziehst du jetzt an? Wenn ich du wäre würde ich den ganzen Tag damit verbringen verschiedene Sachen anzuziehen und einfach nur in den Spiegel zu gucken."
Ich lachte kurz und sah fasziniert wie das Mädchen im Spiegel ebenfalls lachte und dabei eine Reihe perfekter Zähne entblößte.
,,Aber, Elfriede, wir wollen ja das Buch finden und uns damit wieder nach Hause befördern, damit ich nicht den Rest meiner Tage als Handy fristen musst. Deswegen such gefälligst mal schön weiter!"
Den letzten Satz rief sie mit Nachdruck.
,,Ja ja. Ich bin ja dabei."
Ungeduldig riss ich die Schubladen unter dem Spiegel auf. Fehlanzeige! In drei von ihnen befand sich Schmuck, in einer Uhren, in der untersten Sonnenbrillen. Ich öffnete den nächsten Schrank und schrie vor Freude auf, als ich auf einem Stapel ordentlich gefalteteter Jeans tatsächlich das Buch entdeckte. Siri jubelte ebenfalls.
Mit feuchten Augen betrachtete ich das Cover und wollte es grade aufschlagen, als mich Zweifel überkamen.
,,Siri, wollen wir das echt tuen? Jetzt schon? Wir könnten doch einfach noch ein wenig hierbleiben."
,,Wie meinst du das?"
Ich legte die Stirn in Falten. ,,Dieses Zimmer ist der Hammer und das Haus vermutlich auch. Du hast doch den Pool vom Fenster aus gesehen! Wir könnten einfach noch ein paar Tage hierbleiben und dann das Buch öffnen und nach Hause gehen?"
Sehnsüchtig sah ich wieder in den Spiegel. Mein eigentlicher Körper war vom Aussehen her eher unter dem Durchschnitt, dass war mir selber klar. Ich war pummelig, kurzbeinig und hatte eine zu große Nase und einem zu kleinen Mund. So richtig gestört hatte mich das nie, inzwischen war ich einfach daran gewöhnt. Aber manchmal wenn Jungs mich ansprachen, nur um an die hübsche, zierliche Siri ranzukommen, oder ich mich nicht traute das anzuziehen was ich wollte, tat es weh.
Und jetzt sah ich einfach aus wie eine Teenage - Göttin, lebte in einer Villa mit Pool und hatte nicht einmal die Gelegenheit es richtig zu genießen.
,,Ich glaube das ist keine gute Idee, Elfriede. Wir haben doch keine Ahnung ob wir am Anfang oder einfach nur in der Welt der Geschichte gelandet sind. Was machen wir wenn andere Charaktere herkommen? Was erzählen wir später unseren Eltern, wo wir Tagelang waren?"
Sie hat Recht. Das ist keine gute Idee.
Trotzdem wand ich mich. ,,Wir könnten so tuen, als wären wir ein paar Tage zusammen abgehauen und mit dem Zug durch Deutschland gefahren. Sowas machen Teenager manchmal. Dann werden wir zwar garantiert was zu hören kriegen, aber in ein paar Monaten ist das vergessen."
,,Elfriede, wir wissen praktisch nichts über das Buch! Was ist wenn dein Charakter am Ende stirbt, oder ihr Handy kaputt geht? Ich würde dir ja ein paar Tage hier gönnen, aber jetzt zurückkehren ist das einzig Richtige."
Sie hatte Recht. Außerdem machte mir die Situation immer noch Angst.
Schweren Herzens nahm ich das Handy so, dass die Kamera fast das Buchcover streifte und klappte das Buch auf.
1, 2, 3, 4, 5...
Als nach 10 Sekunden immer noch nichts passiert war, wurde ich nervös.
,,Siri, bist du noch da?"
,,Ja."
Nachdenklich blickte ich auf die erste Seite und erkannte zu meiner Überraschung, dass sie nur zur Hälfte bedruckt war.
Mit den ungewohnt langen Fingern blätterte ich durch das Buch und stellte fest, dass alle darauffolgenden Seiten völlig leer waren. Siri hatte es ebenfalls gesehen und keuchte überrascht auf.
Ich blätterte zur ersten Seite zurück und überflog den Text.
1.Kapitel
Ich wachte um 6:30 auf, viel früher als eigentlich nötig. Vor Aufregung hatte ich nicht einschlafen können. Heute war mein erster Tag an der neuen Highschool. Meine Eltern und ich waren über die Sommerferien in eine andere Stadt gezogen. Weil sie Business Leute sind, müssen wir oft umziehen. Aber dafür leben wir auch immer in superschönen Villen und ich kriege alles was ich mir wünsche.
Kurz checkte ich mein Handy, ein iPhone 11 was mir mein dad zum Umzug geschenkt hat. Dann stand ich auf, öffnete die Vorhänge und betrat meinen begehbaren Kleiderschrank. Weil es heute sehr warm und sonnig war zog ich einen hellvioletten Rock und einen gehäkelten, rosa Pullover an. Ich mochte keine Klamotten, die zu freizügig waren.
Siri unterbrach mich beim Vorlesen: ,,Es ist warm und sonnig und sie zieht sich das an?! Wo ist der Zusammenhang? Sie trägt einen verdammten Pullover."
Ich kicherte kurz, was bei Destiny im Spiegel absolut umwerfend aussah. Das war einer der Gründe warum ich so gerne mit Siri zusammen las. Wenn uns eine Stelle nicht gefiel zögerten wir nicht sie auseinander zu nehmen und uns über sie lustig zu machen, bis davon nur noch unrecycelbare Fetzen übrig blieben.
Nach dem Bild endete die Schrift schon fast.
Danach tuschte ich meine Wimpern und ging nach unten um zu frühstücken. Ich machte mir Pancakes und aß sie mit Sirup und Erdbeeren. Ich nahm meine Schultasche und ging los. Eigentlich hätte ich auch meinen Mercedes nehmen können, aber es war nicht weit und ich fiel nicht gerne auf.
Danach war die Seite weiß. Was ging hier bloß vor? Nach Rat suchend sah ich auf das iPhone.
,,Siri, ich glaub nicht, dass uns das aufschlagen vom Buch wieder nach Hause bringt."
,,Ach neee. Aber was jetzt? Was bringt uns nach Hause?"
Ich guckte auf das Handy, auf die Buchseite, in den Spiegel und wieder auf die Buchseite.
,,Ich habe eine Idee." Flüsterte ich. ,,Ich glaube das Buch schreibt sich weiter, wenn wir, oder besser gesagt ich, die Geschichte ausleben."
,,Meinst du echt? Und was passiert dann wenn sie vorbei ist? Bleiben wir dann hier in der Welt und du lebst das Happy End aus, oder kommen wir wieder nach Hause?"
Ich zuckte mit Destinys schmalen Schultern. ,,Keine Ahnung. Ich hoffe auf Letzteres. Erst einmal sollte ich vermutlich dieses Outfit anziehen, Pancakes essen und zur Schule gehen. Wenn wir Glück haben erscheint dann hier der nächste Absatz."
,,Na dann beeil dich mal, ich kann dir nämlich ganz genau die Zeit sagen. Es ist 7:23 und ich schätze mal der Unterricht beginnt um 8 Uhr."
,,Verdammt!"
Ich raste los und versuchte den Rock und den Pulli vom Bild zu finden.
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