Der Schnee
„Du machst was?", dröhnte die überraschte Stimme meiner besten Freundin durch die Freisprechanlage meines Autos und hallte in dessen inneren.
Die Scheibenwischer wedelten hektisch hin und her und vertrieben somit die Schneeflocken, die mir die Sicht behinderten. Die Straßen waren glatt und der Schnee fiel mit jeder Minute heftiger vom Himmel herab.
„Ich fahre in die Berge. An die Alpen besser gesagt. Ich habe ein spontanes Jobangebot reinbekommen."
„Zwischen den Jahren?", meckerte Sofia weiter. „Was kann das denn für ein Job sein? In drei Tagen ist Silvester und du fährst einfach so spontan weg?"
Nach fünf Stunden Fahrt war ich bereits völlig erledigt, jedoch blieb mir keine Zeit für eine Pause. Bald sollte es dunkel werden und bis dahin wollte ich angekommen sein.
„Ich bin Journalistin. Ich muss immer bereit sein spontan zu verreisen. Kennst du Sven Richter? Den Schauspieler?"
„Ja, klar."
„Er ist über die Feiertage in den Alpen in so einem Luxus-Hotel und mein Chef hat den Deal eingetütet eine Storyline mit Sven Richter zu schreiben und dabei Werbung für das Hotel zu machen. Es gibt eine Silvester-Gala mit einigen Promis, und ich bin mittendrin!" Meine piepsige Stimme verriet die Vorfreude, die in mir brodelte seit dem ich davon erfuhr, dass ich die Storyline schreiben darf. Noch nie bekam ich so große Aufträge. Das könnte mein Durchbruch sein. Endlich würde ich zeigen, was ich kann.
„Oh, wow. Aber bis Silvester bist du wieder da, oder?"
„Ja, klar. Ich muss da nicht länger bleiben, als nötig ... Trotz des Luxus-Zimmers und All inklusive Verwöhnung", gab ich kichernd an.
„Uuuh, und wieso dann nicht gleich länger bleiben?"
Frustriert schnaufte ich und biss mir auf die Lippe. „Ja, ähm, mein Chef hat noch einen Fotografen eingestellt, mit dem ich zusammenarbeiten muss. Und das ist kein geringerer als Dario."
Die angespannte Stille, die augenblicklich in meinem Wageninneren herrschte, bestätigte nur wie schräg die Situation war.
Irgendwann kam Sofia jedoch wieder zu sich. „Dein Ernst? Du bist da mit Dario?"
„Jap", bestätigte ich kopfnickend, als ob sie mich sehen könnte, und konzentrierte mich wieder auf die Autos vor mir, die sich immer langsamer fortbewegten.
Daraufhin vernahm ich leises Kichern meiner Freundin.
„Lachst du mich gerade aus?" Die Empörung in meiner Stimme hing unweigerlich in der Luft.
„Nein", gab sie von sich, doch ich hörte ganz genau, wie sie sich zu beherrschen versuchte.
„Doch das tust du! Das ist nicht witzig."
Dann wurde ihr Lachen lauter. Die Beherrschung war wohl dahin und auch mich brachte dies zum Schmunzeln. „Sorry, aber das finde ich irgendwie süß."
„Süß? Was bitteschön soll daran süß sein?"
„Ach komm schon Liana. Dann warst du eben verknallt in ihn. Aber da wart ihr doch noch Kinder."
„Wir waren vierzehn. Und das war so peinlich. Und er und seine Kumpels waren echt fies zu mir. Die haben mich so oft ausgelacht deswegen."
„Ja, aber das ist doch auch schon zehn Jahre her", versuchte mich meine Freundin zu beruhigen. „Ihr seid jetzt erwachsene Menschen und werdet es wohl hinkriegen ein paar Tage miteinander klar zu kommen. Ihr müsst ja nicht in einem Zimmer übernachten."
Jetzt musste ich lachen. „Stell dir das mal vor! Ich und Dario in einem Zimmer! So könnte man es auch in ein Klatschblatt schaffen, denn es gäbe sicherlich einen mysteriösen Mord im Luxus-Hotel."
Unser Gelächter musste ich unterbrechen, als die Autos vor mir zum Stehen kammen und die Warnblinker aufleuchteten.
Nein! Nicht auch noch einen Stau!
Ich tat es den anderen Fahrern gleich und betätigte ebenfalls den dreieckigen Knopf.
„Süße, ich muss auflegen. Hier ist wohl ein Unfall oder so. Ich ruf' wieder an."
Ein Polizist kam trotz des Schneesturms an die Autos gelaufen. Ich lies die Fensterscheibe runter, als ich an der Reihe war.
„Guten Tag. Die Autobahn ist gesperrt, sie müssen die nächste Ausfahrt runter."
*****
Verärgert über diese ganze Situation zog ich fluchend meinem Koffer aus dem Kofferraum.
Ich war noch nicht mal da und verkackte es jetzt schon?
Der Polizist erklärte mir vorhin, dass einige Bäume umgekippt wären vom Schneesturm und deshalb ein Durchfahren nicht möglich wäre. Ich wollte es über die Umfahrstraße versuchen, aber der Sturm wurde immer heftiger, sodass ich zwanzig Minuten vor meinem eigentlichen Ziel doch halten musste, um mir eine Schlafmöglichkeit zu suchen.
Nun stand mein Auto vor dem kleinen, etwas runtergekommenen Hotel und ich kämpfte durch den mindestens dreißig Zentimeter hohem Schnee zum Eingang. Der Tag war hart und ich freute mich einfach nur auf ein gemütliches Zimmer und eine warme Decke. Meine Füße waren bereits klatschnass, als mir klar wurde, dass ich meinen Trip völlig unterschätzt hatte und die dünne Strumpfhose mit süßen cremefarbenen Boots mit Plüschbommeln nicht ausreichten, um dieses Wetter zu überstehen.
Was hatte ich mir dabei gedacht? Kurzer Lederrock mit Bluse und einem kurzen Winterjäckchen würden mich vor Kälte schützen? ... Da hilft auch die blöde Zipfelmütze nicht, wenn mir der Arsch abfriert!
Das Bild in meinem Kopf sah ganz anders aus, als ich hektisch und kurz vorm Ausflippen meine Taschen packte. Ich sah, wie elegant ich aus dem Wagen stieg und meine Schlüssel dem Parkdienst überreichte, während mein rosegoldener Koffer bereits reingetragen wurde ...
„Fuck!", schimpfte ich leise, und stampfte mit den Füßen im knisternden Schnee, als mein Koffer sich nicht mehr ziehen lassen wollte.
Krampfhaft versuchte ich den Klotz zu tragen, doch auch schon nach wenigen Metern merkte ich, wie schwer das Ding war.
Was habe ich denn alles eingepackt? Ich habe doch nur das nötigste mitgenommen!
Gerade bei den letzten Schritten bis zum Eingang, spürte ich wie mir meine vor Kälte tauben Finger immer weniger gehorchten und der Henkel ihnen entwich.
„Fuck!", schrie ich diesmal laut, als der Koffer auf den Boden knallte. „Was hast du gegen mich, du blödes Ding?!"
„Hey, hey", höre ich eine tiefe Stimme, wie aus dem Nichts. „Nicht so streng mit den treuen Begleitern. Die können sehr nachtragend sein."
Ohne mich umzudrehen zischte ich verärgert: „Ich habe gerade erst verdaut und verziehen, dass ich trotz vollem Körpereinsatz beim Versuch dessen Reißverschluss zuzuziehen scheiterte und ganze zwei Outfits Zuhause lassen musste. Und jetzt Das!"
Wutentbrannt deutete ich auf meinen sich weigernden Koffer und drehte mich zu der Stimme um. Wäre ich von der ruckartigen Bewegung nicht ausgerutscht und dabei über meinen blöden Klotz gestolpert, würde ich in eine Schockstarre verfallen. Aber da ich jetzt auch noch mit meinem Hintern im nassen Schnee saß, nahm ich die Hand an, die nach mir ausgestreckt wurde.
„Danke", gab ich verlegen von mir, als ich zum Stehen kam. „Was machst du hier, Dario?"
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