| THREE |
𝓜𝓪𝔁
Die Zeit verflog wie im Winde. Holly und ich leiteten das Surfcamp nun schon seit über einem Monat, und bisher hatten wir großes Glück mit dem Wetter. Wir fanden relativ schnell Anschluss und konnten unsere Eltern während der wöchentlichen Videocalls beruhigen, dass wir, trotz Sprachbarrieren, gut zurechtkamen.
Ich richtete meinen Blick gen Himmel, der allmählich zuzog. »Scheinbar ist unsere Glückssträhne vorbei.«
»Ja, scheint so.« Holly sah auf ihr Handy und wirkte mit einem Mal besorgt. »Ich glaube, dass wir die Leute vorsichtshalber zurück in ihre Hotels schicken und das Camp evakuieren sollten. Laut Wetter-App zieht ein gigantischer Sturm auf, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch noch in den kommenden Tagen damit beschäftigt sein werden, das Camp wieder aufzubauen.«
Hollys Sorge bestätigte sich bedauerlicherweise rascher, als uns beiden lieb war. Während sie versuchte, die Teilnehmer des Camps in Sicherheit zu bringen, kümmerte ich mich um das Camp, was sich als Riesenfehler herausstellte.
»Komm schon, Max!«, rief sie mir mit besorgter Miene zu. Ihr rosafarbiges Haar erinnerte mich in Kombination mit dem starken Wind an frische Zuckerwatte, die gerade in der Maschine für den Verkauf vorbereitet wurde. »Es ist zu gefährlich! Lass uns gehen!«
»Ich kann nicht, Bunny«, erwiderte ich. »Ich muss warten, bis das Camp vollständig geräumt ist und ich mir sicher sein kann, dass keiner der Teilnehmer zurückbleibt.«
»Aber, Max ...«
Ohne darüber nachzudenken, ließ ich meine Hand in ihren Nacken gleiten, woraufhin sie mich verwirrt ansah. »Hör zu, ich bekomme das hin, okay?«
»O-okay.«
»Gut, und jetzt geh schon vor und bring die anderen sicher ins Hotel. Bleibt zur Not im Bus, dort seid ihr sicher.«
»Was ist, wenn dir etwas passiert? Wie zum Henker soll ich das Tante Adele und Onkel Jonah bitte verklickern?«
»Sag ihnen nichts. Ich will nicht, dass sie sich unnötig Sorgen machen. Und jetzt geh schon.«
»Max, du ...« Noch bevor sie mir irgendwelche Widerworte an den Kopf knallen konnte, versiegelte ich ihren Mund mit meinem. Ihre Lippen fühlten sich weich und geschmeidig an - ganz anders, als in meiner Vorstellung. Und ich hatte mir verdammt oft vorgestellt, wie es wäre, Holly zu küssen.
»Lauf, Bunny. Geh zum Bus und schick mir eine Nacht, wenn du mit den anderen im Hotel angekommen bist.«
Sie nickte, während Tränen in ihren Augen glänzten. »Versprich mir, dass du nachkommst!«
»Versprochen. Und jetzt geh!«
***
Keuchend verschloss ich die Tür des Gewächshauses, ehe ich mir mit dem Handrücken die Feuchtigkeit von der Stirn wischte.
Verdammt, der Sturm hatte mich so eiskalt erwischt, dass mir keine andere Option blieb, als im nächstbesten, überdachten Gebäude Unterschlupf zu suchen.
Holly ... Ich hatte ihr versprochen, nachzukommen.
Rasch griff ich nach meinem Smartphone, um ihr eine Nachricht zu schreiben. Doch die starken Windböen mussten den Funkmast beschädigt haben, weil nicht eine meiner Nachrichten zu Holly durchgestellt worden waren.
»Fuck«, murmelte ich kaum hörbar in mich hinein. »Sie wird komplett ausrasten, wenn ich mich nicht bei ihr melde.«
Ich hoffte wirklich inständig, dass Holly nicht auf die dumme Idee kommen würde, mich zu suchen. Allein schon bei dem Gedanken, sie könnte etwas derart Waghalsiges auch nur in Erwägung ziehen, wurde mir speiübel.
Was zum ...?
Das plötzliche Ertönen eines Raschelns hinter mir ließ mich aufhorchen. Ich drehte mich um und fuhr in mich zusammen, als mir der nackte Rücken einer jungen Frau in die Augen sprang. Ihre zart gebräunte Haut schimmerte im Licht, während ihr langes, perlblondes Haar in einem geflochtenen Zopf ihr rechtes Schulterblatt dekorierte.
Ich schluckte und tat nichts weiter, als sie anzustarren. Aufmerksam folgte ich jeder noch so kleinen Bewegung und bewundert die Art und Weise, wie sie mit ihren grazilen Fingern nach einer der etwas größeren Blumen griff. Doch anstatt sie zu pflücken, ließ sie die feinen Tautropfen, die von den Blütenblättern abgesondert wurden, entlang ihres Zeigefingers nach unten gleiten.
Träume ich etwa?
Ja, es musste ein Traum sein. Eindeutig. Ich war mir ziemlich sicher, dass solch engelsgleiche Wesen nur in meiner verrückten Fantasie existierten und nicht in der realen Welt. Zu perfekt, zu schön, um wahr zu sein.
Wie kam sie hierher? Hatte sie ebenfalls Schutz vor dem Sturm gesucht? Oder war das etwa ihr Gewächshaus, in das ich einfach so hereinspaziert bin?
Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf, dass sie in eine cremefarbene Strickjacke gehüllt war, die ihre Unterarme und ihre Lenden bedeckte. Und als sie sich schließlich umdrehte, und mich mit ihren großen, braunen Augen ansah, wusste ich, dass ich wach war. Hellwach, um genau zu sein.
Sie zuckte vor Schreck zusammen und stieß dabei einen der kleinen Blumenkübel von der Steinmauer.
Ich hob beschwichtigend die Hände und versuchte krampfhaft, mich bei ihr mit einem stammelnden »T-tut mir leid« zu entschuldigen. Leider ging das gewaltig nach hinten los, denn die Unbekannte zog sich plötzlich das Jäckchen über die Schultern und rannte los.
»Hey, warte!«, rief ich ihr nach, doch sie beachtete mich nicht. Stattdessen lief sie einfach weiter, bis sie irgendwann in einem Meer aus Blumen verschwand. »Es war nie meine Absicht, dir Angst einzujagen. Bitte, ich habe lediglich Schutz vor dem Sturm gesucht, und ...«
In meiner unmittelbaren Nähe vernahm ich leise Schritte, weshalb ich für einen kurzen Moment lang die Augen schloss. Ich versuchte das Geräusch ausfindig zu machen, was mir, aufgrund meiner Survival-Skills sehr gut gelang. Holly und ich haben nicht nur gelernt, wie man richtig surft, sondern auch, wie man seine Umgebung bewusst wahrnimmt und nach Spuren sucht.
Als ich das Geräusch endlich lokalisiert hatte, öffnete ich die Augen wieder und pirschte mich langsam an die Unbekannte heran. Zumindest dachte ich, dass ich das tun würde. Schlussendlich wurde ich jedoch eines Besseren belehrt, als ich einen Schwarm Vögel aufgescheucht hatte, der mit lautem Gezwitscher an mir vorbeizog und sich an dem nächstbesten Gebüsch wieder niederließ.
Ich tat einen tiefen Atemzug, um meinen rasenden Puls wieder zu beruhigen. Dann schob ich vorsichtig ein paar große, grüne Blätter beiseite, ehe ich mich vor einer malerischen Kulisse wiederfand. Das Gewächshaus schien nicht nur dem Zwecke zu dienen, Blumen und Vögel zu beherbergen, sondern beinhaltete zudem noch ein verstecktes Café.
»Hallo?«, rief ich und trat hervor, um mich ein wenig umzusehen. Dass ich keine Antwort erhielt, war kaum verwunderlich, zumal ich das Mädchen zu Tode erschreckt haben musste. »Unfassbar ... So etwas Schönes habe ich ja noch nie gesehen.«
Runde Stühle mit verschnörkeltem Muster und die dazu passenden Tische, auf deren Oberfläche sich dezente Blumendeko befand. Aufgereiht in zwei Reihen ließen sie einen breiten Gang frei, der den Weg zu einem, aus Paletten bestehenden, Tisch ebnete. Dahinter befand sich eine Tür, die eine Tür mit petrolfarbiger Lackierung, die einen Spalt offen stand.
Ich passierte den Gang, und während ich das tat, kam ich nicht drumherum, die unzähligen Girlanden, Lichterketten und Blumenkübel zu bewundern, die von der Decke hingen. Obwohl der Regen von draußen heftig gegen die durchsichtigen Scheiben prasselte, war es angenehm warm und man fühlte sich sicher. Vermutlich hielt sich die schöne Unbekannte deshalb hier auf. Zumindest nahm ich es an, weil es so schien, als würde sie sich wohlfühlen. Als wäre das Gewächshaus eine Art Rückzugsort für sie.
»Möchtest du ... vielleicht einen Kaffee oder Tee?«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top