| SIX |

ℳ𝒶𝓍

Lina und ich verbrachten unzählige Stunden damit, uns über Gott und die Welt zu unterhalten. Draußen tobte noch immer der Sturm und langsam wurde es dunkel, was mir ein Gefühl von Unwohlsein in meiner Magengrube bescherte.

»Ich sollte gehen. Es ist schon spät und ich bin mir sicher, dass der Regen bald nachlassen wird.«

»Oh, das denke ich nicht.« Sie legt den Kopf schief und mustert mich prüfend. »Wenn es hier mal einen gewaltigen Wolkenbruch gibt, dann dauert es ewig, bis man wieder auf die Straße kann.«

Am liebsten würde ich ihr sagen, dass ich mich um Holly sorge und sie sich mit Sicherheit auch um mich. Jedoch möchte ich Lina keinen falschen Eindruck vermitteln. Auch wenn ich Holly zum Abschied geküsst habe, sind wir nicht mehr als Kindheitsfreunde. Zumindest nehme ich das an.

»Aber hierbleiben kann ich ja auch schlecht.«

»Na ja, wir haben uns ein wenig kennengelernt und ich glaube nicht, dass du ein blutrünstiger Serienkiller bist, der meine weißen Lilien mit meinem Blut neu einfärben möchte.«

»O-okay.«

Sie gestikuliert hektisch mit ihrer freien Hand und wirkt mit einem Mal ganz aufgelöst. »Bitte versteh das jetzt nicht falsch! Ich höre sehr viele True-Crime-Podcasts. Vor allem dann, wenn ich mich einsam fühle.«

»Fühlst du dich oft einsam?«, hakte ich nach und legte meine Kaffeetasse auf der pinienholzfarbigen Tischplatte vor mir ab. Dann rutschte ich ein Stück näher an sie heran, woraufhin sie mich irritiert ansah und dabei die Kaffeetasse fallen ließ.

Lina antwortete nicht. Ich sah nur, wie ihre Brust sich abrupt hob und senkte. Dann wandte sie ihren Blick ab, woraufhin ich meinen Zeigefinger unter ihr Kinn schob, um ihren Kopf zu mir zurückzudrehen.

»Weißt du eigentlich, dass du schöner als jede Blume bist, die ich bisher auf dieser Insel gesehen habe? Inklusive der Blumen aus dem Gewächshaus.«

Scheiße, ich wollte sie so unbedingt küssen. Ihre Lippen auf meine spüren und sie schmecken. Doch bevor es dazu kam, stemmte sie ihre Hände gegen meine Brust und gab mir damit eindeutig zu verstehen, dass ich zu weit gegangen war.

Sofort zog ich mich zurück, um etwas mehr Distanz zwischen uns zu bringen. Dann entschuldigte ich mich bei ihr: »Es tut mir leid, sollte ich dir gerade zu nahe getreten sein. Ich weiß, wir kennen uns erst seit ein paar Stunden, aber ... irgendwie fühle ich mich extrem zu dir hingezogen.« Ich konnte die Art von Gesprächen noch nie leiden. Im besten Fall fügten sich die Dinge einfach irgendwie, ohne dabei großartige Reden schwingen zu müssen.

»Versteh' mich nicht falsch, Max. Du bist ... lieb und nett.«

»Aber zu nett?«, entgegnete ich deutlich patziger, als ich eigentlich wollte.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Es liegt an mir, nicht an dir.«

***

Nach unserem Gespräch hatten Lina und ich uns für den Rest des Abends angeschwiegen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Sturm vorbeigezogen war und ich das Gewächshaus wieder verlassen konnte.

Im Hotel angekommen, sprang Holly mich regelrecht an und presste ihre Lippen so hart und fest auf meine, dass ich kaum Luft bekam. Als sie von mir abließ, sahen wir uns bloß an. Ihr keuchender Atem an meinem Mund verriet mir, dass der kurze Abschiedskuss vor dem Unwetter ihr scheinbar mehr bedeutet hatte, als ich ursprünglich angenommen hatte.

»Wo warst du?« Sie schluchzte. »Ich habe mir verdammt nochmal Sorgen um dich gemacht!« Ihre durchtrainierten Schenkel waren fest um meinen Oberkörper geschlungen und ihre Stirn lehnte gegen meine. Dabei berührten sich unsere Nasenspitzen. »Versprich mir bitte, dass wir uns nie wieder trennen! Nochmal halte ich das nicht aus ...«

»Hey, Bunny«, wisperte ich und stupste dabei mit meiner Nasenspitze gegen ihre. »Es ist alles gut. Mir ist nichts passiert, okay?«

Ehe ich mich versah, landeten ihre Lippen mehrmals auf meinen. Ihre Arme waren fest um meinen Nacken geschlungen, während die meinen ihre Taille umfassten. Vorsichtig löste ich ihre Schenkel von meinem Oberkörper, um sie abzusetzen und mein Herz daran zu hindern, mir aus der Brust zu springen.

»Wir sollten in unsere Hotelzimmer gehen«, flüsterte ich an ihr Ohr. »Wenn wir so weitermachen, werden wir noch des Hotels verwiesen.«

Holly und ich wohnten zusammen in einer Wohnung mit getrennten Zimmern. Im Falle einer Evakuierung hatten wir jedoch ein Abkommen mit einem nahegelegenen Hotel getroffen, das bevorzugt die Teilnehmer des Surfcamps beherbergte.

»Wir haben ein gemeinsames Zimmer bekommen, weil alles andere ausgebucht gewesen ist.« Sie sah mich an und schien nicht zu wissen, wie sie meine Reaktion auf ihr Verhalten deuten sollte. »Wenn du das nicht willst, dann ...«

Ich strich ihr vorsichtig eine lose Haarsträhne hinters Ohr und sagte: »Ach, Unsinn. Ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass wir gemeinsam in einem Bett schlafen, oder?«

Es gab schon einmal eine derartige Situation. Wir standen kurz vor unserem High School Abschluss und hatten uns ein wenig ausprobiert. Seit dieser Nacht hatten wir uns jedoch geschworen, etwas dergleichen nie wieder zu tun, um unsere Freundschaft nicht zu gefährden.

»Ich will nicht nur mit dir in diesem Bett schlafen, Max.« Die Art und Weise, wie Holly mich ansah, ließ mich schwer schlucken.

Ohne auf eine Antwort zu warten, griff sie nach meinem Handgelenk und zog mich mit sich in Richtung der Treppen. Wir gingen hoch in den ersten Stock, bis wir schließlich vor einer Zimmertür mit der Nummer 210 standen, die Holly mit einer Schlüsselkarte öffnete.

Kurz darauf verschwanden wir hinter der Tür und verbrachten eine unvergessliche Nacht miteinander. Ich wünschte nur, sie wäre so unvergesslich gewesen, dass sie jeglichen Gedanken, den ich noch an Lina verschwendet hatte, verdrängte.

Aber leider hatte mein Herz, während es einen Kampf mit meinem Geiste austrug, ganz andere Pläne ...

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