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Der Wind blies mir kräftig ins Gesicht, was mich aber nicht störte, da ich Wind liebte. Ich stand mit zwei Betreuern an der Deck von einer der vielen Fähren der AG EMS. Die Fähre fuhr von Eemshaven nach Borkum. Es war eine sehr kleine Fähre, die bei dem starken Wind etwas schwankte. Ich schluckte. Mir war kotzübel. Anscheinend war ich Seekrank. Gewusst hatte ich das vorher natürlich nicht, denn ich war ja noch nie mit einer Fähre oder einem Boot gefahren.
„Alles Okay?", fragte Annika, eine der Betreuerinnen mich plötzlich.
Ich wollte antworten, dass es mir gut ging, das konnte ich aber nicht. Stattdessen rannte ich die Treppen hinunter zur Toilette, und drängelte mich an den anderen vorbei, wobei ich mehrere Leute einfach anrempelte. Der Weg bis zu den Toiletten erschien mir ewig lang, doch endlich erschien vor mir ein Schild, auf dem ein Feil und das Wort Toiletten abgebildet waren. Die Treppe stürzte ich so schnell hinunter, das ich fast auf über meine eigenen Füße stolperte.
Dann stürmte ich in die nächst beste Kabine, und erbrach mich auch schon über der Kloschüssel. Peinlich berührt trat ich in den Waschraum, ging zu den Waschbecken und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
„Liebe Fahrgäste, wir erreichen in Kürze den Fährhafen Borkum. Ich hoffe sie hatten eine angenehme Überfahrt. Alle Autofahrer bitte ans Autodeck, zu ihren Autos", ertönte die Ansage des Kapitäns. Also gut, dann mal wieder zurück zu den anderen, denn auch wenn es wahrscheinlich noch eine Weile dauern würde bis auch die Fußgänger die Fähre verlassen durften, würden mich Annika und die andere Betreuerin Jessica bald suchen. Schließlich fiel es ja auf, wenn einfach eines der neun Kinder verschwand.
So etwas blieb nicht unbemerkt, wie Tim letztes Jahr auf unserem Ausflug in den Harz bemerkt hatte, als er sich weggeschlichen hatte, um mit einem Mädchen zu flirten, das er im Bus getroffen hatte. Letztendlich hatte sich aber herausgestellt, dass das Mädchen, dessen Name Luisa war, drei Jahre älter als Tim und nicht an einem Zwerg, wie sie es gesagt hatte, interessiert war. Außerdem hatte Tim riesigen Ärger bekommen, da natürlich bemerkt wurde, das er gefehlt hatte.
Als ich durch die Gänge der Fähre lief, wurde ich plötzlich von einem blonden Mädchen angerempelt. Alles an ihr war so perfekt, dass es schon wieder ätzend war.
„Pass doch auf wo du hinläufst!", blaffte sie mich an.
„Sorry", murmelte ich benommen.
„Lia!", rief Annika mich, die mich von ihrem Platz bei der Gepäckablage aus gesehen haben musste.
„Ach Gottchen. Bist du auch aus diesem armseligen Heim?", fragte das Mädchen abschätzend.
Woher sie das wohl wusste?
„Tut mir wirklich leid, das ich in dich reingelaufen bin."
„Du solltest dir vielleicht mal eine Brille kaufen. Ach, warte, so wie deine Klamotten aussehen hast du ja anscheinend gar kein Geld dafür!"
Ich sagte lieber nichts, da ich keinen Ärger wollte, und lief einfach weiter.
Den abschätzenden Blick den mir das Mädchen hinter dem Rücken zuwarf, spürte ich förmlich.
So eine blöde Kuh!
Wenig später machten wir uns auf den Weg zu unserer Jugendherberge Am Wattenmeer.
Von außen war das Gebäude aus rotem Backstein gemauert. Das schwarze Dach glänzte in der Sonne. Die Blumenkästen mit den roten Blumen drin am Eingang, machten das Bild perfekt.
„Wunderschön!", seufzte ich.
„Also, ich zeige euch jetzt erstmal wo ihr schlafen werdet. Und dann könnt ihr euch nachher mal ein bisschen in der Stadt umsehen. Dafür habt ihr dann so ungefähr eine Stunde Zeit!", verkündete Annika.
Dann führte sie uns hinein.
Wir waren neun Kinder, und es gab fünf zweiBettzimmer, die wir benutzen konnten. Mein Glück war, das alle außer mir eine beste Freundin oder einen besten Freund hatten. Natürlich war DAS kein Glück, das Glück war, dass ich somit ein Zimmer für mich ganz allein hatte. Die Zimmer waren wunderschön eingerichtet, mit immer zwei Betten, einem großen Holzkleiderschrank und einem Tisch, an dem bunte Plastikstühle standen.
Endlich durften wir nun - jeder für sich allein - die Stadt Borkum anschauen. Ich musste nur zwei Minuten laufen, bis ich zu einer Bushaltestelle kam. Hoffnungsvoll schaute ich auf den Fahrplan. Der Bus kam in 5 Minuten!
Als endlich der Bus kam, stieg ich ein und fuhr bis zum Reitstall Borkum. Natürlich hatte ich kein Geld. Darum, fuhr ich schwarz. Aber zum Glück schien das niemandem aufzufallen. Alle waren mit sich selbst und ihren Handys beschäftigt, und so brauchte ich nur hinten einsteigen. Der Stall sah so super-toll aus. Vielleicht konnte ich ihn mir ja mal genauer ansehen, da das einzige was ich bis jetzt erkennen konnte war, das der Stall eine Halle, einen Platz, eine Führanlage und Paddocks hatte. In den Stall konnte man natürlich nicht hineinsehen, weswegen ich jetzt neugierig drauf zu ging.
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