Kapitel 11
NATASHA
Ich schrie auf, spürte, wie Clint rückwärts stolperte. Er versuchte sich zu fangen. Drehte sich schnell um. Rannte los. Weg von dieser Lichtung. Ich sah nicht nach hinten. Zu groß die Angst, dort etwas zu sehen, was ich nicht sehen wollte.
Clint rannte und rannte. Bald war ich mir sicher, dass uns keiner mehr verfolgte und warf schnell einen Blick über seine Schulter. Mein Verdacht bewahrheitete sich. Kein Monster.
Erleichtert hielt Clint an und ließ mich hinunter. Ich setzte mich auf einen umgekippten Baumstamm und wischte mir mit den Händen übers Gesicht.
Diese Aufregung war definitiv zu viel für mich. Ich konnte nicht mehr. Mein Körper verlangte dringend eine Pause von alledem.
„Was war das bloß im Gebüsch?", fragte Clint.
„Ich weiß es nicht", antwortete ich und sah zu Clint auf. Er sah erschöpft aus, hatte Schrammen im Gesicht.
„Komm mal her", sagte ich, griff nach seiner Hand und zog ihn zu mir. Clint hockte sich vor mich und ich strich sanft über seine Wunden.
Clint zuckte zusammen.
„T...Tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen", sagte ich schnell.
Er winkte ab. „Halb so schlimm. Aber jetzt sollten wir weiter und eine Unterkunft finden, bevor es dunkel wird. Außerdem wäre Empfang auch mal wieder schön, damit wir Fury Bescheid sagen können."
„Hast du denn noch Akku?", fragte ich und sah auf mein Handy, dessen Akku bereits vor einiger Zeit den Geist aufgegeben hatte.
Clint holte seines aus der Tasche, schaltete es an, doch kurz darauf ging es von allein aus. Akku leer.
„So eine Scheiße!", fluchte Clint und ich war mir sicher, dass es der halbe Wald gehört haben musste.
„Psst!", machte ich. „Wir wissen nicht, wer hier unterwegs ist. Besser, wir bleiben unentdeckt."
Er nickte. „Du hast recht. Wir sollten dringend weiter." Er hob mich wieder in seine Arme und trug mich weiter durch den Wald.
Ich musste zugeben, meine Verletzungen taten sehr weh. Die Handgelenke hatten mittlerweile angefangen zu brennen und mein Fuß hatte sich auch wieder verschlimmert. Ich wollte weinen, doch ich musste stark sein. Ich würde keine Schwäche zeigen, nein. Ich war doch nicht irgend so ein Schicki-Micki-Girl, welches nur den Likes hinterherjagte und bei jedem Wehwehchen anfing zu heulen.
Ich weinte nicht oft, doch in letzter Zeit war es oft gewesen. Und ich verstand einfach nicht, warum. Normalerweise war es für mich ein Leichtes, meine Gefühle vor anderen zu verstecken, doch neuerdings nicht mehr. Zumindest nicht vor Clint.
Ich seufzte.
„Was ist los?", fragte Clint sofort besorgt.
„Es ist nichts", log ich und zwang mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen.
Clint sah mich durchdringend an, als ob er meine Gedanken lesen könnte. Doch dann wandte er den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf den Weg vor uns.
Wir setzten unseren Weg durch den dichten Wald fort, jeder Schritt ein Kampf gegen die Schmerzen in meinem Körper und die düsteren Gedanken in meinem Kopf. Clint trug mich tapfer weiter, obwohl ich wusste, dass auch er erschöpft war.
Plötzlich hörten wir ein Geräusch, das uns innehalten ließ. Ein leises Knistern, gefolgt von einem Rascheln im Unterholz.
Clint spannte sich an, bereit, sich zu verteidigen, und ich klammerte mich enger an ihn, meine Sinne gespannt auf jede Bewegung um uns herum.
Dann, aus dem Dunkel des Waldes, tauchte ein Fuchs auf und kreuzte unseren Weg, bevor er im Unterholz verschwand.
„Ich werde langsam paranoid", sagte Clint und lief weiter.
Ich wusste nicht, wie lange wir unterwegs waren, doch irgendwann hörte ich Clint laut aufschreien. Es war definitiv ein Freudenschrei, er stürmte auf etwas zu, das ich nicht sehen konnte. Schließlich hörte ich, wie er einen Schlüssel unter etwas hervorholte und eine Tür aufschloss.
„Darf ich vorstellen: Unser neues, vorrübergehendes Heim", sagte Clint und zeigte mir ein großes Anwesen, auf dem ein großes, schickes und modernes Haus mit drei Stockwerken stand.
Ich kam gar nicht mehr aus dem Staunen raus. Das alles sah so gewaltig aus und unreal.
„Was ist das hier alles?", fragte ich schließlich, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
„Das...", sagte Clint und machte eine theatralische Pause. „... ist das SHIELD-Safe House in der Nähe von Turin. Ich habe gespürt, dass wir uns in der Nähe dieses Hauses befinden. Die letzten zwei Stunden liefen wir in bekanntem Terrain."
„Wow! Dein Orientierungssinn hätte ich gern", sagte ich und sah Clint glücklich an. Hier waren wir sicher. Hier konnten wir Fury erreichen. Ihm von der missglückten Mission berichten. Und er konnte Hilfe schicken!
Clint trat mit mir auf dem Arm auf das Grundstück und schloss ein großes Tor hinter sich.
Das Anwesen war durch eine etwa zwei Meter hohe Mauer umrandet, und hatte neben dem Haus einen Swimming-Pool und einen großen Garten mit Blumen, die blühten. Es gab eine Garage, in der sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Auto befand.
„Komm, gehen wir rein", sagte ich, nachdem ich mich ordentlich umgesehen hatte.
Clint nickte und trug mich zum Haus. Mit einem Schlüssel schloss er die Tür auf und trat ein. Eine herrliche Kühle empfing uns und wir schlossen gleich wieder die Tür, um die Kühle zu wahren.
Ich bringe dich jetzt erst Mal ins Bett, du siehst müde aus", sagte Clint und trug mich die Treppe hinauf in den ersten Stock.
„Ich würde vorher gerne duschen, wenn das in Ordnung ist", sagte ich.
„Klar, brauchst du Hilfe?"
Ich schüttelte den Kopf und humpelte ins Badezimmer. Clint brachte mir frische Kleidung, die hier für Agenten in Not aufbewahrt wurden.
Ich stieg schließlich in die Dusche und schaltete das Wasser an. Es war herrlich kühl und ich ließ es über meinen Körper laufen. Es tat gut, zu duschen, den ganzen Schweiß loszuwerden. Danach fühlte man sich frisch.
Als ich fertig war, zog ich mich an und flocht meine roten Locken zu einem Zopf zusammen.
Ich sah in den Spiegel und erblickte ein mageres, erschöpftes Gesicht und matte, grüne Augen.
Ich betrachtete meinen Körper, gekleidet in ein lockeres, graues T-Shirt und eine weiße Shorts. Trotz dessen, dass das T-Shirt ein Oversized-T-Shirt war, sah ich ziemlich dünn darin aus. Zu dünn für meinen Geschmack. Ich erinnerte mich nicht daran, eine richtig ausgewogene Nahrung in den letzten Tagen zu mir genommen zu haben. Nur die Suppe.
Ein Klopfen an der Badezimmertür riss mich aus den Gedanken.
„Ja?", fragte ich und die Tür öffnete sich langsam. Clint trat ein und lächelte mir zu.
„Alles okay bei dir? Du bist jetzt schon eine Stunde hier drinnen", fragte Clint besorgt.
„Alles gut." Ich musste grinsen. „Ich habe die Dusche sehr genossen."
Clint musste nun auch grinsen, dann wurde seine Miene wieder ernster: „Du solltest dich wirklich hinlegen, Tasha. Du brauchst Ruhe und Erholung."
„Und du nicht?", fragte ich.
Clint antwortete darauf nicht, sondern wechselte das Thema. „Ich habe Fury soeben kontaktiert. Er schickt so schnell es geht Leute hier her, aber gerade gibt es ziemlich großen Tumult in den vereinigten Staaten, weswegen wir uns wahrscheinlich ein paar Tage gedulden müssen. Aber der Kühlschrank ist gut gefüllt und Turin ist nicht weit. Vielleicht zehn, höchstens zwanzig Minuten mit dem Auto."
„Okay", antwortete ich, nahm meine dreckige Wäsche und humpelte aus dem Badezimmer.
Ich legte die Wäsche in einen Wäschekorb, um sie später zu waschen, und sah dann aus einem der vielen Fenster, die dieses Haus hatte.
Mein Blick wanderte zum Wald, der friedlich dalag. Die Nachmittagssonne schien auf die Baumspitzen, die Vögel flogen von Baum zu Baum und zwitscherten, was das Zeug hielt.
„Eigentlich ist es ziemlich schön hier, nicht?", fragte Clint und trat neben mich.
Ich nickte und lehnte mich an Clint, doch schnell merkte ich, dass auch er dringend ein Bad gebrauchen konnte.
„Du solltest duschen", sagte ich und schubste ihn spielerisch etwas von mir weg. „Sonst kuschele ich nicht mit dir."
„Okay, ich hab verstanden." Clint lachte und verschwand im Bad, während ich weiter aus dem Fenster sah.
Die Sonne begann langsam unterzugehen, und ich konnte nicht anders, als die Ruhe und Schönheit dieser Szenerie zu genießen. Es war ein Moment der Stille nach all dem Chaos und der Gefahr, den wir erlebt hatten. Doch trotzdem lag eine Spannung in der Luft, eine unbestimmte Erwartung, was als Nächstes geschehen würde.
Als Clint aus der Dusche kam, wirkte er erfrischt und entspannt. Er trug frische Kleidung und lächelte mich an. Ich konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Es war beruhigend, ihn so zu sehen, nach allem, was passiert war.
„Besser?", fragte ich lächelnd, als er zu mir trat.
„Viel besser", antwortete er und legte sanft eine Hand auf meine Schulter. „Es ist seltsam, aber irgendwie fühlt es sich gut an, hier zu sein."
Ich nickte zustimmend. Trotz der ungewissen Lage und der Gefahr, die noch immer lauerte, fühlte ich mich hier sicher, zumindest für den Moment.
„Wir sollten uns den Rest des Tages ausruhen", schlug Clint vor. „Wir haben beide eine Menge durchgemacht."
„Das klingt nach einem Plan", stimmte ich zu. „Vielleicht können wir ein wenig schlafen."
Wir gingen gemeinsam ins Schlafzimmer und kuschelten uns in die Decken. Es war seltsam, aber trotz allem fühlte es sich richtig an, hier zu sein, zusammen mit Clint. Ich schloss die Augen und ließ mich von der Müdigkeit überwältigen, während ich spürte, wie Clint sich an mich schmiegte.
In diesem Moment war ich dankbar für die Ruhe und Sicherheit, die wir hier gefunden hatten. Und egal, was die Zukunft bringen mochte, ich wusste, dass wir gemeinsam stark genug waren, um allem standzuhalten.
CLINT
„Aufstehen, Schlafmütze!", wurde ich von einer total aufgedrehten Natasha kurz nach sieben Uhr morgens geweckt. Sie warf mir ein Kissen ins Gesicht. Ich griff nach dem Kissen, und warf es mit halb geschlossenen Augen in die Richtung, aus der es gekommen war.
„Nicht getroffen!", flötete Natasha und warf es gleich erneut. Doch dieses Mal war ich vorbereitet, fing es und warf es mit solch einer Wucht zurück, dass Natasha keine Chance mehr hatte, es zu fangen. Es traf sie am Oberkörper, und sie verlor für einen Moment das Gleichgewicht, kippte fast vom Bett, doch sie konnte sich gerade noch so fangen.
„He, das war fies!", rief sie empört und ich grinste, zog sie in meine Arme und strich ihr über das Haar.
„Und du hast mich um kurz nach Sieben geweckt", konterte ich.
„Wenn wir schon hier sind, sollten wir auch etwas machen!", rief Natasha.
Ich seufzte. „Du hast dich ja schnell erholt. Na gut. Aber vorher frühstücken wir."
„Eine gute Idee."
Kurz darauf stand ich in der Küche und machte Pancakes, während Natasha wieder einmal aus dem Fenster sah. Es ging ihrem Fuß bereits besser, doch richtig Laufen konnte sie nicht. Sie humpelte durchs Haus, belastete den Fuß kaum, doch zugeben würde sie es freiwillig nicht.
Ich wendete einen Pancake und legte ihn kurz darauf auf einen Teller, auf dem sich bereits drei Stück befanden.
Als auch der vierte fertig war, deckte ich den Tisch und schnitt ein Baguette auf, welches ich im Kühlschrank gefunden hatte, dazu gab es Marmelade und Honig, und etwas Käse.
Zusammen mit den Pancakes und einem Kaffee war dies ein ausgewogenes Frühstück.
„Tasha, Frühstück!", rief ich und sah, wie sie angehumpelt kam. Sie nahm am Tisch Platz und ich setzte mich ihr gegenüber.
„Ich gehe gleich mal auf die Suche nach einem Paar Krücken, damit du nicht immer so hüpfen musst", sagte ich, bevor ich einen Schluck Kaffee trank.
„Aber ich hüpfe doch gar nicht", sagte Tasha und ich erwiderte das mit einem Das-glaubst-du-doch-selbst-nicht-Blick.
„Okay, vielleicht ein bisschen. Aber ich weiß nicht einmal, wie man mit diesen Dingern läuft. Ich war vorher noch nie am Fuß oder am Bein verletzt."
„Das zeige ich dir schon", antwortete ich und wir begannen zu frühstücken. Es war herrlich, endlich wieder etwas vernünftiges im Magen zu haben.
„Ich will gleich in den Pool", teilte Natasha mir schließlich mit.
„Tasha, du bist verletzt", merkte ich an.
„Und?"
„Was, und?"
„Was hindert mich das am Schwimmen?", fragte sie.
Ich schüttelte bloß den Kopf. Sie würde mit ihrem verletzten Fuß keine vernünftigen Schwimmzüge machen können, ohne, dass sie Schmerzen hatte. Aber das würde sicherlich nicht in ihren Dickkopf gelangen.
Seufzend erhob ich mich und räumte den Tisch ab, stellte das Geschirr in die Spülmaschine und die Lebensmittel in die richtigen Schränke.
Nun sollte ich mich erst einmal auf die Suche nach Krücken begeben. Hoffentlich gab es hier welche.
Geschrieben von Alexandra
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