Kapitel 33
„Erzählst du mir jetzt vielleicht, was los ist?"
Ich konnte mich mit der Frage kaum noch zurück halten. Es war mehr als eindeutig, dass es Crystal nicht gut ging. Auf der Feier hatte sie es immer strikt abgelehnt, aber mittlerweile kannte ich sie schon etwas, um sagen zu können, wann es ihr gut ging und wann nicht.
„Ach, es ist nichts", entgegnete sie.
Nach ihrer Stellung zu urteilen, war es ganz bestimmt nicht nichts, da sie sich abwandte und an das Fenster lehnte. Ich saß am Steuer und fuhr uns zum kleinen Flugplatz der Stadt. Wir würden mit dem Privatjet zu den Inseln fliegen. Crystal wusste noch nichts von meiner Planung, da ich sie damit überraschen wollte. Ein Ferienhaus hatte ich dort gemietet, um mit meiner Kleinen allein sein zu können.
„Baby, du kannst immer und über alles mit mir reden. Wie oft soll ich das noch sagen?"
„Ich weiß", gab sie ergeben von sich.
„Na, dann erzähl schon", griff ich nach ihrer Hand und drückte einen Kuss darauf, was ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Es ist... hast du dir Seraphine mal genau angesehen?"
Wieso fragte sie mich so etwas? Was sollte das? Wen interessierte Seraphine überhaupt?
„Nein, wieso sollte ich? Warum fragst du?"
„Und wenn du jetzt an sie zurück denkst, fällt dir irgendetwas auf?", hakte sie weiter hoffnungsvoll nach.
Aber was wollte sie von mir hören? Ich versuchte ihr Gesicht in meinem Gedächtnis hervor zu rufen, dennoch fiel mir nichts auf oder ein. Was sollte mir auch auffallen? Sie war eben wer sie war.
„Das ist schwachsinnig, vergiss es", schüttelte sie ihren Kopf und sah wieder aus dem Fenster.
„Was soll ich vergessen?", lachte ich laut los. „Sag schon, was dich bedrückt."
„Ich...", stotterte sie.
Was war denn los? Was wollte sie mit Seraphine?
„Baby, sag schon."
„Glaubstdunichtauchdassiemirähnlichsieht?", ratterte sie ganz schnell herunter, sodass ich absolut kein Wort verstand und lachen musste.
„Was? Nochmal, bitte!"
„Ist dir nicht aufgefallen, dass ich ihr verdammt ähnlich sehe?", fragte sie dieses Mal langsamer und ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ich realisierte kaum, dass ich ihre Hand losließ, wobei ich anfing mit dem Kiefer zu mahlen.
„Wie kommst du auf so einen Bullshit?!", erhöhte sich meine Tonlage.
Wegen meinem plötzlichen Schrei zuckte Crystal kurz zusammen, aber das interessierte mich in diesem Moment überhaupt nicht. Die Wut bahnte sich ihren Weg durch meine Nervenbahnen und ließ mich aufkochen. Dass sie überhaupt so etwas in Erwägung zog, nervte mich dermaßen. Was hatte meine liebenswerte, süße Kleine mit diesen Bastarden zu tun?
„Schlag dir diesen Mist aus dem Kopf! Wieso solltest du denn ausgerechnet ihr ähneln? Ich finde das überhaupt nicht so!"
„Aber hast du sie nicht...", wollte sie gerade ansetzen, jedoch unterbrach ich sie sofort.
„Nein!", wurde ich wieder laut. „Du hast nichts, aber wirklich auch nichts mit dieser Familie gemein! Hör auf damit!"
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie auf diesen Schwachsinn kam, aber allein der Gedanke daran machte mich schon rasend. So etwas konnte einfach nicht wahr sein, durfte nicht!
„Du weißt doch..."
„Hör auf, habe ich gesagt!", unterbrach ich sie erneut, bevor sie noch mehr ihres Wahnsinns erzählen konnte.
Gott sei Dank, blieb sie auf der weiteren Fahrt still und sagte nichts mehr zu diesem abscheulichen Thema. Ich konnte nicht einmal daran denken. Meine Kleine und diese Unmenschen. Nein, niemals!
***
Ladislao regte sich übertrieben auf, weshalb ich doch recht froh war, dass ich auf der Hochzeitsfeier nichts gesagt hatte. Scheiße! Er ließ mich nicht einmal ausreden. War die Vorstellung so abwegig? War es so blödsinnig, was ich sagte? Wenn ich mir wieder ihr Gesicht vorstellte, konnte ich nicht anders, als mich an meine Idee zu klammern. Es war einfach nahe des Unmöglichen, dass man aus Zufall sich so ähnlich sah und auch noch zufällig aufeinander traf.
Ladilsao hielt irgendwo an und ich sah mich um. Wir waren vor irgendeinem Feld, welches mit Drahtzäunen umzingelt wurde. Als wir an der Einfahrt ankamen, hielten wir vor dem gesenkten Balken an. Ladislao stieg aus und lief zu dem Häuschen, welches sich neben uns befand. Mit unseren Pässen und einigen Dokumenten in der Hand unterhielt er sich mit einem der Männer, die sich dort befanden. Er händigte ihnen diese aus und nach einer kurzen Unterhaltung kam er wieder zum Wagen. Jedoch stieg er nicht ein, sondern kam zur Beifahrerseite und öffnete meine Tür.
„Komm, Baby", sagte er nur und nahm mich an der Hand, als ich ausstieg.
Ladislao führte mich ins Innere, uns erwarteten Getränke und ein herzlicher Empfang. Ich fühlte mich einfach nur befremdlich in dieser Umgebung. Die Männer behandelten mich wie eine Prinzessin oder gar ihre Königin, was mich bei jeder höflichen Anrede zusammen zucken ließ.
„Ihr Flieger wird gerade nochmal durchgecheckt, damit alles einwandfrei verläuft. Das Gepäck haben wir bereits beladen, Sir."
Ein Mann, der gerade aus einer hinteren Tür eintrat, erklärte die aktuelle Lage zu Ladislao, welcher ihm nur zunickte. Ich sah nach draußen und erkannte, dass unser Wagen nicht mehr dort war. Wann hatten sie den weg gefahren? Während die Männer sich noch weiter unterhielten, schlürfte ich an meinem Drink und blickte um mich herum, ohne dabei etwas ernsthaft wahrzunehmen. Meine Gedanken gaben mir keine Ruhe. Ich wusste nicht einmal, wohin wir flogen, aber das interessierte mich momentan wenig. Die größeren Probleme nagten an mir. Nach unserer Reise musste ich Snake finden und mit ihm reden. Ladislao musste mir helfen. Er musste einfach, verdammt!
„Baby, wir gehen", legte er mir seine Hand an den Rücken
„Alles klar", erwachte ich aus meiner Starre.
Durch einen hinteren Ausgang gelangen wir nach draußen und nach einem kurzen Fußmarsch befanden wir uns auch schon auf der Flugfläche, eine große Fläche mit gekennzeichneten breiten Bahnen. Ein kleiner Flieger stand schon bereit vor uns.
„Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise."
Ein letztes Mal schleimten sich die Männer bei Ladislao ein. Ich verstand ja, dass sie auch nur ihren Job taten, aber sie durften sich ruhig auch normal benehmen, statt so eine fette Schleimspur zu hinterlassen.
„Geh du vor, mein Schatz", lächelte Ladislao mich an.
Jedes Mal flatterte es in meinem Bauch, wenn er mich so nannte, weshalb ich zu ihm heraufblickte, mich hoch streckte und ihm einen Kuss auf seine Wange drückte, was ihn breiter grinsen ließ als davor. Ich drehte mich wieder nach vorne und stieg die kleine Treppe zum Flieger auf. An der Tür stand eine hübsche Frau, die mich freundlich begrüßte und mir sagte, wo ich mich setzen konnte. Auch wenn ihr Lächeln wie einstudiert wirkte, hatte sie doch etwas Sympathisches an sich. Wie sie es mir beschrieb, setzte ich mich auf den linken Sitz. Der Innenraum war recht eng gehalten. Je zwei Sitze auf jeder Seite, die sich gegenüber standen und in der Mitte gab es einen breiten Gang. Die Sitze wirkten wie gepolsterte Sessel aus Leder, wobei allgemein helle Töne herrschten. Alles sah so qualitativ aus, nichts wirkte in irgendeiner Weise billig.
„Gefällt es dir?", fragte mich Ladislao, der sich auch schon hingesetzt hatte.
„Ja, es ist wunderschön."
„Das freut mich zu hören."
In dem Moment realisierte ich, was wir taten. Besser gesagt, was ich tat. Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben fliegen. Scheiße! Kein fester Boden mehr! Oje! Wegen meinen ganzen wirren Gedanken hatte ich diese Tatsache vollkommen außer Acht gelassen.
„Ladislao", zitterte meine Stimme.
„Ja?", antwortete er ganz gelassen.
„Ich... wir fliegen?"
Es klang eher nach einer Frage, als dass es tatsächlich eine Feststellung war. Er lachte unverschämt los und streckte über den Gang seine Hand aus, um meine zu halten.
„Keine Sorge, Baby. Wir werden nicht lange fliegen, ist nur ein einstündiger Flug."
Alles schön und gut, aber ich flog das erste Mal in meinem Leben. Irgendwelche Ansagen ertönten durch die Lautsprecher. Anscheinend sollten wir gleich los fliegen. Die Frau, die uns begrüßt hatte, stellte sich zu uns und erklärte einige Sicherheitsvorkehrungen. Ich folgte ihren höflich formulierten Anweisungen und schnallte mich an.
„Beruhig dich, Schatz. Es ist alles gut."
Ladislao versuchte mich zu beruhigen, was ihm teilweise auch gelang. Die Maschine setzte an und fuhr immer schneller. In nächster Sekunde ging ein Ruck durch mich und ich sah, wie wir uns vom Boden immer weiter entfernten. Es sah gruselig, berauschend und faszinierend zugleich aus. Ich sah kurz zu Ladislao herüber und merkte, dass er meine Reaktionen beobachtete. Von seinen Augen konnte ich mich nicht mehr losreißen und für einen Moment vergaß ich sogar alles um mich herum.
„Ich liebe dich", flüsterte er gefühlvoll.
„Und ich liebe dich", antwortete ich ebenso leise.
Als ich wieder aus dem Fenster sah, sah ich noch ganz klein die Stadt unter uns. Wie wunderschön doch alles aussah. Unsere ach so großen Probleme wirkten auf einmal so winzig. Es war beängstigend.
„Wohin gehen wir eigentlich?", fragte ich nach einer Weile.
„Lass dich überraschen", zwinkerte er.
Ich beließ es dabei und genoss die verbliebene Zeit im Privatjet. In der Zwischenzeit hatten wir auch schon gegessen und mit der Besatzung geplaudert. Tina hieß die Hübsche.
***
Um weiteren Unannehmlichkeiten auszuweichen, verließ sie früher als geplant mit ihrer Gefolgschaft aus zwei Männern die Hochzeit. Es lief alles doch wie geplant, aber auch nicht. In ihrer Stretchlimousine saß sie dem dunkelhäutigen, voll tätowierten Mann entgegen, welcher sie kalkulierend musterte, was sie jedoch gekonnt ignorierte. Die Fahrt dauerte wenige Stunden bis sie an ihrem Anwesen ankam, ein riesiges Schloss wie in den Märchen. Einsam und verlassen wirkte dieses gigantische Gebäude, sowie ihr Inneres war, ohne Leben.
„Lass uns noch etwas gemeinsam trinken", gab sie von sich, als die Tür der Limousine geöffnet wurde und sie dabei war auszusteigen.
Hinter sich blickte sie nicht mehr, da sie sich sicher war, dass er ihr folgen würde. Ihre Diener öffneten die große Eingangstür, damit sie herein laufen konnte. Durch den großen Eingangsbereich mit der vier Meter hohen Decke fühlte sie sich noch einsamer, als sie es ohnehin schon war. Aber diese Tatsache interessierte sie keineswegs. Nicht mehr. Es kam ihr doch recht gelegen, dass sie alleine war. Nachdem sie diesen großen Raum überquert hatte, begab sie sich in das Wohnzimmer und setzte sich auf ein Sofa, welches aus echtem Edelholz bestand und die handgemachten Verschnörkelungen an den Lehnen und Möbelbeinen sie daran erinnerten, wie alt diese doch schon waren – genau wie sie. Sie war auch alt und ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Der Mann, der sie schon den ganzen Abend lang begleitete, setzte sich auf einem der gegenüber liegenden Möbel. Kurz blickten sie sich beide in die Augen, während die Bediensteten ihnen einen guten Wein einschenkten.
„Es ist an der Zeit, dass die Carbones erfahren, wer sie ist."
Der Mann blickte sie verwirrt an. All die Zeit hatte sie sich so sehr darum bemüht, das geheim zu halten, damit sie sicher war. Was war es, das nun ihre Gedanken geändert hatte?
„Sind Sie sich sicher?", fragte er daher.
„Natürlich, du weißt, dass ich nichts unüberlegtes tue."
„Sie wissen, was auf dem Spiel steht, wenn sie weiß, wer sie ist?", machte er sie aufmerksam auf diesen Punkt.
„Ich habe bereits viel gesehen und erlebt, und nun stehe ich wieder da, wo ich angefangen hatte."
Der junge Mann musste sich eingestehen, dass er nicht immer alles verstand, was sie von sich gab. Dennoch war er auch schlau genug, um nicht weiter nachzuhaken, denn er wusste, dass er so oder so nichts heraus bekommen würde, wenn sie es nicht wollte. Und wenn sie es wollen würde, hätte sie von vornherein es klarer formuliert.
„Wann sollen sie es erfahren?", fragte er nach.
„Nicht jetzt gleich. Es hat noch etwas Zeit."
Ihre Pläne teilte sie niemandem mit. Alles spielte sich nur in ihrem Kopf ab und wenn die Zeit reif war, beauftragte sie die entsprechenden Leute, damit ihre Ideen umgesetzt wurden. Niemand kannte das ganze Bild, jeder nur den Teil, der ihm als Auftrag gegeben wurde.
„Das wird wohl möglicherweise die frische Liebe kaputt machen."
„Sei nicht albern, Frank", lachte sie melodisch. „Liebe macht einen krank."
„Das sagt jemand, der wohl nie wirklich verliebt war, hm?", entgegnete er unüberlegt.
Denn hätte er kurz nachgedacht, würde er niemals eine Solche Unverschämtheit ihr gegenüber bringen. Zu seinem Staunen fasste sie es locker auf und lachte sogar.
„Nein, das sagt jemand, der seinen eigenen Lebenspartner umgebracht hat."
„Wie meinen Sie das?", hakte er verblüfft nach und schmiss seinen eigenen Vorsatz, keine Fragen zu stellen, über Bord.
„Die Familie Ferista hat mehr Geheimnisse als du denkst, Frank. Und ich werde diese mit ins Grab nehmen, denn dieses Unheil muss nicht weiter verbreitet werden."
Die ältere Dame lehnte sich nach ihrer Aussage zurück und schloss für einen Moment ihre Augen. Sie wusste, ihr Tod nahte mit jeder Sekunde. Daher war ihr auch das Erbe mittlerweile egal. Ein ganzes Leben hatte es sie nun gekostet, dass sie endlich begriff, das wichtigste im Leben nicht die Macht allein war, sondern auch eine gesunde Hand, die diese bändigen konnte. Plötzlich musste sie bei ihrem Gedankenblitz laut auflachen. Ihr Gegenüber war sichtlich verwirrt und konnte sie nur noch anstarren.
„Joel hat wieder gewonnen, schon wieder. Sogar als ein Toter, der bereits jahrelang im Grab liegt, hat wieder sein Blut gewonnen. Wie kann das Blut eines Mannes so zäh sein, dass es immer wieder sich einen Weg an die Macht bahnt?"
Die Frau konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Frank bekam allmählich Angst, denn sie war unberechenbar und ihr Gemütszustand war mehr als verwirrend.
„Ich verstehe es nicht, Frank, wir haben sie ausgeschlossen, versteckt und dennoch hat es nichts gebracht. Natürlich heiratet sie einen Carbone, die zweite Großmacht. Nach meinem Tod gehört ihnen allein die Welt."
Sie konnte nicht mehr aufhören zu lachen, denn es war zum Weinen komisch. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich diese Macht erkämpft, die beiden Familien aufeinander gehetzt, damit sie sich bekriegten. Morgan hatte sie hereingelegt. Die damalige Freundin ihres Bruders, die ihn für Alfonso verließ. Sie hatte extra dafür gesorgt, dass es so kam, denn Morgan war ihre damalige Freundin, eine naive, leichtsinnige, junge Frau. Natürlich schwor Joel ewige Feindschaft, er drehte durch und wurde nur noch rachsüchtig, sodass er sogar seine große Liebe umbrachte, was ihm das eigene Leben kostete. Für was hatte sie all das getan? Damit sie am Ende gegen Mutter Natur verlor? Menschen waren einfach, so einfach. Schon immer hatte sie ein gutes Auge dafür, um sie zu durchschauen. Sie waren ja auch so primitiv.
„Sei schlau genug, Frank."
„Was meinen Sie?"
„Gebe dich nicht deinen Gefühlen hin, denn sie sind giftig und irgendwann sind sie dein Untergang. Ich dachte, ich besäße keine, aber ich lag falsch. Meine Schwäche war kein Mensch oder auch sonst ein Lebewesen."
„Was war es dann?"
„Es war die Macht. Nur die Macht."
Er wurde immer mehr durch ihre Aussagen verwirrt. Was jedoch fest stand war, dass sie nicht mehr bei klarem Verstand war. Ja, sie wirkte fast schon wie verrückt. Ihm war klar, dass er schleunigst hier heraus musste.
„Wenn ich sterbe und sie all das hier hat, wird wieder Joel gewinnen. So war es mein Leben lang. Er gewann immer, war Vaters Lieblingskind und in allem der bessere. Aber am gesunden und scharfsinnigen Verstand mangelte es ihm. Joel war immerzu impulsiv und intuitiv."
Von ihrem Geschwafel verstand er wenig, aber nun begriff er. Das Mädchen, welches er verbergen und zu einer Ratte machen sollte, war keine geringere als die Prinzessin im Reich der Familie Ferista, Joels Tochter. Die Erkenntnis schockierte ihn, für einen Augenblick vergaß er zu atmen. Selbstverständlich wusste er, dass sie in irgendeiner Weise verwandt waren, aber wessen Tochter sie genau war, wusste er nicht. Bis jetzt.
„Du scheinst etwas Erleuchtung bekommen zu haben", grinste sie ihn geheimnisvoll an.
Auch wenn sie keine Gabe für das Gedankenlesen hatte, konnte sie dennoch ihre Mitmenschen richtig einschätzen und sie durchschauen. Sehr wohl konnte sie das äußerst gut.
„Du weißt nun sehr viel", sah sie ihn abschätzend an. „In diesem Zeitalter der Information solltest du vorsichtig sein."
Ihr war durchaus bewusst, dass er niemandem etwas sagen würde. Er benahm sich zwar wie ein Großmaul, aber das war nur eine Fassade, um seine wahre Identität zu verbergen.
„Werden Sie mich umbringen? Jetzt wo ich keinen Nutzen mehr für Sie habe?"
Seine Angst konnte sie deutlich spüren, auch wenn er sie gut zu verstecken wusste und sich hinter dieses selbstbewusste Bild stellte.
„Frank, sei locker. Du hast nichts zu befürchten. Das alles, diese Welt interessiert mich nicht mehr."
Er hatte ja keine Ahnung, wie ernst sie das meinte. Der Virus, dieser Tumor in ihr hatte sich schon zu sehr verbreitet. Eine Therapie half nicht mehr, da sie auch keine Nerven mehr dazu hatte, aber das musste niemand wissen. Seit Ewigkeiten versuchte sie dagegen anzukämpfen, aber irgendwann kam dieser Punkt, an dem sie es endlich einsah, dass ihre Zeit um war. Sie nahm sehr viele Geheimnisse mit ins Grab und das war auch gut so. Denn mit diesen Informationen musste sie nicht die übrig bleibenden verseuchen. Ihr ganzes Leben wurde schon dafür verschwendet.
„Geh nun, Frank", winkte sie mit ihrer Hand. „Warte auf mein Zeichen."
Besagter nickte nur und lief schnellstmöglich heraus. Er hatte doch mehr Angst, als sie vermutet hatte. Nachdem er weg war, stand sie auf und schritt zum großen Spiegel, dessen Rand aus echtem Gold gefertigt wurde. Ein letztes Mal wollte sie sich sehen, bevor die Wahrheit sie erneut einholen würde. Ihre gesunde Maske ließ sie extra anfertigen. Speziell für diesen Tag, da sie sich seit Langem nicht mehr heraus gewagt hatte. Sie wollte natürlich aussehen, weshalb das Haar auch weiße Strähnchen hatte, als wären diese mit dem Alter grau geworden. Die Leute färbten ihre Haare, um gegen ihr Alter zu wirken. Wie gerne würde sie ihre grauen Haare zählen, bis sie nicht mehr mitzählen könnte. Da sie nun alleine war, nahm sie die Perücke von ihrem Kopf herunter. Diese ekligen Dinger juckten doch ziemlich. Was war nur aus der einst starken, wunderschönen und ehrgeizigen Frau geworden? Sollte sie so enden? Heute stand sie da mit leeren Händen und einer immensen Macht, die ihr absolut nichts brachte. Mit einem geschickten Handgriff riss sie sich ebenso die falschen Augenbrauen ab. Nun sah sie sich, so wie sie sich seit Jahren kannte.
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