Kapitel 18

An meine Hochzeitsnacht wollte ich erst gar nicht denken. Ladislao war damals ganz anders drauf. Heute ist er reifer und sogar einfühlsamer. Dass ich das mal sage. Aber es war nun so. Ich konnte es nicht verleugnen. Das Geschehene, seine Erlebnisse hatten ihn wahrscheinlich erwachsener gemacht.

Aber damals war er egoistisch, einfach nur selbstverliebt. Er musste alles haben, was er wollte, was ihm gehören sollte. Das lag womöglich an seiner Erziehung, aber er war doch kein kleines Kind mehr. Er war damals einundzwanzig Jahre alt. Ich war zwanzig. Wir beide waren noch ziemlich jung, aber dennoch passierte das alles.

„Endlich ist das alles um", war sein erster Satz als wir gemeinsam nach der Hochzeit in sein Zimmer liefen.

Ich war total nervös und ängstlich. Noch nie hatte ich etwas mit einem Mann zu tun gehabt. Ich war unerfahren. Wirklich ohne jegliche Ahnung kam ich in sein Haus. Meine Mutter lebte damals schon lange nicht mehr, als dass sie mich irgendwie aufgeklärt haben könnte. Von meinem Vater brauchte ich erst gar nicht zu reden. Wie sollte es ablaufen?

„Steh da doch nicht herum. Komm und setz dich."

Ladislaos kalte Stimme war auch keine große Hilfe. Er wollte damals immer unberechenbar, kaltblütig und hart sein. Eine Rolle war ihm vorgeschrieben, die er einhalten und spielen musste. Aber musste das sein, wenn wir doch nur alleine waren?

Ich traute mich nicht zu ihm zu gehen und stand immer noch inmitten des Raumes. Was sollte ich auch sonst tun? Er kam zu mir und umarmte mich.

„Wieso so schüchtern?", flüsterte er versucht verführerisch, denn mich beeindruckte er damit nicht. „Etwa dein erstes Mal?"

Seine Art schüchterte mich umso mehr ein. Was danach alles passierte will und kann ich nicht aufschreiben. Ich möchte nicht einmal daran erinnert werden. Er war nur grob, auf seine eigenen Bedürfnisse fixiert. Alles schmerzte an mir. Ich tat nichts, lag da und ließ es über mich ergehen. So wie jedes Mal danach. Was Sex und Liebe wirklich bedeuteten, lernte ich erst mit James kennen.

Nach dieser Nacht hatte ich mir ewigen Hass auf ihn geschworen. In unserer Ehe war er nur auf sich selbst bezogen. Er sah gar nicht, wie es mir ging, wie ich mich fühlte. Ich glaubte anfangs, dass es ihn nicht interessierte und mit der Zeit wurde das mir bestätigt.

Ihm ging es nicht um mich. Ihm ging es darum, die Frau zu haben, über deren Schönheit jeder sprach, die jeder haben wollte. Wenn es etwas Wertvolles gab, dann musste er es haben. Jemand anderem gönnte er es nämlich nicht. Genauso war es mit mir. Keiner sollte denken, dass sich der herz- und erbarmungslose Mann verliebt hatte. Zu solchen Gefühlen war und ist er immer noch nicht fähig.

Er hatte momentan Schuldgefühle, dass er mich in diese Lage gebracht hatte. Meinetwegen sollten diese ihn umbringen. Ich werde ihm nichts verzeihen. Mein eigenes Leben und Glück, das von James und vor allem das meiner ungeborenen Tochter lasteten auf ihm. All diese Plage und die Schuld sollte er Tag für Tag spüren. Denn genau das tat ich auch - nur schlimmer, enormer, denn ich musste mit dem Tod meiner Geliebten umgehen, wohingegen er nur den Betrug verarbeiten musste.

Zwei verdammte Jahre lebten wir normal weiter nach unserer Eheschließung. Im dritten Jahr als ich fast dreiundzwanzig wurde lernte ich James kennen. Ich hatte mein Atelier und durch unser gemeinsames Interesse an Kunst lernten wir uns auf einem Internetforum kennen. Ab da schrieben wir regelmäßig miteinander. Irgendwann fingen die Telefonate an.

Ich fühlte mich ganz anders. Plötzlich wurde die Welt wieder bunter. Dank James. Er war das Glück, das nach jedem Unheil kam. Er war exzentrisch, außergewöhnlich. Jemand, der in seiner ruhigen und friedvollen Welt lebte. Und genau deshalb verliebte ich mich in ihn. Er war kein aufdringlicher Mensch oder er wurde auch nie laut. Immer die Ruhe selbst.

Wie wundervoll auch die guten Erinnerungen waren, musste ich auch die schlechten niederschreiben, denn irgendwo wollte ich diese Wörter aus mir herauslassen.

Nachdem James mich damals aus dem Haus getrieben hatte, als ich gestand, dass ich verheiratet war, konnte ich ihn lange nicht mehr erreichen. Er hatte sich komplett zurückgezogen. Ladislao war dann auch wieder zuhause, was mir eine große Angst bescherte.

Er schöpfte Verdacht. Das wusste ich. Er hatte es insgeheim zugegeben. Wieso schlug er nicht zu? Auf was wartete er? Oder hatte er vielleicht James noch nicht ausfindig machen können? Nicht einmal ich konnte ihn erreichen.

Aber irgendwie musste ich das alles wieder gerade biegen. Unser Leben stand auf dem Spiel. Wenigstens warnen können musste ich ihn. Ich hatte ihm hunderte von Nachrichten durch das Internet oder auch Handy geschrieben, ihn mehrmals am Tag angerufen, in langen Nachrichten ihm geschrieben, dass ich schwanger war. Von ihm.

Denn ich liebte nur ihn. Wurde doch ohne meine Erlaubnis verheiratet, verdammt! Er musste mich doch verstehen? Ich wollte das alles nicht. Wir hatten ein gemeinsames Kind. Das konnte er doch nicht einfach so ignorieren.

Ladislao wusste davon nichts. Mein Bauch war zwar leicht angeschwollen, aber man sah mir noch nicht an, dass ich schwanger war. Ich versteckte meinen Bauch. Zog mir große, breite und lange Oberteile an. Mein Baby musste sicher sein. Meine schöne Tochter...

Irgendwann nach ungefähr einer Woche bekam ich eine Nachricht. Von James... er war wieder in der Stadt. Er meinte, er hätte mal eine Auszeit gebraucht. Schockiert über meine Nachrichten willigte er ein, sich mit mir zu treffen, um noch einmal über uns in Ruhe zu reden.

Ich musste endlich fliehen und so sah ich meine Chance. Er musste mich einfach akzeptieren. Ich konnte doch nicht mehr in dieses Haus zurück. James gegenüber erwähnte ich nichts von meinem Vorhaben. Vielleicht würde er sich dann weigern, sich mit mir zu treffen.

In dieser Nacht war Ladislao zuhause. Er war in seinem Arbeitszimmer. Aber auch sonst kam er meistens nicht mehr zu mir. Er kam nur zum Schlafen ins Zimmer und morgens war er auch schon wieder weg.

Ich packte mir eine kleine Tasche und schlich mich aus dem Haus. Es war riskant und gefährlich, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Das musste sein. Sonst würde ich hier nur sterben. Ich war mir selbst egal, aber mein Baby war es mir nicht. Wenn ich wenigstens mein Kind schützen könnte.

Diese Nacht war die längste meines Lebens. Ich brauchte lange bis ich mich unentdeckt heraus schleichen konnte. Die folgende Unterhaltung mit James war auch nicht einfach. Er war verletzt, was ich nachvollziehen konnte. Aber er musste auch einsehen, wie es mir erging, was ich alles durchstehen musste.

Ich erzählte ihm alles, von den krummen Geschäften bis zu der auflodernden Gefahr, dass Ladislao uns entdeckte. Wir hatten nicht mehr viel Zeit. Meine Abwesenheit im Haus war bestimmt schon jemandem aufgefallen.

In meine Tasche hatte ich jeden Schein, den ich im Haus irgendwo finden konnte, hinein gestopft. An Geld mangelte es uns also nicht. Wir mussten nur schnell los. James wollte nichts davon wahrhaben, aber ich zwang ihn mir zu vertrauen. So lächerlich das auch klang. Vertrauen wurde schwer verdient, aber so leicht gebrochen.

Wir setzten uns ins Auto und fuhren los. Irgendwohin... bloß nur weg.

***

Ich hatte den schönsten Tag meines Lebens verbracht. Als wir wieder zuhause waren, aßen wir gemeinsam zu Abend. Ich glaubte, dass es das erste Mal war, dass wir zusammen daheim gegessen hatten. Camilla hatte mal wieder ihre Kochkünste präsentiert, weshalb ich mich ordentlich vollgestopft hatte und Ladislao mich auslachte.

Gerade saßen wir im Wohnbereich, als er ins Arbeitszimmer musste.

„Ich muss paar Kleinigkeiten erledigen", meinte er.

„Alles klar, ich gehe noch kurz nach Camilla sehen."

Ladislao gab mir noch einen flüchtigen Kuss auf meine Wange und ging die Treppen hoch. Ich lief in die Küche und fand Camilla dort.

„Hey, wie geht's dir?", fragte sie mich auch gleich, als sie mich entdeckte.

„Gut", strahlte ich sie an.

„Was ist los? Wieso so glücklich?"

„Darf ich nicht?", entgegnete ich ihr, hielt meine Hand hoch und fuhr gespielt unauffällig durch meine Haare.

„Warte", blieb ihr Mund offen.

Camilla kam um die Kücheninsel gerannt auf mich zu und schnappte sich meine Hand.

„Wow!", war ihre Reaktion. „Einfach nur... wow!"

Ich musste lachen und nahm meine Hand aus ihrem Griff.

„Komm, setz dich und erzähl schon", zog sie mich zum Esstisch und setzte sich mir gegenüber, wobei sie sich wieder den Ring ansah.

Ich berichtete ihr grob von den Geschehnissen des Tages. Sogar beim Erzählen musste ich dauernd grinsen. Was war nur mit mir los? Seit wann war ich jemand, der so oft lächelte? Camilla war beeindruckt und erschrocken. Sie konnte sich das alles wohl an Ladislao nicht vorstellen, denn je mehr ich erzählte, umso mehr klappte ihr die Kinnlade herunter. Irgendwann musste ich ihren Mund schließen, sonst würde sie noch welche Verrenkungen kriegen.

„Ich bin echt sprachlos", prustete sie aus. „Ich kann es nicht glauben."

Die Verwirrung war ihr ins Gesicht geschrieben. Ich konnte mir nicht helfen und musste einfach nur lachen.

„Was ist denn so überraschend daran?"

„Du verstehst es nicht. Er hat sich noch nie um jemanden so sehr gesorgt oder auch mit ihm Zeit verbracht. Ich glaube, du hast wirklich seine Schale durchbrochen."

Camilla sah mich dabei vielsagend an und irgendwie erfüllten ihre Worte mich mit einer Zufriedenheit. Ich war nur noch peinlich berührt, weshalb ich beschloss, nach oben zu gehen. Wir wünschten uns noch eine gute Nacht. Ich ging ins Zimmer, aber Ladislao war noch nicht da. Vielleicht war er ja noch im Arbeitszimmer. Sollte ich nachsehen? Wäre er sauer? Ich setzte mich auf die Couch und wollte erst einmal warten. Möglicherweise kam er selbst schon.

Die Zeit verging, aber jegliche Spur von ihm fehlte. Ich machte mir allmählich sorgen. Was machte er so lange? Wir hatten schon Mitternacht. War irgendetwas vorgefallen? Durch meine innere Unruhe konnte ich mich nicht mehr halten und ging in das Arbeitszimmer. Ich blieb jedoch vor der Tür stehen, als ich Stimmen vernahm.

„Irgendetwas tut sich auf den Straßen. Ich kann nur nicht herausfinden, was. Entweder stehen wir vor einem Wandel oder vor dem Chaos."

War das nicht Carlos' Stimme?

„Was sagst du da?", kam es leicht gereizt von Ladislao.

Waren sie alleine?

„Boss, ich kann nichts machen. Es bewegt sich etwas im Untergrund. Ich kann da niemandem richtig vertrauen. Das sind alles Heuchler, die nur an ihr Überleben denken. Wir müssen uns vorsichtig voran tasten."

Im Untergrund? Meinte er die Straßen? Was passierte denn?

„Wer hat das alles zu verantworten? Konntest du wenigstens herausfinden, wer hinter dieser Aufruhr steckt?" Wieder Ladislao.

„Ja, etwas habe ich schon, aber bin mir an der Richtigkeit nicht sicher", erklärte Carlos.

„Na, sag schon", fuhr ihn Ladislao genervt an. „Was machst du es auch so spannend?"

Wow, er war vielleicht mit den Nerven am Ende.

„Dieser Snake plant was. Ich weiß noch nicht viel darüber, aber er hegt etwas vor. Wir sollten uns auf eine Überraschung gefasst machen."

Snake? Mein Snake? Gibt es einen anderen etwa? Also ich hatte von keinem anderen gehört. Und ich war schließlich selbst auf den Straßen aufgewachsen.

„Denkst du Crystal weiß von etwas?", fragte Carlos. „Wir haben sie in seinem Gebiet gefunden und sie lebte auf den Straßen."

Meine Hände fuhren zu meinem Mund hoch, damit ich kein Laut von mir gab. Verdächtigten sie mich?

„Wir wissen nichts über sie. Hast du gar keine Informationen mehr gefunden?"

Nein, Ladislao vertraute mir nicht. Mein Herz zog sich zusammen, es tat mir weh. Ich konnte ihn verstehen, aber dennoch stimmte mich diese Tatsache traurig. Bisweilen hatte ich ihm doch nichts getan.

„Boss, ich habe einige Gerüchte wahrgenommen, aber beweisen könnte ich sie dir nicht."

„Sag schon", forderte Ladislao ihn erneut auf.

„Ich habe am Rande mitbekommen, dass eine „Cry" für Snake arbeitete. Und anscheinend war diese „Cry" genau zu der Zeit verschwunden, als wir unsere Crystal entführt haben."

Meine Augen flogen schon fast aus ihren Höhlen heraus. Woher fanden sie diese Informationen? Plötzlich hellten sich meine Gedanken auf. Was bekam ich hier mit? Etwas tat sich im Untergrund? Snake plante wohl etwas? Sie hatten herausgefunden, dass ich bei Snake war? Dass sie mich in seinem Gebiet aufgefunden hatten? Was genau sollte ich von alldem halten?

War ich hier bei den hohen Tieren gelandet? War Ladislao der gefürchtete Mann? War er der, dem wir regelmäßig unser Geld zukommen ließen? Oder doch weiter darüber?

„Scheiße!", ertönte es laut von Ladislao und ich hörte ein Poltern.

„Boss, komm runter. Es steht noch nichts fest. Ich werde der Sache auf den Grund gehen."

Carlos versuchte ihn zu beruhigen, aber er fluchte immer noch vor sich hin. Ich wusste gar nicht, dass er so aggressiv werden konnte. Es überraschte mich. Bis jetzt hatte ich nur seine ruhige Seite kennengelernt. Sie redeten noch weiter, aber ich hatte genug gehört. Ich schlich mich ins Zimmer zurück und lief dort wie ein Tiger im Käfig auf und ab.

Ich fand einfach keine andere Erklärung, als dass Ladislao beziehungsweise die Carbone-Männer die Großen waren. Was bedeutete das nun für mich? Ich dachte, ich hätte mit dem ganzen Mist abgeschlossen, aber anscheinend war ich in eine größere Dimension dieser Scheiße geraten. Ich wurde nervös, unsicher und ja sogar ängstlich. Was würden sie tun, wenn für sie fest stand, dass ich Snakes Mann war? Ich wollte nicht einmal an die Konsequenzen denken.

Mich fertig gemacht legte ich mich ins Bett und sah die Decke an, als würde sie mir Antworten liefern oder die Zukunft vorhersagen können. Ich vernahm Schritte im Flur. Anscheinend war ihr Gespräch zu Ende. Würde er mit mir reden wollen? Jetzt? Etwas zu erzählen hatte ich sicherlich nicht.

Er kam herein, lief erst ins Bad und kam dann nur in seiner Boxershorts -wie immer- zu mir ins Bett. Ich versteckte mich nicht, denn ich blickte ihn an. Er legte sich zu mir gedreht hin und sah mir in die Augen. Die Lichter hatte er bereits ausgemacht, als er ins Bett kam, dennoch war es nicht zu dunkel, da das Mondlicht herein schien.

Ladislao hob seine Hand und strich meine Haare zurück. Die Geste ließ all meine Zweifel fallen. Die Berührung fühlte sich schön an. Mein Herz erwärmte sich dabei. Als er meine Strähnen nach hinten gestrichen hatte, legte er seine Hand seitlich an meinen Hals, sodass seine Finger meinen Nacken berührten und strich mir dabei mit dem Daumen über die Wange. Ich schloss in dem Moment meine Augen. Sein Blick ruhte noch auf mir. Ich konnte ihn spüren.

„Sieh mich an."

Es war so leise, dass ich dachte, mich verhört zu haben. Trotzdem öffnete ich meine Augen und sah in die schönsten, die ich je gesehen hatte.

„Ich möchte immer mit innerem Frieden dich ansehen."

Was bedeutete das? Was genau wollte er mir mitteilen?

„Ich möchte dieses Mal hoffen. Hoffen können."

Seine Aussagen irritierten mich umso mehr. Aber ich konnte kein Wort über meine Lippen bringen.

„Schlafen wir jetzt", meinte er daraufhin nur und zog mich in seine Arme.

Ich war verwirrt. Bezog er das auf das Gespräch mit Carlos? Er wusste doch nicht, dass ich sie belauscht hatte, oder? Oder bezog er das alles etwa auf ein mögliches Hintergehen meinerseits? Dass ich ihn irgendwie verraten könnte? An wen und wegen was denn? Was war er nun? Etwa die Mafia? Konnte man das so nennen?

Wie sehr ich auch in letzter Zeit mich in seinen Armen wohl gefühlt hatte, konnte ich in dieser Nacht kein Auge zudrücken. Es war unmöglich. Wo war ich hier? Wer war er?

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